Jede Spezies auf der Erde nimmt nur bestimmte Reize aus ihrer jeweiligen Umwelt wahr: welche, wie und warum genau, das birgt verblüffende Entdeckungen. Wissenschaftsjournalist Ed Yong nimmt uns mit auf eine erstaunliche Reise zu den Sinnen der Tiere. Nur wenn wir darum wissen, was sie sehen und wie sie die Welt erleben, können wir schützen, was im Begriff ist, verloren zu gehen.Wir begegnen Käfern, die von Feuer angezogen werden, Schildkröten, die die Magnetfelder der Erde aufspüren können, Fischen, die Flüsse mit elektrischen Botschaften füllen. Wir erfahren, dass die Schuppen im Gesicht eines Krokodils so berührungsempfindlich sind wie die Fingerspitzen eines verliebten Menschen; dass der Riesenkalmar mit seinen fußballgroßen Augen seinen Feind, den Pottwal, erkennen kann; warum Blätter synchron zum Rhythmus der unhörbaren Gesänge balzender Buckelzikaden vibrieren und was für einen komplexen Sehsinn Kammmuscheln besitzen. Wir entdecken, was Bienen in Blüten sehen, was Singvögelin ihren Melodien hören.Doch indem der Mensch die Sinne der Tiere durch Lichtverschmutzung, Lärm und andere Reizüberflutungen aus dem Gleichgewicht bringt, gefährdet er die Artenvielfalt und den Reichtum der Natur. Nur wenn wir darum wissen, was sie sehen, wie sie die Welt erleben, können wir schützen, was im Begriff ist, verloren zu gehen.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Pia Heinemann folgt dem amerikanischen Wissenschaftsautor Ed Yong fasziniert durch die Sinneswelten der Tiere. Selbst kundige LeserInnen werden hier Neues erfahren, versichert die Rezensentin, die zum Beispiel lernt, wie Feuerkäfer mithilfe ihrer himbeerartigen Wärmeorgane Waldbrände aufspüren, wie Schlangen mit ihrer gespalteten Zunge Gerüche über weite Entfernungen wahrnehmen oder dass Elefanten Infraschall über ihre Füße spüren. Insgesamt elf verschiedene Sinne erklärt Yong der Rezensentin, und das alles ohne jemals in unverständlichen Jargon abzugleiten, wie Heinemann versichert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.12.2022Raffiniertes Gezüngel
Von Wahrnehmungen, die uns fehlen: Ed Yong führt durch die Sinneswelten von Tieren und ihre Erforschung.
Es ist schon einiges über die erstaunlichen Sinneswelten von Tieren geschrieben worden. Dass Elefanten Infraschall über ihre Füße spüren, Zugvögel sich am Magnetfeld der Erde orientieren, Fangschreckenkrebse Farben außerhalb unseres Wahrnehmungsbereichs sehen. Deshalb erwartet man von einem Buch über die Sinneswelten der Tiere eigentlich nicht viel Neues.
Doch der amerikanische Wissenschaftsautor Ed Yong schafft es, selbst naturkundlich beschlagenen Lesern eine neue Welt zu eröffnen. Er stellt elf verschiedene Sinne vor - vom Sehsinn über das Gespür für Vibrationen, Schmerz und Wärme bis hin zur Wahrnehmung elektrischer Felder -, die teils mehrfach in der Evolution bei verschiedensten Tiergruppen entstanden sind und von denen der eine oder andere dem Menschen vollständig fehlt.
Da ist zum Beispiel der Wärmesinn der Feuerkäfer. In zwei Gruben hinter ihren mittleren Beinen besitzen sie Organe, die an "verformte Himbeeren" erinnern. Die einzelnen Kügelchen sind mit Flüssigkeit gefüllt und direkt an druckempfindliche Nervenzellen gekoppelt. Trifft infrarote Wärmestrahlung auf die Kügelchen, erhitzt sich die Flüssigkeit, die Kugel dehnt sich aus und gibt Druck auf die Nervenzelle. Der Effekt: Die Käfer fliegen auf die Wärmequelle zu - und in ihrem Fall sind das Waldbrände. Dort paaren sie sich, legen in verkohlten Baumstämmen ihre Eier ab und garantieren ihren Nachkommen so den Luxus, ein durch den Brand ausgeräumtes Habitat neu besiedeln zu können. Die Himbeerorgane sind Yong zufolge so empfindlich, dass sie Brände in 130 Kilometer Entfernung anzeigen können, womit sie "auf einer Stufe mit modernen Quantendetektoren" stehen.
