Eine Frau, die sich dazu bekennt, ihre Mutterschaft zu bereuen. Die sich heute gegen ein Kind entscheiden würde, könnte sie die Zeit zurückdrehen. Eine Frau, die so empfindet, schweigt. Weil sie fürchtet, von anderen verurteilt zu werden. Eine israelische Studie hat das Phänomen der bereuenden Mütter erstmals untersucht. Die Journalistin Esther Göbel hat mit ihrem Artikel über diese Studie eine internationale Debatte ausgelöst und Frauen befragt, die sich dazu bekennen, ihre Mutterschaft zu bereuen. Ihr Buch beleuchtet die tieferliegenden gesellschaftlichen Hintergründe des Phänomens und geht der Frage nach, welche Rolle überzogene Ansprüche an Mütter und antiquierte Rollenbilder dabei spielen.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Martina Lenzen-Schulte fand bereits den Hype um die #regretting-motherhood-Debatte überzogen; entsprechend fällt auch ihr Urteil über die beiden Neuerscheinungen zum Thema aus. Esther Göbel orientiere sich in ihrem Buch "Die falsche Wahl" stark an Orna Donaths Studie und reichere es durch Gespräche mit deutschen Frauen an, informiert die Kritikerin. Problematisch wird es ihrer Meinung nach aber insbesondere bei den Schlussfolgerungen und Einwänden, die Göbel hier gegen die einst religiöse, inzwischen gesellschaftliche Forderung nach Mutterschaft aufführt: Göbel bemühe Frauenrechtlerinnen wie Luise Büchner oder Elisabeth Badinter, reiße Zitate unüberprüft aus dem Kontext und führe noch ein paar Studien an, die für ihre Thesen kurzerhand passend gemacht werden, klagt die Rezensentin.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.03.2016Die Nabelschnur als Galgenstrick?
Macht Mutterschaft zufrieden, und wenn nicht, warum nicht? Orna Donath und Esther Göbel tun so, als suchten sie eine Antwort auf diese Frage - und hantieren auch noch mit dürftigen Belegen.
Das ZDF legt seine ganz eigene Messlatte an, wenn über die Relevanz von Frauenthemen entschieden wird. Die Übergriffe in der Silvesternacht in Köln waren eine baldige Berichterstattung nicht wert. Aber Claus Kleber befand, dass das Social-Media-Phänomen unter dem Hashtag "#regretting motherhood" einen Platz im "heute journal" verdient hat. Das war im April 2015, und es war eine falsche Entscheidung.
Die zwei Neuerscheinungen, die sich das Thema jetzt noch einmal vornehmen, bestätigen leider den schon im letzten Jahr geäußerten Vorwurf, den Hype verdiene die Sache nicht. Orna Donath kocht unter dem Titel "Wenn Mütter bereuen" ihre eigene "Studie" auf, die als Auslöser der Diskussion gilt. Man merkt die Absicht, aus der vor allem auf Facebook und Twitter lancierten Debatte noch ein wenig Honig zu saugen, und ist verstimmt. Die israelische Soziologin hat mittels Tiefeninterviews von 23 Frauen angeblich ein Tabu gebrochen: Mutterschaft sei keineswegs immer erfüllend, auch wenn dies die Gesellschaft zur Norm deklariere.
Ausgangspunkt für die 1976 geborene Soziologin war die Mahnung aus ihrem Umfeld, sie würde es dereinst bereuen, keine Kinder zu haben. Den Spieß möchte Donath nun umkehren und hat nach Müttern gesucht, die postulieren, lieber "Mutter von niemandem" sein zu wollen. Sie lieben ihre Kinder, bereuen aber, Mutter zu sein. Sie seien keineswegs krank, es finde sich keine Pathologie wie etwa eine postpartale Depression, die bekanntermaßen nach der Geburt die Entwicklung von Muttergefühlen stören kann. Die Frauen sollen auch nicht zu jenen "ambivalenten" Vertreterinnen des Müttergeschlechtes gehören, denen angesichts nerviger Kinder und der vielfältigen Belastungen des Familienlebens ab und an der Geduldsfaden reiße.
