Warum das Wort „Seele“ den Titel dieses alternativen Lyrikjahrbuchs beschwingt, wurde in den drei vorangegangenen Anthologien hinreichend erläutert. Nur so viel: Eine Zeit, die ihre Kinder in den sozialen Netzwerken sich verfangen lässt und damit der sozialen Verwahrlosung, weil sie nur um den Glanz des eigenen Images sich schert, wird zunehmend seelenlose Wesen produzieren. Selbst die meisten der jungen Literaten und Literatinnen können mit jenem Begriff nichts anfangen, höhlen ja die Gesellschaft gar gründlicher aus im Anwenden (post-)moderner Stilmittel, die neben der Sprache auch Welt zerreißen, Negativ-Kitsch evozieren oder experimentell die natürlichen Grenzen des Lebens gleich mit zerstören. Die Formensprache der klassischen Moderne war wohlbegründet, galt es doch das Korsett bürgerliche Doppelmoral aufzusprengen und die Scheinharmonien klerikal-feudaler Welten zu zertrümmern. Der Tausendste Aufguss des Gebräus aus sprachpubertierendem Gestammel, Jammerei oder narzisstischer Spielsucht schmeckt heute ziemlich schal. Die Farben der Seele leuchten utopisch, wo tagtäglich an den 5o Schattierungen des Graus herumpoliert wird. Die Seelenfarben (wie sie schon Wassily Kandinsky beschrieb, der aber bereits vom nachfolgenden Suprematismus falsch ausgelegt wurde) weisen Pfade über die Destruktion der Industrialisierung und der biophoben Megalomanie hinaus. Ein Beispiel: Der Begriff „Schönheit“ wird von Kunst und Literatur meist als plastikglattes Oberflächendesign abgetan (wenn sie sich mittlerweile nicht diesem gar verschrieben haben), und durch Antiästhetiken, Theater der Grausamkeit, Ästhetik des Hässlichen unterspült. Die Crux: In echter Schönheit pulst Seele, doch kann diese nur erkannt werden, wenn das Sakral-Chakra geöffnet ist. Es sieht bzw. begreift Schönheit also nur, wer das orange Haus bereits (wenigstens im Vorraum) betrat. Diese Anthologie soll kein Religionsbuch sein. (Religionsersatz bieten die Mainstreamschreiber an, wenn sie sich als Söldner der Wissenschaftsglaubensreconquista verdingen.) Nicht geht es darum, den reichen Schatz der beteiligten Autorinnen und Autoren zu schmälern, indem man diese für eine geistige Strömung vereinnahmt. Uns eint, dass alle der seelenlosen Zeit etwas entgegenzuschreiben und -fühlen haben. Etwas Lebendiges, Buntes, Hoffnungsreiches. Somit schwingt schon etwas Spirituelles in diesem Buch mit. Die Zuordnung zu den Seelenfarbenkapiteln erfolgte rein intuitiv, akribisch spontan sozusagen. Das Indigo wurde nicht „thematisiert“. Über das violette bzw. weiß/goldene Kronenchakra lässt sich wenig schreiben, verlöschen ja in ihm sämtliche Wörter, alle Unterscheidungen, da nur allumfassende Liebe bleibt. Wo Atman in Brahman eingeht, bzw. sich als dieses erfährt, verstummt jegliches Unterscheiden. Nur Liebe bleibt, die tausendmal stärker strahlt, als eine Mutter ihr Kind lieben kann oder der verzückteste Liebhaber seine Angebetete. Dass die Chakren Brücken in die Unendlichkeit darstellen, ist hinlänglich bekannt. Ohne wenigstens im Grün beheimatet zu sein, kann andauernder Friede weder im Inneren noch im Äußeren gehalten werden. Das bitte als zentrales politisches Statement von mir zu verstehen. Letztlich muss ein jeder selbst seinen Weg finden und auch beschreiten. Wer ahnt, dass die Seele keine romantische Dummheit vorstellt, sondern die Essenz des Menschen, in der bei Geburt der Körper einfließt (in das Muster der Neigungen aus den Vorleben sich ergießend und selbst körperliche Verletzungen mitausbildend) erkennt eine mögliche spirituelle Spur. Mehr über Spiritualität möchte ich hier nicht sinnieren, gilt man sonst bei Atheisten und modernen Zeitgenossen schnell als verrückt und zudem auch dumm, was ihnen die Möglichkeit eröffnet, zu ihrer generellen Ahnungslosigkeit gleich weitere Ignoranz auszubilden, statt sich auf das unbekannte Terrain zu wagen und allenfalls sich zum Positiven, zum echten Glück hin, zu verändern. Schließich bleibt mir als Herausgeber im Namen der Leserschaft mich bei den Lyrikerinnen und Lyrikern des Jahrbuchs für den von Ausgabe zu Ausgabe zunehmenden Schatz zu bedanken.