Großer Auftritt für Rafik Schami: In seinem neuen, persönlichsten Buch erzählt er, wie er zu einem der beliebtesten Erzähler Deutschlands wurde. Er berichtet von seiner Kindheit in Damaskus, als es noch Geschichtenerzähler gab, die im Kaffeehaus ihr Garn gesponnen haben, er zeichnet ein liebevolles Porträt seines Großvaters, und er macht sich Gedanken darüber, wie die Märchen in die Welt gekommen sind. In diesem Buch, und das macht den großen Reiz aus, spricht Schami mit dem Leser - und wir hören ihm atemlos zu.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2011Wir wollen nicht wählen zwischen Märchen und Musil
Erzähl mir doch (k)eine Geschichte von Männern, die schweigen: Die Erfindung des Erzählers Rafik Schami aus dem Reich der Superlative.
Von Sabine Berking
Gäbe es den Schriftsteller Rafik Schami nicht, man müsste ihn erfinden. Für die deutsche Literatur ist er ein Glücksfall. Niemand aber könnte die ebenso abenteuerliche wie wundersame Metamorphose des Damaszener Konditorsohnes Suhail Fadil zu einem der erfolgreichsten deutschsprachigen Schriftsteller besser erzählen als der Meister selbst. Es ist eine Geschichte der Superlative, wie man gleich auf der ersten Seite seines neuen Buches erfährt: 2321 Lesungen, die zu bestreiten der Autor neunmal um den Erdball gefahren ist! Hinzuzufügen wäre, dass allein an Taschenbüchern mehr als eine Million Exemplare verkauft wurden. Der bisher erfolgreichste Roman "Die dunkle Seite der Liebe" liegt in zig Auflagen vor. In vierundzwanzig Sprachen wurden seine Bücher übersetzt, auch ins Arabische. Davon kann mancher Literatur-Nobelpreisträger nur träumen. Zeit also für den heute fünfundsechzig Jahre alten Autor, Bilanz zu ziehen, die vor allem eine Hommage an das mündliche Erzählen ist, dem er sich seit Anbeginn seiner Schriftstellerkarriere verpflichtet fühlt.
Die Erfindung des Phänomens Schami beginnt mit einer Anekdote, die den Leser ins Damaskus des Jahres 1953 führt. Der damals Siebenjährige verfolgt an der Hand seines Großvaters, wie eine alte Frau ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufen will, weil dieser allzu wortkarg ist, woraus der Knabe schließt, dass man sich besser im Erzählen übt, bevor es zu spät ist. Dieser Geschichte folgen viele, etwa jene wunderbare von der eintausend und eine Nacht währenden Radioübertragung der Lesung der gleichnamigen Erzählungen, bei der es in Damaskus ungefähr so zugegangen sein muss, wie bei einem Endspiel der Fußball-Weltmeisterschaft hierzulande. Oder jene über den Friseur, der vor lauter Erzählen die Haare seiner Kunden verhunzt und damit das Vorhaben des Erzählers, diese Geschichten zu sammeln, aus Angst um die eigene Frisur scheitern lässt. Oder jene über die Brille des Großvaters, die der Enkel der sterbenden Großmutter in die Hand drückte, auf dass sie sie ihrem Mann in den Himmel mitnehme. Dann, so glaubte der Junge, könne der Opa dort endlich wieder lesen.
Schami kam 1971 im Alter von fünfundzwanzig Jahren nach Deutschland, um in Heidelberg Chemie zu studieren. In seiner syrischen Heimat war es für den politisch wie literarisch engagierten Studenten aus einer christlich-aramäischen Familie gefährlich geworden, nachdem der Assad-Clan die Macht an sich gerissen hatte. Der Tragödie des Exils verdanken wir Bücher, die immer ein bisschen elegisch, aber nie düster oder bitter sind, und deren Geschichten, wie die in diesem Band, etwas Tröstendes ausstrahlen. Die Ferne zur Heimat, in die Schami nie zurückkehrte, wirkt wie ein Weichzeichner auf das Verlorene, die fremde Sprache, in der er schon bald ausschließlich schreibt, mag wiederum Distanz zum Verlust hergestellt haben. Eine vielversprechende Karriere in einem Pharmakonzern schlug der promovierte Naturwissenschaftler alsbald in den Wind, um sich als Geschichtenerzähler und Schreiber anfangs nur bescheidene Brötchen zu verdienen. Der Erfolg stellte sich langsam, aber stetig ein, und zwar auch mittels der Tortur zahlreicher Lesungen, deren Besucherzahlen anfangs zu wünschen übrigließen. Manchen mag so etwas abschrecken. Schami aber änderte seinen Stil nicht, sondern kämpfte einen in der Literaturszene jener Jahre scheinbar aussichtslosen Kampf: das gesprochene, erzählende Wort gegen den rasant wachsenden medialen Windmühlenwald. Er konnte dabei einiges für sich nutzen: Authentizität, vermutlich auch ein uns Deutschen anhaftendes Faible für Exotik, das schon Karl May bediente, vor allem aber die zunehmende Sehnsucht nach mehr Lesung und weniger Lesen, nach einer literarischen Event-Kultur, die hierzulande nur wenige Autoren so virtuos bedienen können wie Rafik Schami.