In der Debatte des vergangenen Jahres flogen die Argumente alsbald kunterbunt durcheinander. Den vielen mit ihrer Situation unzufriedenen Frauen, die sich auf den Kanälen der sozialen Medien äußerten, ging es nicht mehr allein um das sogenannte Tabu von Müttern, die eigentlich keine sein wollten, sondern wie so oft um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und die damit einhergehende Zermürbung. Das verwundert nicht. Denn Donath selbst vermischt dies in ihrem Buch miteinander.
Abgesehen von den gedruckten Antworten der Interviewten, die sich genauso langatmig lesen, wie es soziologische Tiefeninterviews nun mal an sich haben, räsoniert die Autorin munter drauflos: über Reue als Machtinstrument, mittels derer die Gesellschaft die Geburtenrate sichern wolle, über die Mehrfachbelastung der modernen Frau, über das falsche Idealbild der Supermutter, das sie in der Reformation verortet (spannende These, aber nicht belegt), über Väter, die nicht genügend helfen, über alles eben, was die Nabelschnur zum Galgenstrick mütterlichen Daseins werden lässt. Nur ist nicht einmal die Studie selbst die aufregende Entdeckung, als die sie sich geriert. Denn dass manche Eltern ihre Entscheidung für Kinder bereuen, ist nicht neu, Foren wie http://childfreedom.blogspot.de/2011/04/ i-regret-having-kids.html existieren schon länger, sind öffentlich zugänglich, und jeder, der will, darf darin nach weiteren Ideen für steile soziologische Thesen stöbern. Der nur verbal beschworene Tabubruch ist außerdem nicht repräsentativ.
Die Autorin suggeriert geschickt, es handele sich um ein Problem, dessen Tragweite womöglich nicht erkannt sei. Aber sie hatte nach den Frauen, die ihre Reue schilderten, explizit unter dem Titel "Bereute Elternschaft" gesucht. Wonach ein Forscher sucht, findet er nach den Regeln der Soziologie auch, und so kommt Donath selbst zu dem entlarvenden Schluss: "Man mag sich fragen, worin der wissenschaftliche Wert einer Studie besteht, die sich auf nur 23 Darstellungen von Mutterschaftserfahrung stützt." Das stimmt, vieles, was man da liest, könnte so auch beim Kaffee mit der guten Freundin gesagt worden sein. Sowohl in puncto Aktualität als auch im Hinblick auf ihre quantitative Bedeutung dürften die Schlussfolgerungen dieser Studie also überschätzt worden sein.
Angesichts der vielen Hunderttausend Frauen, die verzweifelt versuchen, ihren unerfüllten Kinderwunsch wahr werden zu lassen, ist es zudem eine groteske Missdeutung der Verhältnisse. Es entsteht der Eindruck, als würden Frauen, die Mutter geworden sind, diese Entscheidung ebenso bereuen wie Frauen, denen dies versagt blieb - etwa weil sie zu alt geworden sind. Dass Letztere jedoch erkennbar in der Mehrheit sind, muss nicht erst mittels einer Studie belegt werden: Die einschlägigen Kinderwunschforen im Internet liefern Millionen Einträge, unaufgefordert.
Solche Einwände schrecken aber Esther Göbel nicht davon ab, sich in "Die falsche Wahl" ausgiebig auf Donaths Studie, die sie laut eigener Aussage viermal lesen musste, zu beziehen. Sie hatte 2015 in der "Süddeutschen Zeitung" darüber berichtet, reichert das im Buch rasch noch um einige Gespräche mit deutschen Frauen an und bringt schließlich ein Sammelsurium von Einwänden vor gegen den früher religiösen, inzwischen mitten in der Gesellschaft verorteten Imperativ des "Vermehrt euch".
Sie möchte sich mit ihren Überlegungen offenbar in eine illustre Reihe stellen, unter der Aufklärerin Olympe de Gouges - sie übersetzte die Menschenrechte 1791 für die Frau - oder der Frauenrechtlerin Luise Büchner tut sie es nicht. Da darf die Frontfrau Élisabeth Badinter nicht fehlen, die Mutterliebe als historisches Konstrukt entlarvt haben will. Badinter liefert Göbel zum Beispiel eine wichtige Information, die ganz in den Kontext passt. Den berühmten Polizeileutnant Lenoir, der 1780 beklagt haben soll, von den 21 000 Kindern, die jährlich in Paris geboren werden, würden fünfundneunzig Prozent von Ammen gestillt, kennen alle, die sich ansatzweise mit feministischer Literatur befasst haben. Genannt ist er im ersten Satz des Vorworts von Badinters Buch "Die Mutterliebe", praktisch für all jene, die nicht viel mehr lesen wollen.
