Blickt man auf die Jahrhunderte kriegerischer Auseinandersetzung in Europa zurück, so kommt der freiwillige Zusammenschluss souveräner Staaten zur "Europäischen Union" einer Revolution mit friedlichen Mitteln gleich. Auf die Grundlinien konzentriert, stellt Gerhard Brunn den von Krisen begleiteten Prozess der wirtschaftlichen und politischen Integration dar und zeigt die daraus resultierenden Veränderungen im Zusammenleben der Völker.
Gerhard Brunn, Professor für Europäische Regionalgeschichte an der Universität-Gesamthochschule Siegen und Direktor des Instituts für Europäische Regionalforschungen, hat das Kunststück fertig gebracht, das keiner Gesetzmäßigkeit folgende Auf und Ab von Lähmung und Dynamik, das den europäischen Einigungsprozess kennzeichnet, auf 429 Seiten im berühmten Reclam-Format konzentriert und mit ausgewählten Dokumenten versehen von seinen Anfängen bis heute systematisch und chronologisch darzulegen. Das ist eine Leistung, die, so will es scheinen, geradezu mönchische Askese und Disziplin zur Voraussetzung ihres Gelingens hat, was umso mehr Bewunderung abnötigt.
Das Ergebnis ist ein benutzerfreundliches, also übersichtlich strukturiertes Handbuch, das auf so gut wie alle Fragen, die mit dem Prozess der Europäischen Einigung verbunden sind, zuverlässig, differenziert, aber keineswegs unkritisch zu antworten weiß. Der so bescheiden auftretende Band wird bald jedoch als der "Brunn" gelten. Johannes Willms in der "Süddeutschen Zeitung"
Ein Mini-Lexikon, das im Fall des Falles viele Fragen umfassend beantwortet. Kölner Stadt-Anzeiger
Umfassend und leicht verständlich schildert der Siegener Professor für Europäische Regionalgeschichte die Einigung des Kontinents - von den Europaplänen der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts bis zur Osterweiterung der EU. Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Wer die Schulzeit schon etwas hinter sich hat, wird sich an das kleine Reclamformat erst wieder gewöhnen müssen. Doch es lohnt sich. Gerhard Brunn, Professor für Europäische Regionalgeschichte in Siegen, erklärt anschaulich die Entwicklung von Hitlers Europavorstellungen über das französische Europa, über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl bis hin zur heutigen EU kurz vor der Osterweiterung. Neue Ruhr Zeitung
Minutiös beschreibt Gerhard Brunn, der als Professor für Europäische Regionalgeschichte an der Universität-Gesamthochschule Siegen lehrt, die Entwicklung des Einigungsprozesses bis in die heutigen Tage hinein. Hilfreich bei der Lektüre ist die umfangreiche Wiedergabe der Quellen. So ist Churchills Rede in Zürich ebenso abgedruckt wie der Schumanplan oder der Vertrag von Maastricht. Brunn liefert nicht nur einen Rückblick auf die Geschichte der europäischen Einigung er wagt auch eine Vorausschau in die politische Zukunft des Kontinents. So fordert er, dass die EU - über die für 2004 vorgesehene gemeinsame Eingreiftruppe hinaus - zu einer wirklichen gemeinsamen Außenpolitik gelangt. Stuttgarter Zeitung
Das Ergebnis ist ein benutzerfreundliches, also übersichtlich strukturiertes Handbuch, das auf so gut wie alle Fragen, die mit dem Prozess der Europäischen Einigung verbunden sind, zuverlässig, differenziert, aber keineswegs unkritisch zu antworten weiß. Der so bescheiden auftretende Band wird bald jedoch als der "Brunn" gelten. Johannes Willms in der "Süddeutschen Zeitung"
Ein Mini-Lexikon, das im Fall des Falles viele Fragen umfassend beantwortet. Kölner Stadt-Anzeiger
Umfassend und leicht verständlich schildert der Siegener Professor für Europäische Regionalgeschichte die Einigung des Kontinents - von den Europaplänen der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts bis zur Osterweiterung der EU. Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Wer die Schulzeit schon etwas hinter sich hat, wird sich an das kleine Reclamformat erst wieder gewöhnen müssen. Doch es lohnt sich. Gerhard Brunn, Professor für Europäische Regionalgeschichte in Siegen, erklärt anschaulich die Entwicklung von Hitlers Europavorstellungen über das französische Europa, über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl bis hin zur heutigen EU kurz vor der Osterweiterung. Neue Ruhr Zeitung
