Leonard Cohens Vermächtnis. »Die Flamme« ist Leonard Cohens sprachmächtiger Abgesang, eine Abschiedsrede, bestehend aus Songtexten, Gedichten, Notizbucheinträgen und Illustrationen.
2016 starb im Alter von 82 Jahren der große Sänger und Dichter Leonard Cohen - und »die Welt wurde dunkler«, wie es in einem der unzähligen Nachrufe hieß. Mit Songs wie »Hallelujah« oder »Suzanne« wurde er in den späten 1960ern weltberühmt. In seinen letzten Lebensjahren wuchs seine Popularität noch einmal. Bis kurz vor seinem Tod arbeitete er an diesem Buch, seinem literarischen Vermächtnis. Wenige Wochen vor seinem Tod, gab Leonard Cohen dem New Yorker ein Interview, in dem er sagte, er sei bereit zu sterben. Er brauche nur unbedingt noch genug Zeit, um sein allerletztes Buch fertigzustellen. Glücklicherweise wurde er erhört.
Entstanden ist eine Kartographie seines einzigartigen Lebensweges. Neben noch unbekannten Gedichten und Zeichnungen finden sich in diesem Buch zum ersten Malausgewählte Notizbucheinträge Cohens, die dem Leser das Innenleben dieses Ausnahmekünstlers erstaunlich nahe bringen.
2016 starb im Alter von 82 Jahren der große Sänger und Dichter Leonard Cohen - und »die Welt wurde dunkler«, wie es in einem der unzähligen Nachrufe hieß. Mit Songs wie »Hallelujah« oder »Suzanne« wurde er in den späten 1960ern weltberühmt. In seinen letzten Lebensjahren wuchs seine Popularität noch einmal. Bis kurz vor seinem Tod arbeitete er an diesem Buch, seinem literarischen Vermächtnis. Wenige Wochen vor seinem Tod, gab Leonard Cohen dem New Yorker ein Interview, in dem er sagte, er sei bereit zu sterben. Er brauche nur unbedingt noch genug Zeit, um sein allerletztes Buch fertigzustellen. Glücklicherweise wurde er erhört.
Entstanden ist eine Kartographie seines einzigartigen Lebensweges. Neben noch unbekannten Gedichten und Zeichnungen finden sich in diesem Buch zum ersten Malausgewählte Notizbucheinträge Cohens, die dem Leser das Innenleben dieses Ausnahmekünstlers erstaunlich nahe bringen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.11.2018So nah am Feuer
Heimgekehrt: "Die Flamme" versammelt Leonard Cohens lyrisches Vermächtnis.
Von Rose-Maria Gropp
Als Leonard Cohen vor zwei Jahren verstarb, war nicht einfach ein Sänger mit 82 Jahren gegangen, es war der Godfather of Song, der seine Gemeinde verließ, die er über Jahrzehnte begleitet hatte. Und bei der er, überall auf der Welt, weiterleben wird. Weil der Mann alle Himmel aufgerissen hat, während er alle Höllen kannte - und das Fegefeuer und den Garten der Lüste auf Erden durchstreifte. Es ist Cohens Domäne, das Begehren und den Frauendienst auf unerhörte Weise vereint zu haben mit dem Verlangen nach einem Gott in mannigfacher Gestalt. Das hat ihn zum "Ladies' Man" gemacht wie zum Gottsucher, im Zeichen des ständigen Schillerns zwischen Anwesenheit und Entzug.