Da Göbel, wie viele andere auch, den deutschen Muttermythos nicht unwidersprochen stehen lassen will, zitiert sie dies als "Berichte der Pariser Polizei" in ihrem Text. Dass es eigentlich ein Sekundärzitat ist und die Autorin kein Quellenstudium betrieben hat, erfährt erst, wer im Literaturverzeichnis nachsieht. Weil der Badinter-Befund so schön passt, passen die Kritiker, die Badinter einen laxen Umgang mit ausgesuchten historischen Quellen vorwerfen, weniger gut ins Konzept. Die Frage, wie denn praktisch alle Pariserinnen - 1780 gab es viele Arme - die Ammen finanziert haben sollen, ist deshalb nicht zielführend.
Wer auf wenigen Seiten den deutschen Muttermythos zerpflücken will, darf in der Wahl der Waffen nicht pingelig sein. Sicher wurde die wichtige Frage, wie natürlich Mutterliebe denn ist, andernorts schon prägnanter formuliert und auch prägnanter nicht beantwortet, aber wenn es um die Reue der Mütter geht, darf das einfach nicht fehlen. Zwischendurch serviert die Autorin noch ein paar Studien, die man so interpretieren kann, aber nicht muss, dass Mütter alles in allem "höhere Glückslevel" haben als Frauen, die keine Kinder haben - wenngleich sie hie und da über zu wenig Freizeit klagen. Freilich sollte keine Frau zum Kinderkriegen genötigt werden, das lässt sich nicht daraus folgern.
Was fehlt noch? Richtig, der kritische Hinweis auf die bösen Mächte des globalen Kapitals, die in Caring, Cleaning und Cooking nur Profit wittern, wer da den roten Faden verliert, ist nicht selbst schuld. Das wichtige Thema, die bereuenden Mütter in ihrer Not hätten mehr verdient als diese Rundumschläge mit Versatzstücken des Feminismus. Hilfreich, dass zumindest ein angenehm unprätentiöser Abriss der letztjährigen Debatte auf http://www.vereinbarkeitsblog. de/regrettingmotherhood-lesesammlung/ nachzulesen ist, kurz und strukturiert dazu.
MARTINA LENZEN-SCHULTE
Orna Donath: "#regretting motherhood".
Wenn Mütter bereuen.
Knaus Verlag, München 2016. 272 S., br., 16,99 [Euro].
Esther Göbel: "Die falsche Wahl". Wenn Frauen ihre Entscheidung für Kinder bereuen.
Droemer Verlag, München 2016. 244 S., br., 19,99 [Euro].
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Macht Mutterschaft zufrieden, und wenn nicht, warum nicht? Orna Donath und Esther Göbel tun so, als suchten sie eine Antwort auf diese Frage - und hantieren auch noch mit dürftigen Belegen.
Das ZDF legt seine ganz eigene Messlatte an, wenn über die Relevanz von Frauenthemen entschieden wird. Die Übergriffe in der Silvesternacht in Köln waren eine baldige Berichterstattung nicht wert. Aber Claus Kleber befand, dass das Social-Media-Phänomen unter dem Hashtag "#regretting motherhood" einen Platz im "heute journal" verdient hat. Das war im April 2015, und es war eine falsche Entscheidung.
Die zwei Neuerscheinungen, die sich das Thema jetzt noch einmal vornehmen, bestätigen leider den schon im letzten Jahr geäußerten Vorwurf, den Hype verdiene die Sache nicht. Orna Donath kocht unter dem Titel "Wenn Mütter bereuen" ihre eigene "Studie" auf, die als Auslöser der Diskussion gilt. Man merkt die Absicht, aus der vor allem auf Facebook und Twitter lancierten Debatte noch ein wenig Honig zu saugen, und ist verstimmt. Die israelische Soziologin hat mittels Tiefeninterviews von 23 Frauen angeblich ein Tabu gebrochen: Mutterschaft sei keineswegs immer erfüllend, auch wenn dies die Gesellschaft zur Norm deklariere.
