Unterschiedlicher können zwei Charaktere nicht sein. Der wohlhabende und selbstsichere Hutmacher Labbé und der schäbige, ängstliche Schneider Kachoudas. Sie haben zwar beide ihr Geschäft in derselben Straße, doch das ist schon das einzige Gemeinsame.
Mit diesen beiden gegensätzlichen Figuren
führt der Krimi-Altmeister Georges Simenon den Leser in die kleine Hafenstadt La Rochelle. Es ist der 3.…mehrUnterschiedlicher können zwei Charaktere nicht sein. Der wohlhabende und selbstsichere Hutmacher Labbé und der schäbige, ängstliche Schneider Kachoudas. Sie haben zwar beide ihr Geschäft in derselben Straße, doch das ist schon das einzige Gemeinsame.
Mit diesen beiden gegensätzlichen Figuren führt der Krimi-Altmeister Georges Simenon den Leser in die kleine Hafenstadt La Rochelle. Es ist der 3. Dezember und seit genau zwanzig Tagen regnet es ununterbrochen. Aber nicht nur dieser langanhaltende Regen belastet das Städtchen, seitdem geht auch ein Mörder umher, der schon fünf alte Frauen umgebracht hat.
Genau an diesem verregneten 3. Dezember beschließen Labbé und Kachoudas - wie jeden Tag - ihren Arbeitsalltag im „Café des Colonnes“. Monsieur Labbé wird dort von den Gästen begrüßt, Kachoudas dagegen nimmt kaum jemand wahr. Beide sehen bei einem Glas Weißwein der täglichen Bridgerunde zu.
Alles wie immer. Doch plötzlich - durch eine Bedeutungslosigkeit - wird diese Gleichförmigkeit abrupt unterbrochen. Der 3. Dezember, die Mordserie, das Verhältnis zwischen Labbé und Kachoudas … alles bekommt eine ungeahnte Dynamik. Auslöser ist eine scheinbare Fussel auf Labbés Hosenbein, die Kachoudas Schneiderauge entdeckt hat und entfernen will. Es ist jedoch ein winziger Papierschnitzel, sorgfältig aus einer Zeitung ausgeschnitten … Hatte der hinterhältige Täter nicht nach jedem seiner Morde der Lokal-zeitung einen Brief geschickt mit ausgeschnittenen Buchstaben und Wörtern, der tags drauf dann in der Zeitung erschien?
Schlagartig wird Kachoudas (und dem Leser auf Seite 15) klar: Labbé ist der Mörder, der die Kleinstadt seit zwanzig Tagen in Panik versetzt. Doch damit beginnt der Roman erst richtig. Nach diesem Auftakt schildert Simenon das spannende Duell zweier Charaktere unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlichen Standes. Soll Kachoudas zur Polizei gehen? Wer würde ihm glauben? Dabei locken zwanzigtausend Franc Belohnung für die Ergreifung des Täters. Doch immer mehr wird aus dem Mitwisser der Komplice des Mör-ders.
Obwohl in „Die Fantome des Hutmachers“ eigentlich kaum etwas passiert, ist der Roman bis zur letzten Seite eine ausgezeichnete Charakterstudie. Claude Chabrol hat diese atmosphärisch dichte Geschichte 1982 mit Michel Serrault und Charles Aznavour in den Hauptrollen verfilmt.
Der Roman erschien 1949 unter dem Originaltitel „Les fantomes du chapelier“. Die deutsche Erstausgabe des Romans wurde erst 1982 veröffentlicht. Diese Übersetzung wurde jetzt für die neue Edition der „Ausgewählten Romane“ noch einmal überarbeitet.
Manfred Orlick