Minutiös beschreibt Gerhard Brunn, der als Professor für Europäische Regionalgeschichte an der Universität-Gesamthochschule Siegen lehrt, die Entwicklung des Einigungsprozesses bis in die heutigen Tage hinein. Hilfreich bei der Lektüre ist die umfangreiche Wiedergabe der Quellen. So ist Churchills Rede in Zürich ebenso abgedruckt wie der Schumanplan oder der Vertrag von Maastricht. Brunn liefert nicht nur einen Rückblick auf die Geschichte der europäischen Einigung er wagt auch eine Vorausschau in die politische Zukunft des Kontinents. So fordert er, dass die EU - über die für 2004 vorgesehene gemeinsame Eingreiftruppe hinaus - zu einer wirklichen gemeinsamen Außenpolitik gelangt. Stuttgarter Zeitung
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.01.2003Vademecum
Die Einigung Europas
im Überblick
Zu bedauern ist es schon, aber leider auch wohl kaum zu ändern: Das Interesse an Europa, an den Themen und Problemen der Europäischen Einigung, dürfte in der Öffentlichkeit der Länder, die bereits Mitglied der EU sind, eher gering sein. Das kann kaum verwundern, denn allein das Hickhack um eine geringfügige, gewissermaßen nur symbolische Änderung der EU- Agrarordnung wird selbst den gutwilligsten Europaenthusiasten abschrecken. Nein, Europa ist allenfalls eine Herausforderung für sprachbegabte Volljuristen, die rasch Karriere machen wollen. Die werden alles schon so richten, dass es hinterher sowieso keiner mehr versteht. Derart etwa ließe sich die von vielen geteilte Meinung zum Thema zusammenfassen.
Diese Vermutung wird auch durch die bisherige Geschichte der Europäischen Einigung kaum dementiert. Was große Spannungsmoment dieser Pathogenese hätten sein können, ist jeweils in Nacht- und Marathonsitzungen sowie mittels komplexer Kuhhändel, deren Ergebnisse, in Vielen nichtssagenden Kommuniqués verpackt, rechtzeitig entschärft wurden. Wer schließlich sich trotz allem die Hoffnung bewahrte, dass das direkt gewählte Europäische Parlament hier Remedur, sprich Transparenz schaffe, den Betrieb aufmische, die Konflikte nicht mehr unter den Teppich kehre, sondern diese öffentlich und lautstark austrüge, was einzig und allein dem Einigungsprozess noch das Interesse jener Öffentlichkeit sicherte, die von diesem Parlament angeblich politisch repräsentiert wird, – der sieht sich jetzt gründlich ge- und enttäuscht. Die Europäische Einigung gleicht einer Karawane, die ihres nicht markierten Weges nach Irgendwohin zieht und sich dabei von keinem Hundegebell irritieren lässt.
In bemerkenswertem Kontrast zu diesem weitverbreiteten Eindruck steht hingegen, welche gewaltige Entwicklung der Prozess der Europäischen Einigung seit dem Spätjahr 1947 zurückgelegt hat, als sich sechzehn europäische Länder zur „Organization for European Economic Co-operation” (OEEC) zusammenschlossen, die über die Verteilung der Mittel wachte, die im Rahmen des Marshall-Plans zum Wiederaufbau des vom Krieg verheerten Westeuropa zur Verfügung standen. Jener Entwicklungsprozess der Europäischen Einigung, von dem selbst den politisch bewusst lebenden Zeitgenossen sehr viele Einzelheiten entfallen sein dürften – wer, Hand aufs Herz, hätte noch das Kürzel OEEC auflösen und richtig einordnen können? – ist der Gegenstand eines wichtigen, ja unverzichtbaren, wenngleich umständehalber auch etwas spröden Buches, eines Vademecums also, das Gerhard Brunn vorgelegt hat. Sein Verfasser, Professor für Europäische Regionalgeschichte an der Universität-Gesamthochschule Siegen und Direktor des Instituts für Europäische Regionalforschungen, hat das Kunststück fertig gebracht, das keiner Gesetzmäßigkeit folgende Auf und Ab von Lähmung und Dynamik, das den europäischen Einigungsprozess kennzeichnet, auf 429 Seiten im berühmten Reclam-Format konzentriert und mit ausgewählten Dokumenten versehen von seinen Anfängen bis heute systematisch und chronologisch darzulegen. Das ist eine Leistung, die, so will es scheinen, geradezu mönchische Askese und Disziplin zur Voraussetzung ihres Gelingens hat, was umso mehr Bewunderung abnötigt.
