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Eine neue Religion spaltet die Gesellschaft unter dem Deckmantel des Antirassismus.
Über dieses Buch spricht ganz Amerika: Der Schwarze Sprachwissenschaftler John McWhorter prangert eine Bewegung von selbsternannten Erwählten an, die mit allen Regeln der Vernunft bricht und die soziale Gemeinschaft gefährdet.
Die Debatte um Identität ist entgleist. Nicht nur in den USA, auch in Europa und in Deutschland steht die Frage im Raum: Wie konnte es so weit kommen? John McWhorter wendet sich der treibenden Kraft dieser Entwicklung zu: einer neuen Bewegung von Erwählten, die sich von den
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Produktbeschreibung
Eine neue Religion spaltet die Gesellschaft unter dem Deckmantel des Antirassismus.

Über dieses Buch spricht ganz Amerika: Der Schwarze Sprachwissenschaftler John McWhorter prangert eine Bewegung von selbsternannten Erwählten an, die mit allen Regeln der Vernunft bricht und die soziale Gemeinschaft gefährdet.

Die Debatte um Identität ist entgleist. Nicht nur in den USA, auch in Europa und in Deutschland steht die Frage im Raum: Wie konnte es so weit kommen? John McWhorter wendet sich der treibenden Kraft dieser Entwicklung zu: einer neuen Bewegung von Erwählten, die sich von den Prinzipien der Aufklärung abgewendet haben und im Umgang mit identitätspolitischen Fragen quasi eine neue Religion begründen.

John McWhorter analysiert mit scharfem Blick und anschaulichen Beispielen, wo und wie sich diese politische Haltung durchgesetzt hat, warum sie viel zu radikal und essenzialistisch ist und gerade eines nicht: antirassistisch. Der unbeabsichtigte Neorassismus ist falsch und gefährlich, schadet den Schwarzen und zerstört den integrativen Diskurs.

Am Ende macht McWhorter aber auch Hoffnung und zeigt den möglichen Weg zu einer Gerechtigkeit, die das Schwarze Amerika einen - und nicht spalten - soll.

Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
John McWhorter ist preisgekrönter Professor für Linguistik, Musikgeschichte und vergleichende Literaturwissenschaften am Center for American Studies der Columbia University in New York. Er ist Autor von zwanzig Büchern - alle bisher nicht ins Deutsche übersetzt - und schreibt regelmäßig für Zeitungen und Zeitschriften, darunter The New York Times, The Atlantic und The New Republic. Auf Twitter hat er unter @JohnHMcWhorter mehr als 190 000 Follower.
Rezensionen
»Sein neues Buch [...] ist eine beißende Kritik an dem seiner Ansicht nach selbstgerechten Moralismus der neuen jungen Linken.« Sebastian Moll Süddeutsche Zeitung 20220202

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Thomas Thiel empfiehlt John McWhorters Warnung vor einem übersteigerten ideologischen Antirassismus, auch wenn der Autor keine neuen Argumente vorbringt, wie er feststellt. McWhorters Betrachtung des woken Antirassismus als Religion, macht für den Rezensenten Sinn, da hier wie dort mit Schuld argumentiert wird. Das Buch macht laut Thiel die Unterschiede zwischen einem echtem Antirassismus und der religiösen Variante deutlich, berücksichtigt aber zu wenig die Bedeutung der ins Spiel gebrachten "antirassistischen" Moral für den "gesellschaftlichen Positionskampf". Über die von der neuen Ideologie ausgehenden Gefahren lässt der Autor den Leser allerdings nicht im Unklaren, so Thiel.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.02.2022

