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  • Gebundenes Buch

Produktdetails
  • Verlag: Insel Verlag
  • 1997.
  • Seitenzahl: 421
  • Deutsch
  • Abmessung: 30mm x 126mm x 204mm
  • Gewicht: 490g
  • ISBN-13: 9783458168805
  • ISBN-10: 345816880X
  • Artikelnr.: 07072306
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.1997

Peterchens Apokalypse
Und Norman Cohns Mondfahrt / Von Klaus Berger

Wir betreten den weitläufigen Raum der Götter- und Heldensagen. In meiner Schulzeit las man griechisch-römische Sagen nach Gustav Schwab, kurz davor germanische. Mein altes Vorurteil lautet: Sie sind immer etwas kompliziert und enthalten zu viele Namen. Nun unternimmt es ein Autor, die Mythen der Ägypter, Mesopotamier, Inder, Perser, Ugariter, Juden und Christen ("Jesussekte") rundum abzugrasen. Im wesentlichen handelt es sich bei diesem Buch um gesammelte Nacherzählungen, denen des Oberkonsistorial- und Oberstudienrats Schwab nicht unähnlich.

Zunächst, bis etwa zur Hälfte des Buches, das alte Leid: zu viele Namen. Dann aber lichtet der Verfasser, emeritierter Professor für Religionswissenschaft, die verworrene Vielfalt. Sein Vorgehen erinnert an die Brandrodung in Regenwäldern. Es gebe, sagt Norman Cohn, eigentlich nur zwei Arten von Dingen auf diesem weiten Feld: Dinge vor Zarathustra und Dinge nach Zarathustra. Vor Zarathustra ist die Welt durch Chaos nur gefährdet, ein jugendlicher Held rettet sie. Nach Zarathustra gibt es im Jetzt den Kampf, in der Zukunft aber ein Friedensreich. Auf kurzem Raum wollte Cohn unter vielem anderem auch noch das Alte Testament und auf zwanzig Seiten Jesus nacherzählen, was kaum gutgehen konnte. Man kann nicht sagen, Paulus habe ein "rein geistiges Reich", Jesus eine Zeit grenzenloser Fruchtbarkeit und Fülle auf Erden erwartet. Weder kann Paulus auf unjüdische Weise platonisch reinen Geist denken, noch ist Jesu Gottesreich so kraß irdisch.

Schon vor rund vierzig Jahren ist Norman Cohns "Millenium. Das Ringen um das tausendjährige Reich" in deutscher Übersetzung erschienen. Cohn empfiehlt sich dadurch wie auch durch die leicht irreführenden Hauptstichworte des jetzt erschienenen Buches ("Endzeit", "Apokalypse") als Spezialist für Jahrtausendwenden. Wird man also zu Silvester 1999 das Buch auf den Knien halten, um zu sehen, ob um null Uhr etwas von dem passiert, was hier steht? Wohl kaum.

Cohn hat eine recht ausgedehnte Einführung in vergleichende orientalische Mythenkunde über das Verhältnis zwischen Himmel und Welt gegeben. So könnte sein Buch auch heißen, denn von Apokalypsen handeln selbst in der weitgefaßten Definition des Verfassers nur rund einhundert der 350 Textseiten. Unter Apokalypse, Cohn enthüllt es erst auf Seite 248, sei jede "Enthüllung von Geheimnissen "zu verstehen", die bis dahin nur im Himmel bekannt waren". Die Konsequenz dieser extrem weichen Definition wäre, daß auch der Koran eine Apokalypse sein müßte und ebenso jede Offenbarungsschrift, von der man behauptet, sie enthalte Himmlisches, "Peterchens Mondfahrt" zum Beispiel.

Die Feststellung, Apokalypsen seien gewöhnlich pseudonym, wird weder durch die ausführlich erörterte Offenbarung des Johannes bestätigt noch durch die apokalyptischen Sprüche Jesu und des "Hirten des Hermas". Sie wurden um 120 in Rom von Hermas verfaßt, den Cohn auch ausdrücklich nennt. Die weite Definition der "Apokalypse" paßt auch nicht zum letzten Drittel des Buches, in dem es um Apokalypsen im traditionellen Verständnis der Endzeit-Erwartungen geht. So behandelt Cohn zwar ausführlich das jüdische Jubiläenbuch (zweites Jahrhundert vor Christus), doch es wird kaum je als "Apokalypse" bezeichnet, denn was es über die Zukunft sagt, umfaßt gerade mal ein Kapitel unter 49 anderen, die reine Nacherzählung der Geschichte der Welt bis zum Auszug aus Ägypten sind.

