1943. Luftstreitkräfte der Alliierten liegen in der Ebene vor Foggia. Einsetzender Schneefall lähmt die Kriegsmaschinerie und macht die lautstarke Ordnung zur Farce. Joe Hammond wird nach einem Akt der Solidarität mit einem Kameraden degradiert. Beispielhaft treibt Lowry die Farce dem Ende entgegen: volltrunken wird Hammond von einem Laster überfahren. Eine Sprache, treffsicherer lakonisch, durchzogen von verstörender und untergründiger, beinahe kalter Leidenschaft - eine Anklage gegen den Krieg.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.10.1996Alles schon empfunden, alles schon gedacht
Robert Lowry endlich auf deutsch / Von Michael Allmaier
Zwei Zeilen: "Robert Lowry, 1919 in Cincinatti geboren und 1994 dort gestorben." Eine Biographie kurz wie eine Grabinschrift hat der Verlag Rogner & Bernhard seinem neuen Autor auf den Buchdeckel gedruckt. Man darf das symbolisch verstehen. Lowry ist ein vergessener Dichter. Nur die Eckdaten seines Lebens sind uns noch bekannt.
Robert Lowry war eine literarische Hoffnung der Nachkriegszeit. Geboren in einfachen Verhältnissen, beginnt er früh und mit fanatischem Eifer zu schreiben. Im Alter von neun veröffentlicht er seinen ersten Text. Aus dem Krieg zurückgekehrt, schreibt er binnen weniger Jahre mit großem Erfolg zwölf Bücher; mehrere werden verfilmt. Der verehrte Hemingway lobt ihn als "größtes aller Talente". Als Lowry beginnt, sich sonderbar zu benehmen, glaubt man zunächst, der Erfolg sei ihm zu Kopf gestiegen. Doch dabei bleibt es nicht. Er hört Stimmen und verfällt in feindselige Gemütslagen, die später als schizophren diagnostiziert werden. 1952 wird er gegen seinen Willen in eine psychiatrische Klinik eingeliefert. Er erhält Elektroschocks, die seinen Zustand nicht bessern. Trotz baldiger Entlassung bleibt er für den Rest seines Leben behandlungsbedürftig.
1959 legt Lowry einen seltsamen Roman vor, der seine Erfahrungen in der Anstalt reflektiert, wegen seiner antisemitischen und nationalsozialistischen Motive aber den Verleger verprellt und im Kleinverlag eines Freundes erscheint. Das Interesse an Lowry schwindet. Der zwölfte und letzte Band seines Hauptwerks erscheint 1965. Zwei Jahre später verliert er seine letzten Freunde bei dem Versuch, sie zu einer Mitgliedschaft in der "Amerikanischen Nazi-Partei" zu bewegen. Wie er die folgenden Jahre zubringt, ist unbekannt. Er wisse es selbst nicht mehr, sagte Lowry später - eine Gedächtnisschwäche, die er auf seine Behandlung zurückführt. Wie wir annehmen müssen, tat der Alkohol ein übriges.
Nach vier geschiedenen Ehen, aus denen drei Söhne hervorgingen, quartiert sich Robert Lowry bei seiner Mutter ein. Als sie hochbetagt 1987 stirbt, beginnt er wieder mit dem Schreiben. Ein kanadischer Sammler druckt, was ihm nicht zu obszön ist. Lowrys späte Entdeckung in Deutschland ist einem Zufall zu danken - einem der Zufälle, die immer ein wenig zu spät kommen. Das mehrseitige Porträt, das 1994 im "Spiegel" erschien, geriet fast schon zum Nachruf. Lowry starb, bevor der Vorschuß seines neuen deutschen Verlegers eintraf. Bekannte sahen ihn zuletzt obdachlos und geistig umnachtet durch die Straßen von Cincinatti schlurfen.
