Produktdetails
- List Taschenbücher
- Verlag: List TB.
- Seitenzahl: 263
- Abmessung: 18mm x 125mm x 187mm
- Gewicht: 200g
- ISBN-13: 9783612650238
- ISBN-10: 3612650238
- Artikelnr.: 25195996
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.01.1995Vor allem Kleinbürgerhaß
Eine ostjüdische Familienchronik von H. W. Katz: "Die Fischmanns"
Im Februar 1934 saß in einer ungeheizten Dachkammer in Lyon ein achtundzwanzig Jahre alter jüdischer Emigrant aus Deutschland und begann seinen ersten Roman. Drei Jahre später schrieb der "Schutzverband Deutscher Schriftsteller", Heimstatt der Emigranten in Paris, einen Heinrich-Heine-Preis aus. Von den achtzig eingesandten Manuskripten wurde "Die Fischmanns" von H. W. Katz gewählt, der in Lyon entstandene Roman.
Das Buch erschien 1938 im Exilverlag Allert de Lange in Amsterdam, seine Fortsetzung - "Schloßgasse 21" - konnte 1940 nur in englischer Übersetzung in New York erscheinen. Nach Deutschland kamen diese Bücher erst 1985 und 1986 in einer Taschenbuchreihe ("Verboten und verbrannt / Exil" bei S. Fischer), fanden damals aber nur wenig Beachtung. Ihr Verfasser wurde 1906 als Herz Wolff Katz in der galizischen Kleinstadt Rudky geboren, nahm im amerikanischen Exil die Vornamen Henry William an und starb 1992 in Florida, in Deutschland zu Unrecht gänzlich vergessen. Jetzt erscheinen seine beiden Bücher erstmals in gebundenen Ausgaben. Der zweiteilige Roman erzählt auf 850 Seiten die Familiengeschichte der Fischmanns zwischen 1906 und 1933, und was vom Schicksal einer ostjüdischen Familie zu handeln scheint, erweist sich, recht besehen, als eine sehr deutsche Chronik.
Jossel Fischmann, groß geworden im "Schtetl", tagaus, tagein antisemitischen Provokationen und Demütigungen ausgesetzt, versucht in Amerika eine neue Existenz aufzubauen, um dann seine Frau und seine beiden Söhne nachkommen zu lassen, denn die alte galizische Heimat bietet Juden kaum Aufstiegsmöglichkeiten. Doch ehe es soweit ist, bricht der Erste Weltkrieg aus. Jossel, in Angst um seine Familie, kehrt nach Europa zurück, wird zunächst als Spion verhaftet, dann in die Uniform der österreichischen Armee gesteckt, und es dauert lange, bis er Frau und Kinder in einer sächsischen Kleinstadt wiederfindet.
Dort bauen sie sich in der Schloßgasse 21 eine bescheidene Existenz auf und finden ein wenig Geborgenheit in der ostjüdischen Gemeinde, zu der die deutschen Juden strenge Distanz halten. In einfachen, doch sehr einprägsamen Bildern und Episoden erzählt Katz, wie das Elend der Nachkriegszeit die Einwanderer aus Galizien trifft. Zuerst kommt die Inflation, dann kommt es zu vorübergehender wirtschaftlicher Konsolidierung, bis dann Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit ein Volk radikalisieren, das eine Demokratie nie gewollt hat und von Sehnsucht nach einer starken Hand erfüllt ist. Nationale Demütigung artikuliert sich in überhitztem Nationalismus, der in "dem Juden" den willkommenen Sündenbock entdeckt. Am Ende sind es die sich unversöhnlich begegnenden politischen Gesinnungen, die eine bislang friedliche Hausgemeinschaft in der Schloßgasse 21 zerstören.
Zwischen allen steht der kleine Jossel Fischmann, der mit einem dürftigen Textilgeschäft die Seinen ernährt und nicht verstehen kann, warum Nachbarn bereit sind, einander umzubringen. Bis im Januar 1933 Hitlers Schreckensherrschaft beginnt und am 1. April, dem Tag des "Judenboykotts", Nachbarn mit dem Hakenkreuz am Anzug vor Jossels Laden Posten beziehen.
