Henning Ritter entdeckt in seinem ersten Beitrag einen der bedeutendsten Denker der modernen demokratischen Gesellschaft, Alexis de Tocqueville, als Theoretiker von deren Kunst. Der zweite Essay stellt mit der Collagetechnik von Max Ernst den profiliertesten Vertreter der "Klassischen Moderne" in das Spannungsfeld der Psychoanalyse, die man mit gutem Recht als das anthropologische Eingangsportal zum 20. Jahrhundert bezeichnen kann. Schließlich beleuchtet ein dritter Text die Phänomene der von Tocqueville entdeckten demokratischen Kunstepoche von deren Ende her: Was geschieht, wenn der revolutionäre Glutkern der Avantgarde zu einer "demokratischen Staatskunst" depraviert?
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.05.2000HENNING RITTER, im Feuilleton dieser Zeitung zuständig für "Geisteswissenschaften", ist dem Amerikareisenden Alexis de Tocqueville bei dessen Erkundung der Künste in einer demokratischen Gesellschaft gefolgt. Dabei erweist sich Tocqueville als hellsichtiger Prognostiker der modernen Kunstverhältnisse, in denen das Überraschende und das Neue die Schönheit ablösen. Dieser Bruch, der mit dem Ende des alten Handwerks eintritt, führt zu einer Krise der Kategorie des Echten. So entdeckt Tocqueville die "demokratische Hypokrisie" und den Illusionismus des Neuen. Dass seine Kunstprognose bis in die Gegenwart fortgeschrieben werden kann, lässt sich in zwei weiteren Aufsätzen des Bandes - "Die Bevorzugung des Nebensächlichen" und "Die erschöpfte Freiheit der Kunst" - überprüfen. Am Ende der Moderne zeichnet sich eine Erosion des Neuen ab, das Tocqueville als ihre Signatur erkannt hat. (Henning Ritter: "Die Fassaden am East River". edition suhrkamp 2158, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2000. 96 S., br., 16, 90 DM).
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