Das Buch steht im Zusammenhang des Versuches, die zentrale Rolle der Bilder für die Ausbildung der modernen Philosophie am Beispiel bedeutender Gestalten des siebzehnten Jahrhunderts zu rekonstruieren. Das Projekt begann mit der Erschließung der Staatstheorie aus der Bildpolitik des "Leviathan" von Thomas Hobbes. Mit Gottfried Wilhelm Leibniz' Ideen, ein Theater der Natur und Kunst sowie einen Atlas der Einbildungskraft zu errichten, folgt nun die Rekonstruktion eines Projektes, das für das Verständnis seiner Philosophie von tiefgreifender Bedeutung sein könnte.
Obwohl Leibniz diese Idee so hartnäckig und ausdauernd wie kaum ein anderes Unternehmen betrieben hat, ist sie in der Forschung bislang so gut wie unbekannt geblieben. Für diesen Umstand war die zersplitterte und unvollständige Überlieferung von Leibniz' Schriften ebenso verantwortlich wie ein mächtiger Strang der Philosophiegeschichte, der die Welt des Haptischen und Visuellen immer dann favorisiert, wenn sie transzendiert wird.
Die jüngsten Bände der Akademie-Ausgabe bieten jedoch erstmals die Möglichkeit, Leibniz' Wertschätzung der tastenden und zeichnenden Hand und des neugierigen und geschulten Auges im Zusammenhang zu verfolgen. Seine schier unbegreiflich vielfältigen Denkbewegungen und Aktivitäten erhalten mit dem Projekt des Theaters der Natur und Kunst daher nicht nur eine Ergänzung, sondern einen neuen Rahmen. Leibniz' Faible für das Theatrum Naturae et Artis könnte das Gesamtbild seiner Philosophie verwandeln, weil es die Kluft zwischen Kalkül und Anschauung wie auch zwischen der "Fensterlosigkeit" der Monade und der körperlichen Form ihrer Perzeptionsweisen zugleich vertieft und überbrückt.
Obwohl Leibniz diese Idee so hartnäckig und ausdauernd wie kaum ein anderes Unternehmen betrieben hat, ist sie in der Forschung bislang so gut wie unbekannt geblieben. Für diesen Umstand war die zersplitterte und unvollständige Überlieferung von Leibniz' Schriften ebenso verantwortlich wie ein mächtiger Strang der Philosophiegeschichte, der die Welt des Haptischen und Visuellen immer dann favorisiert, wenn sie transzendiert wird.
Die jüngsten Bände der Akademie-Ausgabe bieten jedoch erstmals die Möglichkeit, Leibniz' Wertschätzung der tastenden und zeichnenden Hand und des neugierigen und geschulten Auges im Zusammenhang zu verfolgen. Seine schier unbegreiflich vielfältigen Denkbewegungen und Aktivitäten erhalten mit dem Projekt des Theaters der Natur und Kunst daher nicht nur eine Ergänzung, sondern einen neuen Rahmen. Leibniz' Faible für das Theatrum Naturae et Artis könnte das Gesamtbild seiner Philosophie verwandeln, weil es die Kluft zwischen Kalkül und Anschauung wie auch zwischen der "Fensterlosigkeit" der Monade und der körperlichen Form ihrer Perzeptionsweisen zugleich vertieft und überbrückt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.02.2005Gott denkt mit dem Auge
Horst Bredekamp schaut Gottfried Wilhelm Leibniz aus der Zentralperspektive der Kunstkammer an
Daß jeder Künstler ein Gott im Kleinen ist, dieser tröstlichen Menschheitsidee hat der Kunsthistoriker Horst Bredekamp ein bilderreiches Denkmal gesetzt. In einem kühnen Zugriff auf den Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz setzt er sein Vorhaben fort, das umkämpfte Konzept einer Kunstgeschichte als historischer Bildwissenschaft anhand herausragender Gestalten des siebzehnten Jahrhunderts weiterzuentwickeln. Dieser Epoche mißt Bredekamp insoweit einen paradigmatischen Stellenwert bei, als "sie durch die Erfindung optischer Instrumente vom Fernrohr bis zum Mikroskop und von der Camera Obscura bis zur Laterna Magica die Erforschung der sehenden Erkenntnis in einer Intensität forciert hat, wie sie erst wieder durch die Photographie im neunzehnten Jahrhundert ermöglicht wurde". Wir stehen inzwischen vor einer Trilogie: Bredekamps Studien über Galilei Galilei, dem er die Zeichnung als fundamentales Erkenntnismittel zuordnete, entsprach sein Buch über die visuellen Strategien Thomas Hobbes'. Dessen Begriff der staatlichen Souveränität sah Bredekamp wesentlich durch optische Versuche mit multifokalen Linsen bestimmt. Und nun also folgt die Abhandlung über Leibniz, dessen kosmische Harmonielehre sich laut Bredekamp entscheidend entlang des utopischen Projektes eines "Theaters der Natur und der Kunst" entfaltet habe.