Dieser Zauber ist in dem Buch bewahrt, das jetzt weltweit als Testament des kanadischen Poeten erschienen ist - das uralte Lieblingsspiel im immer neuen Gewand aus Worten; "New Skin for the Old Ceremony" hieß schon 1974 ein Album von Cohen. Der Titel dieses Vermächtnisses heißt "Die Flamme / The Flame", ein wunderschön gemachter Band, ganz in Schwarz mit Schnittkanten in brennendem Orangerot. Er enthält, so leitet Cohens Sohn Adam das Vorwort ein, "die letzten Arbeiten meines Vaters als Dichter". Dieses Buch war das, "wofür er versuchte, am Leben zu bleiben, am Schluss der einzige Grund für ihn weiterzuatmen". Er selbst hat noch die Anordnung seines Nachlasses in Lyrik und Prosa bestimmt. Da sind unbekannte Gedichte und Gedankensplitter, wann sie entstanden sind, ist oftmals nicht bekannt; es ging Cohen nicht um eine Chronologie, es ging um die intensive Erfahrung des Moments im Fluss der Zeit. Da sind Songtexte, dabei auch die Lieder seines letzten Albums "You Want It Darker", das im Monat vor seinem Tod erschien. Da sind Aufzeichnungen, die er über die Jahre hin für sich machte. Adam Cohen berichtet, an welch absurden Orten, bis hin zum Kühlschrank, sein Vater seine Notizzettel und Notizbücher aufbewahrte. Dazwischen eingestreut sind viele Zeichnungen und Porträts, graffitihaft und meist mit etwas Schrift daneben, die Selbstbildnisse an der Grenze zur Karikatur, Gesichter eines vom Leben gezeichneten Mannes.
"Das Schreiben war sein Lebenszweck. Das war das Feuer, das er hegte, die bedeutendste Flamme, die er schürte. Sie ist niemals erloschen", heißt es im Vorwort. Erst Leonard Cohens grandioses würdiges Abschiednehmen lautet "You want it darker / We kill the flame". Dieses "you" zielt auf den großen Anderen, den er von allem Anfang an in seinen Liedern und Gedichten gemeint hat. "Now the flames they followed Joan of Arc": So hat er ihn der heilig lodernden Jungfrau in ihrem Panzer 1971 auf dem Album "Songs of Love and Hate" aus dem Feuer heraus zusprechen lassen. "The blaze of light in every word" brennt in seinem "Hallelujah". Als er 2011 den "Prinz-von-Asturien-Preis" erhält, sagt er in seiner Dankesrede, die im Buch abgedruckt ist: "Lyrik entsteht an einem Ort, den niemand beherrscht und niemand erobert. Anders gesagt: Wenn ich wüsste, woher die guten Songs kommen, würde ich mich häufiger dorthin begeben." Jedenfalls immer dort, wo es heiß wird, manchmal zu heiß, erscheint Cohens Flamme; er ist ein Dichter, und genau das will er sein.
Für die zweisprachige Ausgabe von "The Flame" besorgten zwölf deutsche Schriftstellerinnen und Schriftsteller die Übersetzungen. Da kommen sehr verschiedene, eigene Stimmen zusammen. Nicht jede Stelle im Konvolut dieser Passagen kann in der deutschen Übertragung glänzen, wie freilich auch nicht jedes von Cohens Bruchstücken gefeilt ist. Wie also liest man ein solches literarisches Testament? Nicht, indem man all die Seiten durchkämmt. Indem man sich vielmehr treiben lässt, innehält, an einer anderen Stelle Halt findet. Wie an einem ganz kleinen Poem, dessen Datum unbekannt ist; es heißt "What I do": "It's not that I like / to live in a hotel / in a place like India / and write about G-d / and run after women / It seems to be / what I do." Eine melancholische Selbsterkenntnis, die den Namen des Herrn - "G-d" - nicht aufzuschreiben wagt. Nora Bossong hat den Vers ins Deutsche übertragen, mit der harten Knappheit, der ihm innewohnt, zugleich den Rhythmus bewahrend für dieses "Was ich tue": "Nicht, dass es mir gefällt / in einem Hotel zu leben / an einem Ort wie Indien / und über G-tt zu schreiben / und Frauen nachzulaufen / Es scheint nur das zu sein / was ich tue."