Rogner & Bernhard beginnt ein auf vier Bände angelegtes Editionsvorhaben mit zwei Romanen: dem ersten von 1946 und dem seinerzeit erfolgreichsten, der sieben Jahre später erschien. Beide Bücher sind in mehrere Sprachen, aber bislang noch nie ins Deutsche übersetzt worden. Im Original gibt es sie längst nicht mehr. Bei den Titeln hat sich der Verlag alle Freiheit genommen. "The Violent Wedding" heißt im Deutschen abgeschmackt "Tag, Fremder". Aus "Casualty" wurde schön, aber unpassend geschwätzig "Die falsche Sanftmut des Schnees".
Robert Lowry schreibt keineswegs phantastisch oder visionär, sondern einen ruhigen, beherrschten Stil, wie er für psychisch lädierte Autoren viel typischer ist. In einem Essay von 1960 nannte er die drei Schritte, aus denen für ihn ein Buch entsteht: "Man schreibt es, um es sich zu erklären; dann schreibt man es noch einmal, um es jemand anderem zu erklären; und dann nimmt man alle Erklärungen heraus und läßt es für sich selbst sprechen." In der Themenwahl nehmen sich beide Werke gediegen, fast epigonal aus. Boxer und ausgebrannte Künstler, Journalisten und Soldaten - kennt man das nicht alles schon von Hemingway?
Es geht unverkennbar um Männerwelten. Frauenwelt wäre die Liebe, und die findet hier nicht statt. Lowry übt den grimmigen, bisweilen verbitterten Gestus der "verlorenen Generation", trifft ihn aber nicht ganz. Gerade, wenn er ihm am nächsten kommt, verliert er das Vertrauen in seine Sprache und reicht dann doch immer wieder die Erklärung nach. Glänzend erzählte Passagen enden in Sätzen wie "Er war völlig aufgewühlt." Dankenswerterweise sieht Carl Weissner davon ab, solche Unebenheiten zu begradigen. Seine Übersetzung läßt keine Schwächen erkennen, auch wenn sie stellenweise etwas schnoddrig gerät (ein Wort wie "Frust" paßt nicht recht in einen fünfzig Jahre alten Roman).
Robert Lowry schreibt, wie man es von den Jugendwerken großer Dichter kennt. Seine Prosa berührt auf eine Art, die ungeschickt wirkt und es oft wohl auch ist. Wer die Kraft sucht, muß zunächst die Grobheit erdulden. Da soll etwa zu Anfang des Schnee-Romans ein Mann vorgestellt werden. Praktischerweise geht der gerade "wieder einmal alle Einzelheiten seines Lebens durch, seiner Vergangenheit und Gegenwart. Mein Name ist Joe Hammond, dachte er . . . Ich bin Obergefreiter in der US-Armee und seit neunzehn Monaten in Übersee." Was für ein plumper Kunstgriff, kann der Leser gerade noch denken. Dann weckt ihn der nächste Satz mit einem Paukenschlag: "Ich bin vierundzwanzig Jahre alt, und mit jedem Tag wird klarer, daß ich nicht ewig leben werde."
Joe Hammond lebt noch zwei Tage; das ist der Zeitraum, in dem "Die falsche Sanftmut des Schnees" spielt. Joe Hammond dient auf einem Luftwaffenstützpunkt in Süditalien während der letzten Monate des Kriegs. Die Front ist weit, die Faschisten haben neue Biographien und die alten Posten. Ein Januartag 1945: Es schneit, aber niemand will die Augen öffnen. Die Einheit ist zermürbt von der Untätigkeit. Jeder hat seinen Feind in der Nachbarkoje ausgemacht. Wo es nichts zu befehlen gibt, wird am lautesten gebellt. Der Kommandant, im Zivilleben Tankstellenpächter, verfügt, "bei wenig Betrieb müsse Arbeit erfunden werden, und sie müsse sinnvoll und notwendig erscheinen". Eine Ordnung, die höchster Belastung standhalten sollte, verschleißt sich im Leerlauf.