"Indem Leibniz das ,Theater der Natur und der Kunst' als Synonym für Kunst-, Raritäten- und Anatomiesammlungen nutzte, griff er die vom sechzehnten bis zum achtzehnten Jahrhundert vorherrschende Sammlungsform der Kunstkammer auf, in deren Idealform diese Kombination repräsentiert war." Im Modell der idealen Kunstkammer, das der Kulturpolitiker Leibniz in etlichen Städten energisch promovierte, erblickt Bredekamp gleichsam den institutionellen Ort der Leibnizschen Philosophie. Hier, im tendenziell unendlichen Naturalienkabinett der Kunstkammer, erscheint "die Monade in äußerer Repräsentation". Im lebenslangen Plädoyer für ein "Theater der Kunst und Natur" liegt für Bredekamp "das Ferment jener Wißbegierde, die über die Rezeption der Sachen selbst sowohl die Konkretion wie auch den intuitiven Blick zu schulen und sich auf diese Weise jener Vielzahl von Sehpunkten zu nähern versucht, über die der göttliche Blick verfügt". Die Sammlung von Bildern und Exponaten schult den Simultanblick, "der im Gegensatz zur kalkulatorischen Sukzession alles auf einen Schlag zu erfassen vermag". In dieser Simulierung des göttlichen Blicks liegt "der erkenntnistheoretische Kern" des "Theaters der Natur und Kunst".
Leibniz ist somit nach Galilei und Hobbes der dritte von Bredekamp aufgerufene Kandidat für die bildwissenschaftliche Privilegierungsstrategie, wonach es die semantische Schwerkraft von Bildern ist, die das Denken ermöglicht, ja konditioniert. Leibniz' Kulturpolitik, sein vielfältiges Eintreten für die Kunstkammer hätte demnach eine philosophische Dimension, ja wäre selbst ein philosophischer Akt.
Es liegt deshalb etwas durchgängig Subversives in der höchst lehrreichen Art, mit der Bredekamp kunsthistorische Vorbilder und die entsprechenden kulturpolitischen Vorstöße Leibniz' für das "Theater der Natur und Kunst" in Berlin, Dresden, Wien, Moskau und Sankt Petersburg schildert. Diese Subversivität bricht sich Bahn, wo der kunsthistorische Zugriff vorgibt, Leibniz besser zu verstehen, als dieser sich selbst verstand. Man braucht eine Weile, bis man dieses Buch richtig zu lesen versteht: als ein mit Leibniz gegen Leibniz argumentierendes Manifest.