In diesem Roman stehen idyllisches Kleinbürgerglück und bestialischer Kleinbürgerhaß ganz unmittelbar nebeneinander. In unkompliziertem, doch niemals simplem Erzählstil beschreibt H. W. Katz einfache Schicksale, Durchschnittsmenschen, kleine Leute und zeichnet deren Entwicklung nach. Einige Studienräte machen Karriere als Nazis, andere wiederum werden Opfer ihrer Kollegen. Die von ihnen unterrichteten Kinder dürfen und müssen sich entscheiden, ob sie sich zu den Tätern oder Opfern rechnen. Und dazwischen stehen die Fischmanns, die Ostjuden, angefeindet von ihren deutschen Glaubensgenossen, aber anders als jene staatenlos und meist ohne Paß. Dabei waren sie nach Deutschland gekommen, weil es hier doch Recht und Ordnung für alle geben sollte und ein Leben ohne Angst vor den Pogromen.
Lion Feuchtwanger hat von dieser Familiensaga gesagt: "Katz sieht die Dinge poetisch. Bei allen Irritationen ist das Leben für ihn ein farbiges Märchen, das an seinen besten Stellen an die Könnerschaft und Weisheit von Christian Andersen erinnert." Der Verlag hat dieses Zeugnis als ein literarisches Gütesiegel auf den Schutzumschlag gedruckt, dabei kann kein Urteil verkehrter sein. Auf keiner Seite ist dieses Buch "ein farbiges Märchen", sondern trotz seines Humors eine eher bedrückende Chronik. Mit Andersens künstlicher Naivität hat dieser nicht nur im Umfang große Roman überhaupt nichts gemein. ECKART KLESSMANN
H. W. Katz: "Die Fischmanns". Roman. Quadriga Verlag, Weinheim und Berlin 1994. 264 S., geb., 36,- DM.
"Schloßgasse 21". Roman. Quadriga Verlag, Weinheim und Berlin 1994. 588 S., geb., 49,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine ostjüdische Familienchronik von H. W. Katz: "Die Fischmanns"
Im Februar 1934 saß in einer ungeheizten Dachkammer in Lyon ein achtundzwanzig Jahre alter jüdischer Emigrant aus Deutschland und begann seinen ersten Roman. Drei Jahre später schrieb der "Schutzverband Deutscher Schriftsteller", Heimstatt der Emigranten in Paris, einen Heinrich-Heine-Preis aus. Von den achtzig eingesandten Manuskripten wurde "Die Fischmanns" von H. W. Katz gewählt, der in Lyon entstandene Roman.
Das Buch erschien 1938 im Exilverlag Allert de Lange in Amsterdam, seine Fortsetzung - "Schloßgasse 21" - konnte 1940 nur in englischer Übersetzung in New York erscheinen. Nach Deutschland kamen diese Bücher erst 1985 und 1986 in einer Taschenbuchreihe ("Verboten und verbrannt / Exil" bei S. Fischer), fanden damals aber nur wenig Beachtung. Ihr Verfasser wurde 1906 als Herz Wolff Katz in der galizischen Kleinstadt Rudky geboren, nahm im amerikanischen Exil die Vornamen Henry William an und starb 1992 in Florida, in Deutschland zu Unrecht gänzlich vergessen. Jetzt erscheinen seine beiden Bücher erstmals in gebundenen Ausgaben. Der zweiteilige Roman erzählt auf 850 Seiten die Familiengeschichte der Fischmanns zwischen 1906 und 1933, und was vom Schicksal einer ostjüdischen Familie zu handeln scheint, erweist sich, recht besehen, als eine sehr deutsche Chronik.
