Die Ausbreitung privat verwalteter und bewachter Wohnkomplexe in vielen Ländern der Welt hat eine neue Debatte über die Zusammenhänge zwischen Städtebau und Gesellschaft ausgelöst. Sie ist geprägt von der Sorge, dass die Abschottung einiger Bevölkerungsgruppen das gesellschaftliche Zusammenleben gefährde. Das Beispiel Libanon in der vorliegenden Fallstudie zeigt, dass diese Sorge durchaus berechtigt ist. Allerdings erweist sich weniger die psychische Separation durch Mauern und Zäune als vielmehr die organisatorische Separation, d.h. die Fragmentierung der politisch-territorialen Organisation, als problematisch. Die Diskussion über die Ursachen der Verbreitung bewachter Wohnkomplexe wurde lange Zeit von eher essayistischen Publikationen dominiert, die von Beobachtungen in den USA auf globale Trends der Stadtentwicklung schlossen. Der Sozial- und Wirtschaftsgeograph Glasze zeigt, dass die Entstehung bewachter Wohnkomplexe mit solchen universalen Ansätzen nicht hinreichend erklärt werden kann. Auf der Basis umfangreicher empirischer Arbeiten im Libanon rekonstruiert er für zwei spezifische historische (und geographische) Konstellationen die governance-Muster, in denen bewachte Wohnkomplexe sowohl für die Akteure der Nachfrage- als auch der Angebotsseite zu einer sinnvollen Option wurden. Die Analyse der Leitbilder und sozialen Institutionen von Stadtentwicklung liefert Erklärungsansätze für die Frage, warum in bestimmten Regionen der Welt ein Boom bewachter Wohnkomplexe zu beobachten ist - in anderen jedoch (zumindest bislang) nicht - und liefert damit Hinweise, wie der Verbreitung bewachter Wohnkomplexe begegnet werden kann.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.01.2006Achtet auf die Sauberkeit
Verbrechen vorbeugen: Vorschläge von Kritischen Kriminologen
Fünf Beiträge dieses Buches stammen von Kritischen Kriminologen. Die anderen vier kann man lesen, ohne sich ärgern zu müssen. Kriminologie befaßt sich mit Ursachen und Erscheinungsformen und mit der Verhinderung, Aufklärung und Bekämpfung von Verbrechen. Was ein Verbrechen ist, bestimmt von Verfassungs wegen das staatliche Gesetz. Also, meinen die Autoren, dient Kriminologie der staatlichen Ordnung und damit nicht der Wahrheit. Das knabbert an ihrer Existenzberechtigung. Wenn sie Wissenschaft bleiben will, muß sie zur Kritischen Kriminologie werden und die Ordnung des Staates kritisieren. Die Kritische Kriminologie bekämpft also nicht das Verbrechen, sondern die Kriminalpolitik mit Einsichten wie: Kriminalität ist letztlich nicht meßbar; der Raum wird kriminalisiert; Furcht vor Kriminalität kaschiert Furcht vor dem Verlust von Privilegien; die Politik bekämpft nicht Sucht und Armut, sondern Süchtige und Arme; Kriminalprävention verletzt den Grundsatz "Keine Strafe ohne Gesetz".
Die Melodie ist aus den sechziger und siebziger Jahren bekannt: Der Staat ist schuld. Nur wurde damals intelligenter kritisiert. Zwar ist Niklas Luhmann vom ausgebuhten Vertreter des Establishments zum Star der Kritik avanciert, weil sich mit seinem erkenntnistheoretischen Konstruktivismus politische Verschwörungen zum Nachteil der Armen und Entrechteten scheinbar leicht begründen lassen. Man kann sich aber des Eindrucks nicht erwehren, als hätten die Autoren den Witz der Systemtheorie nicht verstanden: Funktionssysteme, die sich der "politischen Gestaltung" entziehen, lenken die gesellschaftliche Kommunikation. Das Dilemma der Kriminologie ist eine Folge der Humanisierung des Strafrechts von Rache und Vergeltung zur gesetzlich geregelten Sanktion. Das Gesetzesstrafrecht konnte politisch instrumentalisiert werden. Schon Platon meinte: "Kein kluger Mensch straft, weil gefehlt worden ist, sondern damit nicht gefehlt werde." Dieser Präventionsgedanke lockerte die Kopplung von Straftat und Strafe. Das ist stets als ungerecht kritisiert worden. Trotzdem ist die Verhinderung von Straftaten zweifellos die bessere Idee als mechanische Vergeltung, die die Kritiker auch nicht wollen. Was sie wollen, weiß man nun seit mehr als vierzig Jahren nicht.