Robert Lowry wählt für seinen ersten Roman die Perspektive des Schnees, der schillernd und tanzend und kalt niederfällt. Flüchtig, scheinbar teilnahmslos fällt sein Blick auf diesen und jenen und bleibt schließlich ruhen auf Joe Hammond, der wegen einer Kameradschaftlichkeit degradiert und in der Nacht darauf im Suff überfahren wird. Man kann Anstoß nehmen an der schneeweißen Weste des Helden, den es so rechtschaffen wohl nur im amerikanischen Roman gibt. Aber auch das hat seine Logik. Die Männerwelten erweisen sich hier als Jungswelten, Spielwelten, und nur ein guter Spieler kann aufzeigen, daß die Regeln schlecht sind. "Wer diese Welt akzeptiert, ist entweder verrückt oder strohdumm", denkt Joe Hammond. Robert Lowry hat sie nicht akzeptiert; und er hat es der Welt übelgenommen, daß sie ihn darum für verrückt hielt.
"Tag, Fremder" aus dem Jahr 1953 breitet eine andere Spielwelt aus. Es ist der längere und ehrgeizigere Roman, und er handelt vom Boxen. Die Handlungsanlage ist blühender Kitsch. Künstlerin bändelt mit Boxer an, kann danach wieder malen. Boxer erschlägt Gegner im Ring, Künstlerin wendet sich ab. Beleidigter Boxer vergewaltigt Künstlerin, die schwanger wird und sich umbringt. Boxer bekommt Titelkampf und schenkt Rivalen das Leben. Wer daraus einen auch nur lesbaren Roman machen kann, verdient Respekt. Lowry gelingt mehr. Er füllt die Klischees wieder mit Leben. Eine depressive Frau, die früher gemalt hat, lädt einen schwarzen Boxer ein, um mit ihm zu schlafen. Man kennt das. Man kennt das nicht. Man weiß, daß es Leute gibt, die sowas machen. Nach der Lektüre des Buchs versteht man sie.
Tag, Fremder" gehört zum Nüchternsten und Besten, was es über den Boxsport zu lesen gibt, und das ist vor allem der Charakterzeichnung zu danken. Paris "Baby" James, der Weltmeisterschaftsanwärter im Mittelgewicht, für den Sugar Ray Robinson Vorbild stand, ist ein eleganter, aber rücksichtsloser Mann, der seine Intelligenz nicht braucht. In seiner Ecke heißt man Baby, Louie, Ronny oder Doc Stacy und schlägt zu, weil man gewinnen will. Laine Brendan ist eine ungleiche Sparringspartnerin, weil sie verlieren will. Sie hat beschlossen, einen "verschlungenen weiblichen Weg in den Tod" zu gehen, und nur das "prickelnde Gefühl der Vergeblichkeit" hält sie noch eine Weile am Leben. In Paris James liebt sie den Künstler der Zerstörung, bis sie den schlichten Handwerker erkennt.
Lowry erzählt von der Banalität des Boxens, das nur in der stupiden Sprache der Sportreporter einen Ausdruck findet, im Geschrei, das ablenken soll vom Schweigen, das den Ring beherrscht: "Doch selbst jetzt, als er und Aldi, umgeben von ihren Sekundanten, sich in der Ringmitte gegenüberstanden und der Ringrichter ihnen die Regeln herunterbetete, dachte und empfand er nichts. Alles war schon gedacht. Alles war schon empfunden." Das allein bleibt von den Spielwelten nach dem letzten Zug - Wahnsysteme, die aus und in sich selbst zerfallen.
Robert Lowry habe immer von den großen Erfahrungen geträumt, erinnert sich ein Kollege. In seinen Büchern beschreibt er das Unvermögen, sie zu machen. Dort herrscht die sekundäre Tragik des Absurden: Man kann kein Held mehr sein, wie groß das Opfer auch sei, weil es nichts mehr gibt, das eines Helden wert wäre. Nicht zufällig stirbt Joe Hammond den banalen, modernen Tod eines Autounfalls. Naiv mögen die Romane sein. Doch nicht weniger als die europäische Literatur der Zeit beschwören sie die große Leere, den ennui. Robert Lowry öffnet den Blick auf drei Höllen des modernen Menschen: den Sadismus ohne Lust, das Martyrium ohne Glauben und die Lethargie ohne Frieden.