„Warum bin ich
plötzlich der Böse?“
Der Linguist John McWhorter wirft der neuen
Linken selbstgerechten Moralismus vor. Ein
Gespräch über Rassismus, Rechtschaffenheit und
den Unterschied von Gesten und Handlungen
INTERVIEW: SEBASTIAN MOLL
John McWhorter lehrt Linguistik an der Columbia University in New York. Seine Essays und Kolumnen in der New York Times, dem Atlantic und dem New Yorker haben ihn zu einem der bedeutendsten schwarzen Intellektuellen der USA gemacht. Sein neues Buch „Die Erwählten: Wie der neue Antirassismus die Gesellschaft spaltet“ ist eine beißende Kritik an dem seiner Ansicht nach selbstgerechten Moralismus der neuen jungen Linken. Im Original trägt es den heftigen Titel „Woke Racism“, was sich ungefähr mit progressiver Rassismus übersetzen lässt.
SZ: Mr. McWhorter, Ihr Buch ist in den USA seit Oktober auf dem Markt. Waren die Reaktionen bislang wie erwartet?
John McWhorter: Genau so. Es wurde sich darüber beklagt, dass ich nichts von Religion verstehen würde, weil ich Wokeness als Religion und ihre Vertreter als die Erwählten bezeichnet habe. Aber die größte Kritik kam von Leuten, die angemerkt haben, dass die große Gefahr für den Liberalismus in den USA doch von rechts und nicht von links komme. Das hatte sicher auch mit Entwicklungen zu tun, die sich 2021 abgespielt haben, nachdem das Buch fertig war. Man hat mir gesagt, dass wir uns über den Mob am Kapitol aufregen sollten, über die Einschränkung des Wahlrechts und über Leute, die verbieten wollen, dass Critical Race Theory an Schulen unterrichtet wird, statt über Wokeness.
Ist dieser Einwand denn so falsch?
Ich habe das Buch nicht für Rechte geschrieben. Es geht um die Leute links der Mitte, Leute, die Obama, Hillary Clinton und Joe Biden gewählt haben. Diese Linken sind fassungslos, dass sie gesagt bekommen, sie seien Teil des Problems, obwohl sie dachten, dass sie auf der Seite der Engel stehen. Jetzt heißt es, dass, wenn man nicht eine vollkommene Erneuerung der gesellschaftlichen Prozesse fordert, man moralisch pervers sei. Das macht vielen Menschen Angst, und es macht sie zornig. Ich habe aber von niemandem gehört, der sagt, McWhorter hat mir erlaubt, der Rassist zu sein, der ich sein möchte. Was ich stattdessen höre, ist, warum bin ich plötzlich der Böse? Ich kann mich gut in die Haut dieser Leute versetzen, deshalb habe ich das Buch geschrieben.
Hatten Sie das Gefühl, dass es für Sie als linksliberalen schwarzen Intellektuellen eine Verpflichtung war, dieses Buch zu schreiben?
Ja, ich empfand das tatsächlich so. Ich fühle mich nicht als Auserwählter, aber es gibt wenige schwarze Intellektuelle, die sich dafür die Zeit genommen hätten. Und ich dachte, unter denen, die es getan hätten, bin ich derjenige, der es tun muss. Ein Weißer konnte das nicht schreiben, man hätte ihn sofort als Rassisten abgestempelt. Ein jüngerer Mann wäre dafür kritisiert worden, dass er noch nicht genügend Erfahrung hat, ein älterer Mann wäre dafür kritisiert worden, dass er nicht mehr am öffentlichen Leben teilnimmt. Also musste das Buch von jemandem in meinem Alter kommen, ich bin 56. Es kommt hinzu, dass ich schnell schreibe, und es war klar, dass das raus muss, so lange das brisant ist. In zwei Jahren leben wir in einer anderen Welt.
Gab es einen entscheidenden Moment?
Ja, irgendwann im Jahr 2020, mitten in der Pandemie, wurde meine liebste kulinarische Journalistin bei der New York Times, Alison Roman, gefeuert. Eine der Arten und Weisen, wie ich mich während der Pandemie bei Laune gehalten habe, war es, ihre wöchentlichen Rezepte aus der Times nachzukochen, und ich habe sie vermisst. Als ich gehört habe, warum sie gefeuert wurde, hat das für mich nicht den geringsten Sinn ergeben. Dann habe ich gedacht – das ist es, was wir nach dem Mord an George Floyd jetzt unter einer Abrechnung mit dem Rassismus in den USA verstehen? Das geht jetzt in eine Richtung, die ich nicht für gesund halte. Sehen Sie, ich kenne die Leute, die ich als die Erwählten bezeichne, seit 25 Jahren und habe gesehen, dass die jetzt die Macht bekommen, über unsere Leben zu bestimmen. Ich halte sie nicht für böse Menschen, die ziehen sich keine Stiefel an und marschieren durch die Straßen. Es sind keine Psychopathen. Sie halten sich nur wirklich für Engel. Und ich dachte, es muss ihnen jemand sagen, dass sie das nicht sind. Aber es hat mit den Rezepten angefangen.
