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Wie gelangt ein schlichter Fahnder der Berner Kantonspolizei plötzlich in einen marokkanischen Garnisonsposten der Fremdenlegion? Glauser schickt seinen Wachtmeister Studer in die Wüste. Dort erlebt er ein Wechselbad verschiedenster Gefühle. Die Kulturen prallen aufeinander. Studer träumt auch am hellichten Tag und vergisst mitunter, daß er einen Fall lösen muss. Er gewinnt immer mehr den Eindruck, daß man ihm übel mitspielt - ein grausames Spiel, dessen Regeln ihm fremd sind.

Produktbeschreibung
Wie gelangt ein schlichter Fahnder der Berner Kantonspolizei plötzlich in einen marokkanischen Garnisonsposten der Fremdenlegion? Glauser schickt seinen Wachtmeister Studer in die Wüste. Dort erlebt er ein Wechselbad verschiedenster Gefühle. Die Kulturen prallen aufeinander. Studer träumt auch am hellichten Tag und vergisst mitunter, daß er einen Fall lösen muss. Er gewinnt immer mehr den Eindruck, daß man ihm übel mitspielt - ein grausames Spiel, dessen Regeln ihm fremd sind.
Autorenporträt
Friedrich Glauser, geboren 1896 in Wien als Sohn einer Österreicherin und eines Schweizers, führte ein rastloses Leben. Unzählige Orte und Stationen säumten seinen Weg, darunter Erziehungsheime, Gefängnisse und psychiatrische Kliniken. Friedrich Glauser lebte in Frankreich, Belgien und Italien, war lange Zeit morphiumsüchtig, verbrachte einige Jahre in der Fremdenlegion und nahm teil an der Dadaismus-Bewegung in Zürich. Er starb 1938 in Nervi bei Genua.

Julian Schütt, geboren 1964 in Zürich, ist Kulturjournalist und freier Autor. Er war Kulturchef der Weltwoche und Redaktionsmitglied der Kulturzeitschrift Du. Zudem hat er sich als Restaurantkritiker einen Namen gemacht.
Rezensionen
"Glausers Romane sind sozialkritisch: Sein Mitgefühl für die Stiefkinder der Gesellschaft bricht immer wieder durch."
(Südwestfunk)

"Auf Mörderjagd in Marokko raucht Studer Kif, und die Haschischmusik klingt ihm, als werde der Berner Marsch von himmlischen Heerscharen gespielt. Darüber geht ihm nichts, und um sein höchstes Wohlgefühl auszudrücken, ist schon sein stärkster Superlativ nötig: Suber! sagt er. Cheibe suber isch es gsy!"
(Süddeutsche Zeitung)

"Friedrich Glauser mit seinem abenteuerlich umgetriebenen Leben und seiner Fähigkeit, es spontan in Sprache umzusetzen, mit seiner Unmittelbarkeit, seiner leidend und leidenschaftlich durchlebten Erfahrung ist tatsächlich eine Entdeckung."
(Bayerischer Rundfunk)

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.02.1996

Nur nicht drängen
Friedrich Glauser und sein geduldiger Wachtmeister Studer Von Lorenz Jäger

"Morgen . . . morgen werde ich heiraten", heißt es einmal in einer Erzählung Friedrich Glausers. Diesem Satz gibt Wachtmeister Studer, Glausers berühmter Detektiv, ein ebenbürtiger Zeitgenosse von Marlow und Maigret, die subtilsten, immer neuen Auslegungen. Je weiter die Untersuchung der Mordfälle fortschreitet, um so mehr enthüllt sich das Verwandtschaftssystem als Hintergrund der Tat, als eine Krake, die das ganze Geschehen umschlingt. Wo immer Studers Weg hinführt, ob in eine ländliche Baumschule ("Schlumpf Erwin Mord"), zur nordafrikanischen Fremdenlegion ("Die Fieberkurve") oder in eine schweizerische Irrenanstalt ("Matto regiert") - stets trifft er nicht nur auf eine der Institutionen, die Glausers gebrochene Lebenslinie bestimmten, sondern zugleich auf die verzweigtesten, bei der ersten Lektüre kaum zu durchdringenden Familienverhältnisse. Zwei Schwestern, nacheinander mit dem gleichen, inzwischen verschollenen Mann verheiratet, werden tot aufgefunden; Studer trifft zufällig die Tochter der einen und verbündet sich mit ihr auf der Suche nach dem ebenfalls verschwundenen Bruder ihres Vaters - das ist die Konstellation der "Fieberkurve". Am Ende des Romans ist das junge "Meitschi" mit dem Kommandeur eines Außenpostens der Fremdenlegion verlobt. "Wachtmeister Studer als Heiratsvermittler!" - das sind Worte, mit denen Studer in dem Roman "Schlumpf Erwin Mord" sich selbst ironisiert. Ein wahres Dickicht von Verwandten und Verschwägerten, zu dem Anstaltsinsassen, Pfleger und Ärzte verwachsen sind, bildet das Personal von "Matto regiert".

