Der Oger (Menschenverschlinger) ist eine der großen Figuren der afrikanischen Erzählkulturen. Trotz der Bedeutung dieser Gestalt fehlte es bisher an systematischen Analysen und Interpretationen. Auf der Grundlage der spezifischen Erzählkultur der Pokomo in Kenia hat der Autor diese Lücke in seiner Monographie erstmals geschlossen. Grundlage der Arbeit ist ein Korpus von 25 Märchen, die in der Mehrzahl während einer mehrmonatigen Feldforschung auf Tonband aufgezeichnet wurden. Im Werk werden sie in ihrer originalsprachlichen Fassung zusammen mit einer deutschen Übersetzung vorgelegt, wobei die Transkription des Pokomo- Textes auch Angaben zum Vortrag selbst, wie beispielsweise Sprechmelodie, Sprechgeschwindigkeit und Expressivität, enthält. Eine dem Dokumentarteil (Teilband 2) vorangestellte grammatische Skizze verdeutlicht die Grundstruktur dieser wenig erforschten Bantusprache. Im Mittelpunkt des Werkes steht die Symbolanalyse des Ogers im Kontext der Pokomo-Kultur. Dementsprechend ist den eigentlichen Analysen eine ethnographische Einführung zu den Pokomo vorangestellt. Trotz der Hervorhebung der Verschlingerfigur werden auch deren Gegenspieler, d.h. die Menschen, die die eigentlichen Helden der Geschichten sind, mit analysiert. Die thematisch relevanten Aussagen der kulturinternen Informanten werden in der Darstellung von denen des kulturfremden Forschers systematisch streng getrennt. Ausführliche methodologische Diskussionen, zu denen auch ein Werkstattbericht über die konkrete Feldforschungssituation gehört, schließen die Figurenanalyse an den afrikanistischen und ethnologischen Forschungszusammenhang an. Teil der Arbeit ist ferner eine stilistisch-rhetorische Analyse der oralen Darbietungsmittel. Trotz ihrer monographischen Ausrichtung eignet sich die Abhandlung hervorragend für die komparatistische Arbeit. REZENSIONEN: „Eine außergewöhnliche Arbeit, die vor allem durch die umfassende Dokumentation und die Kontextdaten der afrikanistischen Textforschung noch lange als Basis dienen kann. Thomas Geiders Arbeit wendet sich nicht nur an den regional oder speziell an oraler Literatur in Afrika Interessierten, sondern empfiehlt sich auch allen, die eine eigene Feldforschung vorbereiten oder an die Bearbeitung eines Textkorpus denken.“ (Werner Graebner in „Tribus“ 40/1991, S. 222f.) „Der Titel dieser Arbeit klingt allzu bescheiden. Denn was in den 774 eng beschriebenen Seiten geboten wird, ist nicht allein eine Darstellung der Oger-Gestalt einer kleinen Volksgruppe in Ostafrika, sondern eine grundlegende Studie für die afrikanische Erzählforschung schlechthin. Das Ziel des Autors ist es, über die bis jetzt bestehenden, einseitigen Untersuchungen der verschiedenen Forschungsrichtungen hinauszukommen und vor allem die konventionelle Kluft zwischen Afrikanistik (Sprachwissenschaft) und Ethnologie (Kulturwissenschaft) zu überbrücken. [.] Der Autor selbst folgt seinen Forderungen und bearbeitet sein Thema von einer Vielzahl von Gesichtspunkten der modernen Ethnologie, Erzählforschung und Linguistik.“ (Sigrid Schmidt in „Fabula“ 32, Heft 4/1991, S. 310-312) „[The book] is a monumental work in two senses. First, it is massive in its scope and in its treatment of the ogre motif in relation to the traditional literature and ‘cultural space’ of the Pokomo. Second, despite the highly specialized ring of the title, it is an interdisciplinary work with a strong anthropologigal thrust. Geider’s work should therefore attract readers with a wide and varied range of interests. [.] Longstanding theoretical and methodological problems are critically reviewed in an attempt to formulate more appropriate perspectives on the problems under consideration: researchers’ outlooks on the people and cultures they study, research procedures and practices, data collection, sampling, transcription, translation, and subsequent analysis.“ (Said A.M. Khamis in „Research in African Literatures“ 23, 3/1992, S. 128f.)