Der Titel enthält das subversive Programm: "Die Fenster der Monade". Leibniz' Diktum von der "Fensterlosigkeit" der Monade geht, versteht man Bredekamp richtig, auf ein philosophisches Selbstmißverständnis von Leibniz zurück. Gegenüber dessen stofflichen Metaphern der Erkenntnis (Falte, Knoten) "steht die Fensterlosigkeit der Monaden in einem keineswegs nur oberflächlichen Widerspruch", schreibt Bredekamp. Gegen Lockes Empirismus begreift Leibniz die Ideen als "eingeborene": "Sie haben ihren Ursprung nicht in den Sinnen, obwohl wir ohne die Sinne niemals an sie denken würden", heißt es in den "Neuen Abhandlungen über den menschlichen Verstand". Bredekamp bringt derartige Wendungen gegen die "Fensterlosigkeit" in Stellung: Für die Sinne als Auslöser der eingeborenen Ideen muß Leibniz schon früh "implizit jene Öffnungen vorgesehen haben, die er der Monade später kategorisch absprechen wird: Fenster und Tore". Der "Widerspruch" löse sich erst auf, wenn man das "Theater der Natur und Kunst" als jene "idée-force" anerkenne, die es für Leibniz in Wirklichkeit gewesen sei. "Sie bildet nicht nur eine Ergänzung, sondern einen neuen Rahmen seiner Philosophie."
Spätestens an dieser Stelle befallen einen Zweifel, ob die überzeugenden Detailexegesen noch die Proportionen des Ganzen wahren. Ist der durch und durch metaphysische Charakter der Monadenlehre richtig getroffen, wenn man sich daranmacht, sie mit einer Wahrnehmungspsychologie zu rahmen? Natürlich hat jede Metaphysik auch eine erkenntnistheoretische Ableitung, aber der Witz zumal bei Leibniz liegt doch darin, daß seine Philosophie des absoluten Erkennens gerade jenseits jeder Erkenntnistheorie ansetzt. Er nimmt seine Grundstellung - wie Bredekamp das ja auch nahelegt, freilich ohne es für seine eigene Methodologie hinreichend zu berücksichtigen - unmittelbar im Auge Gottes ein. Leibniz' Kategorien sind in ihrer Anwendung nicht etwa auf Erfahrung eingeschränkt wie die "subjektiven Denkformen" Kants. Der Idealismus des späten Leibniz ist, gegen Kant gehalten, ein objektiv-metaphysischer, wie nicht erst Kurt Huber in seiner Leibniz-Monographie herausgearbeitet hat: "Er nimmt, wie der Idealismus des späteren Fichte, Schellings und Hegels, seine Position nicht in einem endlichen Verstand, sondern im unendlichen göttlichen Verstand, das heißt im Absoluten."
Man kann mit Gründen das Denken des Absoluten selbst als philosophisches Selbstmißverständnis darlegen. Doch was kaum gelingen dürfte: eine Philosophie des absoluten Blicks erhalten und diesen Blick gleichzeitig als ein Produkt endlicher Ursachen darstellen zu wollen. Wie ja auch Bredekamp schreibt und im weiteren sehr präzise ausführt: "Leibniz' Perspektivismus relativiert keineswegs die zu erschließende Wahrheit, sondern weist auf die Relativität der individuellen Blickpunkte." Allein in der Zentralperspektive Gottes erscheine die Welt als die beste aller möglichen. Wer daher Leibniz in die Kunstkammer sperrt, hat den Rahmen seiner Philosophie empfindlich verzogen, nicht einfach erweitert. In der Kunstkammer läßt sich vielleicht eine Didaktik des endlichen Blicks, nicht aber eine Metaphysik der universalen Zentralperspektive entwickeln. Will man die Monade nicht auf ihren "Körper" reduzieren, so liegt die Pointe gerade in ihrer Fensterlosigkeit: Als einem eingeborenen Prinzip ist in ihr bereits alles angelegt, was sich in und anhand der sinnlichen Welt nur entfaltet.