Die Hauptthese des Verfassers: Alle Erwartungen einer zukünftigen Welt inklusive der Kampf in der zu Ende gehenden Welt kommen von Zarathustra. Cohn bescheinigt sich selbst in einer Fußnote, daß darüber schon seit 1771 diskutiert werde, besonders durch die Lektüre der Qumran-Texte (Finsternis-Engel und Licht-Engel) sie die These aufgelebt. Qumran und Jesus-Sekte seien die Erben dieses iranischen Dualismus. Zunächst einmal ist der Ausdruck "Sekte" irreführend - eine Sekte kann es nur geben, wo eine Orthodoxie besteht. Für das Palästina des ersten Jahrhunderts nach Christus glaubt das hier niemand, für die Qumranfunde wird die Herkunft von einer Essenersekte immer fraglicher, und den frühchristlichen Gemeinden fehlen alle Merkmale eines auch noch so weit gefaßten Sektenbegriffs.

Abgesehen davon werden die - auch selbst mittlerweile schon klassischen - Einwände gegen die einlinig iranische Herkunft des Dualismus im ersten Jahrhundert kaum berücksichtigt: Erstens setzt jeder "Einfluß" voraus, daß es Ähnliches, Brückenköpfe, Affinitäten oder wie immer man es nennen will, bei dem Beeinflußten gab. Warum wären Juden so leicht durch heidnischen iranischen Dualismus beeinflußbar gewesen? Gab es nicht einen weisheitlichen Dualismus schon in Israel, der auch mit Licht und Finsternis umging? Warum wird der weisheitliche oder gegebenenfalls prophetische Ursprung der Apokalyptik nicht diskutiert?

Zweitens: Apokalyptik - im Sinne der Erwartung eines neuen, endgültigen Reiches (so würde ich den Ausdruck einengen) - ist ein internationales Phänomen. Cohn erwähnt zwar das ägyptische Töpfer-Orakel, zieht aber daraus keine Konsequenzen. Die apokalyptische Theorie des kommenden endgültigen Weltreichs findet sich eben nicht nur in Iran, sondern auch bei Hesiod und römischen Schriftstellern. Sie entstand möglicherweise an verschiedenen Stellen gleichzeitig als jeweils nationale Reaktion gegen die international ausgerichteten Weltreiche seit dem sechsten Jahrhundert vor Christus.

Die jüdisch-palästinensische Apokalyptik steht daher neben der persischen, der ägyptischen und der jüdisch-ägyptischen. Schließlich: Wie alt die in den iranischen Quellen bezeugten Auffassungen sind, ist extrem umstritten. Bei Cohn lernen wir, daß die für seine Absichten reichhaltigste Schrift namens "Bundahischn" erst im neunten oder zehnten Jahrhundert nach Christus abgefaßt oder abgeschlossen wurde. So bleiben als älteres Dokument für Iran nur die Hystaspes-Orakel, die vom zweiten Jahrhundert nach Christus an bei Kirchenlehrern zitiert werden. Wirklich wahrscheinlich ist eine enge Verwandtschaft bei der Symbolik der vier Zeitalter im Danielbuch, wo wie in einem "zoroastrischen" Werk das vierte und letzte Zeitalter durch "Eisen, mit Tonerde vermengt" dargestellt wird.

Kann man etwas mitnehmen aus diesem Buch? Religionen des Orients pflegen einander ähnlich zu sein, und Nietzsche und Mozart ("Sarastro") hatten recht: Zarathustra war wichtig, groß und originell. Aber man kennt heute noch nicht einmal das Jahrhundert, in dem er wirklich gelebt hat.

Norman Cohn: "Die Erwartung der Endzeit". Vom Ursprung der Apokalypse. Aus dem Englischen von Peter Gillhofer und Hans-Ulrich Möhring. Insel Verlag, Frankfurt am Main 1997. 421 S., geb., 56,- DM.

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