»Jakob Augstein ist angekommen in der Literatur.« Die Zeit
Ein vornehmes Haus im Süden, zwei Frauen, die sich lieben und ein Fest, auf dem kein Segen liegt: Auf dem Anwesen einer Industriellenfamilie in der Provence wird die Hochzeit der Tochter Rebecca vorbereitet. Wehmütig macht sich ihre Freundin Swann auf den Weg nach Südfrankreich. Swann liebt Rebecca, die Gabriel heiratet, der wiederum nur seine Kunst liebt, aber immerhin adelig ist. Und dann ist da noch Sami. Auch er liebt Rebecca. Aber er ist nur der Gärtner und ein Muslim. Ausgerechnet jetzt hat es ihn nach Paris verschlagen, und während sein Orangengarten zur Bühne einer Hochzeit wird, die nicht sein sollte, blickt er vom Dach der Kathedrale Notre-Dame hinab auf eine Welt der Sünde.
In seinem neuen Roman erzählt Jakob Augstein von der Liebe in Zeiten der Ungewissheit, der Wut der Unsichtbaren und der Schönheit der Natur als letzter Zuflucht. Ein großer Familien- und Gesellschaftsroman vor dem Hintergrund der lichten Landschaft der südlichen Provence.
Ein vornehmes Haus im Süden, zwei Frauen, die sich lieben und ein Fest, auf dem kein Segen liegt: Auf dem Anwesen einer Industriellenfamilie in der Provence wird die Hochzeit der Tochter Rebecca vorbereitet. Wehmütig macht sich ihre Freundin Swann auf den Weg nach Südfrankreich. Swann liebt Rebecca, die Gabriel heiratet, der wiederum nur seine Kunst liebt, aber immerhin adelig ist. Und dann ist da noch Sami. Auch er liebt Rebecca. Aber er ist nur der Gärtner und ein Muslim. Ausgerechnet jetzt hat es ihn nach Paris verschlagen, und während sein Orangengarten zur Bühne einer Hochzeit wird, die nicht sein sollte, blickt er vom Dach der Kathedrale Notre-Dame hinab auf eine Welt der Sünde.
In seinem neuen Roman erzählt Jakob Augstein von der Liebe in Zeiten der Ungewissheit, der Wut der Unsichtbaren und der Schönheit der Natur als letzter Zuflucht. Ein großer Familien- und Gesellschaftsroman vor dem Hintergrund der lichten Landschaft der südlichen Provence.
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Rezensentin Berit Diesselkamper hält mit dem zweiten Roman von Jakob Augstein die perfekte Sommerlektüre in den Händen, weil es, wie sie schreibt, "für das halbe Gehirn" so "benutzerfreundich" ist. Denn die Geschichte um eine Gartenhochzeit im Frühjahr in Südfrankreich, in der immer mehr privilegierte Figuren ihren Liebesspielen nachgehen und dem Verderben entgegenrennen, stört nicht durch Wendungen oder Widerstände, beruhigt die Kritikerin. Auch an Augsteins Naturbeschreibungen hat die Rezensentin, auch wenn sie nicht immer ganz frei von "Kitsch" sind, ihre Freude.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.03.2024Die Hölle,
das sind wir
Der „Spiegel“-Erbe Jakob Augstein
hat eine Boulevard-Komödie über
den Egoismus reicher Erben
geschrieben: „Die Farbe des Feuers“.
VON CHRISTIAN MAYER
Wie angenehm es doch ist, einen Garten zu haben, in dem man sich verlaufen kann; die Bäume spenden Schatten, manchmal sogar Trost, und irgendwas blüht immer. In so einem Garten hat man ständig was zu zupfen und zu rupfen, und wenn das Habitat der Besitzer groß genug ist, findet man dort Zuflucht vor den Menschen, die einem am nächsten sein sollten. So manche Oberschichten-Ehe hat nur deshalb Bestand, weil sich die Partner weitläufig aus dem Weg gehen können, gerne im Wechsel zwischen Erst- und Zweitwohnsitz.
