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Die FIFA legt bei ihren über 200 Mitgliedsverbänden großen Wert auf weltweite Einheitlichkeit des Fußballspiels und seiner Regeln. Angesichts der rechtlichen Vorgaben der FIFA verwundert es, dass hinsichtlich der bedeutsamen Problematik der "falschen Tatsachenentscheidung" und des "Regelverstoßes" unterschiedliche Regelungen zwischen FIFA einerseits und UEFA, DFB, SFV und anderen Nationalverbänden bestehen. Der Autor untersucht neben exemplarischen Entscheidungen unterschiedlicher Verbändedie einschlägigenBeiträge der Sportrechtswissenschaft und rundet das Werk mit einem praxistauglichen Lösungsvorschlag ab.…mehr

Produktbeschreibung
Die FIFA legt bei ihren über 200 Mitgliedsverbänden großen Wert auf weltweite Einheitlichkeit des Fußballspiels und seiner Regeln. Angesichts der rechtlichen Vorgaben der FIFA verwundert es, dass hinsichtlich der bedeutsamen Problematik der "falschen Tatsachenentscheidung" und des "Regelverstoßes" unterschiedliche Regelungen zwischen FIFA einerseits und UEFA, DFB, SFV und anderen Nationalverbänden bestehen. Der Autor untersucht neben exemplarischen Entscheidungen unterschiedlicher Verbändedie einschlägigenBeiträge der Sportrechtswissenschaft und rundet das Werk mit einem praxistauglichen Lösungsvorschlag ab.
Autorenporträt
Horst Hilpert, Bexbach.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.11.2010

Der Einbruch des Rechts in das Spiel

Wider die Unantastbarkeit der Schiedsrichterentscheidungen: Horst Hilpert mobilisiert das Naturrecht, um Wahrheit und Gerechtigkeit auf dem Platz durchzusetzen.

Fußball kann grausam sein. Noch die alte Fanweisheit "Durst ist schlimmer als Heimniederlagen" kündet in ihrer Ironisierung von den seelisch-moralischen Verletzungen, die an jedem Wochenende für Spieler und Zuschauer möglich sind. In beiden Halbzeiten kann im Ringen um den Sieg jenes Unerwartete passieren, das nach Abpfiff als Sporttragödie kanonisiert wird. Eine dritte Halbzeit gibt es nicht, und kein Fußballhimmel sorgt für metaphysischen Trost auf Erden. Schlimmer noch als Last-Minute-Doppelschläge sind jedoch jene Schicksalshiebe, als die man die Fehlentscheidungen des Schiedsrichterteams hinnehmen muss.

Solche Fälle schildert das Buch von Horst Hilpert in seinem Hauptteil. Hilpert muss es wissen, denn er war Präsident des Landesarbeitsgerichts und Vorsitzender des Kontrollausschusses des DFB bis Oktober 2007. Die Regeln von Recht, Gerechtigkeit und Sport haben in ihm ihren ebenso kompetenten wie praxisnahen Exegeten gefunden. Ach, wenn er nur auch noch erzählen könnte!

Elfmeter- und Abseitspfiffe, unterbliebene wie zu Unrecht erfolgte, Verwarnungen und Platzverweise, Auswechselmalheure und schließlich sogar Phantomtore durchziehen dieses Buch zuverlässig wie der Spielplan den Jahreslauf des Fans. Selbst Hilperts buchhalterische Aufbereitung der Fälle lässt die Bilder wieder wach werden: Thomas Helmer verstolpert den Ball hinters Nürnberger Außennetz, der Schiedsrichter entscheidet auf Tor für Bayern. Thierry Henry ("Hand of Frog") schießt nach Handspiel Frankreich in die WM-Endrunde, Irland hat das Nachsehen.

Zum Rechtsfall werden diese Kuriosa spätestens durch die Einsprüche der benachteiligten Mannschaften. Sie haben ein legitimes Interesse an materialer Gerechtigkeit. Dem stehen freilich andere Gesichtspunkte gegenüber, nicht zuletzt das Interesse des Zuschauers, dass Ergebnisse mit dem Schlusspfiff endgültig sein sollen und nicht am grünen Tisch nachverhandelt werden dürfen. Anders gefragt: Wie weit soll die Verrechtlichung des Fußballs gehen?

Hilpert verdeutlicht mit kurzen sportgeschichtlichen Rückblicken, wie weit bereits die Verregelung gediehen ist, die man mit Bernhard Schlink auch als "Vergerechtlichung" bezeichnen könnte. Aus den Anfängen des Fußballs im neunzehnten Jahrhundert und vom Bolzplatz um die Ecke weiß man, dass es auch ohne Schiri gehen könnte. Seither wird das Regelwerk engmaschiger, die Kontrolldichte höher. Fotografen und unzählige Fernsehkameras tun das Ihrige dafür, dass Regelverstöße als solche wahrgenommen werden und beweisbar bleiben.

