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Als Charles Simic drei Jahre alt war, bombardierten die Deutschen seine Heimatstadt Belgrad. Die Mutter wandert mit den Kindern zuerst nach Paris aus und schließlich nach Amerika, wo Simic nach Jahren der Trennung den geliebten Vater, einem Schlawiner und Geschichtenerzähler par excellence, wiedertrifft. Ironisch und anrührend erzählt Simic von den Widerständen, die einer ordentlichen Kindheit und einem geregelten Erwachsenwerden im Wege stehen können.

Produktbeschreibung
Als Charles Simic drei Jahre alt war, bombardierten die Deutschen seine Heimatstadt Belgrad. Die Mutter wandert mit den Kindern zuerst nach Paris aus und schließlich nach Amerika, wo Simic nach Jahren der Trennung den geliebten Vater, einem Schlawiner und Geschichtenerzähler par excellence, wiedertrifft. Ironisch und anrührend erzählt Simic von den Widerständen, die einer ordentlichen Kindheit und einem geregelten Erwachsenwerden im Wege stehen können.
Autorenporträt
Charles Simic, 1938 in Belgrad geboren, kam 1954 in die USA und lehrt heute an der Universität von New Hampshire. Er hat 16 Bände mit Gedichten veröffentlicht.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.02.1997

Katze am Schachbrett
Wie Charles Simic ein Dichter wurde · Von Paul Ingendaay

Wolfgang Hildesheimer sagt in seinem Mozart-Buch etwas über das Genie, das sich seiner selbst nicht bewußt sei, und er benutzt Mozart, um Rilke zu ohrfeigen: Mozart sei wirklich ein Genie, wisse aber nichts davon und habe sich entsprechend unbekümmert (andere sagen flegelhaft) benommen; Rilke dagegen habe immerfort den empfindsamen Künstler gegeben, in Wahrheit könne es also mit seinem Genie nicht so weit her sein. Das ist schwarzweiß gedacht und verrät vermutlich mehr von einem umgekehrten Geniekult, als Hildesheimer lieb gewesen wäre. Aber damit ist eine nützliche Unterscheidung getroffen, die beim Bäcker oder am Fahrkartenschalter eine Rolle spielen könnte: Ist der Schriftsteller, sei er ein Genie oder nicht, einer von uns?

Bei dem 1938 in Belgrad geborenen Lyriker Charles Simic, der mit sechzehn nach Amerika ging und heute an der Universität von New Hampshire lehrt, kann über die Antwort kein Zweifel bestehen. Simic ist so zugänglich und unprätentiös, daß er sich in Deutschland verdächtig gemacht hätte, wäre er dem Publikum vor drei Jahren nicht in der feinen "Edition Akzente" des Hanser Verlags und obendrein in der Übersetzung von Hans Magnus Enzensberger präsentiert worden. Die Leser dieser Zeitung wissen, daß Simic nicht nur ein erstaunlicher Dichter ist, sondern auch ein begnadeter Erzähler. Seine Essays haben neben ihrem jeweiligen Thema eine gemeinsame Aussage: daß man um das Große und Wichtige herumschreiben muß, um dessen Konturen zu vermessen, und daß der Rest Wahrheit, den die Literatur sich noch zutrauen darf, nicht ohne Hingabe an die kleinen Einzelheiten des Lebens zu gewinnen ist - an das also, was nach Nabokov im harten Sonnenlicht liegt und nicht im Mondschein der Verallgemeinerung.

Es paßt ins Bild, daß in den jetzt erschienenen autobiographischen Skizzen mit dem Titel "Die Fliege in der Suppe" die Lyrik recht eigentlich erst auf Seite 109 vorkommt. Dort ist von den wenig ermutigenden dichterischen Anfängen des jungen Mannes die Rede, eher wohl einem täppischen Stochern und Klauben, dessen schriftliche Zeugnisse längst vernichtet sind. Der ältere Simic schreibt darüber im Ton eines Handwerkers, der berichtet, wie er als dummer Lehrling mit dem Lötkolben eine Schraube eindrehen wollte.

Zwar gibt es Aufregenderes im Bereich des modernen poetologischen Schrifttums, doch darum geht es Simic ja auch nicht. Sein Buch handelt von einer Kindheit im Krieg, einer trotz allem überraschend glücklichen, wenn man der Darstellung glauben darf. Es handelt aber auch davon, wie einer dem Chaos entkommt und unverhofft im Paradies landet, und dieser eine ist zunächst kein amerikanischer Dichter, sondern ein kleiner serbischer Junge, über dessen Land reichlich Bomben niedergehen, erst die deutschen, dann, ab 1944, die englischen und amerikanischen. Es ist Simics Geheimnis, wie er diese Dinge beschreibt, ohne sie mit den Deutungen des Erwachsenen zu beschweren oder sie durch gespielte kindliche Naivität nachträglich zu sentimentalisieren. Sein Stil ist so biegsam und klar, daß man glaubt, er könne seiner Erinnerung wirklich trauen.