Das ist auch die Ausgangslage in Jakob Augsteins neuem Roman „Die Farbe des Feuers“, der in einem entlegenen Landhaus in La Garrigue südlich von Montpellier spielt. Am Rande der Provence, wo ein ständiger Wind geht und die Sommer immer heißer werden. Heinz Bächle, der schwäbische Unternehmer, trotzt dem Klimawandel, er hat aus einem karstigen Stück Land ein Paradies gemacht und möchte dort seinen Lebensabend genießen, ohne seiner Ehefrau zu sehr in die Quere zu kommen. Hilfreich zur Seite steht ihm sein Gärtner Sami, ein frommer Muslim. Sami liebt neben den von ihm verhätschelten Orangenbäumen auch Rebecca Bächle, die Tochter des Hausherrn, die sich mit Ende dreißig endlich entschlossen hat zu heiraten. Sie ist im Begriff, eine genauso gefühlskalte Ehefrau zu werden wie ihre Mutter.
„Die Farbe des Feuers“ könnte man sich gut als Boulevardstück am Theater vorstellen, die Lacher wären garantiert. Die Figuren haben allesamt starke Auftritte und flache Entwicklungskurven. Rebecca ist schon als 16-jährige Internatsschülerin im Kloster Wald in der Rolle ihres Lebens, eine elfengleiche Galeristin mit viel Geschmack und Stil, die stets ein paar Zentimeter über der Wirklichkeit schwebt: „Sie war es einfach gewohnt, dass die Menschen ihrer Umgebung ihr zur Verfügung standen.“
Ihre beste Freundin Swann, eine ausgemusterte Fernsehjournalistin, ist ihr ebenso verfallen wie die jederzeit austauschbaren Männer. Und dann gibt es noch ein paar kuriose Sidekicks in dieser Reichen-Komödie: eine schlecht gelaunte Erbtante, die den Verlust ihres italienischen Liebhabers nie überwunden hat, jetzt aber als Heiratsvermittlerin fungiert; einen zwischen Ängstlichkeit und Einbildung changierenden Künstler-Bräutigam; einen narzisstischen Anwalt im Porsche und einen exzentrischen Starkoch, der keinem in die Augen schauen kann, aber die Gäste in seinem Luxusrestaurant mit in Armagnac ertränkten Singvögeln zur Raserei bringt.
Ja, so geht Boulevard. Und dieser Autor ist nicht gerade dafür bekannt, sich eine Pointe zu verkneifen und nur auf Zwischentöne zu setzen. Im Gegenteil, er lässt es gerne krachen in seinem zweiten Roman. Das macht in einigen Kapiteln auch richtig Spaß.
Jakob Augstein, als Verleger, Publizist, Kolumnist und Fernsehmensch auf vielen Kanälen präsent, beherrscht einen leicht schnoddrigen, gelegentlich sarkastischen Erzählton. Er zielt vor allem auf den Egoismus der reichen Erben, die sich alles kaufen können, außer einem gelungenen Leben. Und warum auch etwas ändern, wenn sie jederzeit an einem Pool liegen können, der so groß ist, dass es drei Tage dauert, ihn zu füllen; wenn man ein Heer von Bediensteten herumschubsen kann, um den südfranzösischen Garten in eine weiß schimmernde Glückskulisse für die Hochzeitsfeier zu verwandeln, inklusive eines mitten in die Wiese gepflanzten Konzertflügels? Wohlstandsverwahrloste Menschen merken oft nicht, was sie anrichten, wie fahrlässig sie mit Leuten und mit Dingen umgehen, oft mit fatalen Folgen – bereits in F. Scott Fitzgeralds „Der große Gatsby“ war das die bittere Erkenntnis des Erzählers.
In dieser Geschichte bekommt die Hauptfigur immerhin, was sie verdient. Einen Mann, der mindestens genauso egoistisch ist wie sie selbst. Diese Ehe könnte gerade deshalb Bestand haben, weil sich beide Partner bereits vor der Vermählung nach Kräften belügen.
Es könnte bald ein fein austariertes Gleichgewicht herrschen – nicht des Schreckens, sondern der Gleichgültigkeit. Die Hölle, das sind wir.