Robert Lowry: "Tag, Fremder". Roman. 244 S., geb., 27,- DM. "Die falsche Sanftmut des Schnees". Roman. 132 S., geb., 22,- DM.Beide aus dem Amerikanischen übersetzt von Carl Weissner. Beide Verlag Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins, Hamburg 1996.
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Robert Lowry endlich auf deutsch / Von Michael Allmaier
Zwei Zeilen: "Robert Lowry, 1919 in Cincinatti geboren und 1994 dort gestorben." Eine Biographie kurz wie eine Grabinschrift hat der Verlag Rogner & Bernhard seinem neuen Autor auf den Buchdeckel gedruckt. Man darf das symbolisch verstehen. Lowry ist ein vergessener Dichter. Nur die Eckdaten seines Lebens sind uns noch bekannt.
Robert Lowry war eine literarische Hoffnung der Nachkriegszeit. Geboren in einfachen Verhältnissen, beginnt er früh und mit fanatischem Eifer zu schreiben. Im Alter von neun veröffentlicht er seinen ersten Text. Aus dem Krieg zurückgekehrt, schreibt er binnen weniger Jahre mit großem Erfolg zwölf Bücher; mehrere werden verfilmt. Der verehrte Hemingway lobt ihn als "größtes aller Talente". Als Lowry beginnt, sich sonderbar zu benehmen, glaubt man zunächst, der Erfolg sei ihm zu Kopf gestiegen. Doch dabei bleibt es nicht. Er hört Stimmen und verfällt in feindselige Gemütslagen, die später als schizophren diagnostiziert werden. 1952 wird er gegen seinen Willen in eine psychiatrische Klinik eingeliefert. Er erhält Elektroschocks, die seinen Zustand nicht bessern. Trotz baldiger Entlassung bleibt er für den Rest seines Leben behandlungsbedürftig.
1959 legt Lowry einen seltsamen Roman vor, der seine Erfahrungen in der Anstalt reflektiert, wegen seiner antisemitischen und nationalsozialistischen Motive aber den Verleger verprellt und im Kleinverlag eines Freundes erscheint. Das Interesse an Lowry schwindet. Der zwölfte und letzte Band seines Hauptwerks erscheint 1965. Zwei Jahre später verliert er seine letzten Freunde bei dem Versuch, sie zu einer Mitgliedschaft in der "Amerikanischen Nazi-Partei" zu bewegen. Wie er die folgenden Jahre zubringt, ist unbekannt. Er wisse es selbst nicht mehr, sagte Lowry später - eine Gedächtnisschwäche, die er auf seine Behandlung zurückführt. Wie wir annehmen müssen, tat der Alkohol ein übriges.
Nach vier geschiedenen Ehen, aus denen drei Söhne hervorgingen, quartiert sich Robert Lowry bei seiner Mutter ein. Als sie hochbetagt 1987 stirbt, beginnt er wieder mit dem Schreiben. Ein kanadischer Sammler druckt, was ihm nicht zu obszön ist. Lowrys späte Entdeckung in Deutschland ist einem Zufall zu danken - einem der Zufälle, die immer ein wenig zu spät kommen. Das mehrseitige Porträt, das 1994 im "Spiegel" erschien, geriet fast schon zum Nachruf. Lowry starb, bevor der Vorschuß seines neuen deutschen Verlegers eintraf. Bekannte sahen ihn zuletzt obdachlos und geistig umnachtet durch die Straßen von Cincinatti schlurfen.
Rogner & Bernhard beginnt ein auf vier Bände angelegtes Editionsvorhaben mit zwei Romanen: dem ersten von 1946 und dem seinerzeit erfolgreichsten, der sieben Jahre später erschien. Beide Bücher sind in mehrere Sprachen, aber bislang noch nie ins Deutsche übersetzt worden. Im Original gibt es sie längst nicht mehr. Bei den Titeln hat sich der Verlag alle Freiheit genommen. "The Violent Wedding" heißt im Deutschen abgeschmackt "Tag, Fremder". Aus "Casualty" wurde schön, aber unpassend geschwätzig "Die falsche Sanftmut des Schnees".
