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Die Französische Revolution: ein Jahrhundertereignis, das immer wieder neu erzählt und gedeutet wird. Auf die Frage nach den Ursachen gibt es viele Antworten: Eine Krise des absolutistischen Staates. Verelendung des Volkes. Überhöhte Brotpreise. Die Revolution vollzog sich in drei parallel laufenden Bewegungen: der Forderung nach einer konstitutionellen Monarchie nach britischem Vorbild, einem gewalttätigen Protest in der radikalen Terrorherrschaft und einer demokratisch-republikanischen Revolution, die in der Aufklärung wurzelte. Dieser dritten Bewegung attestiert Jonathan Israel die zentrale…mehr

Produktbeschreibung
Die Französische Revolution: ein Jahrhundertereignis, das immer wieder neu erzählt und gedeutet wird. Auf die Frage nach den Ursachen gibt es viele Antworten: Eine Krise des absolutistischen Staates. Verelendung des Volkes. Überhöhte Brotpreise. Die Revolution vollzog sich in drei parallel laufenden Bewegungen: der Forderung nach einer konstitutionellen Monarchie nach britischem Vorbild, einem gewalttätigen Protest in der radikalen Terrorherrschaft und einer demokratisch-republikanischen Revolution, die in der Aufklärung wurzelte. Dieser dritten Bewegung attestiert Jonathan Israel die zentrale revolutionäre Energie. Der international angesehene Experte vertieft und ergänzt so das überkommene Bild durch eine neue überraschende Dimension. Die radikalen Aufklärungsphilosophen Frankreichs dachten säkular und erklärten die Vernunft zur grundlegenden Triebkraft geschichtlichen Fortschritts. Damit bereiteten sie den umwälzenden Ereignissen den Weg, spalteten aber zugleich deren Führer in feindliche ideologische Blöcke.
Autorenporträt
Jonathan Israel, geb. 1946, ist britischer Historiker und Professor em. am Institute for Advanced Studies der Princeton University. Er ist Spezialist für europäische Ideengeschichte im 17. und 18. Jahrhundert.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2017

Bis die Unzufriedenheit explodierte

In welchem intellektuellen Braukessel wurde die Französische Revolution angesetzt? Jonathan Israel hat dazu eine ganz eigene These entwickelt.

Von Johannes Willms

Bis heute, mehr als 225 Jahre nach Ausbruch der Französischen Revolution, hat es die Geschichtsschreibung nicht vermocht, sich auf eine verbindliche Erklärung von deren Ursachen oder Verlauf zu verständigen. Zahllose Deutungen konkurrieren miteinander und verfilzten sich zu einem gleichsam Gordischen Knoten, der eine endgültige, alle Einwände befriedigende Antwort auf die Frage, "wie es eigentlich gewesen", bislang vereitelte. Jetzt hat es der Princeton-Historiker Jonathan Israel unternommen, diesen Knoten mit dem scharfen Schwert einer These zu durchhauen.

Israels Unterfangen, die Französische Revolution aus ideengeschichtlicher Perspektive zu erklären, ist seinerseits eine Revolution. Das allerdings im älteren Verständnis des Begriffs, der Revolution als Rückkehr zu einem früheren Zustand auffasst. Dafür ist etwa die Interpretation des Geschehens ein Beispiel, die Augustin Barruel 1798/99 mit den "Mémoires pour servir à l'histoire du Jacobinisme" vorlegte. Nach Barruel war die Revolution eine antichristliche Bewegung, die von der Aufklärung angestoßen und von der liberalen Bourgeoisie usurpiert wurde, die damit an die Macht gelangte. Diese Deutung stieß jedoch in der Geschichtsschreibung kaum auf Resonanz. In der behauptete vielmehr die längste Zeit eine andere monokausale Erklärung die Hoheit, nämlich die marxistische, nach der die Französische Revolution als Klassenkampf zu verstehen war. Aber auch diese Sicht ist unterdessen längst desavouiert und durch Erklärungsangebote ersetzt, die auf eine Fülle von sozialen und wirtschaftlichen Komponenten und Einflüssen abheben.

Gegen die in der Forschung heute gängige Praxis, die eine große Ursache in Abrede zu stellen und stattdessen "zahlreiche kleine Impulse" zu identifizieren, wendet Israel ein: "Diese Faktoren - alle marginal, wenn man sie einzeln betrachtet - können jedoch schwerlich jene Erklärungslücke zufriedenstellend schließen, die sich auftut, seitdem sämtliche älteren Generalbegründungen" - wie etwa die marxistische These vom Klassenkampf - "kollabiert sind."

Die neuen Erklärungsansätze hätten zwar dazu beigetragen, "den sozialen Hintergrund der Revolution besser zu verstehen", lieferten aber insgesamt keine konsistente Erklärung, "warum Frankreichs Gesellschaft, Politik und Institutionen sich so plötzlich, so dramatisch und in jeder Hinsicht wandelten". Diese gleichzeitigen und gewaltigen Veränderungen ließen sich nur mit einem geballten, wirkmächtigen Impuls erklären.