Richtig lustig wird es im Buch immer, wenn Rebecca und Gabriel versuchen, sich einander anzunähern. Etwa auf einer Fahrradtour, bei der Rebecca dem Hintern ihres potenziellen Partners hinterherrast – es muss ein besonders großer Arsch sein, der bei jedem Tritt in Wallung gerät und über den Sattel quillt. Gabriel wiederum stellt sich in seinen wilden Träumen vor, eine „moderne Synthese des Orpheus-Mythos mit Dantes Göttlicher Komödie und Mozarts Zauberflöte“ zu komponieren; in Wahrheit arbeitet er als Regieassistent an Opernhäusern in der Provinz. Immerhin kann er mit einer adligen Herkunft aufwarten und beherrscht den Sound der Talkshow-Intellektuellen, was bei der schwäbischen Industriellenfamilie durchaus auf Wohlwollen stößt. In seinem Kopf hat er das Landhaus seines künftigen Schwiegervaters schon nach seinen Vorstellungen umgeplant. Nicht jeder, der wie ein Depp aussieht, ist auch einer.
Jakob Augsteins leiblicher Vater ist der 2023 verstorbene Martin Walser, der in seinem Debütroman „Ehen in Philippsburg“ die Doppelmoral der Nachkriegsgesellschaft meisterhaft beschrieb. Auch der Sohn zeigt hier satirisches Talent. Etwa als Gabriel am Flughafen Marseille von den Zollbeamten wegen seiner Goyard-Tasche aufgehalten wird. Das noble Stück hat ihm Rebecca in einem ihrer sorglosen Momente zum Geburtstag geschenkt. Und der peinlich berührte Gabriel kann gar nicht glauben, dass er nun von einem schwarzen Beamten mit Gummihandschuhen wegen Produktpiraterie festgehalten wird. „Sag mal, Rebecca“, sagt er später im Auto, „die Tasche war doch echt, oder?“
All das ist guter Erzählstoff. Leider hat Augstein eine zweite Ebene eingezogen: den Brand der Pariser Kathedrale Notre-Dame im April 2019, über den er die Hochzeitsgesellschaft diskutieren lässt. Was sie nicht ahnen kann: Sami, der muslimische Gärtner, scheint in den Fall verwickelt zu sein, weil er vor dem Brand seinen Zwillingsbruder als Gerüstarbeiter bei der Restauration der Kathedrale ersetzen musste.
Der Autor streut etliche Spuren, die man so interpretieren kann, als habe Sami ein schreckliches Zeichen setzen wollen, bevor die Liebe seines Lebens einen anderen heiratet. Schließlich träumt er davon, dass dieses anmaßende Bauwerk, ein Symbol des christlichen Europa, in Flammen aufgeht. Oder sind das alles nur falsche Fährten, spielt Augstein gezielt mit rassistischen Vorurteilen, ist alles viel raffinierter? Tatsächlich gab es bei den Gerüstbauern von Notre-Dame, wie die Ermittlungen der Pariser Polizei nach dem verheerenden Brand ergaben, eine große Nachlässigkeit; selbst in der Nähe der uralten Balken in den Seitenschiffen der Kathedrale wurde damals in Arbeitspausen geraucht. Doch wer wirklich die Verantwortung für die Katastrophe trägt, die zu
einer Aufwallung nationaler Gefühle führte, wird wohl ein Geheimnis bleiben.
Letztlich aber kann dieser Teil des Romans nicht überzeugen. „Die Farbe des Feuers“ leidet an der Ambition des Autors, etwas Größeres, Relevanteres schaffen zu wollen als nur gute Unterhaltung. Schade drum, denn das vermeintlich Leichte gelingt ihm viel besser als das Schwere.
Eine schlecht gelaunte
Erbtante und ein
narzisstischer Anwalt
Jakob Augstein wurde 1967 geboren und ist Journalist, Schriftsteller, Miteigentümer des Spiegel-Verlags und Verleger der Wochenzeitung Der Freitag. Sein rechtlicher Vater ist Rudolf Augstein, sein leiblicher Martin Walser.
Foto: Mathias Bothor / Aufbau Verlag
Jakob Augstein: Die Farbe des Feuers. Aufbau Verlag, Berlin 2024. 352 Seiten, 24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
das sind wir
Der „Spiegel“-Erbe Jakob Augstein
hat eine Boulevard-Komödie über
den Egoismus reicher Erben
geschrieben: „Die Farbe des Feuers“.
VON CHRISTIAN MAYER
Wie angenehm es doch ist, einen Garten zu haben, in dem man sich verlaufen kann; die Bäume spenden Schatten, manchmal sogar Trost, und irgendwas blüht immer. In so einem Garten hat man ständig was zu zupfen und zu rupfen, und wenn das Habitat der Besitzer groß genug ist, findet man dort Zuflucht vor den Menschen, die einem am nächsten sein sollten. So manche Oberschichten-Ehe hat nur deshalb Bestand, weil sich die Partner weitläufig aus dem Weg gehen können, gerne im Wechsel zwischen Erst- und Zweitwohnsitz.
