Die Bürger trauen ihren demokratischen Institutionen nicht mehr. Sie proben
den Aufstand, initiieren Volksbegehren, fordern Bürgerbeteiligung und Formen
direkter Demokratie. Auch die Gewichte zwischen Politik und Medien haben sich in
den vergangenen Jahren deutlich verschoben.
Die traditionelle Parteipolitik ist
auf dem Rückzug, die Medien und allerlei Stimmungspolitiker versuchen, dieses
Vakuum zu füllen. Doch die Logik der Medien ist eine andere als die Logik der
Politik. Hier zählt Quote, nicht Problemlösungskompetenz.
Der Autor zeichnet
das Bild einer erregten Republik, die mehr und mehr zum Spielball von Stimmungen
und Kampagnen wird. Und er zeigt, wer daran ein Interesse hat und wohin es
führen kann, wenn um der Erregung willen die auf Konsensbildung, Abstimmung und
das Aushandeln von Kompromissen angelegte repräsentative Demokratie beschädigt
wird. Wie Politik auf Wirklichkeit trifft.
den Aufstand, initiieren Volksbegehren, fordern Bürgerbeteiligung und Formen
direkter Demokratie. Auch die Gewichte zwischen Politik und Medien haben sich in
den vergangenen Jahren deutlich verschoben.
Die traditionelle Parteipolitik ist
auf dem Rückzug, die Medien und allerlei Stimmungspolitiker versuchen, dieses
Vakuum zu füllen. Doch die Logik der Medien ist eine andere als die Logik der
Politik. Hier zählt Quote, nicht Problemlösungskompetenz.
Der Autor zeichnet
das Bild einer erregten Republik, die mehr und mehr zum Spielball von Stimmungen
und Kampagnen wird. Und er zeigt, wer daran ein Interesse hat und wohin es
führen kann, wenn um der Erregung willen die auf Konsensbildung, Abstimmung und
das Aushandeln von Kompromissen angelegte repräsentative Demokratie beschädigt
wird. Wie Politik auf Wirklichkeit trifft.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.10.2011Persönlichkeitsfimmel
Thymian Bussemers unterhaltsame Kritik an den Medien,
den Politikern und dem deutschen Volk
Noch ein Buch über Stuttgart 21 – zu diesem Großprojekt, zu dem momentan jeder seine Meinung sagen muss? Und dann gleich noch eine ordentliche Medienschelte? Ein anfängliches Misstrauen gegen das Buch des VW-Managers und früheren Mitarbeiters von Gesine Schwan und Peter Glotz, Thymian Bussemer, lag nahe. Doch „Die erregte Republik“ hält für Laien und Fachleute gleichermaßen interessante Einsichten bereit und ist auch noch packend geschrieben.
Seit Stuttgart 21 heißt es allerorten, wie wichtig mehr Bürgerbeteiligung wäre. Sogar Guido Westerwelle denkt plötzlich über Plebiszite nach. Bussemer sieht das ganz anders: Die Bürger in westlichen Demokratien seien zunehmend unpolitisch und rein eigennützig und betätigten sich nur noch, wenn ihnen ein Großprojekt persönlich in die Quere kommt. Oder wenn die Schulpolitik ihre vergötterten Kinder zu treffen drohe. All das würde durch mehr Plebiszite aber nur verschlimmert. Die repräsentative Demokratie, die auf ein ausgewogenes und vorausschauendes Aushandeln von Kompromissen setze, werde mit Plebisziten untergraben.
Doch nicht nur die Bürger, sondern auch die Medien seien immer weniger an Sachthemen und abgewogener Berichterstattung interessiert und begeisterten sich stattdessen für „Geschichten“ und „persönliche Konfrontationen“. Stuttgart 21 passe in dieses Raster; nur deshalb werde darüber so viel berichtet. Bussemer untersucht die Mediengeschichte seit dem Zweiten Weltkrieg und findet insgesamt einen massiven Trend zur Personalisierung sowie zur Suche nach – oft auch künstlich konstruierten – Konfrontationen. Meinung, machttaktische Analysen und eine postmodern-gelangweilte Stilkritik an Politikern dominierten immer stärker zu Lasten einer sauberen Faktenrecherche.
