»Die fabelhafteste Sache von der Welt« das Schopenhauer-Zitat spiegelt ironisch die unterschiedlichen Facetten von Todesvorstellungen und Todesdarstellungen in der deutschen Literatur wider. Mit einer Auswahl an literarischen Schlüsseltexten, die von Johannes von Tepls "Der Ackermann und der Tod" vom Anfang des 15. Jahrhunderts bis hin zu Bernhard Schlinks "Der Vorleser" in der Gegenwart reichen, wird der Frage nachgegangen, wie jede Epoche oder einzelne Schriftsteller den Tod darstellen. Wie zu erwarten, tun sie dies in unterschiedlicher Weise, philosophisch, religiös, spirituell, transzendental, ästhetisch oder realistisch. Damit wird zwar keine am zentralen Todesmotiv orientierte Geschichte der deutschen Literatur intendiert. Dennoch führen die Autoren der unterschiedlichen Epochen mit ihren Texten zur Ausdeutung des Todes so etwas wie eine integrale Geschichte der deutschen Literatur aus einer ungewöhnlichen Perspektive vor Augen.
Das Werk richtet sich nicht nur an Germanisten und Komparatisten oder Studenten der neuphilologischen Fächer, es stellt vielmehr eine Fundgrube dar für jeden an Literatur Interessierten, der die Entwicklung der deutschen Literatur unter einem neuen Blickwinkel erleben und erlesen möchte.
Das Werk richtet sich nicht nur an Germanisten und Komparatisten oder Studenten der neuphilologischen Fächer, es stellt vielmehr eine Fundgrube dar für jeden an Literatur Interessierten, der die Entwicklung der deutschen Literatur unter einem neuen Blickwinkel erleben und erlesen möchte.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.01.2011Tödliche Geburtshilfe
"Der Tod ist ein Problem der Lebenden", schrieb Norbert Elias. Mit Manfred Jurgensen müsste man sagen: Der Tod ist vor allem ein Problem der Dichter. Schließlich sei etwas, das niemand zu Lebzeiten selbst erfahren hat, auch unmöglich authentisch sprachlich zu gestalten. Nicht ohne Grund habe sich Goethe im Faust auf eine karge Szenenanweisung beschränkt: "Faust sinkt zurück, die Lemuren fassen ihn auf und legen ihn auf den Boden." Tod und Sterben dennoch sprachlich gestalten und damit überwinden zu wollen, hält der Germanist für eine spezifisch deutsche Tradition. In seiner sympathisch textnahen Zusammenschau epochentypischer literarischer Todesarten und -vorstellungen seit dem 15. Jahrhundert glaubt er im Tod sogar den Ursprung der Dichtung zu erkennen. Warum nicht in der Liebe? Und lässt sich ohne sie überhaupt vom Tod in der Literatur sprechen? Es fällt auf, dass in Jurgensens Studie ausgerechnet Schnitzler und Thomas Mann fehlen. Auch mindern fragwürdige Wertungen ihr Gewicht: Hermann Brochs "Der Tod des Vergil" erscheint Jurgensen schon deshalb als gescheitert, weil der Österreicher in seinem Exilroman den Massentod in Krieg und Holocaust ignoriere. Dagegen erkennt er in Bernhard Schlinks Kitschroman "Der Vorleser" einen subtilen Erzähltext, "in dem das Grundwesen der Literatur, ihr Ursprung aus dem Bewusstsein menschlicher Sterblichkeit in musterhafter Fiktionalität zur moralischen Darstellung gelangt" sei. (Manfred Jurgensen: "Die fabelhafteste Sache von der Welt". Der Tod in der deutschen Literatur. Stauffenburg Verlag, Tübingen 2010. 622 S., geb., 44,80 [Euro].) O.P.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Der Tod ist ein Problem der Lebenden", schrieb Norbert Elias. Mit Manfred Jurgensen müsste man sagen: Der Tod ist vor allem ein Problem der Dichter. Schließlich sei etwas, das niemand zu Lebzeiten selbst erfahren hat, auch unmöglich authentisch sprachlich zu gestalten. Nicht ohne Grund habe sich Goethe im Faust auf eine karge Szenenanweisung beschränkt: "Faust sinkt zurück, die Lemuren fassen ihn auf und legen ihn auf den Boden." Tod und Sterben dennoch sprachlich gestalten und damit überwinden zu wollen, hält der Germanist für eine spezifisch deutsche Tradition. In seiner sympathisch textnahen Zusammenschau epochentypischer literarischer Todesarten und -vorstellungen seit dem 15. Jahrhundert glaubt er im Tod sogar den Ursprung der Dichtung zu erkennen. Warum nicht in der Liebe? Und lässt sich ohne sie überhaupt vom Tod in der Literatur sprechen? Es fällt auf, dass in Jurgensens Studie ausgerechnet Schnitzler und Thomas Mann fehlen. Auch mindern fragwürdige Wertungen ihr Gewicht: Hermann Brochs "Der Tod des Vergil" erscheint Jurgensen schon deshalb als gescheitert, weil der Österreicher in seinem Exilroman den Massentod in Krieg und Holocaust ignoriere. Dagegen erkennt er in Bernhard Schlinks Kitschroman "Der Vorleser" einen subtilen Erzähltext, "in dem das Grundwesen der Literatur, ihr Ursprung aus dem Bewusstsein menschlicher Sterblichkeit in musterhafter Fiktionalität zur moralischen Darstellung gelangt" sei. (Manfred Jurgensen: "Die fabelhafteste Sache von der Welt". Der Tod in der deutschen Literatur. Stauffenburg Verlag, Tübingen 2010. 622 S., geb., 44,80 [Euro].) O.P.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main