Das ist auch die Ausgangslage in Jakob Augsteins neuem Roman „Die Farbe des Feuers“, der in einem entlegenen Landhaus in La Garrigue südlich von Montpellier spielt. Am Rande der Provence, wo ein ständiger Wind geht und die Sommer immer heißer werden. Heinz Bächle, der schwäbische Unternehmer, trotzt dem Klimawandel, er hat aus einem karstigen Stück Land ein Paradies gemacht und möchte dort seinen Lebensabend genießen, ohne seiner Ehefrau zu sehr in die Quere zu kommen. Hilfreich zur Seite steht ihm sein Gärtner Sami, ein frommer Muslim. Sami liebt neben den von ihm verhätschelten Orangenbäumen auch Rebecca Bächle, die Tochter des Hausherrn, die sich mit Ende dreißig endlich entschlossen hat zu heiraten. Sie ist im Begriff, eine genauso gefühlskalte Ehefrau zu werden wie ihre Mutter.
„Die Farbe des Feuers“ könnte man sich gut als Boulevardstück am Theater vorstellen, die Lacher wären garantiert. Die Figuren haben allesamt starke Auftritte und flache Entwicklungskurven. Rebecca ist schon als 16-jährige Internatsschülerin im Kloster Wald in der Rolle ihres Lebens, eine elfengleiche Galeristin mit viel Geschmack und Stil, die stets ein paar Zentimeter über der Wirklichkeit schwebt: „Sie war es einfach gewohnt, dass die Menschen ihrer Umgebung ihr zur Verfügung standen.“
Ihre beste Freundin Swann, eine ausgemusterte Fernsehjournalistin, ist ihr ebenso verfallen wie die jederzeit austauschbaren Männer. Und dann gibt es noch ein paar kuriose Sidekicks in dieser Reichen-Komödie: eine schlecht gelaunte Erbtante, die den Verlust ihres italienischen Liebhabers nie überwunden hat, jetzt aber als Heiratsvermittlerin fungiert; einen zwischen Ängstlichkeit und Einbildung changierenden Künstler-Bräutigam; einen narzisstischen Anwalt im Porsche und einen exzentrischen Starkoch, der keinem in die Augen schauen kann, aber die Gäste in seinem Luxusrestaurant mit in Armagnac ertränkten Singvögeln zur Raserei bringt.
Ja, so geht Boulevard. Und dieser Autor ist nicht gerade dafür bekannt, sich eine Pointe zu verkneifen und nur auf Zwischentöne zu setzen. Im Gegenteil, er lässt es gerne krachen in seinem zweiten Roman. Das macht in einigen Kapiteln auch richtig Spaß.
Jakob Augstein, als Verleger, Publizist, Kolumnist und Fernsehmensch auf vielen Kanälen präsent, beherrscht einen leicht schnoddrigen, gelegentlich sarkastischen Erzählton. Er zielt vor allem auf den Egoismus der reichen Erben, die sich alles kaufen können, außer einem gelungenen Leben. Und warum auch etwas ändern, wenn sie jederzeit an einem Pool liegen können, der so groß ist, dass es drei Tage dauert, ihn zu füllen; wenn man ein Heer von Bediensteten herumschubsen kann, um den südfranzösischen Garten in eine weiß schimmernde Glückskulisse für die Hochzeitsfeier zu verwandeln, inklusive eines mitten in die Wiese gepflanzten Konzertflügels? Wohlstandsverwahrloste Menschen merken oft nicht, was sie anrichten, wie fahrlässig sie mit Leuten und mit Dingen umgehen, oft mit fatalen Folgen – bereits in F. Scott Fitzgeralds „Der große Gatsby“ war das die bittere Erkenntnis des Erzählers.
In dieser Geschichte bekommt die Hauptfigur immerhin, was sie verdient. Einen Mann, der mindestens genauso egoistisch ist wie sie selbst. Diese Ehe könnte gerade deshalb Bestand haben, weil sich beide Partner bereits vor der Vermählung nach Kräften belügen.
Es könnte bald ein fein austariertes Gleichgewicht herrschen – nicht des Schreckens, sondern der Gleichgültigkeit. Die Hölle, das sind wir.