Das Ergebnis ist ein benutzerfreundliches, also übersichtlich strukturiertes Handbuch, das auf so gut wie alle Fragen, die mit dem Prozess der Europäischen Einigung verbunden sind, zuverlässig, differenziert, aber keineswegs unkritisch zu antworten weiß. Der so bescheiden auftretende Band wird bald jedoch als der „Brunn” gelten.
JOHANNES WILLMS
GERHARD BRUNN: Die Europäische Einigung. Verlag Philipp Reclam jun., Ditzingen 2002. 427 Seiten, 9,60 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Die Einigung Europas
im Überblick
Zu bedauern ist es schon, aber leider auch wohl kaum zu ändern: Das Interesse an Europa, an den Themen und Problemen der Europäischen Einigung, dürfte in der Öffentlichkeit der Länder, die bereits Mitglied der EU sind, eher gering sein. Das kann kaum verwundern, denn allein das Hickhack um eine geringfügige, gewissermaßen nur symbolische Änderung der EU- Agrarordnung wird selbst den gutwilligsten Europaenthusiasten abschrecken. Nein, Europa ist allenfalls eine Herausforderung für sprachbegabte Volljuristen, die rasch Karriere machen wollen. Die werden alles schon so richten, dass es hinterher sowieso keiner mehr versteht. Derart etwa ließe sich die von vielen geteilte Meinung zum Thema zusammenfassen.
Diese Vermutung wird auch durch die bisherige Geschichte der Europäischen Einigung kaum dementiert. Was große Spannungsmoment dieser Pathogenese hätten sein können, ist jeweils in Nacht- und Marathonsitzungen sowie mittels komplexer Kuhhändel, deren Ergebnisse, in Vielen nichtssagenden Kommuniqués verpackt, rechtzeitig entschärft wurden. Wer schließlich sich trotz allem die Hoffnung bewahrte, dass das direkt gewählte Europäische Parlament hier Remedur, sprich Transparenz schaffe, den Betrieb aufmische, die Konflikte nicht mehr unter den Teppich kehre, sondern diese öffentlich und lautstark austrüge, was einzig und allein dem Einigungsprozess noch das Interesse jener Öffentlichkeit sicherte, die von diesem Parlament angeblich politisch repräsentiert wird, – der sieht sich jetzt gründlich ge- und enttäuscht. Die Europäische Einigung gleicht einer Karawane, die ihres nicht markierten Weges nach Irgendwohin zieht und sich dabei von keinem Hundegebell irritieren lässt.
In bemerkenswertem Kontrast zu diesem weitverbreiteten Eindruck steht hingegen, welche gewaltige Entwicklung der Prozess der Europäischen Einigung seit dem Spätjahr 1947 zurückgelegt hat, als sich sechzehn europäische Länder zur „Organization for European Economic Co-operation” (OEEC) zusammenschlossen, die über die Verteilung der Mittel wachte, die im Rahmen des Marshall-Plans zum Wiederaufbau des vom Krieg verheerten Westeuropa zur Verfügung standen. Jener Entwicklungsprozess der Europäischen Einigung, von dem selbst den politisch bewusst lebenden Zeitgenossen sehr viele Einzelheiten entfallen sein dürften – wer, Hand aufs Herz, hätte noch das Kürzel OEEC auflösen und richtig einordnen können? – ist der Gegenstand eines wichtigen, ja unverzichtbaren, wenngleich umständehalber auch etwas spröden Buches, eines Vademecums also, das Gerhard Brunn vorgelegt hat. Sein Verfasser, Professor für Europäische Regionalgeschichte an der Universität-Gesamthochschule Siegen und Direktor des Instituts für Europäische Regionalforschungen, hat das Kunststück fertig gebracht, das keiner Gesetzmäßigkeit folgende Auf und Ab von Lähmung und Dynamik, das den europäischen Einigungsprozess kennzeichnet, auf 429 Seiten im berühmten Reclam-Format konzentriert und mit ausgewählten Dokumenten versehen von seinen Anfängen bis heute systematisch und chronologisch darzulegen. Das ist eine Leistung, die, so will es scheinen, geradezu mönchische Askese und Disziplin zur Voraussetzung ihres Gelingens hat, was umso mehr Bewunderung abnötigt.