Entsprechend komme beim Bürger zunehmend nur an, dass es in der Politik letztlich bloß um Macht gehe. Die bürgerliche Neigung zu Egoismus und Politikverdrossenheit werde damit nur noch weiter gesteigert. Noch schlimmer werde alles dadurch, dass die Medien die Politik immer aktionistischer werden ließen, indem sie die Politiker mit populären, aber bei ruhiger Betrachtung nicht sinnvollen Einzelforderungen vor sich her trieben. Auch hier sieht Bussemer einen Prozess wechselseitiger Verstärkung, diesmal zwischen Medien und Politikern: Denn die Politiker spielten das Spiel der Medien mit, setzten immer mehr auf Personalisierung, Inszenierung und Stil statt auf hart erarbeitete Konzepte und Kompromisse. Die wirklich wichtigen, oft nicht leicht zu verstehenden Politikthemen verschwänden damit weitgehend aus der öffentlichen Debatte und landeten in Berliner oder Brüsseler Hinterzimmer-Zirkeln.
Hier wie auch sonst argumentiert Bussemer differenziert. Dass die Globalisierung und die Komplexität der wichtigen politischen Fragen den Bürger überfordern können und damit die geschilderten Tendenzen begünstigen, sieht er ganz realistisch. Auch dass die nicht demokratisch gewählten Medien bereits ohne aktuelle Fehlentwicklungen ein nicht leicht aufzulösendes, latentes Legitimationsproblem haben, spricht er an. Bussemers Lösungsvorschlag erscheint als relativ simpel und schwer umsetzbar, aber letztlich vielleicht als alternativlos: Er plädiert für eine Wiederbelebung des politischen Interesses und des oft schwierigen, aber unausweichlichen öffentlichen Diskurses über inhaltliche Politikfragen. Konstruiertes Personalgerangel oder Stilfragen müssten dafür weichen. Andernfalls sei mittelfristig die Demokratie in Gefahr.
Auch in den Details ist das Buch unterhaltsam. So ergeben sich am Rande etwa eine sehr originelle Einschätzung Helmut Kohls und eine ebenso scharfsinnige wie vernichtende Kritik an Karl-Theodor zu Guttenberg. Wenngleich manches recht zugespitzt wirkt, verlangen Bussemers Thesen dringend nach einer öffentlichen Debatte. Dass er auf die Rolle des Internets zu wenig eingeht, mag ihm verziehen werden. Ferner kann man natürlich sagen: Die Orientierung von Politikern und „Medien“ an der Resonanz gab es schon im alten Rom vor 2000 Jahren. Gleichwohl: Bussemer hat ein sehr lesenswertes Buch geschrieben.
FELIX EKARDT
THYMIAN BUSSEMER: Die erregte Republik: Wutbürger und die Macht der Medien. Klett-Cotta, Stuttgart 2011. 253 Seiten, 19, 95 Euro.
Felix Ekardt leitet an der Universität Rostock die Forschungsgruppe Nachhaltigkeit und Klimapolitik.
Der Bürger gewinnt den Eindruck,
in der Politik gehe es
immer nur um Machtfragen.
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Thymian Bussemers unterhaltsame Kritik an den Medien,
den Politikern und dem deutschen Volk
Noch ein Buch über Stuttgart 21 – zu diesem Großprojekt, zu dem momentan jeder seine Meinung sagen muss? Und dann gleich noch eine ordentliche Medienschelte? Ein anfängliches Misstrauen gegen das Buch des VW-Managers und früheren Mitarbeiters von Gesine Schwan und Peter Glotz, Thymian Bussemer, lag nahe. Doch „Die erregte Republik“ hält für Laien und Fachleute gleichermaßen interessante Einsichten bereit und ist auch noch packend geschrieben.
Seit Stuttgart 21 heißt es allerorten, wie wichtig mehr Bürgerbeteiligung wäre. Sogar Guido Westerwelle denkt plötzlich über Plebiszite nach. Bussemer sieht das ganz anders: Die Bürger in westlichen Demokratien seien zunehmend unpolitisch und rein eigennützig und betätigten sich nur noch, wenn ihnen ein Großprojekt persönlich in die Quere kommt. Oder wenn die Schulpolitik ihre vergötterten Kinder zu treffen drohe. All das würde durch mehr Plebiszite aber nur verschlimmert. Die repräsentative Demokratie, die auf ein ausgewogenes und vorausschauendes Aushandeln von Kompromissen setze, werde mit Plebisziten untergraben.
Doch nicht nur die Bürger, sondern auch die Medien seien immer weniger an Sachthemen und abgewogener Berichterstattung interessiert und begeisterten sich stattdessen für „Geschichten“ und „persönliche Konfrontationen“. Stuttgart 21 passe in dieses Raster; nur deshalb werde darüber so viel berichtet. Bussemer untersucht die Mediengeschichte seit dem Zweiten Weltkrieg und findet insgesamt einen massiven Trend zur Personalisierung sowie zur Suche nach – oft auch künstlich konstruierten – Konfrontationen. Meinung, machttaktische Analysen und eine postmodern-gelangweilte Stilkritik an Politikern dominierten immer stärker zu Lasten einer sauberen Faktenrecherche.