Jossel Fischmann, groß geworden im "Schtetl", tagaus, tagein antisemitischen Provokationen und Demütigungen ausgesetzt, versucht in Amerika eine neue Existenz aufzubauen, um dann seine Frau und seine beiden Söhne nachkommen zu lassen, denn die alte galizische Heimat bietet Juden kaum Aufstiegsmöglichkeiten. Doch ehe es soweit ist, bricht der Erste Weltkrieg aus. Jossel, in Angst um seine Familie, kehrt nach Europa zurück, wird zunächst als Spion verhaftet, dann in die Uniform der österreichischen Armee gesteckt, und es dauert lange, bis er Frau und Kinder in einer sächsischen Kleinstadt wiederfindet.
Dort bauen sie sich in der Schloßgasse 21 eine bescheidene Existenz auf und finden ein wenig Geborgenheit in der ostjüdischen Gemeinde, zu der die deutschen Juden strenge Distanz halten. In einfachen, doch sehr einprägsamen Bildern und Episoden erzählt Katz, wie das Elend der Nachkriegszeit die Einwanderer aus Galizien trifft. Zuerst kommt die Inflation, dann kommt es zu vorübergehender wirtschaftlicher Konsolidierung, bis dann Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit ein Volk radikalisieren, das eine Demokratie nie gewollt hat und von Sehnsucht nach einer starken Hand erfüllt ist. Nationale Demütigung artikuliert sich in überhitztem Nationalismus, der in "dem Juden" den willkommenen Sündenbock entdeckt. Am Ende sind es die sich unversöhnlich begegnenden politischen Gesinnungen, die eine bislang friedliche Hausgemeinschaft in der Schloßgasse 21 zerstören.
Zwischen allen steht der kleine Jossel Fischmann, der mit einem dürftigen Textilgeschäft die Seinen ernährt und nicht verstehen kann, warum Nachbarn bereit sind, einander umzubringen. Bis im Januar 1933 Hitlers Schreckensherrschaft beginnt und am 1. April, dem Tag des "Judenboykotts", Nachbarn mit dem Hakenkreuz am Anzug vor Jossels Laden Posten beziehen.
In diesem Roman stehen idyllisches Kleinbürgerglück und bestialischer Kleinbürgerhaß ganz unmittelbar nebeneinander. In unkompliziertem, doch niemals simplem Erzählstil beschreibt H. W. Katz einfache Schicksale, Durchschnittsmenschen, kleine Leute und zeichnet deren Entwicklung nach. Einige Studienräte machen Karriere als Nazis, andere wiederum werden Opfer ihrer Kollegen. Die von ihnen unterrichteten Kinder dürfen und müssen sich entscheiden, ob sie sich zu den Tätern oder Opfern rechnen. Und dazwischen stehen die Fischmanns, die Ostjuden, angefeindet von ihren deutschen Glaubensgenossen, aber anders als jene staatenlos und meist ohne Paß. Dabei waren sie nach Deutschland gekommen, weil es hier doch Recht und Ordnung für alle geben sollte und ein Leben ohne Angst vor den Pogromen.
Lion Feuchtwanger hat von dieser Familiensaga gesagt: "Katz sieht die Dinge poetisch. Bei allen Irritationen ist das Leben für ihn ein farbiges Märchen, das an seinen besten Stellen an die Könnerschaft und Weisheit von Christian Andersen erinnert." Der Verlag hat dieses Zeugnis als ein literarisches Gütesiegel auf den Schutzumschlag gedruckt, dabei kann kein Urteil verkehrter sein. Auf keiner Seite ist dieses Buch "ein farbiges Märchen", sondern trotz seines Humors eine eher bedrückende Chronik. Mit Andersens künstlicher Naivität hat dieser nicht nur im Umfang große Roman überhaupt nichts gemein. ECKART KLESSMANN
H. W. Katz: "Die Fischmanns". Roman. Quadriga Verlag, Weinheim und Berlin 1994. 264 S., geb., 36,- DM.
"Schloßgasse 21". Roman. Quadriga Verlag, Weinheim und Berlin 1994. 588 S., geb., 49,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main