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Egon Bondy (1930-2007) galt als »Vater des tschechischen Undergrounds«, der zeitlebens als radikalverweigernder Außenseiter zwischen allen Stühlen saß. Sein wilder und ehrlicher Erinnerungstext .Die ersten zehn Jahre. kam zustande, da Freunde und Verehrer Bondy dazu drängten, seine Perspektive auf die ereignisreichen Nachkriegsjahre und seine Erlebnisse festzuhalten. Entstanden ist ein Bericht über die Zeit zwischen 1947 und 1957, der zugleich ein Portrait der tschechischen Avantgarde zeichnet: radikal subjektiv, formal und inhaltlich provozierend. Es ging diesen Avantgardisten ums Ganze -…mehr

Produktbeschreibung
Egon Bondy (1930-2007) galt als »Vater des tschechischen Undergrounds«, der zeitlebens als radikalverweigernder Außenseiter zwischen allen Stühlen saß. Sein wilder und ehrlicher Erinnerungstext .Die ersten zehn Jahre. kam zustande, da Freunde und Verehrer Bondy dazu drängten, seine Perspektive auf die ereignisreichen Nachkriegsjahre und seine Erlebnisse festzuhalten. Entstanden ist ein Bericht über die Zeit zwischen 1947 und 1957, der zugleich ein Portrait der tschechischen Avantgarde zeichnet: radikal subjektiv, formal und inhaltlich provozierend. Es ging diesen Avantgardisten ums Ganze - ihre Lebensverhältnisse waren während der Errichtung einer »neuen sozialistischen Gesellschaft« prekär, die Gefahr der Verhaftung und Repression schwebte bei ihrem ausschweifenden, alle Normen missachtenden Lebensstil fortwährend über ihnen, der aufbegehrende, mit Vorliebe ordinär-primitive, antipoetische literarische Ausdruck ging weiter als alles zuvor. Inmitten der sich zusammenschnürenden politischen Verhältnisse in der Tschechoslowakei der 1950er Jahre beschreibt Bondy allerdings auch entfesselte Räume der Freiheit. Sexuell wie künstlerisch wurden Grenzen gesprengt, was eine Rückkehr in die Bürgerlichkeit unmöglich machte. Die Übersetzung von Eva Profousová folgt dem sprunghaften Erzählstil Egon Bondys in all seiner Rohheit und Rotzigkeit, glättet nichts an dessen widerständiger Verweigerungsgeste. Jan Faktor zeigt mit seiner Gedichtauswahl und im Nachwort die Neuheit und die explosive Wirkung des anarchischen Aufbruchs, der die tschechische Literatur auf den Kopf stellte und bis heute nachhallt.
Autorenporträt
Egon Bondy (1930¿2007) wurde in Prag als Sohn eines hohen Offiziers unter dem Namen Zbyn¿k Fier geboren, sein Pseudonym wählte er aus Protest gegen den stalinistischen Antisemitismus. In den 1950er Jahren lebte der unangepasste marxistische Denker immer mit einem Fuß in der Illegalität. Bondy war anfangs noch stark vom Surrealismus geprägt, seine radikal andere Art zu dichten nannte er »Totalen Realismus«. Sein Weggefährte und Trinkkumpan war kein Geringerer als Bohumil Hrabal. Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings war es Bondy nicht mehr möglich, zu veröffentlichen. Die Undergroundband »The Plastic People of the Universe« verschaffte ihm Öffentlichkeit, indem sie viele seiner Gedichte zu legendären Songs machte. Bondys Werk kursierte jahrelang nur im Samisdat. Es umfasst Gedichte, Romane und philosophische Schriften sowie die tschechische Übersetzung der »Galgenlieder« Christian Morgensterns.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Tilman Spreckelsen liest den autobiografischen Bericht des Bohemiens Egon Bondy mit Interesse. Die Jahre 1947-1957, als er sich als Agent und Autor in Wien und Prag versuchte und sich in die Tochter von Kafkas Freundin Milena Jesenska verliebte, schildert Bondy laut Spreckelsen fragmentarisch und ohne viel Selbstreflexion, dafür mit umso mehr Leidenschaft. Das Erinnerungsbuch ist von Eva Profousova elegant übersetzt und mit einem informativen Nachwort von Jan Faktor versehen worden, lässt uns Spreckelsen wissen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.09.2023

So viel Leid und Hoffnung, so viel Liebe!
Gepriesen sei Honza: Egon Bondy beschreibt "Die ersten zehn Jahre" als Bohemien und Dichter

Wäre die Weltgeschichte anders verlaufen, wenn man in den westlichen Geheimdiensten auf Egon Bondy gehört hätte? Der tschechische Avantgarde-Autor, der im Wien der Nachkriegszeit Kontakt zu einigen Agenten hatte, entwickelte für sie einen monströsen Plan, den er - "aus Liebe zur Menschheit" - für zwei Millionen Dollar umzusetzen versprach: Eigens gezüchtete Flöhe, die eine tödliche Seuche übertragen, sollten am Jahrestag der Oktoberrevolution in Moskau auf dem Roten Platz losgelassen werden, in der Nähe der Tribüne, um auf einen Schlag die komplette Führungsmannschaft der Sowjetunion zu töten "und dauerhaften Frieden zu installieren".