Robert Lowry schreibt keineswegs phantastisch oder visionär, sondern einen ruhigen, beherrschten Stil, wie er für psychisch lädierte Autoren viel typischer ist. In einem Essay von 1960 nannte er die drei Schritte, aus denen für ihn ein Buch entsteht: "Man schreibt es, um es sich zu erklären; dann schreibt man es noch einmal, um es jemand anderem zu erklären; und dann nimmt man alle Erklärungen heraus und läßt es für sich selbst sprechen." In der Themenwahl nehmen sich beide Werke gediegen, fast epigonal aus. Boxer und ausgebrannte Künstler, Journalisten und Soldaten - kennt man das nicht alles schon von Hemingway?
Es geht unverkennbar um Männerwelten. Frauenwelt wäre die Liebe, und die findet hier nicht statt. Lowry übt den grimmigen, bisweilen verbitterten Gestus der "verlorenen Generation", trifft ihn aber nicht ganz. Gerade, wenn er ihm am nächsten kommt, verliert er das Vertrauen in seine Sprache und reicht dann doch immer wieder die Erklärung nach. Glänzend erzählte Passagen enden in Sätzen wie "Er war völlig aufgewühlt." Dankenswerterweise sieht Carl Weissner davon ab, solche Unebenheiten zu begradigen. Seine Übersetzung läßt keine Schwächen erkennen, auch wenn sie stellenweise etwas schnoddrig gerät (ein Wort wie "Frust" paßt nicht recht in einen fünfzig Jahre alten Roman).
Robert Lowry schreibt, wie man es von den Jugendwerken großer Dichter kennt. Seine Prosa berührt auf eine Art, die ungeschickt wirkt und es oft wohl auch ist. Wer die Kraft sucht, muß zunächst die Grobheit erdulden. Da soll etwa zu Anfang des Schnee-Romans ein Mann vorgestellt werden. Praktischerweise geht der gerade "wieder einmal alle Einzelheiten seines Lebens durch, seiner Vergangenheit und Gegenwart. Mein Name ist Joe Hammond, dachte er . . . Ich bin Obergefreiter in der US-Armee und seit neunzehn Monaten in Übersee." Was für ein plumper Kunstgriff, kann der Leser gerade noch denken. Dann weckt ihn der nächste Satz mit einem Paukenschlag: "Ich bin vierundzwanzig Jahre alt, und mit jedem Tag wird klarer, daß ich nicht ewig leben werde."
Joe Hammond lebt noch zwei Tage; das ist der Zeitraum, in dem "Die falsche Sanftmut des Schnees" spielt. Joe Hammond dient auf einem Luftwaffenstützpunkt in Süditalien während der letzten Monate des Kriegs. Die Front ist weit, die Faschisten haben neue Biographien und die alten Posten. Ein Januartag 1945: Es schneit, aber niemand will die Augen öffnen. Die Einheit ist zermürbt von der Untätigkeit. Jeder hat seinen Feind in der Nachbarkoje ausgemacht. Wo es nichts zu befehlen gibt, wird am lautesten gebellt. Der Kommandant, im Zivilleben Tankstellenpächter, verfügt, "bei wenig Betrieb müsse Arbeit erfunden werden, und sie müsse sinnvoll und notwendig erscheinen". Eine Ordnung, die höchster Belastung standhalten sollte, verschleißt sich im Leerlauf.
Robert Lowry wählt für seinen ersten Roman die Perspektive des Schnees, der schillernd und tanzend und kalt niederfällt. Flüchtig, scheinbar teilnahmslos fällt sein Blick auf diesen und jenen und bleibt schließlich ruhen auf Joe Hammond, der wegen einer Kameradschaftlichkeit degradiert und in der Nacht darauf im Suff überfahren wird. Man kann Anstoß nehmen an der schneeweißen Weste des Helden, den es so rechtschaffen wohl nur im amerikanischen Roman gibt. Aber auch das hat seine Logik. Die Männerwelten erweisen sich hier als Jungswelten, Spielwelten, und nur ein guter Spieler kann aufzeigen, daß die Regeln schlecht sind. "Wer diese Welt akzeptiert, ist entweder verrückt oder strohdumm", denkt Joe Hammond. Robert Lowry hat sie nicht akzeptiert; und er hat es der Welt übelgenommen, daß sie ihn darum für verrückt hielt.
