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Epochen literarischer "Klassik", und allzumal die der französischen, sind ein Konstrukt interessierter Diskurse, die eine der Literatur zugeschriebene überhöhende Geltung historisch fixieren wollen. Der vorliegende Band unternimmt es, ausgehend von einer Rekonstruktion der Geschichte des Epochenbegriffs, die historischen und literarischen Zusammenhänge zu umreißen, denen die Konstruktion der französischen "Klassik" übergestülpt worden ist. Ins Zentrum der Darstelllung tritt dabei die Dialektik von gesellschaftlicher und literarischer Modernisierung im Frankreich des 17. Jahrhunderts. Es wird…mehr

Produktbeschreibung
Epochen literarischer "Klassik", und allzumal die der französischen, sind ein Konstrukt interessierter Diskurse, die eine der Literatur zugeschriebene überhöhende Geltung historisch fixieren wollen. Der vorliegende Band unternimmt es, ausgehend von einer Rekonstruktion der Geschichte des Epochenbegriffs, die historischen und literarischen Zusammenhänge zu umreißen, denen die Konstruktion der französischen "Klassik" übergestülpt worden ist. Ins Zentrum der Darstelllung tritt dabei die Dialektik von gesellschaftlicher und literarischer Modernisierung im Frankreich des 17. Jahrhunderts. Es wird insbesondere gezeigt, daß es deren erste institutionelle Stabilisierung in der Mitte des 17. Jahrhunderts ist, die den Ansatz für die trügerische Kohäranz der traditionellen Epochenkonstruktion liefert.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.08.1995

Wie dem auch immer sei
Auf holprigem Feld: Hartmut Stenzels französische Klassik

Wer von Hartmut Stenzels Buch eine Darstellung der französischen Klassik erwartet - wie es der Rahmen der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft nahelegt -, sollte es gar nicht erst in die Hand nehmen. Klassik erscheint hier in Anführungsstrichen als "trügerisches", "überhöhendes", "affirmatives", vom neunzehnten Jahrhundert erfundenes Begriffskonstrukt, das durchaus konservative Interessen bestimmten Tendenzen des siebzehnten Jahrhunderts übergestülpt haben. Zu besichtigen ist also eine romanistische Variante der sogenannten Klassik-Legende.

Freilich windet sie sich. Spürt der Autor doch, daß die Destruktion des Begriffs (die mit allen Epochenbegriffen nominalistisch zu haben ist) womöglich auch die Sache zum Verschwinden bringt. Sollte der wahre Triumph einer resignativ gewordenen "kritischen" Literaturwissenschaft in der Abschaffung ihrer Gegenstände liegen? Die Frage drängt sich auf, wenn man Stenzels Verfahren mustert.

Die Literatur selbst kommt praktisch nicht vor. Erst auf Seite 104 begegnet man dem ersten literarischen Text (der "Europe" von Jean Desmarets). Für Corneilles "Horace" sind ganze zwei Seiten reserviert ("Es ist hier nicht der Ort, das Werk näher zu untersuchen . . ."). Ein Schlußkapitel behandelt dann "Boileau, Molière und andere". Abgespeist wird man da mit gerade zwei Passagen aus der "Ecole des maris" und aus "Les Fâcheux" sowie Fragmenten einer Diskussion über das Epos. Das ist schon alles. Die Destruktion der "Klassik" kommt ohne Werke aus. Sie macht es sich leicht.

Statt dessen erhebt sich hier das graue Haupt einer matt ideologiekritisch getönten Funktions- und Sozialgeschichte. Sie benötigt nur wenige Requisiten. Die Autoren selbst steuern knappste poetologische Äußerungen aus Korrespondenzen, Vorreden, Widmungen bei. Ihren flüchtigen Auftritt haben sie vor den Kulissen einer Sozialgeschichte aus zweiter Hand. Was auf dieser Bühne dann erscheint, ist der kompromißlerische Konflikt zwischen literarischen und politischen Modernisierungsprozessen. Wohl läßt sich beobachten, wie vor dem Hintergrund der Fronde und des sich festigenden Absolutismus ein "premier champ littéraire" (Pierre Bourdieu, Alain Viala) entsteht und mit ihm der Anspruch auf "Autonomie". Doch handle es sich um eine "dominierte Autonomie", die weder der "Dialektik von Affirmation und Reduktion", sprich dem Rückzug in politik- und herrschaftsfreie "Privatheit", noch der benevolenten Steuerung durch die Heteronomie der Politik entgehe. Mit anderen Worten: die "Position der Monarchie" begünstigt auch die Autonomietendenzen der Literatur. Da liest man dann: "Der ,Art poétique' entwirft eine Eigenständigkeit des Schreibens, die zwar natürlich die gesellschaftlichen Dominanzverhältnisse nicht in Frage stellt, sich ihnen vielmehr unterordnet, aber doch ihren Zugriff auf die Literatur in Grenzen hält."

Zu solchen nicht eben überraschenden Resultaten wird der Leser durch ein holpriges und graues stilistisches Gelände geführt, das an der Distanz zu literarischen Gegenständen keinen Zweifel läßt und so kräftig zu deren Verschwinden beiträgt. Unzähltige Male muß er Rück- und Vorverweise auf Analysen ertragen, die Ansätze schon für Argumentationsgänge ausgeben. Nicht weniger häufig stößt er auf ein bald unwirsches, bald timides "Wie dem auch sei" oder "Wie auch immer", mit dem der Autor weitere Anstrengungen verabschiedet. Da bleibt am Ende nur ein Wunsch: mehr Klassik und weniger Anführungszeichen. HANS-JÜRGEN SCHINGS

Hartmut Stenzel: "Die französische ,Klassik'. Literarische Modernisierung und absolutistischer Staat". Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1995. 310 S., br., 49,80 DM.

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