Die öffentliche Diskussion über das Wissen wird täglich und in allen Medien geführt: Was
wissen wir, was weiß man über uns, und wie können wir die Hoheit über dieses Wissen
behalten oder zurückerlangen? Wieso bemühen wir heute, wenn wir etwas wissen wollen,
eine Suchmaschine? Warum werden wir zu "Informationsgiganten", laufen aber Gefahr, zu
"Wissenszwergen" zu verkommen? Welche Folgen hat die McDonaldisierung des Wissens?
Die meisten Beiträge zur Debatte über das Wissen nähern sich dem Thema in praktischen
Einzelaspekten oder stochern im Nebel medienwissenschaftlicher Theorien.
Niemand außer Peter Burke wagte sich bisher an eine derart weitgefächerte Analyse unserer
Wissensgesellschaft. Dank seiner enormen Kenntnisse vermag er die komplexen Prozesse
für jeden verständlich zu beschreiben und einzuordnen: etwa die Professionalisierung
und die Demokratisierung, die Anhäufung und die Zerstörung von Wissen. Dabei ist Burke
nicht nur einer der hochrangigsten Denker, sondern auch selbst ein glänzender Vermittler.
Seine Geschichte des Wissens ist ein fundamentaler und hervorragend lesbarer Beitrag zu
den entscheidenden Fragen der Gegenwart und Zukunft. Ein großer Wissenschaftler am Puls
der Zeit!
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
wissen wir, was weiß man über uns, und wie können wir die Hoheit über dieses Wissen
behalten oder zurückerlangen? Wieso bemühen wir heute, wenn wir etwas wissen wollen,
eine Suchmaschine? Warum werden wir zu "Informationsgiganten", laufen aber Gefahr, zu
"Wissenszwergen" zu verkommen? Welche Folgen hat die McDonaldisierung des Wissens?
Die meisten Beiträge zur Debatte über das Wissen nähern sich dem Thema in praktischen
Einzelaspekten oder stochern im Nebel medienwissenschaftlicher Theorien.
Niemand außer Peter Burke wagte sich bisher an eine derart weitgefächerte Analyse unserer
Wissensgesellschaft. Dank seiner enormen Kenntnisse vermag er die komplexen Prozesse
für jeden verständlich zu beschreiben und einzuordnen: etwa die Professionalisierung
und die Demokratisierung, die Anhäufung und die Zerstörung von Wissen. Dabei ist Burke
nicht nur einer der hochrangigsten Denker, sondern auch selbst ein glänzender Vermittler.
Seine Geschichte des Wissens ist ein fundamentaler und hervorragend lesbarer Beitrag zu
den entscheidenden Fragen der Gegenwart und Zukunft. Ein großer Wissenschaftler am Puls
der Zeit!
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Einen echten Lehnstuhl-Historiker erkennt Caspar Hirschi in Peter Burke und lässt an dessen Geschichte des Wissens kaum ein gutes Haar: Hirschis Mängelliste beginnt beim Untertitel, denn mit enzyklopädischem Wissen beschäftige sich Burke nur am Rande, zur Wikipedia liefere er eigentlich nur Allgemeinplätze. Statt der versprochenen Universalgeschichte des Wissen, die Sozial-, Kultur und Politikgeschichte umfasst, schaffe Burke lediglich eine "Wissenschaftsgeschichte light", die sämtliche Praktiken, Verfahren und Erkenntnisse oberflächlich antippe, ohne näher auf sie einzugehen. Vor allem aber stört sich der Rezensent daran, dass Burke die von ihm selbst immer wieder angeführte Unterscheidung von Information und Wissen kaum beachte, und "viel Rohes, aber wenig Gekochtes" präsentiere. Immerhin indirekt erschließt sich dem Rezensenten somit, wie die Anhäufung von Information der Vermittlung von Wissen im Wege steht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.10.2014Wir sind Zwerge in Datenströmen
Unnützes im Sekundentakt, während wertvolles Wissen verfällt: Peter Burke eilt durch die Geschichte der Informationsgesellschaft
In den mehr als fünfzig Jahren seiner Lehrtätigkeit an den Universitäten von Sussex und Cambridge hat Peter Burke vom handschriftlichen Karteikartensystem über Mikrofiche und Powerpoint bis zum heute allgegenwärtigen Apple-Produkt die unterschiedlichsten Formen der Wissensorganisation im akademischen Kontext miterlebt. Für seine erste Sozialgeschichte des Wissens, die er 2001 unter dem deutschen Titel "Papier und Marktgeschrei" veröffentlichte, ging er noch einmal einige hundert Jahre zurück und legte die Veränderungen in der Ansammlung und Verbreitung von Wissen von Kolumbus bis zur Jahrtausendwende in einer Chronik dar. Burkes neues Buch kann ausdrücklich als Fortsetzung dazu gelesen werden, funktioniert jedoch auch als eigenständige Lektüre hervorragend.
