Das Jahrhundert der Aufklärung prägt eine "Dialektik" von Sehen und Nicht-Sehen weit mehr, als es wirkungsgeschichtliche Verblendung bislang wahrhaben mochte. Der Visionär Swedenborg fasziniert (nicht nur) den jungen Kant, die "ägyptische" Freimaurerei Cagliostros feiert Triumphe. Geheimbünde und Geisterseherei gehören ebenso zur Aufklärung wie Mesmers Fehldeutung des "animalischen Magnetismus". Mehr als Schiller war Goethe berufen, zwischen Anschauung und Begriff zu vermitteln. Auf satirischen Kupferstichen erkennt er auch als erster die postrevolutionäre Wende Frankreichs.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.02.2005Von den zwei Auswegen unserer Winde
Halbwahn, Dämpfe, Geister und Magneten: Klaus H. Kiefers Aufsätze zu den Schattenseiten der Aufklärung
Die Lektion Horkheimers und Adornos, dass die entzaubernde Aufklärung neue Ängste, abergläubische Vorstellungen und Mythen hervorruft, schrieb sich eine ganze Generation ins dialektische Stammbuch. Anschaulich wurde die These aber erst im Zeichen historischer Beispiele. Was sich im 18. Jahrhundert dem moralischen Verständnis entgegenstellt oder natürlichen Erklärungen entzieht, wird mit teuflischen Schreckgespenstern bekämpft oder einfach ausgegrenzt. Doch das Verbotene und kaum Erklärliche verliert so keineswegs an Faszinationskraft. Gerade mit wachsender Ernüchterung erfreuen sich Geistererscheinungen, Magnetismus oder Scharlatanerie zunehmender Beliebtheit.
Nicht nur Wieland sah dadurch „die dickste Verfinsterung der barbarischen Jahrhunderte” heraufziehen. Doch so leicht wie von Kant gewünscht, ließen sich Geisterseher à la Swedenborg nicht als „Candidaten des Hospitals” und der Mesmerismus nicht als „Modethorheit” abfertigen. Und auch so handfeste Maßnahmen gegen Geister wie Friedrich Nicolais Versuch, eigene Flausen im Kopf durch Blutegel am After abzuleiten, riefen nur vernichtenden Spott hervor.
Wie eng, mit Goethe gesprochen, „der höchste Menschenverstand und der krasseste Aberglauben” in dieser „famosen Hexen-Epoche” verflochten waren, summiert jetzt der Cagliostro-Spezialist Klaus H. Kiefer in gesammelten Aufsätzen und Vorträgen. Vor allem zeigt er, dass das Problem weitaus komplizierter und vielschichtiger ist, als Kants Polemik gegen Swedenborg ahnen lässt. Kant gestattet mit Samuel Butlers Verssatire „Hudibras” den hypochondrischen Winden nur zwei Auswege aus den Eingeweiden, entweder abwärts als „ein F-” oder aufwärts als „eine Erscheinung oder heilige Eingebung”.
Wenn es so einfach wäre, hätten natürliche Maßnahmen nach dem Modell Nicolai das Problem behoben. Halluzinationen, Trance und Hypnose, Wirkungen magnetischer Felder und elektrischer Impulse lassen sich aber nicht allein auf somatische und physikalische Ursachen zurückführen. Tatsächlich werden innere Winde eben nicht nur verbannt, sondern auch erzeugt: Der umstrittene Wunderheiler Franz Anton Mesmer nennt sie „vapeurs”, also Dämpfe, mit denen er seine meist weiblichen Patienten in hypnotische Heilkrisen versetzt.
Bald hängt man in ganz Europa an Stabmagneten, aufgeladenen „Leidener Flaschen” oder an Elektrisiermaschinen, um knisternde Küsse zu tauschen oder Ströme zirkulieren zu lassen. Kiefer interessiert sich nicht nur dafür, sondern als Literaturwissenschaftler für die künstlerische Verarbeitung. Nicht platte wissenschaftliche Rationalisierungen, sondern prickelnde Geheimnisse sind es schließlich, aus denen Dichtung gemacht ist.