Das Ergebnis ist ein benutzerfreundliches, also übersichtlich strukturiertes Handbuch, das auf so gut wie alle Fragen, die mit dem Prozess der Europäischen Einigung verbunden sind, zuverlässig, differenziert, aber keineswegs unkritisch zu antworten weiß. Der so bescheiden auftretende Band wird bald jedoch als der „Brunn” gelten.
JOHANNES WILLMS
GERHARD BRUNN: Die Europäische Einigung. Verlag Philipp Reclam jun., Ditzingen 2002. 427 Seiten, 9,60 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.02.2010Hallsteins Schuhe
Die europäische Einigung zwischen Irrwegen und Erfolgen
Seit über vierzig Jahren beschäftigen sich Historiker mit der Geschichte der europäischen Einigung. Mit immer neuen Tiefenbohrungen zeichnen sie ein komplexes Bild von idealistischen Hoffnungen, divergierenden nationalen Interessen, politischen Leistungen und mehr oder weniger gelungenen Kompromissen, die die Europäische Union gleichwohl zu einer immer umfassenderen Realität werden ließen. In der Öffentlichkeit ist davon freilich nicht viel angekommen. Journalistische Beobachter gefallen sich in der Beschreibung immer neuer Krisen, Politikwissenschaftler diagnostizieren ein Mehrebenensystem, das zur Weiterentwicklung angeblich nicht fähig ist.
Da kommt die Neuausgabe der Einigungsgeschichte von Gerhard Brunn gerade recht. Knapp und schnörkellos, aber ohne unzulässige Vereinfachungen und fast immer auf dem jüngsten Stand der Forschung zeichnet sie den kurvenreichen Weg nach Europa nach, von den Projekten und Diskussionen nach dem Ersten Weltkrieg bis zur Ratifizierung des Lissabon-Vertrages im Herbst 2009. Ihre Lektüre macht deutlich, dass dem europäischen Integrationsprozess langfristige historische Trends zugrunde liegen. Nationale Interessen, die bei den Akteuren der Europa-Politik naturgemäß im Vordergrund stehen, können sich auf Dauer nur durchsetzen, wenn sie mit dem Prinzip der Solidarität der europäischen Demokratien in Einklang zu bringen sind.
Brunn zeigt das etwa am Beispiel des Schuman-Plans, bei dem es Frankreich in erster Linie darum ging, eine erneute Vormachtstellung der deutschen Schwerindustrie zu verhindern und die Wettbewerbsfähigkeit der französischen Schwerindustrie zu steigern. Weil er der jungen Bundesrepublik gleichzeitig Aussichten bot, die Fesseln des Besatzungsstatus abzustreifen, und insgesamt eine optimale Nutzung der industriellen Ressourcen verhieß, fand er gleichwohl die notwendigen parlamentarischen Mehrheiten im Europa der Sechs. Ähnlich wird der Vertrag von Maastricht als eine Maßnahme zur Verhinderung neuer deutscher Großmachtpolitik interpretiert, wiederum wesentlich von Frankreich betrieben, aber mit segensreichen Wirkungen für die politische und wirtschaftliche Stabilität des gesamten Kontinents. Die Ost-Erweiterung der Union erscheint bei allen Schwierigkeiten alternativlos: Die wirtschaftlichen, politischen und sicherheitspolitischen Risiken, die sich aus einem Verbleib der mittel- und osteuropäischen Länder in einem Europa zweiter Klasse ergeben hätten, wurden als einfach zu groß angesehen.