Wie problematisch finden Sie es, dass sich der Fall ausgerechnet bei der Times ereignet hat, dem Hausblatt des amerikanischen Linksliberalismus?
Ich schreibe für die Times, ich kann darüber nicht offen reden. Doch damals habe ich noch nicht für die Times geschrieben und habe mich kritisch zu dem Fall geäußert. Immerhin hat mir die Times seither eine Kolumne gegeben und das war sicher auch eine Anerkennung der Tatsache, dass sie vielleicht zu weit gegangen sind.
Sie sprechen in Ihrem Buch viel über die Widersprüche der „Erwählten“ und deren Unehrlichkeit. Was sind für Sie die schlimmsten Lügen der neuen Linken?
Ich glaube das Schlimmste ist ihr zentraler Glaubenssatz, dass man als moralisches Wesen eine Pflicht hat, in jeder Lebenslage zu demonstrieren, dass man das richtige Bewusstsein hat. Das ist ihnen deutlich wichtiger, als tatsächlich die profane Arbeit zu leisten, etwas zu verändern und den Leuten zu helfen, die Hilfe brauchen. Es gilt: Du kannst fordern, was du willst, auch Dinge, die in Wirklichkeit schwarzen Menschen schaden, so lange du damit zeigst, dass du weißt, dass Rassismus existiert.
Nennen Sie uns ein Beispiel?
Du kannst sagen, dass standardisierte Schultests rassistisch sind und ihre Abschaffung fordern, und es spielt keine Rolle, dass du damit in Wirklichkeit sagst, schwarze Kinder sind zu dumm, um Tests zu bestehen, die abstrakte kognitive Fähigkeiten prüfen. Diese Diskussion musst du nicht mehr führen, weil du ja schon gezeigt hast, dass es Rassismus gibt. Oder du sprichst dich dagegen aus, gewalttätige schwarze junge Männer von der Schule zu werfen, weil sie in Armut und ohne Väter aufgewachsen sind. Was aber natürlich passiert, wenn diese Jungs in der Schule bleiben, ist, dass sie andere schwarze Jungs verprügeln, denn solche Dinge kommen ja nicht in einer glücklichen integrierten Schule vor, sondern eher in einer vorwiegend schwarzen öffentlichen Schule. Also schaden die Erwählten schwarzen Kindern, die lernen wollen, aber das ist ja egal, weil sie gezeigt haben, dass sie strukturellen Rassismus erkannt haben. Und so geht es immer weiter, die Erwählten demonstrieren, dass es Rassismus gibt und lassen dabei zu, dass furchtbare Dinge passieren. Und Menschen mit gesundem Menschenverstand schauen tatenlos zu, weil sie Angst haben, dass sie auf Twitter als weiße Suprematisten bezeichnet werden.
Was würden Sie gegen das Problem gewalttätiger schwarzer Jugendlicher tun?
Die Lösung des Problems ist, in den Kampf gegen Armut zu investieren. Man muss sich doch fragen, was stimmt mit diesen Jungs nicht? Oft hatten sie keine Väter, weil ihre Väter aller Wahrscheinlichkeit nach im Gefängnis waren. Warum waren die Väter im Gefängnis? Das hat vermutlich etwas mit dem Krieg gegen die Drogen zu tun, den unsere Regierung seit 50 Jahren gegen seine eigene Bevölkerung führt. Sie haben entweder Drogen verkauft oder waren an irgendeiner Form der Gewalt beteiligt, die mit dem Drogenhandel zu tun hat. So oder so ähnlich geht die Geschichte der Väter dieser Jungs und oft sieht genau so auch die Zukunft dieser Jungen aus.
Wenn es keinen Krieg gegen die Drogen gäbe, wenn es keine Möglichkeit gäbe, in einer vernachlässigten schwarzen Gegend mit Drogen schnelles Geld zu verdienen, dann würden diese schwarzen Männer sich vermutlich einen Job besorgen?
Ja, oder sie würden wenigstens nicht für lange Zeit im Gefängnis landen. Kurz gesagt, den Krieg gegen die Drogen zu beenden, würde schwarzen Männern ganz konkret helfen. Aber sich dafür einzusetzen, beinhaltet eben nicht, mit erhobenem Zeigefinger Leuten zu erklären, wie rassistisch sie sind. Es wäre eine echte Lösung für ein Problem im Gegensatz zu Therapiestunden für Weiße oder theatralische Bekenntnisse der eigenen Schuld. Das sind keine Handlungen. Das sind Gesten. Performances der eigenen Tugend.
Sie schlagen einen Dreipunkte-Plan vor, um die Situation von Afroamerikanern zu verbessern. Worin besteht er?
Über den einen Punkt haben wir ja schon gesprochen, darüber, den Krieg gegen die Drogen zu beenden. Der andere Punkt wäre, Berufsausbildungen anzubieten, die nicht unbedingt ein Universitätsstudium beinhalten. Wenn ein junger Mann heute nicht bei McDonald’s arbeiten und nicht Drogen verkaufen will, hat er in den USA nur die Wahl, für teures Geld vier Jahre aufs College zu gehen. Was wir stattdessen bräuchten, wären zweijährige Ausbildungen wie in Deutschland, in denen man zum Beispiel lernt, Elektriker zu werden, kurz, einen zweiten Weg zu einer stabilen Mittelschichtexistenz.