Die Verhinderung von Straftaten ist eine heikle Aufgabe. Straftaten wachsen in einem gesellschaftlichen Umfeld. Wenn man sie verhindern will, muß man deshalb das gesellschaftliche Umfeld beeinflussen. Großräumige Versuche hatten bisher nur geringen Erfolg. Also setzt man bei kleinen Räumen an, bei Regionen, Städten, Stadtteilen oder Plätzen. Geeignet erscheinen "gefährliche" Orte, etwa Treffs von Rauschgifthändlern. Unsere Kritischen Kriminologen nennen die Auswahl "Kriminalisierung von Raum". Das ist einerseits Unsinn und enthält andererseits ein Stück Wahrheit. Selbstverständlich verlangt Prävention, daß die Behörden Örtlichkeiten danach einschätzen, ob sie Straftaten begünstigen oder nicht, und selbstverständlich hat die Einschätzung häufig soziale Folgen wie Rufschädigung oder ähnliches. Aber sie hat eine ähnliche Funktion wie der Verdacht im Strafverfahren.
Das Buch diskutiert vor allem zwei örtlich gebundene Maßnahmen: die Kommunale Kriminalprävention und die Theorie der "zerbrochenen Fensterscheiben". Beides stammt aus den Vereinigten Staaten. Kommunale Kriminalprävention ist der Versuch, Bürger in die Kontrolle gefährlicher Orte einzubeziehen. Die Möglichkeiten reichen von Beobachtung durch Private bis zur Einrichtung einer Art örtlicher Hilfspolizei, die mit der ordentlichen Polizei zusammenarbeitet. Gelegentlich sollen Arbeits- oder Obdachlose eingesetzt worden sein, die ihre Pappenheimer und die örtlichen Verhältnisse genau kennen. Die Methode soll erfolgreich sein.
"Zerbrochene Fensterscheiben" sind Indizien für Unordnung und Verwahrlosung und zeigen, daß die soziale Kontrolle in einem Wohngebiet zusammengebrochen ist. Das zieht Obdachlose, Drogenabhängige und randalierende Jugendliche an, die kleinere Ordnungswidrigkeiten begehen. Die Ordnungswidrigkeiten setzen eine Spirale abweichenden Verhaltens in Gang, die das Gebiet schnell in einen sozialen und kriminellen Brennpunkt verwandeln kann. Prophylaxe: keine "zerbrochenen Fensterscheiben" dulden, also auf Sauberkeit und Ordnung achten und null Toleranz zeigen. Welche Vor- und Nachteile beide Methoden haben, kann man aus diesem Buch erfahren. Die Ideologiekritik ist so plump, daß die Gefahr, auf sie hereinzufallen, nicht groß ist.
GERD ROELLECKE
Georg Glasze, Robert Pütz, Manfred Rolfes (Hrsg.): "Diskurs - Stadt - Kriminalität". Städtische (Un)Sicherheiten aus der Perspektive von Stadtforschung und Kritischer Kriminalgeographie. transcript Verlag, Bielefeld 2005. 324 S., br., 27,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Verbrechen vorbeugen: Vorschläge von Kritischen Kriminologen
Fünf Beiträge dieses Buches stammen von Kritischen Kriminologen. Die anderen vier kann man lesen, ohne sich ärgern zu müssen. Kriminologie befaßt sich mit Ursachen und Erscheinungsformen und mit der Verhinderung, Aufklärung und Bekämpfung von Verbrechen. Was ein Verbrechen ist, bestimmt von Verfassungs wegen das staatliche Gesetz. Also, meinen die Autoren, dient Kriminologie der staatlichen Ordnung und damit nicht der Wahrheit. Das knabbert an ihrer Existenzberechtigung. Wenn sie Wissenschaft bleiben will, muß sie zur Kritischen Kriminologie werden und die Ordnung des Staates kritisieren. Die Kritische Kriminologie bekämpft also nicht das Verbrechen, sondern die Kriminalpolitik mit Einsichten wie: Kriminalität ist letztlich nicht meßbar; der Raum wird kriminalisiert; Furcht vor Kriminalität kaschiert Furcht vor dem Verlust von Privilegien; die Politik bekämpft nicht Sucht und Armut, sondern Süchtige und Arme; Kriminalprävention verletzt den Grundsatz "Keine Strafe ohne Gesetz".