Entsprechend komme beim Bürger zunehmend nur an, dass es in der Politik letztlich bloß um Macht gehe. Die bürgerliche Neigung zu Egoismus und Politikverdrossenheit werde damit nur noch weiter gesteigert. Noch schlimmer werde alles dadurch, dass die Medien die Politik immer aktionistischer werden ließen, indem sie die Politiker mit populären, aber bei ruhiger Betrachtung nicht sinnvollen Einzelforderungen vor sich her trieben. Auch hier sieht Bussemer einen Prozess wechselseitiger Verstärkung, diesmal zwischen Medien und Politikern: Denn die Politiker spielten das Spiel der Medien mit, setzten immer mehr auf Personalisierung, Inszenierung und Stil statt auf hart erarbeitete Konzepte und Kompromisse. Die wirklich wichtigen, oft nicht leicht zu verstehenden Politikthemen verschwänden damit weitgehend aus der öffentlichen Debatte und landeten in Berliner oder Brüsseler Hinterzimmer-Zirkeln.
Hier wie auch sonst argumentiert Bussemer differenziert. Dass die Globalisierung und die Komplexität der wichtigen politischen Fragen den Bürger überfordern können und damit die geschilderten Tendenzen begünstigen, sieht er ganz realistisch. Auch dass die nicht demokratisch gewählten Medien bereits ohne aktuelle Fehlentwicklungen ein nicht leicht aufzulösendes, latentes Legitimationsproblem haben, spricht er an. Bussemers Lösungsvorschlag erscheint als relativ simpel und schwer umsetzbar, aber letztlich vielleicht als alternativlos: Er plädiert für eine Wiederbelebung des politischen Interesses und des oft schwierigen, aber unausweichlichen öffentlichen Diskurses über inhaltliche Politikfragen. Konstruiertes Personalgerangel oder Stilfragen müssten dafür weichen. Andernfalls sei mittelfristig die Demokratie in Gefahr.
Auch in den Details ist das Buch unterhaltsam. So ergeben sich am Rande etwa eine sehr originelle Einschätzung Helmut Kohls und eine ebenso scharfsinnige wie vernichtende Kritik an Karl-Theodor zu Guttenberg. Wenngleich manches recht zugespitzt wirkt, verlangen Bussemers Thesen dringend nach einer öffentlichen Debatte. Dass er auf die Rolle des Internets zu wenig eingeht, mag ihm verziehen werden. Ferner kann man natürlich sagen: Die Orientierung von Politikern und „Medien“ an der Resonanz gab es schon im alten Rom vor 2000 Jahren. Gleichwohl: Bussemer hat ein sehr lesenswertes Buch geschrieben.
FELIX EKARDT
THYMIAN BUSSEMER: Die erregte Republik: Wutbürger und die Macht der Medien. Klett-Cotta, Stuttgart 2011. 253 Seiten, 19, 95 Euro.
Felix Ekardt leitet an der Universität Rostock die Forschungsgruppe Nachhaltigkeit und Klimapolitik.
Der Bürger gewinnt den Eindruck,
in der Politik gehe es
immer nur um Machtfragen.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Unterhaltsam, lehrreich und die öffentliche Debatte dringend erfordernd, so beschreibt Felix Ekardt seine Lektüreeindrücke betreffend Thymian Bussemers Buch über die "erregte Republik". Dass es darin nicht nur um Stuttgart 21 geht, sondern der Autor mitunter leicht zugespitzt, aber im Ganzen durchaus realistisch unsere Demokratie zur Disposition stellt, wird dem Rezensenten rasch klar. Ebenso leuchtet ihm bald ein, wie wenig hilfreich die allenthalben geforderten Plebiszite tatsächlich sind, wenn es darum geht, die repräsentative Demokratie zu schützen, weil die Bürger zunehmend unpolitisch und egoistisch agieren. Zustimmend liest Ekardt über die wechselseitige Verstärkung von politischen Untugenden, wie Personalisierung, Inszenierung und Stil, zwischen Politik und Medien beziehungsweise Bürger. Bussemers Lösungsvorschlag scheint ihm so schwierig wie alternativlos: die Reanimation des politischen Interesses bei allen Beteiligten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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