Im Buch steht auch der E-Mail-Wechsel von September bis November 2016 zwischen dem emeritierten Berkley-Professor Peter Dale Scott, der einst sein Tutor an der Universität in Kanada war, und Cohen. Es endet mit einer letzten Nachricht Cohens an Scott, datiert auf den 16. November. Was eigentlich gar nicht sein kann, weil Cohen am 7. November gestorben ist; dennoch, hier: "Selig sind, die Frieden stiften: denn sie werden Gottes Kinder heißen." Es ist nicht das einzige Geheimnis, dass er hinterlässt. Davor, am 4. Oktober, schreibt er: "That was great fun. Be well, dear friends. Much love, Eliezer." Einer ist heimgekehrt, dorthin wo Hilfe ist. Uns hat Leonard Cohen so viel hinterlassen, dieses letzte Brevier nehmen wir dankbar an.
Leonard Cohen: "Die Flamme / The Flame".
Aus dem amerikanischen Englisch von Nora Bossong und anderen.
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2018. 352 S., Abb., geb., 30,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Heimgekehrt: "Die Flamme" versammelt Leonard Cohens lyrisches Vermächtnis.
Von Rose-Maria Gropp
Als Leonard Cohen vor zwei Jahren verstarb, war nicht einfach ein Sänger mit 82 Jahren gegangen, es war der Godfather of Song, der seine Gemeinde verließ, die er über Jahrzehnte begleitet hatte. Und bei der er, überall auf der Welt, weiterleben wird. Weil der Mann alle Himmel aufgerissen hat, während er alle Höllen kannte - und das Fegefeuer und den Garten der Lüste auf Erden durchstreifte. Es ist Cohens Domäne, das Begehren und den Frauendienst auf unerhörte Weise vereint zu haben mit dem Verlangen nach einem Gott in mannigfacher Gestalt. Das hat ihn zum "Ladies' Man" gemacht wie zum Gottsucher, im Zeichen des ständigen Schillerns zwischen Anwesenheit und Entzug.
Dieser Zauber ist in dem Buch bewahrt, das jetzt weltweit als Testament des kanadischen Poeten erschienen ist - das uralte Lieblingsspiel im immer neuen Gewand aus Worten; "New Skin for the Old Ceremony" hieß schon 1974 ein Album von Cohen. Der Titel dieses Vermächtnisses heißt "Die Flamme / The Flame", ein wunderschön gemachter Band, ganz in Schwarz mit Schnittkanten in brennendem Orangerot. Er enthält, so leitet Cohens Sohn Adam das Vorwort ein, "die letzten Arbeiten meines Vaters als Dichter". Dieses Buch war das, "wofür er versuchte, am Leben zu bleiben, am Schluss der einzige Grund für ihn weiterzuatmen". Er selbst hat noch die Anordnung seines Nachlasses in Lyrik und Prosa bestimmt. Da sind unbekannte Gedichte und Gedankensplitter, wann sie entstanden sind, ist oftmals nicht bekannt; es ging Cohen nicht um eine Chronologie, es ging um die intensive Erfahrung des Moments im Fluss der Zeit. Da sind Songtexte, dabei auch die Lieder seines letzten Albums "You Want It Darker", das im Monat vor seinem Tod erschien. Da sind Aufzeichnungen, die er über die Jahre hin für sich machte. Adam Cohen berichtet, an welch absurden Orten, bis hin zum Kühlschrank, sein Vater seine Notizzettel und Notizbücher aufbewahrte. Dazwischen eingestreut sind viele Zeichnungen und Porträts, graffitihaft und meist mit etwas Schrift daneben, die Selbstbildnisse an der Grenze zur Karikatur, Gesichter eines vom Leben gezeichneten Mannes.