Ed Yong erzählt mitreißend von diesen Fähigkeiten der Tiere. Er weist in zahlreichen Fußnoten und einem stattlichen Anhang auf Weiterführendes hin und driftet nie in unverständlichen Expertenjargon ab. Immer wieder scheint seine Faszination für die Lebewesen durch, regelmäßig lässt er Forscher mit ihren Hypothesen, Irrwegen, Experimenten und Erkenntnissen auftreten, besucht sie auch in ihren Labors. Zugleich rekapituliert er Teile der Wissenschaftsgeschichte und erinnert daran, dass auch Charles Darwin sich über viele Sinne der Tiere nur wundern, ihre Entstehungsgeschichte aber noch nicht nachvollziehen konnte. Und schließlich stellt Yong jene Wissenschaftler vor, die später mit ausgeklügelten Experimenten solche Rätsel lösen konnten.
Yong geht der Frage nach, ob die Echolokation der Fledermäuse allein der Ortung der Beutetiere dient oder ob sie auch bei der Kommunikation eine Rolle spielt. Er erklärt, warum elektrische Fische nicht nur Veränderungen im elektrischen Feld ihrer Umgebung wahrnehmen, sondern auch aktiv elektrische Signale abgeben, und warum es prächtige Falter gibt, die die Farben ihrer Flügel selbst gar nicht wahrnehmen können. Er geht auf die Schlangen ein, die ähnlich wie Komodowarane eine gespaltene Zunge haben, mit der sie Gerüche wahrnehmen können. Dabei nehmen sie die Zeitdifferenz wahr, die zwischen dem Auftreffen der Duftmoleküle auf der linken und rechten Zungenspitze liegt, und können die Richtung einer Duftspur erkennen.
Wissenschaftler konnten sich aber lange Zeit nicht erklären, wie Schlangenmännchen den Weg zu Weibchen finden, die in Hunderten Meter Entfernung ausgesetzt wurden, also keine Spur hinterlassen haben konnten. Sie ließen Schlangen deshalb in einer mit Maisstärke gefüllten Kammer züngeln, bestrahlten mit Laserlicht und filmten alles mit einer Highspeedkamera. Die Erkenntnis: Beim schnellen Züngeln werden die beiden Zungenspitzen zu einem O zusammengeführt, die Schlangen sorgen dadurch für Luftverwirbelungen, die die Geruchsmoleküle zu ihnen heranführen. Dann wird die Zunge zum am Gaumen liegenden Jacobsonschen Organ geführt, welches sich im Lauf der Evolution zu einem so empfindlichen Detektor entwickelte, dass die Schlange auch feinste Geruchsspuren wahrnehmen kann.
Ed Yong zeigt die Vielfalt auf, die uns, ohne dass wir davon etwas wahrnehmen können, umgibt. In Zeiten des sechsten Massensterbens auf der Erde, für das der Mensch durch die Zerstörung von Lebensräumen und durch die Beschleunigung des Klimawandels maßgeblich verantwortlich ist, ist dieses Buch mehr als nur der Bericht über die wunderbaren Sinneswelten der Tiere. Es erinnert daran, dass der Schutz der Biodiversität nicht nur dem Erhalt des Planeten Erde dient, sondern dem unzähliger kleiner Welten. PIA HEINEMANN
Ed Yong: "Die erstaunlichen Sinne der Tiere". Erkundungen einer unermesslichen Welt.
Aus dem Englischen von S.Vogel. Kunstmann Verlag, München 2022. 528 S., geb., 34,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Von Wahrnehmungen, die uns fehlen: Ed Yong führt durch die Sinneswelten von Tieren und ihre Erforschung.
Es ist schon einiges über die erstaunlichen Sinneswelten von Tieren geschrieben worden. Dass Elefanten Infraschall über ihre Füße spüren, Zugvögel sich am Magnetfeld der Erde orientieren, Fangschreckenkrebse Farben außerhalb unseres Wahrnehmungsbereichs sehen. Deshalb erwartet man von einem Buch über die Sinneswelten der Tiere eigentlich nicht viel Neues.
Doch der amerikanische Wissenschaftsautor Ed Yong schafft es, selbst naturkundlich beschlagenen Lesern eine neue Welt zu eröffnen. Er stellt elf verschiedene Sinne vor - vom Sehsinn über das Gespür für Vibrationen, Schmerz und Wärme bis hin zur Wahrnehmung elektrischer Felder -, die teils mehrfach in der Evolution bei verschiedensten Tiergruppen entstanden sind und von denen der eine oder andere dem Menschen vollständig fehlt.
