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Im Sommer 1978 ist Phoebe O'Connor achtzehn Jahre alt: zu jung, um die Aufbruchjahre der 68er miterlebt zu haben, aber alt genug, um die Einflüsse und Nachwirkungen zu spüren. Sie lebt mit ihrer verwitweten Mutter in San Francisco und ist geradezu besessen von der Erinnerung an ihre ältere Schwester Faith, ein Flower-Power-Girl, das 1970 in Italien zu Tode kam. Unfall? Mord? Selbstmord? Phoebe sucht die Wahrheit und macht sich auf den Weg nach Europa, begleitet von 18 Postkarten, die ihre schöne, abenteuerlustige, lebensbegierige Schwester von den Stationen ihrer Reise geschrieben hat. London,…mehr

Produktbeschreibung
Im Sommer 1978 ist Phoebe O'Connor achtzehn Jahre alt: zu jung, um die Aufbruchjahre der 68er miterlebt zu haben, aber alt genug, um die Einflüsse und Nachwirkungen zu spüren. Sie lebt mit ihrer verwitweten Mutter in San Francisco und ist geradezu besessen von der Erinnerung an ihre ältere Schwester Faith, ein Flower-Power-Girl, das 1970 in Italien zu Tode kam. Unfall? Mord? Selbstmord? Phoebe sucht die Wahrheit und macht sich auf den Weg nach Europa, begleitet von 18 Postkarten, die ihre schöne, abenteuerlustige, lebensbegierige Schwester von den Stationen ihrer Reise geschrieben hat. London, Amsterdam, Paris - Faith hat alles mitgenommen und ausprobiert, was die Zeit des politischen Umbruchs hergab: Demos, Drogen und die Träume von einer besseren Welt. In München trifft Poebe schließlich Wolf, den ehemaligen Freund ihrer Schwester, mit dem sie nach Italien fährt, der letzten Station von Faiths Reise.
Autorenporträt
Jennifer Egan, geboren in Chicago und aufgewachsen in San Francisco, lebt heute in New York. Sie schrieb zahlreiche Kurzgeschichten, unter anderem für den "New Yorker".
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.09.1999

An den Klippen des Terrorismus
Reifeprüfung: Jennifer Egans Roman "Die Farbe der Erinnerung"

Es ist ein weiter Weg aus dem sonnigen San Francisco der späten sechziger Jahre in das dunkle, vom Terrorismus bedrohte Deutschland. Doch für die lebenshungrige siebzehnjährige Faith spielen innere und äußere Entfernungen keine Rolle. Voller Entdeckerfreude stürzt sie sich in das Abenteuer ihrer ersten Europa-Reise. London, Amsterdam, Paris - auf bunten Postkarten kann Faiths Mutter gemeinsam mit den jüngeren Geschwistern die Route durch die Metropolen der Alten Welt verfolgen. Alles scheint so unbeschwert und unkompliziert, wie man es von dem überdrehten Teenager gewohnt ist: In alten Schlössern ignoriert sie zum Kummer der Aufseher alle Absperrungen und lümmelt ungeniert auf antiken Möbeln herum; vom Eiffelturm schüttelt sie als moderne Frau Holle Unmengen von weißen Federdaunen auf Paris herunter. Aber die Idylle nimmt ein jähes Ende: An einer italienischen Steilküste kommt Faith zu Tode, und niemand kann der entsetzten Familie das Unglück erklären.

In San Francisco wächst unterdessen die sieben Jahre jüngere Phoebe im Schatten der abwesenden Schwester auf. Aus dem Zimmer der Toten hat sie ein regelrechtes Museum gemacht und leidet an dem unerreichbaren Vorbild, denn in ihren eigenen Augen ist sie nur eine unzulängliche Kopie der bewunderten Älteren.

Mit der Darstellung Phoebes zeichnet Jennifer Egan in ihrem viel beachteten Debütroman das Porträt einer Heranwachsenden, die Schritt für Schritt die lähmenden Fesseln der Familienlegenden abzulegen lernt. Allmählich begreift Phoebe, auf welchen Illusionen ihre heile Jungmädchen-Welt aufgebaut ist: Ihr Vater, der vor Jahren an einer schweren Krankheit starb, war bei weitem nicht der große Maler, als der er sich von seinen Töchtern bewundern ließ; ihre Mutter, an die sich die inzwischen achtzehnjährige Phoebe mit der Anhänglichkeit eines Kleinkindes anschließt, ist längst eine neue Bindung eingegangen. Kurz entschlossen macht sich Phoebe auf nach Europa, um den Spuren der großen Schwester nachzureisen und ihr letztes Geheimnis zu ergründen. Es wird eine Reise voller Überraschungen, Enttäuschungen und unerwarteter Begegnungen. Erwachsenwerden tut weh - eine Erkenntnis, die Phoebe mit zahlreichen literarischen Vorgängerinnen teilt, ob die nun Trotzkopf hießen oder Hanni und Nanni.