Bredekamps "neuer Rahmen" bringt Leibniz eher als einen Assoziationspsychologen denn als Metaphysiker in den Blick. Aber der Philosoph der prästabilierten Harmonie handhabt psychologische Ursachen als vollkommen nachgeordnet gegenüber der ontologischen Kontinuität. Ihn interessieren nicht Ursachen, sondern Kontinuitäten. Wie die Monaden nicht gegenseitig aufeinanderwirken, so wirkt erst recht nicht ein Sinnesdatum auf die Monade, es sei denn als ein wiederum in der Monade bereits enthaltener Anlaß zu ihrer Selbstentfaltung. Als einen solchen kann man die sinnlichen Impulse, wie sie sich idealtypisch im "Theater der Natur und Kunst" zeigen, natürlich zum Thema machen. Und nur so wird eine wohlwollende Lektüre Bredekamp gegen Bredekamp denn auch lesen wollen. Liest man sein Buch als kunsthistorische Ergänzung statt als neuen philosophischen Rahmen, dann hat man für Leibniz in der Tat einen fruchtbaren neuen Rahmen gefunden. Man hat dann nämlich ganz neu begriffen, warum der Hausherr Leibniz die Fenster der Monade fest verschlossen hält.
CHRISTIAN GEYER
Horst Bredekamp: "Die Fenster der Monade". Gottfried Wilhelm Leibniz' Theater der Natur und Kunst. Akademie Verlag, Berlin 2004. 280 S., geb., 44,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Horst Bredekamp schaut Gottfried Wilhelm Leibniz aus der Zentralperspektive der Kunstkammer an
Daß jeder Künstler ein Gott im Kleinen ist, dieser tröstlichen Menschheitsidee hat der Kunsthistoriker Horst Bredekamp ein bilderreiches Denkmal gesetzt. In einem kühnen Zugriff auf den Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz setzt er sein Vorhaben fort, das umkämpfte Konzept einer Kunstgeschichte als historischer Bildwissenschaft anhand herausragender Gestalten des siebzehnten Jahrhunderts weiterzuentwickeln. Dieser Epoche mißt Bredekamp insoweit einen paradigmatischen Stellenwert bei, als "sie durch die Erfindung optischer Instrumente vom Fernrohr bis zum Mikroskop und von der Camera Obscura bis zur Laterna Magica die Erforschung der sehenden Erkenntnis in einer Intensität forciert hat, wie sie erst wieder durch die Photographie im neunzehnten Jahrhundert ermöglicht wurde". Wir stehen inzwischen vor einer Trilogie: Bredekamps Studien über Galilei Galilei, dem er die Zeichnung als fundamentales Erkenntnismittel zuordnete, entsprach sein Buch über die visuellen Strategien Thomas Hobbes'. Dessen Begriff der staatlichen Souveränität sah Bredekamp wesentlich durch optische Versuche mit multifokalen Linsen bestimmt. Und nun also folgt die Abhandlung über Leibniz, dessen kosmische Harmonielehre sich laut Bredekamp entscheidend entlang des utopischen Projektes eines "Theaters der Natur und der Kunst" entfaltet habe.
"Indem Leibniz das ,Theater der Natur und der Kunst' als Synonym für Kunst-, Raritäten- und Anatomiesammlungen nutzte, griff er die vom sechzehnten bis zum achtzehnten Jahrhundert vorherrschende Sammlungsform der Kunstkammer auf, in deren Idealform diese Kombination repräsentiert war." Im Modell der idealen Kunstkammer, das der Kulturpolitiker Leibniz in etlichen Städten energisch promovierte, erblickt Bredekamp gleichsam den institutionellen Ort der Leibnizschen Philosophie. Hier, im tendenziell unendlichen Naturalienkabinett der Kunstkammer, erscheint "die Monade in äußerer Repräsentation". Im lebenslangen Plädoyer für ein "Theater der Kunst und Natur" liegt für Bredekamp "das Ferment jener Wißbegierde, die über die Rezeption der Sachen selbst sowohl die Konkretion wie auch den intuitiven Blick zu schulen und sich auf diese Weise jener Vielzahl von Sehpunkten zu nähern versucht, über die der göttliche Blick verfügt". Die Sammlung von Bildern und Exponaten schult den Simultanblick, "der im Gegensatz zur kalkulatorischen Sukzession alles auf einen Schlag zu erfassen vermag". In dieser Simulierung des göttlichen Blicks liegt "der erkenntnistheoretische Kern" des "Theaters der Natur und Kunst".