Ausgangspunkt für die 1976 geborene Soziologin war die Mahnung aus ihrem Umfeld, sie würde es dereinst bereuen, keine Kinder zu haben. Den Spieß möchte Donath nun umkehren und hat nach Müttern gesucht, die postulieren, lieber "Mutter von niemandem" sein zu wollen. Sie lieben ihre Kinder, bereuen aber, Mutter zu sein. Sie seien keineswegs krank, es finde sich keine Pathologie wie etwa eine postpartale Depression, die bekanntermaßen nach der Geburt die Entwicklung von Muttergefühlen stören kann. Die Frauen sollen auch nicht zu jenen "ambivalenten" Vertreterinnen des Müttergeschlechtes gehören, denen angesichts nerviger Kinder und der vielfältigen Belastungen des Familienlebens ab und an der Geduldsfaden reiße.
In der Debatte des vergangenen Jahres flogen die Argumente alsbald kunterbunt durcheinander. Den vielen mit ihrer Situation unzufriedenen Frauen, die sich auf den Kanälen der sozialen Medien äußerten, ging es nicht mehr allein um das sogenannte Tabu von Müttern, die eigentlich keine sein wollten, sondern wie so oft um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und die damit einhergehende Zermürbung. Das verwundert nicht. Denn Donath selbst vermischt dies in ihrem Buch miteinander.
Abgesehen von den gedruckten Antworten der Interviewten, die sich genauso langatmig lesen, wie es soziologische Tiefeninterviews nun mal an sich haben, räsoniert die Autorin munter drauflos: über Reue als Machtinstrument, mittels derer die Gesellschaft die Geburtenrate sichern wolle, über die Mehrfachbelastung der modernen Frau, über das falsche Idealbild der Supermutter, das sie in der Reformation verortet (spannende These, aber nicht belegt), über Väter, die nicht genügend helfen, über alles eben, was die Nabelschnur zum Galgenstrick mütterlichen Daseins werden lässt. Nur ist nicht einmal die Studie selbst die aufregende Entdeckung, als die sie sich geriert. Denn dass manche Eltern ihre Entscheidung für Kinder bereuen, ist nicht neu, Foren wie http://childfreedom.blogspot.de/2011/04/ i-regret-having-kids.html existieren schon länger, sind öffentlich zugänglich, und jeder, der will, darf darin nach weiteren Ideen für steile soziologische Thesen stöbern. Der nur verbal beschworene Tabubruch ist außerdem nicht repräsentativ.
Die Autorin suggeriert geschickt, es handele sich um ein Problem, dessen Tragweite womöglich nicht erkannt sei. Aber sie hatte nach den Frauen, die ihre Reue schilderten, explizit unter dem Titel "Bereute Elternschaft" gesucht. Wonach ein Forscher sucht, findet er nach den Regeln der Soziologie auch, und so kommt Donath selbst zu dem entlarvenden Schluss: "Man mag sich fragen, worin der wissenschaftliche Wert einer Studie besteht, die sich auf nur 23 Darstellungen von Mutterschaftserfahrung stützt." Das stimmt, vieles, was man da liest, könnte so auch beim Kaffee mit der guten Freundin gesagt worden sein. Sowohl in puncto Aktualität als auch im Hinblick auf ihre quantitative Bedeutung dürften die Schlussfolgerungen dieser Studie also überschätzt worden sein.
Angesichts der vielen Hunderttausend Frauen, die verzweifelt versuchen, ihren unerfüllten Kinderwunsch wahr werden zu lassen, ist es zudem eine groteske Missdeutung der Verhältnisse. Es entsteht der Eindruck, als würden Frauen, die Mutter geworden sind, diese Entscheidung ebenso bereuen wie Frauen, denen dies versagt blieb - etwa weil sie zu alt geworden sind. Dass Letztere jedoch erkennbar in der Mehrheit sind, muss nicht erst mittels einer Studie belegt werden: Die einschlägigen Kinderwunschforen im Internet liefern Millionen Einträge, unaufgefordert.