Doch kann man den Roman von Jennifer Egan nicht auf die kurzweilige Geschichte einer problembeladenen Jugend reduzieren. Mit ihrer Heldin Phoebe entwirft die Verfasserin das Panoramabild einer ganzen Generation: Aufgewachsen im Schatten der Hippie-Bewegung und der Vietnam-Proteste, begegnet Phoebe immer wieder den Mythen des Aufbruchs und der scheinbar grenzenlosen Freiheit, denen ihre große Schwester so vorbehaltlos gefolgt war. Phoebes langsam wachsende Skepsis wird zu einer kritischen Abrechnung mit den Parolen der Achtundsechziger, die, berauscht von Drogen und dem Ideal der freien Liebe, die Welt aus den Angeln heben wollten und an eine bessere Zukunft glaubten.

In München trifft Phoebe auf Wolf, den früheren Freund ihrer Schwester. Er führt längst ein bürgerliches Leben, in dem für Drogen, Sit-ins und wüste Partys kein Platz mehr ist. Das amerikanische Mädchen erinnert ihn jedoch an seine wilden Jahre, und gemeinsam fahren die beiden auf den Spuren von Faith nach Italien. Während sie sich in wachsender Leidenschaft kaum noch voneinander lösen können und die in San Francisco vorsorglich eingepackten Verhütungsmittel endlich zum Einsatz kommen, erfährt Phoebe die Wahrheit über den Tod ihrer Schwester. Endgültig muss sie sich von ihrer größten Illusion verabschieden. Wolf zerstört das Bild der unbekümmerten Weltenbummlerin: Die kompromisslose Faith wurde mehr und mehr von den Studentenunruhen angezogen und erlag schließlich der Faszination, die die Terroristen der RAF als Märtyrer eines ungerechten Systems erscheinen ließ. Voller Bewunderung für Ulrike Meinhof übernahm Faith als gläubige Jüngerin - hier macht sie ihrem Namen alle Ehre - kriminelle Handlangerdienste, bis sie an ihrer Mitschuld an einem brutalen Mord zerbrach. Ihr Sturz von der italienischen Klippe war kein Unfall, sondern ein verzweifelter Akt der Selbsttötung. Erst mit dieser Erkenntnis kann sich Phoebe von dem erdrückenden Vorbild der älteren Schwester lösen und befreit nach Kalifornien zurückkehren. Italien, Ziel der klassischen Bildungsreisen, hat einmal mehr einem jungen Menschen zu Einsicht und Reife verholfen.

Es ist erstaunlich, dass die in New York lebende Jennifer Egan ausgerechnet den deutschen Terrorismus der frühen siebziger Jahre als Hintergrund für ihren modernen Bildungsroman wählt; und überraschender noch ist das große Echo, auf das ihre Innenansichten der RAF bei ihren amerikanischen Lesern gestoßen sind. Tiefer gehende soziologische Analysen oder gar politische Bekenntnisse sind in diesem geschmeidig erzählten Roman nicht zu finden. In seinem Mittelpunkt steht trotz aller detailfreudigen Milieuschilderung nicht die deutsche Innenpolitik, sondern allein die Frage, wie die jungen Heldinnen angesichts der modernen Verheißungen von Freiheit und schrankenlosem Glück ihre Sturm-und-Drang-Jahre unbeschadet überstehen können.

SABINE DOERING

Jennifer Egan: "Die Farbe der Erinnerung". Roman. Aus dem Englischen von Günter Ohnemus. Schöffling & Co. Verlagsbuchhandlung, Frankfurt am Main 1999. 539 S., geb., 48,- DM.

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"Phoebes langsam wachsende Skepsis wird zu einer kritischen Abrechnung mit den Parolen der Achtundsechziger, die, berauscht von Drogen und dem Ideal der freien Liebe, die Welt aus den Angeln heben wollten und an eine bessere Zukunft glaubten." (FAZ)