Der Verfasser versteht es nicht nur, komplexe Sachverhalte wie die europäische Agrarpolitik oder den mühsamen, von vielen Rückschlägen unterbrochenen Weg zur Währungsunion verständlich darzustellen. Gelegentlich würzt er seine Erzählung auch mit einprägsamen Anekdoten. So berichtet er, dass Walter Hallstein die Einladung zum Haager Kongress der Europäischen Bewegung im Mai 1948 dazu nutzte, ein paar Schuhe zu kaufen. Als er zehn Jahre später sein Amt als erster Präsident der Europäischen Kommission antrat, zog er sie demonstrativ an. Der britische Außenminister Ernest Bevin erschrak über den Vorschlag einer europäischen Parlamentarierversammlung so sehr, dass er die Metaphern der griechischen Mythologie durcheinanderbrachte: "Wenn man diese Pandora-Büchse öffnet, wird man sie voller Trojanischer Pferde finden!"
Über einzelne Interpretationen kann man streiten. So erscheint es fraglich, ob mit dem Luxemburger Kompromiss vom Januar 1966, die die Krise des "leeren Stuhls" beendete, tatsächlich die Option auf wirkliche Supranationalität verlorenging. Die Kommission war keineswegs "darauf verpflichtet worden", wie Brunn schreibt, nur Vorschläge vorzulegen, die sie vorher informell mit den Mitgliedstaaten abgestimmt hatte. Der Ministerrat hatte es nur als "wünschenswert" bezeichnet, dass die Kommission "angemessene Kontakte" mit den Regierungsvertretern pflegt, bevor sie eine bedeutende Initiative ergreift. Ob das Bundesverfassungsgericht mit seinem Lissabon-Urteil eine Art Paradigmenwechsel unter der Devise "Zurück zum Nationalstaat" eingeleitet hat, wird man ebenfalls bezweifeln dürfen. Das politische Gewicht dieses Urteils auf europäischer Ebene erscheint damit doch stark überschätzt. In den großen Linien aber kann man Brunns Darstellung durchaus vertrauen. Sie zeigt, dass die Europäische Union ihre Mitgliedstaaten keineswegs in ihrer Existenz bedroht, sie aber gleichwohl immer weiter einbindet.
WILFRIED LOTH
Gerhard Brunn: Die europäische Einigung. Von 1945 bis heute. Verlag Philipp Reclam, Stuttgart 2009. 339 S., 7,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die europäische Einigung zwischen Irrwegen und Erfolgen
Seit über vierzig Jahren beschäftigen sich Historiker mit der Geschichte der europäischen Einigung. Mit immer neuen Tiefenbohrungen zeichnen sie ein komplexes Bild von idealistischen Hoffnungen, divergierenden nationalen Interessen, politischen Leistungen und mehr oder weniger gelungenen Kompromissen, die die Europäische Union gleichwohl zu einer immer umfassenderen Realität werden ließen. In der Öffentlichkeit ist davon freilich nicht viel angekommen. Journalistische Beobachter gefallen sich in der Beschreibung immer neuer Krisen, Politikwissenschaftler diagnostizieren ein Mehrebenensystem, das zur Weiterentwicklung angeblich nicht fähig ist.
Da kommt die Neuausgabe der Einigungsgeschichte von Gerhard Brunn gerade recht. Knapp und schnörkellos, aber ohne unzulässige Vereinfachungen und fast immer auf dem jüngsten Stand der Forschung zeichnet sie den kurvenreichen Weg nach Europa nach, von den Projekten und Diskussionen nach dem Ersten Weltkrieg bis zur Ratifizierung des Lissabon-Vertrages im Herbst 2009. Ihre Lektüre macht deutlich, dass dem europäischen Integrationsprozess langfristige historische Trends zugrunde liegen. Nationale Interessen, die bei den Akteuren der Europa-Politik naturgemäß im Vordergrund stehen, können sich auf Dauer nur durchsetzen, wenn sie mit dem Prinzip der Solidarität der europäischen Demokratien in Einklang zu bringen sind.