"Tag, Fremder" aus dem Jahr 1953 breitet eine andere Spielwelt aus. Es ist der längere und ehrgeizigere Roman, und er handelt vom Boxen. Die Handlungsanlage ist blühender Kitsch. Künstlerin bändelt mit Boxer an, kann danach wieder malen. Boxer erschlägt Gegner im Ring, Künstlerin wendet sich ab. Beleidigter Boxer vergewaltigt Künstlerin, die schwanger wird und sich umbringt. Boxer bekommt Titelkampf und schenkt Rivalen das Leben. Wer daraus einen auch nur lesbaren Roman machen kann, verdient Respekt. Lowry gelingt mehr. Er füllt die Klischees wieder mit Leben. Eine depressive Frau, die früher gemalt hat, lädt einen schwarzen Boxer ein, um mit ihm zu schlafen. Man kennt das. Man kennt das nicht. Man weiß, daß es Leute gibt, die sowas machen. Nach der Lektüre des Buchs versteht man sie.
Tag, Fremder" gehört zum Nüchternsten und Besten, was es über den Boxsport zu lesen gibt, und das ist vor allem der Charakterzeichnung zu danken. Paris "Baby" James, der Weltmeisterschaftsanwärter im Mittelgewicht, für den Sugar Ray Robinson Vorbild stand, ist ein eleganter, aber rücksichtsloser Mann, der seine Intelligenz nicht braucht. In seiner Ecke heißt man Baby, Louie, Ronny oder Doc Stacy und schlägt zu, weil man gewinnen will. Laine Brendan ist eine ungleiche Sparringspartnerin, weil sie verlieren will. Sie hat beschlossen, einen "verschlungenen weiblichen Weg in den Tod" zu gehen, und nur das "prickelnde Gefühl der Vergeblichkeit" hält sie noch eine Weile am Leben. In Paris James liebt sie den Künstler der Zerstörung, bis sie den schlichten Handwerker erkennt.
Lowry erzählt von der Banalität des Boxens, das nur in der stupiden Sprache der Sportreporter einen Ausdruck findet, im Geschrei, das ablenken soll vom Schweigen, das den Ring beherrscht: "Doch selbst jetzt, als er und Aldi, umgeben von ihren Sekundanten, sich in der Ringmitte gegenüberstanden und der Ringrichter ihnen die Regeln herunterbetete, dachte und empfand er nichts. Alles war schon gedacht. Alles war schon empfunden." Das allein bleibt von den Spielwelten nach dem letzten Zug - Wahnsysteme, die aus und in sich selbst zerfallen.
Robert Lowry habe immer von den großen Erfahrungen geträumt, erinnert sich ein Kollege. In seinen Büchern beschreibt er das Unvermögen, sie zu machen. Dort herrscht die sekundäre Tragik des Absurden: Man kann kein Held mehr sein, wie groß das Opfer auch sei, weil es nichts mehr gibt, das eines Helden wert wäre. Nicht zufällig stirbt Joe Hammond den banalen, modernen Tod eines Autounfalls. Naiv mögen die Romane sein. Doch nicht weniger als die europäische Literatur der Zeit beschwören sie die große Leere, den ennui. Robert Lowry öffnet den Blick auf drei Höllen des modernen Menschen: den Sadismus ohne Lust, das Martyrium ohne Glauben und die Lethargie ohne Frieden.
Robert Lowry: "Tag, Fremder". Roman. 244 S., geb., 27,- DM. "Die falsche Sanftmut des Schnees". Roman. 132 S., geb., 22,- DM.Beide aus dem Amerikanischen übersetzt von Carl Weissner. Beide Verlag Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins, Hamburg 1996.
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