Genreszenen von Müttern, die ihre Kinder stillen oder in den Schlaf singen, hat Glauser gern benutzt, um die Familie als Ort einer Geborgenheit zu beschwören, die er selbst früh entbehren mußte - seine Mutter starb, als er vier Jahre alt war -, wie andererseits die eigentliche Katastrophe im Innern der Familie ihren Ausgang nimmt und hier ein bankrotter Vater, dort ein betrügerischer Onkel die Angehörigen ins Verhängnis hineinzureißen versucht. Sherlock Holmes, ein ausschließlich an wissenschaftlicher Rationalität orientierter Junggeselle, käme hier so wenig weiter wie der zölibatäre Pater Brown - in dieser Welt ist ein anderer Intellekt zuständig; keine "aristocrats of crime" gilt es zu fangen, keine grellen Schurken, sondern durchschnittliche Bürger. Ja nicht einmal zu fangen braucht man sie immer; der Fall kann offenbleiben, mancher Täter begeht Selbstmord oder verschwindet einfach. Sogar der Ermittler muß sich am Ende fragen lassen, ob er nicht durch seine Untersuchungsmethoden Mitschuld auf sich geladen hat. Ginge alles nach der Schnur der Legalität, dann gäbe es keinen Detektivroman.

Der Wachtmeister Studer ist nicht mehr jung, eine kraftvoll-massige Erscheinung. Er ist verheiratet und hat eine Tochter, zu Beginn der "Fieberkurve" wird er Großvater. Das Beruhigende, Vertrauenerweckende seiner Erscheinung verbindet sich mit einer großen Liebe zu Stimulanzien aller Art: ohne Zigarillo und Kaffee mit Kirsch geht bei ihm nichts, Schlafmittel und Bewußtseinsgifte kennt er nicht nur als Kriminalist, und wahrscheinlich ist er der einzige Detektiv der Literaturgeschichte, der in Marokko gekifft hat (als man ihn später fragt, sagt er nur: "Suber! . . . suber isch es gsy"). Glauser, der zeitlebens mit der Morphiumsucht zu kämpfen hatte, gelang in dieser Figur der Kompromiß von Bürger und Bohemien, die Versöhnung der Züge des Patriarchen mit denen des rebellischen Sohnes. Studer kann alles wiedergutmachen, weil er selbst die Integration der zerrissenen Familienteile verkörpert.

Im Polizeiapparat gilt Studer als Spinner mit "allzuviel Phantasie". Wenn er nicht schlaflos grübelt, dann ahnt er die Atmosphäre eines Falles - "Ich brauche weniger die Tatsachen als die Luft, in der die Leute geatmet haben", sagt er einmal -, oder er läßt vor seinem inneren Auge Bilder und Vorstellungen erscheinen. Manches sieht er voraus; einmal weiß er intuitiv den Namen einer Frau aus ihrem Habitus zu erschließen. Studers Rationalität ist alles andere als zielgerichtet und methodisch; die Beimischung von Irrationalem ist hier theoretisch so stark, wie sie es in Glausers Lebensführung praktisch war. In Studer, dem schweren Endfünfziger, steckt noch der Dada-Poet, als der Glauser im Kreis von Hugo Ball begonnen hatte. Daß er warten kann, macht seine Stärke aus: "Nicht drängen! Es kommt alles von selbst, wenn man genügend Geduld hat . . ." Seine Beweisführungen haben eine halluzinatorische Logik und lassen an die Jungschen Assoziationsexperimente denken, denen sich Glauser in der Anstalt Burghölzli 1920 zu unterziehen hatte. Studer ist der erste postfreudianische Detektiv.

Die Kehrseite solch lockerer Fügung bildet die oft bemerkte Dürftigkeit der Romankonstruktion, des Plots. Während der Leser von Wilkie Collins oder Perutz sein Vergnügen an dem mechanischen Fortgang der Geschichte finden kann, an der Virtuosität, mit der diese Autoren das technische Problem absoluter Konsequenz zu lösen verstehen, geht bei Glauser der Plot über einer diffusen, sich schnell verbreitenden Schuld verloren. Er selbst hat einmal gestanden, daß ihm die Lösung der Fälle erst in einem späteren Stadium der Arbeit klargeworden sei. Es hätte auch ein anderer sein können - das ist die skeptische Einsicht des Wachtmeisters Studer.