Da ist zum Beispiel der Wärmesinn der Feuerkäfer. In zwei Gruben hinter ihren mittleren Beinen besitzen sie Organe, die an "verformte Himbeeren" erinnern. Die einzelnen Kügelchen sind mit Flüssigkeit gefüllt und direkt an druckempfindliche Nervenzellen gekoppelt. Trifft infrarote Wärmestrahlung auf die Kügelchen, erhitzt sich die Flüssigkeit, die Kugel dehnt sich aus und gibt Druck auf die Nervenzelle. Der Effekt: Die Käfer fliegen auf die Wärmequelle zu - und in ihrem Fall sind das Waldbrände. Dort paaren sie sich, legen in verkohlten Baumstämmen ihre Eier ab und garantieren ihren Nachkommen so den Luxus, ein durch den Brand ausgeräumtes Habitat neu besiedeln zu können. Die Himbeerorgane sind Yong zufolge so empfindlich, dass sie Brände in 130 Kilometer Entfernung anzeigen können, womit sie "auf einer Stufe mit modernen Quantendetektoren" stehen.
Ed Yong erzählt mitreißend von diesen Fähigkeiten der Tiere. Er weist in zahlreichen Fußnoten und einem stattlichen Anhang auf Weiterführendes hin und driftet nie in unverständlichen Expertenjargon ab. Immer wieder scheint seine Faszination für die Lebewesen durch, regelmäßig lässt er Forscher mit ihren Hypothesen, Irrwegen, Experimenten und Erkenntnissen auftreten, besucht sie auch in ihren Labors. Zugleich rekapituliert er Teile der Wissenschaftsgeschichte und erinnert daran, dass auch Charles Darwin sich über viele Sinne der Tiere nur wundern, ihre Entstehungsgeschichte aber noch nicht nachvollziehen konnte. Und schließlich stellt Yong jene Wissenschaftler vor, die später mit ausgeklügelten Experimenten solche Rätsel lösen konnten.
Yong geht der Frage nach, ob die Echolokation der Fledermäuse allein der Ortung der Beutetiere dient oder ob sie auch bei der Kommunikation eine Rolle spielt. Er erklärt, warum elektrische Fische nicht nur Veränderungen im elektrischen Feld ihrer Umgebung wahrnehmen, sondern auch aktiv elektrische Signale abgeben, und warum es prächtige Falter gibt, die die Farben ihrer Flügel selbst gar nicht wahrnehmen können. Er geht auf die Schlangen ein, die ähnlich wie Komodowarane eine gespaltene Zunge haben, mit der sie Gerüche wahrnehmen können. Dabei nehmen sie die Zeitdifferenz wahr, die zwischen dem Auftreffen der Duftmoleküle auf der linken und rechten Zungenspitze liegt, und können die Richtung einer Duftspur erkennen.
Wissenschaftler konnten sich aber lange Zeit nicht erklären, wie Schlangenmännchen den Weg zu Weibchen finden, die in Hunderten Meter Entfernung ausgesetzt wurden, also keine Spur hinterlassen haben konnten. Sie ließen Schlangen deshalb in einer mit Maisstärke gefüllten Kammer züngeln, bestrahlten mit Laserlicht und filmten alles mit einer Highspeedkamera. Die Erkenntnis: Beim schnellen Züngeln werden die beiden Zungenspitzen zu einem O zusammengeführt, die Schlangen sorgen dadurch für Luftverwirbelungen, die die Geruchsmoleküle zu ihnen heranführen. Dann wird die Zunge zum am Gaumen liegenden Jacobsonschen Organ geführt, welches sich im Lauf der Evolution zu einem so empfindlichen Detektor entwickelte, dass die Schlange auch feinste Geruchsspuren wahrnehmen kann.
Ed Yong zeigt die Vielfalt auf, die uns, ohne dass wir davon etwas wahrnehmen können, umgibt. In Zeiten des sechsten Massensterbens auf der Erde, für das der Mensch durch die Zerstörung von Lebensräumen und durch die Beschleunigung des Klimawandels maßgeblich verantwortlich ist, ist dieses Buch mehr als nur der Bericht über die wunderbaren Sinneswelten der Tiere. Es erinnert daran, dass der Schutz der Biodiversität nicht nur dem Erhalt des Planeten Erde dient, sondern dem unzähliger kleiner Welten. PIA HEINEMANN
Ed Yong: "Die erstaunlichen Sinne der Tiere". Erkundungen einer unermesslichen Welt.
Aus dem Englischen von S.Vogel. Kunstmann Verlag, München 2022. 528 S., geb., 34,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main