Die Melodie ist aus den sechziger und siebziger Jahren bekannt: Der Staat ist schuld. Nur wurde damals intelligenter kritisiert. Zwar ist Niklas Luhmann vom ausgebuhten Vertreter des Establishments zum Star der Kritik avanciert, weil sich mit seinem erkenntnistheoretischen Konstruktivismus politische Verschwörungen zum Nachteil der Armen und Entrechteten scheinbar leicht begründen lassen. Man kann sich aber des Eindrucks nicht erwehren, als hätten die Autoren den Witz der Systemtheorie nicht verstanden: Funktionssysteme, die sich der "politischen Gestaltung" entziehen, lenken die gesellschaftliche Kommunikation. Das Dilemma der Kriminologie ist eine Folge der Humanisierung des Strafrechts von Rache und Vergeltung zur gesetzlich geregelten Sanktion. Das Gesetzesstrafrecht konnte politisch instrumentalisiert werden. Schon Platon meinte: "Kein kluger Mensch straft, weil gefehlt worden ist, sondern damit nicht gefehlt werde." Dieser Präventionsgedanke lockerte die Kopplung von Straftat und Strafe. Das ist stets als ungerecht kritisiert worden. Trotzdem ist die Verhinderung von Straftaten zweifellos die bessere Idee als mechanische Vergeltung, die die Kritiker auch nicht wollen. Was sie wollen, weiß man nun seit mehr als vierzig Jahren nicht.
Die Verhinderung von Straftaten ist eine heikle Aufgabe. Straftaten wachsen in einem gesellschaftlichen Umfeld. Wenn man sie verhindern will, muß man deshalb das gesellschaftliche Umfeld beeinflussen. Großräumige Versuche hatten bisher nur geringen Erfolg. Also setzt man bei kleinen Räumen an, bei Regionen, Städten, Stadtteilen oder Plätzen. Geeignet erscheinen "gefährliche" Orte, etwa Treffs von Rauschgifthändlern. Unsere Kritischen Kriminologen nennen die Auswahl "Kriminalisierung von Raum". Das ist einerseits Unsinn und enthält andererseits ein Stück Wahrheit. Selbstverständlich verlangt Prävention, daß die Behörden Örtlichkeiten danach einschätzen, ob sie Straftaten begünstigen oder nicht, und selbstverständlich hat die Einschätzung häufig soziale Folgen wie Rufschädigung oder ähnliches. Aber sie hat eine ähnliche Funktion wie der Verdacht im Strafverfahren.
Das Buch diskutiert vor allem zwei örtlich gebundene Maßnahmen: die Kommunale Kriminalprävention und die Theorie der "zerbrochenen Fensterscheiben". Beides stammt aus den Vereinigten Staaten. Kommunale Kriminalprävention ist der Versuch, Bürger in die Kontrolle gefährlicher Orte einzubeziehen. Die Möglichkeiten reichen von Beobachtung durch Private bis zur Einrichtung einer Art örtlicher Hilfspolizei, die mit der ordentlichen Polizei zusammenarbeitet. Gelegentlich sollen Arbeits- oder Obdachlose eingesetzt worden sein, die ihre Pappenheimer und die örtlichen Verhältnisse genau kennen. Die Methode soll erfolgreich sein.
"Zerbrochene Fensterscheiben" sind Indizien für Unordnung und Verwahrlosung und zeigen, daß die soziale Kontrolle in einem Wohngebiet zusammengebrochen ist. Das zieht Obdachlose, Drogenabhängige und randalierende Jugendliche an, die kleinere Ordnungswidrigkeiten begehen. Die Ordnungswidrigkeiten setzen eine Spirale abweichenden Verhaltens in Gang, die das Gebiet schnell in einen sozialen und kriminellen Brennpunkt verwandeln kann. Prophylaxe: keine "zerbrochenen Fensterscheiben" dulden, also auf Sauberkeit und Ordnung achten und null Toleranz zeigen. Welche Vor- und Nachteile beide Methoden haben, kann man aus diesem Buch erfahren. Die Ideologiekritik ist so plump, daß die Gefahr, auf sie hereinzufallen, nicht groß ist.
GERD ROELLECKE
Georg Glasze, Robert Pütz, Manfred Rolfes (Hrsg.): "Diskurs - Stadt - Kriminalität". Städtische (Un)Sicherheiten aus der Perspektive von Stadtforschung und Kritischer Kriminalgeographie. transcript Verlag, Bielefeld 2005. 324 S., br., 27,80 [Euro].
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"Georg Glasze ist ein wunderbarer Kenner des Landes. Wunderbar sind auch seine erzählerischen Fähigkeiten, die er einsetzt, um die Grundzüge des Libanon in Bezug auf die Wohnbau- und Siedlungsentwicklung zu erläutern. Deshalb ist das Lesen der empirischen Teile [...] ein großer Genuss." Geographische Revue, 01-02/2005 "[...] sehr gut strukturiert, hervorragend formuliert und anschaulich und übersichtlich gestaltet. [...] Die Dissertation von Georg Glasze gilt folgerichtig mittlerweile als eine Basisstudie für die weitere Beschäftigung mit gated communities." Geographica Helvetica, 04/2005 "Außerordentlich interessant sind die durch zahlreiche Interviews und Beobachtungen gewonnenen Einblicke in die Biographien und Lebenswelten [der] sozialen Oberschichten." Geographische Zeitschrift, 04/2004