Tatsächlich stimmt das aber gerade nicht. "Meine Kindheit ist ein Film in Schwarzweiß", heißt es in einem Kapitel, das mit den "dunklen Zeiten" weniger die unheilvolle historische Epoche des Zweiten Weltkriegs meint als das Zwielicht eines unzuverlässigen Gedächtnisses. Die Erinnerung, von der Simic spricht, ist grobkörnig, weil sie nicht von dem Menschen abhängt, der er heute ist, sondern auch von dem, der er damals war. Man traut Simics Lebensgeschichte, weil sie entsprechend fragmentarisch daherkommt, mit Sprüngen, Raffungen, weißen Stellen; und weil sie vom Hörensagen als Hörensagen spricht: neutral, wie ein Medium und gerade dadurch um so bezwingender.

In der Familie von Charles Simic gibt es zwei Linien, die lärmende, vulgäre des Vaters und die gepflegte, aber langweilige der Mutter. Der Vater ist es auch, den nachts einmal die Gestapo abholt und verhört; sein Bruder hat einen deutschen Armeelaster gestohlen, um mit seiner Freundin eine Spritztour zu unternehmen. Dem Vater geschieht nichts, auch der Bruder kommt davon. "Er wurde nicht einmal erschossen - sein Bruder! Die Deutschen waren verwundert, fast belustigt über seine Blödheit. Sie schickten ihn zum Arbeiten nach Deutschland. Das heißt, sie machten den Versuch, aber er entwischte ihnen unter den Fingern."

Inzwischen wird es in Belgrad gefährlicher. Die Alliierten bombardieren die Wohnviertel, und die Familie flieht aufs Land. Die Kinder lieben den Klang von Maschinengewehren und spielen Krieg - zum Schrecken der Erwachsenen. In den Flüssen schwimmen Leichen, so daß man nur die Füße darin badet. Von der Eroberung Belgrads durch die Russen behält Simic einen deutschen Armeehelm zurück, der ihm teuer ist. Schulunterricht findet sporadisch statt, Leben herrscht bei den Jugendbanden, die durch die Trümmer ziehen. Einmal verschwindet eine Dose Beef, die ihm anvertraut war, und bis heute weiß Simic nicht, wer sie genommen hat. Er ist ein glänzender Lügner, aber den Leser zu beschwindeln wäre doch etwas anderes.

Dann übernehmen die Kommunisten die Macht. Die Mutter plant die Flucht; der Vater hat sich schon nach Triest abgesetzt. Der Versuch mißlingt, eine amerikanisch-österreichische Grenzpatrouille greift sie auf und übergibt sie, wie es üblich ist, der englischen Armee; diese reicht die Familie unverzüglich an die jugoslawischen Behörden weiter.

Die nächsten Jahre sind zwar dürftig, doch für Simic ist es die Zeit des Schuleschwänzens, der Jazzmusik im Radio, des Lesens und der heimlichen Kinobesuche. Als die Familie 1953 schließlich ausreisen darf, ist Paris eine lästige Zwischenstation, die Simic nicht vergessen läßt, daß er als unerwünschter Ausländer kommt. Schon hier lernt er Englisch, eine Sprache, die er sogleich mag; die Farben in amerikanischen Magazinen erscheinen ihm besonders leuchtend, die Kinder tragen ein ewiges Lächeln auf dem Gesicht, und er ist amerikanisiert, bevor er selbst es weiß: der ideale Einwanderer. Ebendeshalb erzählt das Buch von den frühen Erfahrungen in Chicago und New York, aber nicht von seinem literarischen Werk, den Auszeichnungen, der Professur. Charles Simic möchte nur das Material zeigen, den Steinbruch, dessen Spuren sich bis in die heutigen Gedichte verfolgen lassen.

Das Impressum vermerkt, "Teile dieses Buches" seien zwei amerikanischen Essaysammlungen entnommen; das stimmt und ist doch ein eleganter Schwindel. Das Kernstück, der rund siebzigseitige Essay "Am Anfang . . .", war auf deutsch schon in dem Gedichtband "Ein Buch von Göttern und Teufeln" (1993) zu lesen, der bisher einzigen Veröffentlichung von Simic in deutscher Sprache. Bei dem vorliegenden Band, der im Verlagsprospekt selbstbewußt als "Erstveröffentlichung" firmiert, handelt es sich in Wahrheit um eine an zahlreichen Stellen erweiterte, mit Exkursen angereicherte Fassung dieses früheren Essays.

Es sind wunderschöne Dinge darunter, etwa die Seiten über De Sicas Film "Fahrraddiebe", ferner Betrachtungen über den Segen des Fluchens, über das Essen, über philosophische Lektüre und den Versuch, mit einer schläfrigen Katze Schach zu spielen. Wer Simic damals nicht gelesen hat, wird mit diesem autobiographischen Buch glänzend bedient. Wir anderen wüßten aber gern, wann uns die schläfrige Katze in einem neuen Gedichtband begegnet.

Charles Simic: "Die Fliege in der Suppe". Aus dem Amerikanischen übersetzt von Rudolf von Bitter. Hanser Verlag, München 1997. 166 S., geb., 34,- DM.

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