Herrlich konstruierter Roman über familiären Kontrollwahnsinn mit perfekter Situationskomik
Drei Familien verbringen ihren gemeinsamen Urlaub in den Bergen. Eine Selbstversorgerhütte in den Bergen soll den sechs Erwachsenen und fünf Kindern als Feriendomizil dienen. Punkt zehn Uhr war ausgemacht.
Die Bründlmayers waren dann doch schon früher da, Karrieremenschen eben, haben auch alles…mehrHerrlich konstruierter Roman über familiären Kontrollwahnsinn mit perfekter Situationskomik
Drei Familien verbringen ihren gemeinsamen Urlaub in den Bergen. Eine Selbstversorgerhütte in den Bergen soll den sechs Erwachsenen und fünf Kindern als Feriendomizil dienen. Punkt zehn Uhr war ausgemacht. Die Bründlmayers waren dann doch schon früher da, Karrieremenschen eben, haben auch alles organisiert, dann nehmen sie es sich eben heraus, das beste Zimmer für sich auszusuchen.
Erwin, der Ich-Erzähler dieser Geschichte, war mit Frau Judith und seinen beiden Kindern pünktlich. Sie nahmen sich das kleinste Zimmer um den unpünktlich eintreffenden Riedls nicht irgendwie vor den Kopf zu stoßen. Die Kinder wurden ja eh allesamt ins Matratzenlager unter dem Dach verfrachtet.
Erwin suchte sich die Familien für den gemeinsamen Urlaub sorgfältig aus, denn nichts war ihm wichtiger als eine solide Erziehung seiner Sprösslinge Klara und Elias. Vor allem die Schlafgewohnheiten und rigorose Einschlafrituale waren ihm wichtig, und die Bründlmayers und Riedls tickten da ähnlich.
Nebenbei waren die Kinder der drei Familien allesamt perfekt instruiert und programmiert, was bei so manchen Gefahrensituationen zu tun sei. So gab es überraschende Feueralarme – die Kinder reagierten nach Bilderbuch. Allesamt. Auch eine vorgetäuschte Autopanne mit brennendem Motor wurde von Klara und Elias mit Bravour gemeistert. Erwin war eben ein Macher, hatte alles fest im Griff. Außer vielleicht sich selber nicht so ganz, schlürfte gerne mal ein Bierchen zuviel, und was unter anderen Röcken sein mag, interessierte ihn auch, aber fremdgehen würde er natürlich niemals.
Was er allerdings gar nicht unter Kontrolle hatte, waren die Alpträume seiner Tochter Klara. Die raubten der Familie für lange Zeit den Schlaf. Die anderen wussten natürlich von dieser Krise, und so wurde dann schon mal etwas schief in Richtung von Erwins Familie geschielt.
Als aber dann just ab der ersten Urlaubsnacht regelmäßig Konstantin Riedl mit angsterfülltem Geschrei aus einem Alptraum aufwachte und alle Personen zusammentrommelt, war es mit der gut ausgedachten und erhofften Idylle vorbei.
Konstantin war nebenbei noch ziemlich schüchtern, versteckte sich lieber hinter Mamas Rockzipfel.
Doch nach der ersten Alptraumnacht änderte sich einiges. Die Kinder schweißten sich zusammen, lösten sich aus den streng getakteten Urlaubstagen und hinterließen ihre Eltern zunehmend ratlos. Die Erwachsenen drifteten auseinander ...
Mit viel Humor und Situationskomik zeichnet Pretterhofer ein klares Bild von Eltern, denen sehr viel an Perfektionismus in der Kindererziehung liegt. Kein Wunder, dass Alpträume daherkommen, könnte man meinen. Im Laufe der Geschichte erfahren wir etwas über die Träume der Kinder (wird jetzt natürlich nicht verraten). Manchmal erweckt es den Eindruck, als wären die Kinder fremdgesteuert, weil sie geschlossene Einigkeit demonstrieren.
Die Situationen, und auch die Ich-Erzählungen von Erwin, regen beim Leser starke Bilder an. Die Figuren bewegen sich, werden plastisch.
Es bleiben beim (und auch nach) dem Lesen starke Eindrücke hängen. Der Roman von Jakob Pretterhofer ist für mich eine gekonnte Persiflage auf das Getue und Gezeter auf den Perfektionismus-Wahnsinns, dem wohl so manche Familien verfallen. Das man Kinder einfach Kinder sein lassen kann und soll, entzieht sich wohl so manchem Alpha-Elterchen. Der Kontrollverlust über ihre Schützlinge lässt sie die Kontrolle über sich selbst verlieren. Oder ganz modern ausgedrückt: man stelle sich vor, ein Programmierer verliert die Kontrolle über seine geschaffene KI.
Gerne gebe ich eine sehr große Leseempfehlung für diesen besonderen Roman, der noch lange nachhallen wird und ganz gewiss einen besonderen Platz in meiner persönlichen literarischen Hall-of-Fame bekommt.