Der Autor entwirft den Grundriß der europäischen Industriegesellschaft und beschreibt die Entwicklungsbedingungen. Dabei knüpft er an Max Webers Rationalismustheorem an. Die Analyse der Grundstrukturen in der Bevölkerungs-, Familien-, Stadt- und Schichtenentwicklung zeigt, in welcher fundamentalen Weise die Prinzipien der industriellen Produktion die gesamtwirtschaftlichen Wirklichkeiten umgeformt haben.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.05.1998Der Weg zur Industriegesellschaft Europa
Grundlegende Strukturmerkmale und soziokulturelle Grundbedingungen
Friedrich Pohlmann: Die europäische Industriegesellschaft. Verlag Leske + Budrich, 195 Seiten, 24,80 DM.
Wenn heute über Europa gesprochen wird, sind meist die Europäische Union und der Euro das Thema. Der Soziologe Friedrich Pohlmann betrachtet Europa zeitlich und inhaltlich aus einem anderen Blickwinkel. In seinem Buch steht nicht das Europa im politischen Sinn zur Diskussion, sondern die Transformation von einem agrar- in ein industriegesellschaftliches System und die Untersuchung des industriegesellschaftlichen Strukturmusters selbst. Pohlmann will die grundlegenden Strukturmerkmale des industriegesellschaftlichen Systemgefüges im Zeitalter seiner Entwicklung und die soziokulturellen Grundbedingungen, die die Entstehung der Industriegesellschaften in Europa ermöglicht haben, herausarbeiten. Er baut sein Buch auf vier Prämissen auf, die er auf einen ausschließlich europäischen Ursprung zurückführt: Religion, sofern sie Impulse für rationale Weltveränderung enthält; eine rationale Konstruktion staatlicher Herrschaft; vorindustrielle Produktionsformen, die industrielle Arbeitsmuster schon antizipieren; eine mathematisierte Naturwissenschaft. Warum diese Prämissen ausschließlich europäischen Ursprungs sein können und warum sie Geltung besitzen, erklärt der Autor aber nicht. Das Buch ist dennoch lesenswert.
Im ersten Teil faßt Pohlmann die Thesen von Max Weber über Christentum und Kapitalismus als Erklärungsmuster einer europäischen Industriegesellschaft zusammen. Dabei bleibt er nicht - wie viele andere Autoren - allein an der "Protestantismus-These" hängen. Als wesentliche vorindustrielle Produktionsstruktur nennt Pohlmann das "Manufakturwesen" und die auf Adam Smith zurückgehende Arbeitsteilung. Aber erst das institutionalisierte Zusammenspiel von Naturwissenschaft und Technik seit Mitte des 19. Jahrhunderts habe die entscheidende Grundvoraussetzung der Industriegesellschaft geschaffen.
Daß die Mechanisierung die industrielle Revolution ermöglicht hat, daß die Industrialisierung Deutschlands später begonnen hat und daß sich Veränderungen im Rahmen der "Bürgerlichen" Kernfamilien vollzogen haben, ist nichts wesentlich Neues. So liest sich der zweite Teil des Buches zunächst wie eine Zusammenfassung von oft Gesagtem. Aber Pohlmann setzt den Menschen in den Mittelpunkt, indem er zum Beispiel die Lebensbedingungen der Industriearbeiter beschreibt. Daran knüpft er begriffliche Überlegungen zu den sich neu entwickelten "Schichtstrukturen" an. Er schließt den Bogen zum Anfang seines Buches, indem er von neuem auf Max Weber zurückgreift - diesmal, um den "Klassenbegriff" zu erläutern. Pohlmanns Ausführungen machen den langen Weg zur "Industriegesellschaft Europa" deutlich - einen Prozeß, der noch nicht abgeschlossen ist. INDIRA GURBAXANI
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Grundlegende Strukturmerkmale und soziokulturelle Grundbedingungen
Friedrich Pohlmann: Die europäische Industriegesellschaft. Verlag Leske + Budrich, 195 Seiten, 24,80 DM.
Wenn heute über Europa gesprochen wird, sind meist die Europäische Union und der Euro das Thema. Der Soziologe Friedrich Pohlmann betrachtet Europa zeitlich und inhaltlich aus einem anderen Blickwinkel. In seinem Buch steht nicht das Europa im politischen Sinn zur Diskussion, sondern die Transformation von einem agrar- in ein industriegesellschaftliches System und die Untersuchung des industriegesellschaftlichen Strukturmusters selbst. Pohlmann will die grundlegenden Strukturmerkmale des industriegesellschaftlichen Systemgefüges im Zeitalter seiner Entwicklung und die soziokulturellen Grundbedingungen, die die Entstehung der Industriegesellschaften in Europa ermöglicht haben, herausarbeiten. Er baut sein Buch auf vier Prämissen auf, die er auf einen ausschließlich europäischen Ursprung zurückführt: Religion, sofern sie Impulse für rationale Weltveränderung enthält; eine rationale Konstruktion staatlicher Herrschaft; vorindustrielle Produktionsformen, die industrielle Arbeitsmuster schon antizipieren; eine mathematisierte Naturwissenschaft. Warum diese Prämissen ausschließlich europäischen Ursprungs sein können und warum sie Geltung besitzen, erklärt der Autor aber nicht. Das Buch ist dennoch lesenswert.
Im ersten Teil faßt Pohlmann die Thesen von Max Weber über Christentum und Kapitalismus als Erklärungsmuster einer europäischen Industriegesellschaft zusammen. Dabei bleibt er nicht - wie viele andere Autoren - allein an der "Protestantismus-These" hängen. Als wesentliche vorindustrielle Produktionsstruktur nennt Pohlmann das "Manufakturwesen" und die auf Adam Smith zurückgehende Arbeitsteilung. Aber erst das institutionalisierte Zusammenspiel von Naturwissenschaft und Technik seit Mitte des 19. Jahrhunderts habe die entscheidende Grundvoraussetzung der Industriegesellschaft geschaffen.
Daß die Mechanisierung die industrielle Revolution ermöglicht hat, daß die Industrialisierung Deutschlands später begonnen hat und daß sich Veränderungen im Rahmen der "Bürgerlichen" Kernfamilien vollzogen haben, ist nichts wesentlich Neues. So liest sich der zweite Teil des Buches zunächst wie eine Zusammenfassung von oft Gesagtem. Aber Pohlmann setzt den Menschen in den Mittelpunkt, indem er zum Beispiel die Lebensbedingungen der Industriearbeiter beschreibt. Daran knüpft er begriffliche Überlegungen zu den sich neu entwickelten "Schichtstrukturen" an. Er schließt den Bogen zum Anfang seines Buches, indem er von neuem auf Max Weber zurückgreift - diesmal, um den "Klassenbegriff" zu erläutern. Pohlmanns Ausführungen machen den langen Weg zur "Industriegesellschaft Europa" deutlich - einen Prozeß, der noch nicht abgeschlossen ist. INDIRA GURBAXANI
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main