Brunn zeigt das etwa am Beispiel des Schuman-Plans, bei dem es Frankreich in erster Linie darum ging, eine erneute Vormachtstellung der deutschen Schwerindustrie zu verhindern und die Wettbewerbsfähigkeit der französischen Schwerindustrie zu steigern. Weil er der jungen Bundesrepublik gleichzeitig Aussichten bot, die Fesseln des Besatzungsstatus abzustreifen, und insgesamt eine optimale Nutzung der industriellen Ressourcen verhieß, fand er gleichwohl die notwendigen parlamentarischen Mehrheiten im Europa der Sechs. Ähnlich wird der Vertrag von Maastricht als eine Maßnahme zur Verhinderung neuer deutscher Großmachtpolitik interpretiert, wiederum wesentlich von Frankreich betrieben, aber mit segensreichen Wirkungen für die politische und wirtschaftliche Stabilität des gesamten Kontinents. Die Ost-Erweiterung der Union erscheint bei allen Schwierigkeiten alternativlos: Die wirtschaftlichen, politischen und sicherheitspolitischen Risiken, die sich aus einem Verbleib der mittel- und osteuropäischen Länder in einem Europa zweiter Klasse ergeben hätten, wurden als einfach zu groß angesehen.
Der Verfasser versteht es nicht nur, komplexe Sachverhalte wie die europäische Agrarpolitik oder den mühsamen, von vielen Rückschlägen unterbrochenen Weg zur Währungsunion verständlich darzustellen. Gelegentlich würzt er seine Erzählung auch mit einprägsamen Anekdoten. So berichtet er, dass Walter Hallstein die Einladung zum Haager Kongress der Europäischen Bewegung im Mai 1948 dazu nutzte, ein paar Schuhe zu kaufen. Als er zehn Jahre später sein Amt als erster Präsident der Europäischen Kommission antrat, zog er sie demonstrativ an. Der britische Außenminister Ernest Bevin erschrak über den Vorschlag einer europäischen Parlamentarierversammlung so sehr, dass er die Metaphern der griechischen Mythologie durcheinanderbrachte: "Wenn man diese Pandora-Büchse öffnet, wird man sie voller Trojanischer Pferde finden!"
Über einzelne Interpretationen kann man streiten. So erscheint es fraglich, ob mit dem Luxemburger Kompromiss vom Januar 1966, die die Krise des "leeren Stuhls" beendete, tatsächlich die Option auf wirkliche Supranationalität verlorenging. Die Kommission war keineswegs "darauf verpflichtet worden", wie Brunn schreibt, nur Vorschläge vorzulegen, die sie vorher informell mit den Mitgliedstaaten abgestimmt hatte. Der Ministerrat hatte es nur als "wünschenswert" bezeichnet, dass die Kommission "angemessene Kontakte" mit den Regierungsvertretern pflegt, bevor sie eine bedeutende Initiative ergreift. Ob das Bundesverfassungsgericht mit seinem Lissabon-Urteil eine Art Paradigmenwechsel unter der Devise "Zurück zum Nationalstaat" eingeleitet hat, wird man ebenfalls bezweifeln dürfen. Das politische Gewicht dieses Urteils auf europäischer Ebene erscheint damit doch stark überschätzt. In den großen Linien aber kann man Brunns Darstellung durchaus vertrauen. Sie zeigt, dass die Europäische Union ihre Mitgliedstaaten keineswegs in ihrer Existenz bedroht, sie aber gleichwohl immer weiter einbindet.
WILFRIED LOTH
Gerhard Brunn: Die europäische Einigung. Von 1945 bis heute. Verlag Philipp Reclam, Stuttgart 2009. 339 S., 7,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Das Handbuch der Europäischen Vereinigung von Gerhard Brunn sei benutzerfreundlich und übersichtlich, lobt Johannes Willms. Auf 429 Seiten dokumentiert der Professor für Europäische Regionalgeschichte in konzentrierter und chronologischer Form den Europäischen Integrationsprozess. Das "unverzichtbare" und zugleich "etwas spröde" Nachschlagewerk sei ein wahres Kunststück, beantworte alle Fragen über die europäische Integration von 1947 bis heute, staunt der Rezensent. Dieses Nachschlagewerk von Gerhard Brunn sei keineswegs unkritisch und, wagt Willm zu prophezeien, werde schon bald zum Klassiker.
© Perlentaucher Medien GmbH
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