"Wir mögen vielleicht ,Informationsgiganten' werden, laufen aber Gefahr, zu ,Wissenszwergen' zu verkommen", prophezeit Peter Burke einer Welt, die auf den ersten Blick einen so leichten Zugriff auf eine so riesige Menge Wissen hat wie noch nie zuvor. Der Luxus, den die unendlichen Kapazitäten virtuellen Wissens, nur einen Mausklick entfernt, uns bieten, läuft Gefahr, uns durch den bloßen Ausstoß "roher" Information vom "gekochten" Wissen zu entfremden. So viel zur derzeitigen Lage, die auch gegen Ende des Essays, wie Burke seinen immerhin dreihundert Seiten starken Text (fast vierhundert mit Bibliographie) nennt, noch einmal thematisiert wird.
Einen deutlicheren Schwerpunkt legt der Historiker aber zuvor auf die geschichtlichen und soziologischen Faktoren, die uns dahin gebracht haben, wo wir mit unserem Weltwissen heute stehen.
Seine Geschichte beginnt im Zeitraum zwischen 1750 und 1850, den Burke "das zweite Zeitalter der Entdeckungen" nennt. In mehreren Stufen legten Pioniere wie Alexander von Humboldt mit ihren präkolonialen Forschungsreisen den Grundstein für die Akkumulation des Wissens. Zu Land und zur See wurde gesammelt, vermessen und kartographiert; als die Umwelt ausgeschöpft schien, wandte man sich dem Menschen als Forschungsobjekt zu. Volkszählungen und gesellschaftliche Erhebungen stellten die Weichen für das, was später unter dem Begriff Soziologie zusammengefasst werden sollte. Burke erzählt das sehr anschaulich und gespickt mit Anekdoten.
Im gleichen Maße wie die Speichermöglichkeiten für gesammeltes Wissen infolge technischer Errungenschaften wie Fotografie und Tonaufzeichnungen wuchsen, löste sich die Gatekeeper-Funktion von Bildungsinstitutionen und Sprachbarrieren in Burkes "zweitem Zeitalter der Entdeckungen" auf. Die Folgen davon stellen die heutige Weltbevölkerung vor nicht unerhebliche Probleme. Die Verbreitung des Wissens hat ihren Zenit ebenso erreicht wie seine schiere Masse und wie der täglich anfallende Abfall scheinbar "unnützen Wissens". In gleichem Maße, wie sekündlich Neues publiziert wird, fällt wertvolles Wissen der Schnelllebigkeit und Grenzenlosigkeit des Internets zum Opfer, sind Einschätzungen und Wertungen immer schwieriger vorzunehmen.
Diese Entwicklung handelt Burke in einem schwindelerregend disziplin- und epochenübergreifenden Rundumschlag ab. Humboldt steht neben Linné, dem großen Klassifizierer der Biologie, Freud neben Foucault und seiner Diskurstheorie, Agatha Christie neben Arthur Conan Doyle. Zweifelsohne ist es hochinformativ, wenn der Kulturhistoriker über die Wissenskultur von Pubs und Kneipen referiert und die großen Weltausstellungen zu Beginn des zwanzigsten Jahrhundert und ihre Bedeutung auferstehen lässt. Bisweilen hat man jedoch den Eindruck, dass auch ein paar Vorlesungsmanuskripte aus jahrzehntelanger Lehre ihren Weg in das Buch gefunden haben.