Die „Erwählten“ haben Ihrer Meinung nach also gar kein Interesse daran, konkret etwas zu verändern?
Ich will nicht so weit gehen zu sagen, dass sie keinen Wandel erzielen wollen, so zynisch sind sie nicht. Aber es ist ihnen unangenehm, wenn man sie auf tatsächlichen Wandel hinweist. Ihre ganze Daseinsberechtigung besteht darin, zu behaupten, dass sich nichts ändert und dass es diese nationale Tragödie des Rassismus gibt, die man nur ansprechen kann, in dem man Menschen Lektionen über ihre Ursünde des White Privilege erteilt. Es verschafft ihnen Befriedigung, eine Kassandra zu sein, und sie konzentrieren sich einfach nicht darauf, was sie konkret tun könnten.
Ist das für sie der Unterschied zur Bürgerrechtsbewegung der Sechziger?
Ja, Martin Luther King und Bayard Rustin haben nicht nur hübsche Reden gehalten, sie kannten sich auch sehr gut mit den Themen aus und wussten sehr genau, was draußen in der Welt passiert. Sie wussten, mit wem man reden musste, und sie wollten die Umstände für schwarze Menschen auf der Basis realer Möglichkeiten verändern. Darüber dreht niemand einen Film. Wenn man heute hingegen mit den sogenannten schwarzen Vordenkern redet, haben sie keine Ahnung von Politik, sie haben keine Vorstellung davon, was Washington tun kann, um schwarzen Menschen zu helfen. Sie wollen nur immer wieder den Song singen, dass Amerika rassistisch ist. Man kann ihnen natürlich zugute halten, dass es heute im Vergleich zu vor 60 oder 70 Jahren schwieriger ist zu wissen, was genau die Arbeit sein soll. Aber das bedeutet nicht, dass wir uns nicht damit auseinandersetzen sollten. Diese Leute sind keine Zyniker, aber sie erlauben es sich, ohne eine Vorstellung davon zu operieren, was man im echten Leben tun kann.
Wer so kritisiert, wird oft sofort zum Feind erklärt. Wie gehen Sie damit um?
Ich finde das Leben ist zu kurz, um solche Diskussionen zu führen. Ich weiß, dass ich nicht Donald Trump gewählt habe, ich habe mich mal für links gehalten, ich bin Demokrat und ich werde mich nicht hinsetzen und das gegenüber Leuten verteidigen, die sich moralisch überlegen fühlen wollen. Aber wenn es um Rassismus geht, muss ich diese Schlacht schlagen. Ich mache es in dem Buch sehr klar, dass ich nicht von rechts argumentiere, und ich habe auch sehr dezidiert Interview-Angebote von rechten Medien abgelehnt, die es natürlich geliebt hätten, mit mir hausieren zu gehen. Ich habe kein Interesse an deren reflexhafter Reaktion, dass diese ganze Wokeness einfach nur verrückt ist. Mich interessieren Leute, die wissen wollen, was diese Woke-Leute zu sagen haben, und ob etwas dabei ist, das Wert hat. Ich sage ja nicht, dass nichts davon etwas wert ist, ich verstehe nur nicht, warum diese Leute jeden aus dem Fenster schmeißen wollen, der nicht mit ihnen einverstanden ist.
Haben Sie noch Hoffnung auf Differenzierung und Vernunft?
Es kommt darauf an, in welchen Lebensbereichen. Ich glaube, die Universität ist verloren, da ist nichts mehr zu retten. Sie ist von den Erwählten erstickt worden. Aber in der übrigen Gesellschaft, also im richtigen Leben, gibt es eine Abwehrbewegung gegen die Extreme. Ich finde es völlig in Ordnung, „Whiteness“ ein wenig zu dezentrieren, aber dieses ganze Geschäft, den Leuten den Kopf abzuhacken oder sie an den Pranger zu stellen – dagegen gibt es einen wachsenden Widerstand. Also ich habe die Hoffnung, dass wir in ein paar Jahren zu den glorreichen Zeiten des Jahres 2019 zurückgekehrt sind.
„Ich habe das
Buch nicht für Rechte
geschrieben.“
„Die Lösung des Problems
ist, in den Kampf gegen
Armut zu investieren.“
„Ich finde es völlig in
Ordnung, ,Whiteness’ ein
wenig zu dezentrieren.“
„Ich glaube, die Universität ist verloren, da ist nichts mehr zu retten. Sie ist von den Erwählten erstickt worden. Aber in der übrigen Gesellschaft gibt es eine Abwehrbewegung gegen die Extreme." – John McWhorter.
Foto: Eileen Barroso/Verlag
John McWhorter: Die Erwählten – Wie der neue Antirassismus die Gesellschaft spaltet. Hoffmann und Campe, Hamburg 2022. 256 Seiten, 23 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2022