Glauser, ein sprachlich ungemein bewußter Autor, läßt im Berndeutsch seines Helden das eigensinnige Freiheitsgefühl seiner Schweizer Heimat aufleben; wenn Studer ins "Schriftdeutsch" wechselt, wird es ungemütlich und formell. Glausers Vater war Sprachlehrer, und so furchtbar der Kampf gegen ihn gewesen sein muß, der seinen Sohn lebenslänglich internieren lassen wollte, so sehr wird die Vorstellung, ihn auf seinem eigensten Gebiet an Kreativität zu übertreffen, Glauser beflügelt haben. Auch in seiner Lektüre täuschte er sich selten über Qualitäten. Er bewunderte Jeremias Gotthelf und Robert Louis Stevenson, die ihm als Erzähler nahestanden, aber auch mit einem Einfluß Prousts auf sein Werk hat er gern und so oft kokettiert, daß man sich fragen muß, welche sachlichen Gründe hier vorliegen können. Die Antwort führt weg vom eigentlich kriminalistischen Räsonnement. Studer dringt bei seinen Ermittlungen in das Geheimnis der Zeit, genauer: in das Geheimnis eines Tages ein. Die Feststellung einer genauen Chronologie am Tag der Tat ist seine erste Aufgabe; auch Kapitelüberschriften wie "Ein Morgen im Posten Gurama", "Ein Mittagessen", "Sonntägliches Schattenspiel" oder "Sieben Minuten" geben die Richtung an. Glauser, der in einem frühen Brief seine "Angst vor dem kommenden Tag" beschrieben hatte, läßt die Natur nur da zu Wort kommen, wo sie sich zur Charakterisierung eines Tages eignet: Morgensonne, Dämmerung, Zwielicht, Nacht und Wetterumschlag werden mit Vorliebe geschildert.

"Schauen Sie das Datum an", rät der Psychoanalytiker Laduner in "Matto regiert", denn die Geschichte des entflohenen Kindermörders Pieterlen folgt einer eindeutigen Rhythmik: "Es dreht sich alles um den 2. September. Merkwürdig. Am 2. September stirbt Pieterlens Kind, im nächsten Jahr wird Pieterlen am 2. September wegen Mordes zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt." An einem 2. September wird er in die Irrenanstalt aufgenommen, wieder an einem 2. September entflieht er. Wie das Geschehen der Romane sich auf wenige Tage bündelt, so muß Studer, einer eigentümlichen Nötigung folgend, immer wieder über den Tag nachgrübeln. Im Fieber, halb delirierend, fragt er in "Schlumpf Erwin Mord" seinen Arzt: "Wann endet eigentlich der Abend, und wann beginnt die Nacht? . . . Können Sie mir das definieren, Herr Doktor?" Die Geheimnisse der Lebenszeit hat Glauser seit dem frühen Tod seiner Mutter zu ergründen versucht; seinem Psychoanalytiker schrieb er einmal: "Ich glaube (. . .) sehr stark an einen zehnjährigen Rhythmus in meinem Leben (bitte nicht lachen!)." So gehört zur Rationalität Studers auch der zuweilen mürrisch eingestandene Aberglaube.

Den Freunden des Wachtmeisters wird die neue, editorisch und buchgestalterisch mustergültige Ausgabe willkommen sein, die der Limmat Verlag jetzt zu Glausers hundertstem Geburtstag am morgigen Sonntag herausgebracht hat. Fünf Studer-Romane hat Glauser geschrieben, vier weitere plante er, als er Ende Mai 1938 mit der langjährigen Lebensgefährtin Berthe Bendel nach Italien ging und sich in Nervi bei Genua niederließ. Berthe, eine Frau, deren Stetigkeit für Glauser viel bedeutet haben muß, war eine gebürtige Österreicherin; für die Eheschließung verlangte die Schweiz damals einen "Ariernachweis". In Italien hoffte das Paar mit weniger Papierkrieg heiraten zu können; am 7. Dezember schließlich sollte die Hochzeit stattfinden. Am Vorabend brach Glauser zusammen, am 8. Dezember starb er.

Friedrich Glauser: "Schlumpf Erwin Mord". Wachtmeister Studer. Roman. Hrsg. und mit einem Nachwort von Walter Obschlager. Limmat Verlag, Zürich 1995. 246 S., Abb., geb., 39,-DM.

"Matto regiert". Roman. Hrsg. und mit einem Nachwort von Bernhard Echte. 306 S., Abb., geb., 42,- DM.

"Die Fieberkurve". Wachtmeister Studers neuer Fall. Roman. Hrsg. und mit einem Nachwort von Julian Schütt. 248 S., Abb., geb., 39,- DM.

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