Cagliostro wird etwa zum Medienstar, weil er überaus geschickt und fesselnd lügen kann. Literarisch ist er vielfach präsent, zum Beispiel in Schillers „Geisterseher” oder in Goethes zunächst als Opera buffa geplantem „Groß-Cophta”. Goethe, die Zentralgestalt in Kiefers Buch, hält „Aberglaube” und „Halbwahn” überhaupt für zuträgliche Stimulantien des Poeten, während er als Naturforscher Phänomenen wie dem Magnetismus skeptisch gegenübersteht. Letztlich sorgen aber Figuren wie die magnetisch-metallfühlige Ottilie in den „Wahlverwandtschaften” für Spannung und Effekt, wenngleich der Verfasser seiner „lebenstüchtigen” Charlotte näher steht.
Gerade mit Blick auf diesen Roman, aber auch in den Kapiteln zum „Geisterseher” oder zum Magnetismus, offenbaren sich die kompositorischen Nachteile solcher „kleinen Schriften”. Allzu oft bleiben sie hinter der rasch fortschreitenden Forschung zurück. Kiefer hat den Versuch der Aktualisierung, etwa in den Fußnoten, gar nicht erst unternommen. Und erneut abgedruckte Artikel zu Aberglaube, Mystizismus, Magie und Cagliostro ersetzen nicht eine längere, integrierende Einleitung.
Überhaupt erkauft man mit dem „ganzen Kiefer” unvermeidliche Wiederholungen zu diesen Themen, mit denen sich die angefügten Beiträge zur „Italienischen Reise”, den „Römischen Elegien” oder Goethes Rezensionen satirischer Kupferstiche nicht recht verbinden lassen. Eine striktere Auswahl und geschmeidigere Abstimmung der Kapitel aufeinander hätte das „Unsichtbare in der Aufklärung” geschlossener sichtbar gemacht.
ALEXANDER KOENINA
KLAUS H. KIEFER: „Die famose Hexen-Epoche”. Sichtbares und Unsichtbares in der Aufklärung. Kant - Schiller - Goethe - Swedenborg - Mesmer - Cagliostro. R. Oldenburg Verlag, München 2004, 353 S., 44,80 Euro.
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Halbwahn, Dämpfe, Geister und Magneten: Klaus H. Kiefers Aufsätze zu den Schattenseiten der Aufklärung
Die Lektion Horkheimers und Adornos, dass die entzaubernde Aufklärung neue Ängste, abergläubische Vorstellungen und Mythen hervorruft, schrieb sich eine ganze Generation ins dialektische Stammbuch. Anschaulich wurde die These aber erst im Zeichen historischer Beispiele. Was sich im 18. Jahrhundert dem moralischen Verständnis entgegenstellt oder natürlichen Erklärungen entzieht, wird mit teuflischen Schreckgespenstern bekämpft oder einfach ausgegrenzt. Doch das Verbotene und kaum Erklärliche verliert so keineswegs an Faszinationskraft. Gerade mit wachsender Ernüchterung erfreuen sich Geistererscheinungen, Magnetismus oder Scharlatanerie zunehmender Beliebtheit.
Nicht nur Wieland sah dadurch „die dickste Verfinsterung der barbarischen Jahrhunderte” heraufziehen. Doch so leicht wie von Kant gewünscht, ließen sich Geisterseher à la Swedenborg nicht als „Candidaten des Hospitals” und der Mesmerismus nicht als „Modethorheit” abfertigen. Und auch so handfeste Maßnahmen gegen Geister wie Friedrich Nicolais Versuch, eigene Flausen im Kopf durch Blutegel am After abzuleiten, riefen nur vernichtenden Spott hervor.
Wie eng, mit Goethe gesprochen, „der höchste Menschenverstand und der krasseste Aberglauben” in dieser „famosen Hexen-Epoche” verflochten waren, summiert jetzt der Cagliostro-Spezialist Klaus H. Kiefer in gesammelten Aufsätzen und Vorträgen. Vor allem zeigt er, dass das Problem weitaus komplizierter und vielschichtiger ist, als Kants Polemik gegen Swedenborg ahnen lässt. Kant gestattet mit Samuel Butlers Verssatire „Hudibras” den hypochondrischen Winden nur zwei Auswege aus den Eingeweiden, entweder abwärts als „ein F-” oder aufwärts als „eine Erscheinung oder heilige Eingebung”.