Richtig lustig wird es im Buch immer, wenn Rebecca und Gabriel versuchen, sich einander anzunähern. Etwa auf einer Fahrradtour, bei der Rebecca dem Hintern ihres potenziellen Partners hinterherrast – es muss ein besonders großer Arsch sein, der bei jedem Tritt in Wallung gerät und über den Sattel quillt. Gabriel wiederum stellt sich in seinen wilden Träumen vor, eine „moderne Synthese des Orpheus-Mythos mit Dantes Göttlicher Komödie und Mozarts Zauberflöte“ zu komponieren; in Wahrheit arbeitet er als Regieassistent an Opernhäusern in der Provinz. Immerhin kann er mit einer adligen Herkunft aufwarten und beherrscht den Sound der Talkshow-Intellektuellen, was bei der schwäbischen Industriellenfamilie durchaus auf Wohlwollen stößt. In seinem Kopf hat er das Landhaus seines künftigen Schwiegervaters schon nach seinen Vorstellungen umgeplant. Nicht jeder, der wie ein Depp aussieht, ist auch einer.
Jakob Augsteins leiblicher Vater ist der 2023 verstorbene Martin Walser, der in seinem Debütroman „Ehen in Philippsburg“ die Doppelmoral der Nachkriegsgesellschaft meisterhaft beschrieb. Auch der Sohn zeigt hier satirisches Talent. Etwa als Gabriel am Flughafen Marseille von den Zollbeamten wegen seiner Goyard-Tasche aufgehalten wird. Das noble Stück hat ihm Rebecca in einem ihrer sorglosen Momente zum Geburtstag geschenkt. Und der peinlich berührte Gabriel kann gar nicht glauben, dass er nun von einem schwarzen Beamten mit Gummihandschuhen wegen Produktpiraterie festgehalten wird. „Sag mal, Rebecca“, sagt er später im Auto, „die Tasche war doch echt, oder?“
All das ist guter Erzählstoff. Leider hat Augstein eine zweite Ebene eingezogen: den Brand der Pariser Kathedrale Notre-Dame im April 2019, über den er die Hochzeitsgesellschaft diskutieren lässt. Was sie nicht ahnen kann: Sami, der muslimische Gärtner, scheint in den Fall verwickelt zu sein, weil er vor dem Brand seinen Zwillingsbruder als Gerüstarbeiter bei der Restauration der Kathedrale ersetzen musste.
Der Autor streut etliche Spuren, die man so interpretieren kann, als habe Sami ein schreckliches Zeichen setzen wollen, bevor die Liebe seines Lebens einen anderen heiratet. Schließlich träumt er davon, dass dieses anmaßende Bauwerk, ein Symbol des christlichen Europa, in Flammen aufgeht. Oder sind das alles nur falsche Fährten, spielt Augstein gezielt mit rassistischen Vorurteilen, ist alles viel raffinierter? Tatsächlich gab es bei den Gerüstbauern von Notre-Dame, wie die Ermittlungen der Pariser Polizei nach dem verheerenden Brand ergaben, eine große Nachlässigkeit; selbst in der Nähe der uralten Balken in den Seitenschiffen der Kathedrale wurde damals in Arbeitspausen geraucht. Doch wer wirklich die Verantwortung für die Katastrophe trägt, die zu
einer Aufwallung nationaler Gefühle führte, wird wohl ein Geheimnis bleiben.
Letztlich aber kann dieser Teil des Romans nicht überzeugen. „Die Farbe des Feuers“ leidet an der Ambition des Autors, etwas Größeres, Relevanteres schaffen zu wollen als nur gute Unterhaltung. Schade drum, denn das vermeintlich Leichte gelingt ihm viel besser als das Schwere.
Eine schlecht gelaunte
Erbtante und ein
narzisstischer Anwalt
Jakob Augstein wurde 1967 geboren und ist Journalist, Schriftsteller, Miteigentümer des Spiegel-Verlags und Verleger der Wochenzeitung Der Freitag. Sein rechtlicher Vater ist Rudolf Augstein, sein leiblicher Martin Walser.
Foto: Mathias Bothor / Aufbau Verlag
Jakob Augstein: Die Farbe des Feuers. Aufbau Verlag, Berlin 2024. 352 Seiten, 24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
»Ein optimales Sommerbuch. « Berit Dießelkämper DIE ZEIT 20240627