Es geht um die Zurschaustellung der eigenen Moral

Was zählt, ist soziale Distinktion: John McWhorter warnt vor einem ideologischen Antirassismus mit religiösem Vorzeichen.

Von Thomas Thiel

Die Kritik der Identitätspolitik ist mittlerweile zu einem eigenen Genre geworden. Das Buch von John McWhorter fügt ihm an Argumenten nichts hinzu. Eine Ideologie, die ausgerechnet im Namen des Antirassismus-Kampfes die Welt wieder in Schwarz und Weiß, Gut und Böse einteilt und jedem einredet, dem Schicksal seiner Hautfarbe nie entrinnen zu können, ist ja auch leicht zu entzaubern. Aber es gibt wohl keinen zweiten Autor, der dieser Position so entwaffnend respektlos entgegengetreten wäre.

Der amerikanische Journalist und Hochschuldozent betrachtet den Antirassismus in seiner ideologischen oder woken Ausprägung als Religion und hält es für zwecklos, die Mitglieder dieser Kirche, die er die Erwählten nennt, mit Argumenten überzeugen zu wollen. Das klingt überspitzt, ist aber nur konsequent: Welchen Sinn sollte es haben, sich mit Leuten, für die verletzte Gefühle und Hautfarben jedes Argument ausstechen, rational zu verständigen?

Bei der sicher nicht erschöpfenden religiösen Analogie kann sich McWhorter auf Motive wie die Erbsünde berufen. Den Oberpriestern des neuen Klerus wie Ibram X. Kendi oder Robin DiAngelo zufolge ist Weißsein ganz unabhängig vom individuellen Handeln ein Makel, der nie wieder gutgemacht werden kann und wohl auch nie wieder gutgemacht werden soll, schließlich schlägt die Bewegung ihr Kapital daraus, andere in ständigem Schuldbewusstsein zu halten. Eine Art Ablass ist nur dem gewährt, der seine Bußbereitschaft zur Schau stellt. Nimmt man die religiöse Analogie ernst, ist diese transzendenzlose Religion nicht besonders attraktiv. Der eigentliche Reiz besteht in der sozialen Distinktion.