Leibniz ist somit nach Galilei und Hobbes der dritte von Bredekamp aufgerufene Kandidat für die bildwissenschaftliche Privilegierungsstrategie, wonach es die semantische Schwerkraft von Bildern ist, die das Denken ermöglicht, ja konditioniert. Leibniz' Kulturpolitik, sein vielfältiges Eintreten für die Kunstkammer hätte demnach eine philosophische Dimension, ja wäre selbst ein philosophischer Akt.
Es liegt deshalb etwas durchgängig Subversives in der höchst lehrreichen Art, mit der Bredekamp kunsthistorische Vorbilder und die entsprechenden kulturpolitischen Vorstöße Leibniz' für das "Theater der Natur und Kunst" in Berlin, Dresden, Wien, Moskau und Sankt Petersburg schildert. Diese Subversivität bricht sich Bahn, wo der kunsthistorische Zugriff vorgibt, Leibniz besser zu verstehen, als dieser sich selbst verstand. Man braucht eine Weile, bis man dieses Buch richtig zu lesen versteht: als ein mit Leibniz gegen Leibniz argumentierendes Manifest.
Der Titel enthält das subversive Programm: "Die Fenster der Monade". Leibniz' Diktum von der "Fensterlosigkeit" der Monade geht, versteht man Bredekamp richtig, auf ein philosophisches Selbstmißverständnis von Leibniz zurück. Gegenüber dessen stofflichen Metaphern der Erkenntnis (Falte, Knoten) "steht die Fensterlosigkeit der Monaden in einem keineswegs nur oberflächlichen Widerspruch", schreibt Bredekamp. Gegen Lockes Empirismus begreift Leibniz die Ideen als "eingeborene": "Sie haben ihren Ursprung nicht in den Sinnen, obwohl wir ohne die Sinne niemals an sie denken würden", heißt es in den "Neuen Abhandlungen über den menschlichen Verstand". Bredekamp bringt derartige Wendungen gegen die "Fensterlosigkeit" in Stellung: Für die Sinne als Auslöser der eingeborenen Ideen muß Leibniz schon früh "implizit jene Öffnungen vorgesehen haben, die er der Monade später kategorisch absprechen wird: Fenster und Tore". Der "Widerspruch" löse sich erst auf, wenn man das "Theater der Natur und Kunst" als jene "idée-force" anerkenne, die es für Leibniz in Wirklichkeit gewesen sei. "Sie bildet nicht nur eine Ergänzung, sondern einen neuen Rahmen seiner Philosophie."
Spätestens an dieser Stelle befallen einen Zweifel, ob die überzeugenden Detailexegesen noch die Proportionen des Ganzen wahren. Ist der durch und durch metaphysische Charakter der Monadenlehre richtig getroffen, wenn man sich daranmacht, sie mit einer Wahrnehmungspsychologie zu rahmen? Natürlich hat jede Metaphysik auch eine erkenntnistheoretische Ableitung, aber der Witz zumal bei Leibniz liegt doch darin, daß seine Philosophie des absoluten Erkennens gerade jenseits jeder Erkenntnistheorie ansetzt. Er nimmt seine Grundstellung - wie Bredekamp das ja auch nahelegt, freilich ohne es für seine eigene Methodologie hinreichend zu berücksichtigen - unmittelbar im Auge Gottes ein. Leibniz' Kategorien sind in ihrer Anwendung nicht etwa auf Erfahrung eingeschränkt wie die "subjektiven Denkformen" Kants. Der Idealismus des späten Leibniz ist, gegen Kant gehalten, ein objektiv-metaphysischer, wie nicht erst Kurt Huber in seiner Leibniz-Monographie herausgearbeitet hat: "Er nimmt, wie der Idealismus des späteren Fichte, Schellings und Hegels, seine Position nicht in einem endlichen Verstand, sondern im unendlichen göttlichen Verstand, das heißt im Absoluten."