Den wirklich brennenden Fragen hätte man durchaus noch die ein oder andere Seite zugestehen können, zumal sich seit "Papier und Marktgeschrei" doch einige neue Entwicklungen aufgetan haben. Wie sollte mit den massenhaft gesammelten Daten der Geheimdienste umgegangen werden? Brauchen wir eine Sammelbeschränkung, ein "No-Spy-Abkommen", oder müssen wir uns nur über klare Regeln zum Umgang mit Daten verständigen? Für den gefährdeten traditionellen Buchmarkt sieht Burke, nachdem dieser seine erzwungene Schrumpfkur durchlaufen habe, eine Zukunft. Eine dauerhafte Koexistenz von gedrucktem und elektronischem Buch scheint ihm möglich. Auf Amazon wird nicht eingegangen, auf Google schon. Dessen "monopolistische Tendenzen" seien beunruhigend, akademische Datenbanken wie JSTOR böten jedoch Abhilfe. Der Vergleich krankt an zwei Enden - das Online-Archiv JSTOR ist kostenpflichtig, und Google ist viel mehr als eine Suchmaschine.
Wie geht es weiter, nachdem unser Wissen explodiert, die Druckwelle verebbt ist? Wir leben in einer Informationsgesellschaft, sagt Burke, "in der selbst das Alltagsleben von neuen Formen des Wissens durchdrungen wird". Damit meint er Smartphone, Whatsapp, Twitter und die aktuellsten News via Push-Benachrichtigung. Unser Konsumverhalten hat sich verändert, ob zum Guten oder Schlechten, darauf weiß auch er keine Antwort. "Ich hoffe, die nächste Generation wird diese Erkundung weiterführen", so Burkes Schluss. Als Teil jener Entwicklung wird sie es sogar müssen.
TOBIAS KREUTZER.
Peter Burke: "Die Explosion des Wissens". Von der Encyclopédie bis Wikipedia.
Aus dem Englischen von Matthias Wolf unter Mitarbeit von Sebastian Wohlfeil. Wagenbach Verlag, Berlin 2014. 392 S., geb., 29,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Unnützes im Sekundentakt, während wertvolles Wissen verfällt: Peter Burke eilt durch die Geschichte der Informationsgesellschaft
In den mehr als fünfzig Jahren seiner Lehrtätigkeit an den Universitäten von Sussex und Cambridge hat Peter Burke vom handschriftlichen Karteikartensystem über Mikrofiche und Powerpoint bis zum heute allgegenwärtigen Apple-Produkt die unterschiedlichsten Formen der Wissensorganisation im akademischen Kontext miterlebt. Für seine erste Sozialgeschichte des Wissens, die er 2001 unter dem deutschen Titel "Papier und Marktgeschrei" veröffentlichte, ging er noch einmal einige hundert Jahre zurück und legte die Veränderungen in der Ansammlung und Verbreitung von Wissen von Kolumbus bis zur Jahrtausendwende in einer Chronik dar. Burkes neues Buch kann ausdrücklich als Fortsetzung dazu gelesen werden, funktioniert jedoch auch als eigenständige Lektüre hervorragend.
"Wir mögen vielleicht ,Informationsgiganten' werden, laufen aber Gefahr, zu ,Wissenszwergen' zu verkommen", prophezeit Peter Burke einer Welt, die auf den ersten Blick einen so leichten Zugriff auf eine so riesige Menge Wissen hat wie noch nie zuvor. Der Luxus, den die unendlichen Kapazitäten virtuellen Wissens, nur einen Mausklick entfernt, uns bieten, läuft Gefahr, uns durch den bloßen Ausstoß "roher" Information vom "gekochten" Wissen zu entfremden. So viel zur derzeitigen Lage, die auch gegen Ende des Essays, wie Burke seinen immerhin dreihundert Seiten starken Text (fast vierhundert mit Bibliographie) nennt, noch einmal thematisiert wird.
Einen deutlicheren Schwerpunkt legt der Historiker aber zuvor auf die geschichtlichen und soziologischen Faktoren, die uns dahin gebracht haben, wo wir mit unserem Weltwissen heute stehen.