Ein Schreckgespenst geht in den Stadien um: Nachdem es auf dem Rasen turbulent zuging, steigt von der Zuschauertribüne eine Richterin herab und erlässt per einstweiliger Verfügung einen Strafstoß. Denn was der Schiedsrichter nicht gesehen hat, ist ihren Augen nicht verborgen geblieben, und um dauerhaften Schaden abzuwenden, wurde auf Antrag der zu Unrecht benachteiligten Mannschaft der Rechtsweg eingeschlagen. Der Gerichtsvollzieher stellt die Verfügung zu, zwei Beamte in Uniform garantieren die Durchsetzung der Anordnung. Justitia wacht auch auf der Stadiontribüne.

So könnte es sein, auf Dauer wollen würde es aber niemand. Immerhin fällt ein Schiedsrichter in einer durchschnittlichen Bundesligapartie um die 220 Entscheidungen, die Fehlerquote liegt bei guten Referees unter zwei Prozent. Wo kämen wir hin, wenn ein Amtsrichter jede von ihnen revidieren könnte? Und was ist mit richterlichen Fehlentscheidungen? Der Einbruch des Rechts in das Spiel könnte dieses zerstören. Der Sport und seine Regeln muss daher prinzipiell in der Autonomie der Gesellschaft bleiben, die verfassungsrechtlich abgesichert ist. Über Generalklauseln strahlen dennoch die Wertungen des Grundgesetzes in die Niederungen des Platzes.

Die Frage ist daher eine sportrechtsinterne, und sie richtet sich an die Verbände, die selbst entscheiden müssen, wann und welche Abhilfe sie gegen Fehlentscheidungen in nachträglichen Verfahren zulassen. Hilpert trennt in seiner Darstellung falsche Tatsachenentscheidungen von Regelverstößen. Im Unterschied zum nationalen Verbandsrecht kennt man bei der Fifa letztere Kategorie nicht und ist auch sonst wenig geneigt, sogar rechtlich unrichtige Entscheidungen zu revidieren. Rechtssicherheit und Autorität des Entscheidenden stehen über allem, der Schiedsrichter kann im Weltfußball stets folgenlos irren.

Anders die Rechtsprechung der deutschen Verbandsgerichte. Ihre Entscheidungen zeigen begrenzte Möglichkeiten der Korrektur der Schiedsrichterentscheidungen. Regelmäßig ist dies bei Regelverstößen der Fall (der Schiedsrichter selbst verletzt eine Sportregel), sehr ausnahmsweise auch bei Tatsachenentscheidungen, und dazwischen stellen sich in der Praxis entsprechende Begehrlichkeiten und Abgrenzungsprobleme. Wer Genaueres darüber erfahren will, wird von Hilpert mit Fallerzählungen versorgt, die bis hinab zur Streitsache Germania Dattenfeld 1910 e.V. gegen den SV 19 Straelen e.V. reichen: Dem Fußball-Pitaval ist keine Liga zu mickrig.

Hilperts sportrechtspolitisches Reform-Credo ist, dass man auch international die Überprüfung falscher Tatsachenentscheidungen in bestimmten Konstellationen zulassen soll. Dabei beruft er sich auf die Formel Gustav Radbruchs, der "Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht" (so der berühmte Aufsatztitel von 1946) gegenüberstellte und den Konflikt mit Hilfe des Naturrechts lösen wollte. Entsprechend will auch Hilpert Wahrheit und Gerechtigkeit bei fehlerhaften Tatsachenentscheidungen zur Geltung verhelfen, wenn "ein unerträgliches Maß" erreicht ist.

Um der Furcht vor einer Flut von Korrekturen entgegenzuarbeiten, normiert er vier unhintergehbare Kriterien. Die falsche Tatsachenentscheidung des Schiedsrichters ist demnach justiziabel, wenn die Unrichtigkeit erstens offenkundig ist, die Beibehaltung des Fehlers zweitens unerträglich ist, die Auswirkungen drittens folgenschwer sind und jedes andere Ergebnis viertens unfair und unverhältnismäßig wäre. Krass sportwidriges Verhalten etwa würde damit auch international sanktioniert werden können.

Die Verbände, die sich dem verweigern, müssen sich fragen lassen, ob ihre Berufung auf Fair-Play-Prinzipien Lippenbekenntnisse sind, die sie im Ernstfall hinter ökonomischen Interessen und saturierter Bequemlichkeit zurücktreten lassen. Denn die Frage der Ethik stellt sich nicht nur für die Sportler, sondern gerade auch für Verbandsvertreter im Umgang mit Regelverstößen. Dass die 9,15 Meter Abstand der Freistoßmauer zum Ball kaum je eingehalten werden, ist nicht jene Gerechtigkeitslücke, die das Buch meint. Man soll daraus aber auch nicht den Umkehrschluss ziehen, dass es sich dabei um einen rechtsfreien Raum handelt.

MILOS VEC.

Horst Hilpert: "Die Fehlentscheidungen der Fußballschiedsrichter".

Walter de Gruyter Verlag, Berlin 2010. 200 S., geb., 64,95 [Euro].

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n.a.