Vielleicht kamen Bondys Gesprächspartnern doch Bedenken wegen der Ermordung so vieler Menschen oder der geforderten Summe, wahrscheinlich hatten sie wenig Vertrauen in Umsicht und Kompetenz des noch sehr jungen Mannes. So erhielt Bondy bei diesen konspirativen Treffen jeweils nur einen Bruchteil der zwei Millionen für seine vielen schriftlich ausgeführten Pläne, aber immerhin genug, um sich weiter durchzuschlagen, bis irgendwann ein Personalwechsel im Geheimdienst diese Quelle versiegen ließ, ohne dass die Pläne für den Weltfrieden je konkreter geworden wären. Wesentlich später erfuhr Bondy, dass seine französische Gesprächspartnerin eine Doppelagentin der Tschechen gewesen war.

"Die ersten zehn Jahre", so heißt Egon Bondys fragmentarischer Bericht aus der Zeit zwischen 1947 und 1957, schildert den Beginn seines Lebens als Autor und Bohemien. Der 1930 geborene Bondy, eigentlich Zbynek Fiser, sitzt zu Beginn des Buches im April 1947 in einer Prager Gaststätte und wird von zwei entfernten Bekannten aus der Künstlerszene gefragt, was er eigentlich sei, Komponist oder Dichter. Der Siebzehnjährige antwortet, nach einigem Überlegen, dass er Autor sei: "Rumms - das war's also, ich saß fest - und zwar lebenslänglich", so kommentiert er diesen Moment aus der Perspektive von 1981, als er seinen Bericht schrieb.

Solche Momente der Selbstreflexion, ob von außen forciert oder als innere Notwendigkeit, sind nicht allzu häufig in der geschilderten Dekade, jedenfalls hält Bondy sie nicht fest. Stattdessen scheint es, als werfe sich der junge Mann radikal und bedenkenlos einem Bohemeleben in die Arme, er zieht um die Häuser, schläft, wo immer er einen Schlafplatz findet, trinkt sich einen permanenten Rausch an, stiehlt, schmuggelt, bettelt, drückt sich erfolgreich vor jeder Erwerbsarbeit und verbringt einige Zeit in der Psychiatrie. Sein Vater, ein hoher Offizier, findet keinen Weg, seinen Sohn davon abzubringen, er ist eine der vielen Nebenfiguren dieses Bandes, deren Blick auf den jungen Dichter man zu ahnen meint. Denn das ist er auch, ein Dichter, der den Surrealismus für sich entdeckt und berückende Liebesgedichte schreibt, in die die Zeitläufte wetterleuchten. Er verliebt sich in Honza Krejcarová, die Tochter von Kafkas 1944 ermordeter Freundin Milena Jesenská, die er mit einem "Naturelement" vergleicht: "Sie behandelte alles und alle um sie herum mit einer absoluten Gleichgültigkeit, schmerzvoll und faszinierend zugleich. Ihrer Anziehungskraft konnte sich keiner entziehen - es sei denn, man hätte sich eine kürzere oder längere Zeit buchstäblich vor Honza versteckt, aber auch dann, auch Jahre später, konnte man ihr wieder verfallen."

Die Beziehung ist ebenso eng wie brüchig, es kommt zu häufigen, für Bondy nicht vorhersehbaren Trennungen und leidenschaftlichen Versöhnungen, und die Schilderungen dieses Bandes, die oft von einer auch Jahrzehnte später nicht verwundenen Verzweiflung diktiert scheinen, verdienen unbedingt den Vergleich mit dem Sammelband "Totale Sehnsucht", der Texte und Lebenszeugnisse von Bondys Freundin bündelt und im vergangenen Jahr im Ketos-Verlag auch auf Deutsch erschienen ist - der zärtliche, obszöne, zutiefst verständnisvolle und den Geliebten als Autor feiernde Brief, den Honza um 1962 an Bondy schrieb und dort enthalten ist, erzählt diese Liebesgeschichte von der anderen Warte aus und nicht weniger eindrucksvoll.

All das vollzieht sich in einem Staat, der bald von den Kommunisten übernommen wird und in dem Bondy erleben muss, wie enge Freunde in Schauprozessen verurteilt werden, einige von ihnen zum Tode. Er selbst kommt lange Zeit durch, unterstützt und ausgehalten von Gefährten wie Bohumil Hrabal. Als er später nicht mehr publizieren durfte, wurden seine Texte von der Underground-Band Plastic People of the Universe vertont und erst recht populär. Zugleich arbeitete der Dissident, der wegen seiner radikalen Verweigerung gegenüber dem kommunistischen Staat bald zur Legende wurde, mit dem tschechischen Geheimdienst zusammen.

Sein Erinnerungsbuch, das die großartige Übersetzerin Eva Profousová in ein elegantes und zugleich angemessen ruppiges Deutsch gebracht hat, erzählt davon nichts - diesem Aspekt und manchem anderen in Bondys Biographie widmet sich das Nachwort, das Jan Faktor beigesteuert hat; außerdem sind dem Band einige von Bondys Gedichten sowie Tagebuchnotizen beigegeben. Seinen Bericht verfasste Bondy in wenigen Tagen, ein Dreivierteljahr nachdem Honza bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Auf die Nachricht von ihrem Tod reagiert er mit einem Gedicht, das wiederum in der Sammlung "Totale Sehnsucht" zu finden ist: "Gepriesen sei sie", schreibt Bondy. "Was habe ich mit ihr durchlitten / wie viele Hoffnungen mit ihr durchlebt / wie viel Liebe Gepriesen sei sie". Bondy sollte sie um 26 Jahre überleben. TILMAN SPRECKELSEN

Egon Bondy: "Die ersten zehn Jahre".

Aus dem Tschechischen von Eva Profousová. Mit einem Nachwort von Jan Faktor. Guggolz Verlag, Berlin 2023. 238 S., geb., 23,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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