Man kann mit Gründen das Denken des Absoluten selbst als philosophisches Selbstmißverständnis darlegen. Doch was kaum gelingen dürfte: eine Philosophie des absoluten Blicks erhalten und diesen Blick gleichzeitig als ein Produkt endlicher Ursachen darstellen zu wollen. Wie ja auch Bredekamp schreibt und im weiteren sehr präzise ausführt: "Leibniz' Perspektivismus relativiert keineswegs die zu erschließende Wahrheit, sondern weist auf die Relativität der individuellen Blickpunkte." Allein in der Zentralperspektive Gottes erscheine die Welt als die beste aller möglichen. Wer daher Leibniz in die Kunstkammer sperrt, hat den Rahmen seiner Philosophie empfindlich verzogen, nicht einfach erweitert. In der Kunstkammer läßt sich vielleicht eine Didaktik des endlichen Blicks, nicht aber eine Metaphysik der universalen Zentralperspektive entwickeln. Will man die Monade nicht auf ihren "Körper" reduzieren, so liegt die Pointe gerade in ihrer Fensterlosigkeit: Als einem eingeborenen Prinzip ist in ihr bereits alles angelegt, was sich in und anhand der sinnlichen Welt nur entfaltet.
Bredekamps "neuer Rahmen" bringt Leibniz eher als einen Assoziationspsychologen denn als Metaphysiker in den Blick. Aber der Philosoph der prästabilierten Harmonie handhabt psychologische Ursachen als vollkommen nachgeordnet gegenüber der ontologischen Kontinuität. Ihn interessieren nicht Ursachen, sondern Kontinuitäten. Wie die Monaden nicht gegenseitig aufeinanderwirken, so wirkt erst recht nicht ein Sinnesdatum auf die Monade, es sei denn als ein wiederum in der Monade bereits enthaltener Anlaß zu ihrer Selbstentfaltung. Als einen solchen kann man die sinnlichen Impulse, wie sie sich idealtypisch im "Theater der Natur und Kunst" zeigen, natürlich zum Thema machen. Und nur so wird eine wohlwollende Lektüre Bredekamp gegen Bredekamp denn auch lesen wollen. Liest man sein Buch als kunsthistorische Ergänzung statt als neuen philosophischen Rahmen, dann hat man für Leibniz in der Tat einen fruchtbaren neuen Rahmen gefunden. Man hat dann nämlich ganz neu begriffen, warum der Hausherr Leibniz die Fenster der Monade fest verschlossen hält.
CHRISTIAN GEYER
Horst Bredekamp: "Die Fenster der Monade". Gottfried Wilhelm Leibniz' Theater der Natur und Kunst. Akademie Verlag, Berlin 2004. 280 S., geb., 44,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Gottfried Boehm sieht Horst Bredekamp dort an der Arbeit, wo Aby Warburg einst nicht weitermachen konnte: an den Fundamenten einer "historischen Bildwissenschaft". Dort ist er auf Leibniz und dessen Monade - ein "ikonisches Konstrukt" als Zentrum einer "universellen Arbeit" - gestoßen und deutet dabei gleich Leibniz neu, genauer: Er arbeitet, indem er seinen ikonischen "Kerngedanken" herausschält, seine Philosophie der Repräsentation, des "Zeigens", die Verbindungen zwischen seiner Mathematik und seiner Metaphysik heraus. Leibniz' Interesse für die Laboratorien und Wunderkammern - den "Schau- und Zeigekammern" - seiner Zeit, das der Forschung bisher immer latent peinlich war - genau das, verkündet Boehm begeistert, sei der "missing link", der "sein Denken in mathematischen Kalkülen mit seiner Neigung zu anschaulichen Sachgehalten verbindet". Und bevor der Rezensent dann ganz weit in die detailreichen Tiefen des Leibniz'schen Denkens hinabsteigt, lässt er uns noch wissen, dass er dieses Buch für ein ganz großes hält.
© Perlentaucher Medien GmbH
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