Wenn es so einfach wäre, hätten natürliche Maßnahmen nach dem Modell Nicolai das Problem behoben. Halluzinationen, Trance und Hypnose, Wirkungen magnetischer Felder und elektrischer Impulse lassen sich aber nicht allein auf somatische und physikalische Ursachen zurückführen. Tatsächlich werden innere Winde eben nicht nur verbannt, sondern auch erzeugt: Der umstrittene Wunderheiler Franz Anton Mesmer nennt sie „vapeurs”, also Dämpfe, mit denen er seine meist weiblichen Patienten in hypnotische Heilkrisen versetzt.
Bald hängt man in ganz Europa an Stabmagneten, aufgeladenen „Leidener Flaschen” oder an Elektrisiermaschinen, um knisternde Küsse zu tauschen oder Ströme zirkulieren zu lassen. Kiefer interessiert sich nicht nur dafür, sondern als Literaturwissenschaftler für die künstlerische Verarbeitung. Nicht platte wissenschaftliche Rationalisierungen, sondern prickelnde Geheimnisse sind es schließlich, aus denen Dichtung gemacht ist.
Cagliostro wird etwa zum Medienstar, weil er überaus geschickt und fesselnd lügen kann. Literarisch ist er vielfach präsent, zum Beispiel in Schillers „Geisterseher” oder in Goethes zunächst als Opera buffa geplantem „Groß-Cophta”. Goethe, die Zentralgestalt in Kiefers Buch, hält „Aberglaube” und „Halbwahn” überhaupt für zuträgliche Stimulantien des Poeten, während er als Naturforscher Phänomenen wie dem Magnetismus skeptisch gegenübersteht. Letztlich sorgen aber Figuren wie die magnetisch-metallfühlige Ottilie in den „Wahlverwandtschaften” für Spannung und Effekt, wenngleich der Verfasser seiner „lebenstüchtigen” Charlotte näher steht.
Gerade mit Blick auf diesen Roman, aber auch in den Kapiteln zum „Geisterseher” oder zum Magnetismus, offenbaren sich die kompositorischen Nachteile solcher „kleinen Schriften”. Allzu oft bleiben sie hinter der rasch fortschreitenden Forschung zurück. Kiefer hat den Versuch der Aktualisierung, etwa in den Fußnoten, gar nicht erst unternommen. Und erneut abgedruckte Artikel zu Aberglaube, Mystizismus, Magie und Cagliostro ersetzen nicht eine längere, integrierende Einleitung.
Überhaupt erkauft man mit dem „ganzen Kiefer” unvermeidliche Wiederholungen zu diesen Themen, mit denen sich die angefügten Beiträge zur „Italienischen Reise”, den „Römischen Elegien” oder Goethes Rezensionen satirischer Kupferstiche nicht recht verbinden lassen. Eine striktere Auswahl und geschmeidigere Abstimmung der Kapitel aufeinander hätte das „Unsichtbare in der Aufklärung” geschlossener sichtbar gemacht.
ALEXANDER KOENINA
KLAUS H. KIEFER: „Die famose Hexen-Epoche”. Sichtbares und Unsichtbares in der Aufklärung. Kant - Schiller - Goethe - Swedenborg - Mesmer - Cagliostro. R. Oldenburg Verlag, München 2004, 353 S., 44,80 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Alexander Kosenina teilt die Faszination des Autors für die abergläubische Kehrseite der Aufklärung: "Gerade mit wachsender Ernüchterung erfreuen sich Geistererscheinungen, Magnetismus oder Scharlatanerie zunehmender Beliebtheit." Klaus Kiefer ist ein ausgewiesener Spezialist für diese Verflechtung von Vernunft und Mummenschanz sowie ihren Niederschlag in der Literatur, etwa bei Goethe und Schiller. Dennoch ist der Rezensent nicht ganz zufrieden mit dieser Studie: Denn erstens ist es eigentlich keine solche, sondern eine Sammlung von Kiefers Aufsätzen und Vorträgen, die noch nicht einmal durch eine "integrierende Einleitung" gerahmt wurden; zweitens hat sich Kiefer nicht bemüht, den neuesten Forschungsstand zu referieren oder auch nur zu registrieren; und drittens bringt die bloße Aneinanderreihung der Texte so manche Wiederholung mit sich.
© Perlentaucher Medien GmbH
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