"Das Schreiben war sein Lebenszweck. Das war das Feuer, das er hegte, die bedeutendste Flamme, die er schürte. Sie ist niemals erloschen", heißt es im Vorwort. Erst Leonard Cohens grandioses würdiges Abschiednehmen lautet "You want it darker / We kill the flame". Dieses "you" zielt auf den großen Anderen, den er von allem Anfang an in seinen Liedern und Gedichten gemeint hat. "Now the flames they followed Joan of Arc": So hat er ihn der heilig lodernden Jungfrau in ihrem Panzer 1971 auf dem Album "Songs of Love and Hate" aus dem Feuer heraus zusprechen lassen. "The blaze of light in every word" brennt in seinem "Hallelujah". Als er 2011 den "Prinz-von-Asturien-Preis" erhält, sagt er in seiner Dankesrede, die im Buch abgedruckt ist: "Lyrik entsteht an einem Ort, den niemand beherrscht und niemand erobert. Anders gesagt: Wenn ich wüsste, woher die guten Songs kommen, würde ich mich häufiger dorthin begeben." Jedenfalls immer dort, wo es heiß wird, manchmal zu heiß, erscheint Cohens Flamme; er ist ein Dichter, und genau das will er sein.
Für die zweisprachige Ausgabe von "The Flame" besorgten zwölf deutsche Schriftstellerinnen und Schriftsteller die Übersetzungen. Da kommen sehr verschiedene, eigene Stimmen zusammen. Nicht jede Stelle im Konvolut dieser Passagen kann in der deutschen Übertragung glänzen, wie freilich auch nicht jedes von Cohens Bruchstücken gefeilt ist. Wie also liest man ein solches literarisches Testament? Nicht, indem man all die Seiten durchkämmt. Indem man sich vielmehr treiben lässt, innehält, an einer anderen Stelle Halt findet. Wie an einem ganz kleinen Poem, dessen Datum unbekannt ist; es heißt "What I do": "It's not that I like / to live in a hotel / in a place like India / and write about G-d / and run after women / It seems to be / what I do." Eine melancholische Selbsterkenntnis, die den Namen des Herrn - "G-d" - nicht aufzuschreiben wagt. Nora Bossong hat den Vers ins Deutsche übertragen, mit der harten Knappheit, der ihm innewohnt, zugleich den Rhythmus bewahrend für dieses "Was ich tue": "Nicht, dass es mir gefällt / in einem Hotel zu leben / an einem Ort wie Indien / und über G-tt zu schreiben / und Frauen nachzulaufen / Es scheint nur das zu sein / was ich tue."
Im Buch steht auch der E-Mail-Wechsel von September bis November 2016 zwischen dem emeritierten Berkley-Professor Peter Dale Scott, der einst sein Tutor an der Universität in Kanada war, und Cohen. Es endet mit einer letzten Nachricht Cohens an Scott, datiert auf den 16. November. Was eigentlich gar nicht sein kann, weil Cohen am 7. November gestorben ist; dennoch, hier: "Selig sind, die Frieden stiften: denn sie werden Gottes Kinder heißen." Es ist nicht das einzige Geheimnis, dass er hinterlässt. Davor, am 4. Oktober, schreibt er: "That was great fun. Be well, dear friends. Much love, Eliezer." Einer ist heimgekehrt, dorthin wo Hilfe ist. Uns hat Leonard Cohen so viel hinterlassen, dieses letzte Brevier nehmen wir dankbar an.
Leonard Cohen: "Die Flamme / The Flame".
Aus dem amerikanischen Englisch von Nora Bossong und anderen.
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2018. 352 S., Abb., geb., 30,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Leonard Cohens Können ist sichtbar, aus den schnörkellosesten Teilen des englischen Wortschatzes dunkle Walzer zu winden. Diesen Walzer, in dem sich der Körper automatisch wiegt, wenn man Cohen liest, Zeile für Zeile, Vers für Vers, beschwingt von seiner nüchternen Weisheit. Das Buch in der Hand als einziges Instrument, es genügt vollauf.« Anne Haeming spiegel.de 20181018