Seine Geschichte beginnt im Zeitraum zwischen 1750 und 1850, den Burke "das zweite Zeitalter der Entdeckungen" nennt. In mehreren Stufen legten Pioniere wie Alexander von Humboldt mit ihren präkolonialen Forschungsreisen den Grundstein für die Akkumulation des Wissens. Zu Land und zur See wurde gesammelt, vermessen und kartographiert; als die Umwelt ausgeschöpft schien, wandte man sich dem Menschen als Forschungsobjekt zu. Volkszählungen und gesellschaftliche Erhebungen stellten die Weichen für das, was später unter dem Begriff Soziologie zusammengefasst werden sollte. Burke erzählt das sehr anschaulich und gespickt mit Anekdoten.
Im gleichen Maße wie die Speichermöglichkeiten für gesammeltes Wissen infolge technischer Errungenschaften wie Fotografie und Tonaufzeichnungen wuchsen, löste sich die Gatekeeper-Funktion von Bildungsinstitutionen und Sprachbarrieren in Burkes "zweitem Zeitalter der Entdeckungen" auf. Die Folgen davon stellen die heutige Weltbevölkerung vor nicht unerhebliche Probleme. Die Verbreitung des Wissens hat ihren Zenit ebenso erreicht wie seine schiere Masse und wie der täglich anfallende Abfall scheinbar "unnützen Wissens". In gleichem Maße, wie sekündlich Neues publiziert wird, fällt wertvolles Wissen der Schnelllebigkeit und Grenzenlosigkeit des Internets zum Opfer, sind Einschätzungen und Wertungen immer schwieriger vorzunehmen.
Diese Entwicklung handelt Burke in einem schwindelerregend disziplin- und epochenübergreifenden Rundumschlag ab. Humboldt steht neben Linné, dem großen Klassifizierer der Biologie, Freud neben Foucault und seiner Diskurstheorie, Agatha Christie neben Arthur Conan Doyle. Zweifelsohne ist es hochinformativ, wenn der Kulturhistoriker über die Wissenskultur von Pubs und Kneipen referiert und die großen Weltausstellungen zu Beginn des zwanzigsten Jahrhundert und ihre Bedeutung auferstehen lässt. Bisweilen hat man jedoch den Eindruck, dass auch ein paar Vorlesungsmanuskripte aus jahrzehntelanger Lehre ihren Weg in das Buch gefunden haben.
Den wirklich brennenden Fragen hätte man durchaus noch die ein oder andere Seite zugestehen können, zumal sich seit "Papier und Marktgeschrei" doch einige neue Entwicklungen aufgetan haben. Wie sollte mit den massenhaft gesammelten Daten der Geheimdienste umgegangen werden? Brauchen wir eine Sammelbeschränkung, ein "No-Spy-Abkommen", oder müssen wir uns nur über klare Regeln zum Umgang mit Daten verständigen? Für den gefährdeten traditionellen Buchmarkt sieht Burke, nachdem dieser seine erzwungene Schrumpfkur durchlaufen habe, eine Zukunft. Eine dauerhafte Koexistenz von gedrucktem und elektronischem Buch scheint ihm möglich. Auf Amazon wird nicht eingegangen, auf Google schon. Dessen "monopolistische Tendenzen" seien beunruhigend, akademische Datenbanken wie JSTOR böten jedoch Abhilfe. Der Vergleich krankt an zwei Enden - das Online-Archiv JSTOR ist kostenpflichtig, und Google ist viel mehr als eine Suchmaschine.
Wie geht es weiter, nachdem unser Wissen explodiert, die Druckwelle verebbt ist? Wir leben in einer Informationsgesellschaft, sagt Burke, "in der selbst das Alltagsleben von neuen Formen des Wissens durchdrungen wird". Damit meint er Smartphone, Whatsapp, Twitter und die aktuellsten News via Push-Benachrichtigung. Unser Konsumverhalten hat sich verändert, ob zum Guten oder Schlechten, darauf weiß auch er keine Antwort. "Ich hoffe, die nächste Generation wird diese Erkundung weiterführen", so Burkes Schluss. Als Teil jener Entwicklung wird sie es sogar müssen.
TOBIAS KREUTZER.
Peter Burke: "Die Explosion des Wissens". Von der Encyclopédie bis Wikipedia.
Aus dem Englischen von Matthias Wolf unter Mitarbeit von Sebastian Wohlfeil. Wagenbach Verlag, Berlin 2014. 392 S., geb., 29,90 [Euro].
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