Der ideologische Antirassismus ist für den Autor das Gegenteil von echtem Antirassismus. Es gehe seinen Anhängern nicht um Solidarität mit Außenseitern, sondern um die Zurschaustellung der eigenen Moral. McWhorter nennt ihn sogar eine Form des Rassismus, der schwarzen Menschen mehr schade als nutze. Er dränge sie in die Rolle des passiven Opfers einer rassistischen Gesellschaft und rede ihnen jede Initiative und Verantwortungsbereitschaft aus. Er lehre sie, sich nicht als Individuum, sondern als Mitglied einer Gruppe zu verstehen, die durch ihre Umwelt zum Scheitern verdammt ist. Was schwarzen Menschen übrig bleibe, ist Bücher über ihre Identität und den ubiquitären Rassismus, dem sie ausgesetzt seien, zu schreiben.

McWhorter schreibt, dass bei der Zurschaustellung des eigenen Opferstatus oft übertrieben werde. Selbst dunkelhäutig, schöpft er dabei aus eigener Erfahrung. Es gibt für ihn aber noch einen weiteren wichtigen Grund, sich dieser Ideologie zu verweigern: Es verstelle den Blick auf die Wirklichkeit, wenn alles auf das Motiv der Rasse reduziert werde. Sozialer Fortschritt sei davon nicht zu erwarten.

Ein Moment, dem der Autor zu wenig Aufmerksamkeit widmet, ist die Bedeutung der "antirassistischen" Moral für den gesellschaftlichen Positionskampf. Auch hierzulande ist es beliebt geworden, sich auf Podien und in Büchern öffentlichkeitswirksam über die eigene Unsichtbarkeit zu beschweren oder Kontrahenten im beruflichen Wettbewerb aus dem Weg zu räumen, indem man ihnen Rassismus anhängt.

Man kann sich wundern, dass dieses gegenaufklärerische Denken über esoterische Kreise hinaus so großen Anklang findet und auf dem besten Weg ist, auch Europa zu erobern. Die tiefere Erklärung dafür bleibt der Autor schuldig. Er beschränkt sich auf den Hinweis, eine säkulare, von den großen Ideologien des zwanzigsten Jahrhunderts ernüchterte Menschheit habe Bedarf an neuen Erlösern.

Der ideologische "Antirassismus" ist dem Autor nach keine harmlose Bewegung. Sie wolle ihre Gegner vernichten oder ihnen mindestens den Arbeitsplatz streitig machen. McWhorter ermisst ihren Einfluss beispielsweise an den Zeilen, die Ta-Nehisi Coates, einer ihrer bekanntesten Vertreter, nach dem 11. September 2001 zu Papier brachte: Er empfinde keine Mitgefühl für die weißen Polizisten und Feuerwehrmänner, die bei den Bergungsarbeiten starben, schrieb der Schriftsteller sinngemäß, all diese Leute, die ihn vorher permanent bedroht hätten. Feuerwehrmänner? Hier zeigte sich das ideologische Moment der Bewegung: die Weigerung, andere als Individuen wahrzunehmen, die Empathie verdienen. Coates wurde schon damals für seine Worte nicht kritisiert, sondern gefeiert.

Tatsächlich gibt es eine große Bereitschaft, derartige Aggressionen zu akzeptieren oder lächelnd zu übersehen. John McWhorter hält das für einen Fehler. Man dürfe schon die Prämissen der antirassistischen Ideologie nicht akzeptieren. Sie setze auf die Angst vor der öffentlichen Bloßstellung, die Bereitschaft, sich klein zu machen, und die Lust an der Unterwerfung. Ganze Fakultäten renommierter Universitäten sind dem schon nachgekommen. Von McWhorter kann man lernen, wie man es besser macht.

John McWhorter: "Die Erwählten". Wie der neue Antirassismus die Gesellschaft spaltet.

Aus dem Englischen von Kirsten Riesselmann. Hoffmann & Campe Verlag, Hamburg 2022. 256 S., geb., 23,- Euro.

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