Solche Einwände schrecken aber Esther Göbel nicht davon ab, sich in "Die falsche Wahl" ausgiebig auf Donaths Studie, die sie laut eigener Aussage viermal lesen musste, zu beziehen. Sie hatte 2015 in der "Süddeutschen Zeitung" darüber berichtet, reichert das im Buch rasch noch um einige Gespräche mit deutschen Frauen an und bringt schließlich ein Sammelsurium von Einwänden vor gegen den früher religiösen, inzwischen mitten in der Gesellschaft verorteten Imperativ des "Vermehrt euch".
Sie möchte sich mit ihren Überlegungen offenbar in eine illustre Reihe stellen, unter der Aufklärerin Olympe de Gouges - sie übersetzte die Menschenrechte 1791 für die Frau - oder der Frauenrechtlerin Luise Büchner tut sie es nicht. Da darf die Frontfrau Élisabeth Badinter nicht fehlen, die Mutterliebe als historisches Konstrukt entlarvt haben will. Badinter liefert Göbel zum Beispiel eine wichtige Information, die ganz in den Kontext passt. Den berühmten Polizeileutnant Lenoir, der 1780 beklagt haben soll, von den 21 000 Kindern, die jährlich in Paris geboren werden, würden fünfundneunzig Prozent von Ammen gestillt, kennen alle, die sich ansatzweise mit feministischer Literatur befasst haben. Genannt ist er im ersten Satz des Vorworts von Badinters Buch "Die Mutterliebe", praktisch für all jene, die nicht viel mehr lesen wollen.
Da Göbel, wie viele andere auch, den deutschen Muttermythos nicht unwidersprochen stehen lassen will, zitiert sie dies als "Berichte der Pariser Polizei" in ihrem Text. Dass es eigentlich ein Sekundärzitat ist und die Autorin kein Quellenstudium betrieben hat, erfährt erst, wer im Literaturverzeichnis nachsieht. Weil der Badinter-Befund so schön passt, passen die Kritiker, die Badinter einen laxen Umgang mit ausgesuchten historischen Quellen vorwerfen, weniger gut ins Konzept. Die Frage, wie denn praktisch alle Pariserinnen - 1780 gab es viele Arme - die Ammen finanziert haben sollen, ist deshalb nicht zielführend.
Wer auf wenigen Seiten den deutschen Muttermythos zerpflücken will, darf in der Wahl der Waffen nicht pingelig sein. Sicher wurde die wichtige Frage, wie natürlich Mutterliebe denn ist, andernorts schon prägnanter formuliert und auch prägnanter nicht beantwortet, aber wenn es um die Reue der Mütter geht, darf das einfach nicht fehlen. Zwischendurch serviert die Autorin noch ein paar Studien, die man so interpretieren kann, aber nicht muss, dass Mütter alles in allem "höhere Glückslevel" haben als Frauen, die keine Kinder haben - wenngleich sie hie und da über zu wenig Freizeit klagen. Freilich sollte keine Frau zum Kinderkriegen genötigt werden, das lässt sich nicht daraus folgern.
Was fehlt noch? Richtig, der kritische Hinweis auf die bösen Mächte des globalen Kapitals, die in Caring, Cleaning und Cooking nur Profit wittern, wer da den roten Faden verliert, ist nicht selbst schuld. Das wichtige Thema, die bereuenden Mütter in ihrer Not hätten mehr verdient als diese Rundumschläge mit Versatzstücken des Feminismus. Hilfreich, dass zumindest ein angenehm unprätentiöser Abriss der letztjährigen Debatte auf http://www.vereinbarkeitsblog. de/regrettingmotherhood-lesesammlung/ nachzulesen ist, kurz und strukturiert dazu.
MARTINA LENZEN-SCHULTE
Orna Donath: "#regretting motherhood".
Wenn Mütter bereuen.
Knaus Verlag, München 2016. 272 S., br., 16,99 [Euro].
Esther Göbel: "Die falsche Wahl". Wenn Frauen ihre Entscheidung für Kinder bereuen.
Droemer Verlag, München 2016. 244 S., br., 19,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Sehr wichtiges, gut recherchiertes enttabuisierendes Buch, verständlich zu lesen und dadurch gut geeignet für Gesprächskreise oder als Anregung für Mutter-Kind-Gruppen." Der Evangelische Buchberater - Zeitschrift für Buch und Büchereiarbeit 20160901