Der Roman „Die Fälschung der Welt“ („The Recognitions“, 1955) war das literarische Debüt des amerikanischen Schriftstellers William Gaddis (1922-1998). Gaddis war bekannt für ungewöhnlich umfangreiche und komplexe Bücher, die sich am Joyceschen Erzählwerk orientierten und fast immer enzyklopädischen
Anspruch hatten.
Wie Gaddis später bekannte, sah seine ursprüngliche Konzeption eigentlich einen…mehrDer Roman „Die Fälschung der Welt“ („The Recognitions“, 1955) war das literarische Debüt des amerikanischen Schriftstellers William Gaddis (1922-1998). Gaddis war bekannt für ungewöhnlich umfangreiche und komplexe Bücher, die sich am Joyceschen Erzählwerk orientierten und fast immer enzyklopädischen Anspruch hatten.
Wie Gaddis später bekannte, sah seine ursprüngliche Konzeption eigentlich einen einfacheren Roman vor: „Ich wollte eine moderne Form der Faust-Legende erzählen - die Geschichte eines jungen Künstlers, der in Versuchung gerät und zum Kunstfälscher wird“. Dann stieß Gaddis jedoch auf immer weitere Fälschungen, nicht nur in der Kunst, überall entdeckt er Betrug und Manipulation, in der Politik, in der Religion und in der Gesellschaft. Diese umfassenden Zivilisationsprobleme wollte er nun in seinem Roman ansprechen.
So entfaltet der Roman ein wahres Fälschungs-Panorama. Da werden nicht nur Gemälde gefälscht, da werden Romanideen gestohlen, Plagiate jeder Art angefertigt und bezahlte Kritiken erstellt. In einem Café brüstet sich sogar jemand mit einer tätowierten KZ-Nummer auf dem Unterarm, natürlich ist diese ebenfalls unecht.
Die komplexe Handlung lässt sich nicht in wenigen Sätzen skizzieren, geschweige denn nacherzählen. Hauptfigur ist der begabte amerikanische Maler Wyatt Gwyon. Mit seiner Vorliebe für flämische Malerei wird er zum Spielball von skrupellosen Kunsthändlern und Galeristen. Gwyon kopiert allerdings nicht die flämischen Meister, sondern als Van der Goes fügt er deren Werk einfach neue Bilder hinzu. Er sieht sich nicht als Fälscher sondern als Schöpfer.
Gaddis spricht dabei Themen an, die in unserer heutigen Konsumwelt aktueller denn je sind: Fetischismus von Originalen oder deren Reproduzierbarkeit. Wer kann noch zwischen Original, Kopie oder Fälschung unterscheiden? Begleitet ist Gwyons Kunstfälscherei durch seine Suche nach Anerkennung, nicht nur nach künstlerischer sondern auch nach menschlicher, ja existenzieller Anerkennung, z.B. durch den Vater.
Der Roman ist in den 40er und 50er Jahren angesiedelt, meist in der New Yorker Kunstszene, spielt aber auch in Europa (Italien, Frankreich und Spanien). Die 1232 Seiten sind gespickt mit seitenlangen Beschreibungen und Dialogen, immer wieder unterbrochen von Zitaten und bewusst eingesetzten Wiederholungen.
In deutscher Sprache erschien der Roman erstmals 1997 - wahrscheinlich war die immense Übersetzerarbeit Schuld an dieser über 40jährigen Verspätung. Nun liegt das Epos in einer überarbeiteten Übersetzung vor. Das Mammutwerk ist trotz seiner hochinteressanten Thematik nicht in wenigen Tagen, geschweige denn in einem Ritt zu bewältigen. Ich musste die Lektüre mehrfach unterbrechen, war aber nach einer Pause immer wieder neugierig auf die weitere „Fälschung der Welt“.