Gestützt auf seine umfangreichen, drei stattliche Bände füllenden Arbeiten zur Geschichte der Aufklärung, entwickelte Israel die These, die er in seiner Geschichte der Französischen Revolution konsequent entfaltet. Sie behauptet, dass eine "bestimmte Denkrichtung" innerhalb der Aufklärung, die Israel als "radikale Aufklärung" dingfest macht und für die vor allem die Schriften von Diderot, Hélvetius, Baron d'Holbach und Raynal repräsentativ seien, der "intellektuelle Braukessel der Revolution" gewesen sei. Und nicht nur das, "sondern ebenso ihr wichtigstes soziales und kulturelles Wirkmoment", das alle virulenten Impulse an Kritik und Unzufriedenheit gebündelt und mit der Revolution zur Explosion gebracht habe. Die Zutaten für den Sud in jenem "intellektuellem Braukessel" hätte eine kleine Gruppe ausnahmslos atheistisch, republikanisch, demokratisch und kosmopolitisch gesinnter radikaler Aufklärer beigesteuert, der unter anderen Mirabeau, Brissot, Condorcet und Desmoulins angehörten.

Um diese These einsichtig zu machen, entwirft Israel auf vielen hundert Seiten eine vor allem geistesgeschichtliche Schilderung des Revolutionsverlaufs, für die er eine staunenswerte Fülle an Quellentexten - Zeitungsartikel, Flugschriften und Reden - auswertet, eine Leistung, die ein bleibendes Verdienst dieses Buchs darstellt. Das gilt umso mehr, als Israel es versteht, diese "Materialschlacht" auch erzählerisch gekonnt zu orchestrieren. Der betörende Sound vermag jedoch nicht die Einwände gegen Israels These zu übertönen, die Mirabeau und einige andere Aufklärer als die Regisseure der eigentlichen, der wahren Revolution ausgibt. Für Israel hatten diese Akteure nicht nur von Anfang an eine klare Vorstellung von den Zielen und Abläufen dieses Umbruchs, sondern sie seien auch schon vor 1789 ausnahmslos überzeugte atheistische und demokratisch gesinnte Republikaner gewesen.

Die erste Annahme trifft nachweislich nicht zu, denn niemand, auch keiner dieser Protagonisten, besaß eine Blaupause des Laufs der Revolution. Sie waren zwar Antreiber, aber gleichzeitig auch Getriebene, die entsprechend ihren Absichten oder auch ihrem Karriereehrgeiz agierten und reagierten. Die zweite Annahme Israels, diese Männer seien in die Wolle gefärbte "Republikaner" gewesen, ist ein gravierendes Missverständnis. Bis zum 20. Juni 1791, dem Tag der gescheiterten Flucht des Königs, verstanden die Akteure der Revolution unter "republikanisch" nichts anderes als eine mehr oder weniger umfassende Begrenzung der zuvor de facto unbeschränkten monarchischen Gewalt durch eine Verfassung, deren Merkmale die Garantie gleicher Rechte und Freiheiten aller sowie eine frei gewählte legislative Versammlung von Volksvertretern.

Die rasch weithin geteilte Forderung nach einer republikanischen Verfassung im heutigen Verständnis kam erst nach der Verweigerung der bis dahin vorgesehenen konstitutionellen Monarchie aufs Tapet, die Louis XVI. mit seiner Flucht unmissverständlich bekundet hatte. Dieses Ereignis markierte einen Schub, der wesentlich dazu beitrug, die revolutionäre Dynamik endgültig zu entfesseln und bis zum Paroxysmus der jakobinischen Schreckensherrschaft von 1793/94 zu steigern, mit dem die Revolution nach dem bekannten Wort Dantons "ihre eigenen Kinder auffraß".

Mit dem von den "autoritären Populisten" Robespierre und Marat inszenierten Putsch vom 2. Juni 1793 wurden die "Girondisten", die Parteigänger der "radikalen Aufklärung" und Protagonisten der nach Israel eigentlichen, der wahren Revolution, ausgeschaltet. Die neue Agenda, die der Revolution jetzt von dem "Proto-Faschisten" Robespierre diktiert wurde, war demzufolge eine schreckliche Perversion und das genaue Gegenteil der ursprünglichen Absichten der in der "radikalen Aufklärung" verwurzelten Revolution.

Jonathan Israel: "Die Französische Revolution". Ideen machen Politik.

Aus dem Englischen von Ulrich Bossier. Reclam Verlag, Stuttgart 2017. 990 S., Abb., geb., 49,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Johannes Willms, selbst Autor eines Buchs über die Französische Revolution und einer Mirabeau-Biografie, schaut gespannt auf Jonathan Israels Erklärungsversuch der Urgründe der Revolution - und wird enttäuscht. So einleuchtend die Widerlegung einer marxistischen Erklärung oder auch die These von den vielen kleinen Impulsen dem Rezensenten erscheint, so wenig überzeugt ihn, was der Autor zwar auf beeindruckende Weise geistesgeschichtlich untermauert und auch erzählerisch gekonnt inszeniert, was jedoch für Willms dadurch nicht stichhaltiger wird. Willms weiß um Israels eminente Bedeutung als Historiker der "radikalen Aufklärung", aber Israels These von einer bestimmten, von radikalen Aufklärern wie Diderot, Helvetius, Raynal und andere repräsentierten Denkrichtung als "intellektuellen Braukessel" der Revolution meint Willms widerlegen zu können. Israel beschreibe diese Männer als genuin atheistisch und demokratisch gesinnte Republikaner. Aber "Republikaner" wurde damals ganz anders verstanden als heute, meint Willms. Die Republikaner Ende des 18. Jahrhunderts wollten eine durch eine Verfassung eingeschränkte Monarchie, nicht deren Abschaffung, so der Rezensent.

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