Im längsten Text des Buches, Schamis Antrittsvorlesung zur Brüder-Grimm-Professur der Universität Kassel 2010, geht es um die heikle Aufgabe der Formulierung eines schriftlichen Beitrages nach den Regeln der mündlichen Erzählkunst. Darin rechnet der Autor nicht so sehr mit der schriftlichen Form ab, ohne die, das weiß er ja besser als manch anderer, es keine Literatur gäbe, vielmehr macht er den Verlust der Erzählkultur dafür verantwortlich, dass wunderbare Werke beispielsweise der arabischen Literatur grottenschlecht übersetzt auf den Markt kommen und uns damit ein Stück Weltkultur verlorengeht. Befremdlich wirkt Schamis geradezu eurozentristischer Seitenhieb auf jene postkolonialen Autoren, die sich, wie er schreibt, der europäischen Kultur unterwarfen, um zu kleinen Balzacs, Hemingways oder Kafkas zu werden. Warum, so fragt man sich, sollte ihnen verwehrt sein, was für Autoren der westlichen Hemisphäre seit Jahrhunderten gilt. Märchen oder Musil, das ist doch keine Alternative! Ein Grummeln im Bauch stellt sich auch beim Lob des Mündlichen anhand von Politikerreden ein, deren Schwung sich in der Verschriftlichung in Luft auflöst, hat doch die charismatische Politikerrede in der Geschichte vermutlich ebenso viel Schaden wie Gutes angerichtet. Lob der Redekunst hin oder her: Ein stotternder Demokrat ist allemal besser als ein rhetorisch brillanter Diktator.
Rafik Schami: "Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte".
Hanser Verlag, München 2011. 170 S., geb., 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Erzähl mir doch (k)eine Geschichte von Männern, die schweigen: Die Erfindung des Erzählers Rafik Schami aus dem Reich der Superlative.
Von Sabine Berking
Gäbe es den Schriftsteller Rafik Schami nicht, man müsste ihn erfinden. Für die deutsche Literatur ist er ein Glücksfall. Niemand aber könnte die ebenso abenteuerliche wie wundersame Metamorphose des Damaszener Konditorsohnes Suhail Fadil zu einem der erfolgreichsten deutschsprachigen Schriftsteller besser erzählen als der Meister selbst. Es ist eine Geschichte der Superlative, wie man gleich auf der ersten Seite seines neuen Buches erfährt: 2321 Lesungen, die zu bestreiten der Autor neunmal um den Erdball gefahren ist! Hinzuzufügen wäre, dass allein an Taschenbüchern mehr als eine Million Exemplare verkauft wurden. Der bisher erfolgreichste Roman "Die dunkle Seite der Liebe" liegt in zig Auflagen vor. In vierundzwanzig Sprachen wurden seine Bücher übersetzt, auch ins Arabische. Davon kann mancher Literatur-Nobelpreisträger nur träumen. Zeit also für den heute fünfundsechzig Jahre alten Autor, Bilanz zu ziehen, die vor allem eine Hommage an das mündliche Erzählen ist, dem er sich seit Anbeginn seiner Schriftstellerkarriere verpflichtet fühlt.
Die Erfindung des Phänomens Schami beginnt mit einer Anekdote, die den Leser ins Damaskus des Jahres 1953 führt. Der damals Siebenjährige verfolgt an der Hand seines Großvaters, wie eine alte Frau ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufen will, weil dieser allzu wortkarg ist, woraus der Knabe schließt, dass man sich besser im Erzählen übt, bevor es zu spät ist. Dieser Geschichte folgen viele, etwa jene wunderbare von der eintausend und eine Nacht währenden Radioübertragung der Lesung der gleichnamigen Erzählungen, bei der es in Damaskus ungefähr so zugegangen sein muss, wie bei einem Endspiel der Fußball-Weltmeisterschaft hierzulande. Oder jene über den Friseur, der vor lauter Erzählen die Haare seiner Kunden verhunzt und damit das Vorhaben des Erzählers, diese Geschichten zu sammeln, aus Angst um die eigene Frisur scheitern lässt. Oder jene über die Brille des Großvaters, die der Enkel der sterbenden Großmutter in die Hand drückte, auf dass sie sie ihrem Mann in den Himmel mitnehme. Dann, so glaubte der Junge, könne der Opa dort endlich wieder lesen.
Schami kam 1971 im Alter von fünfundzwanzig Jahren nach Deutschland, um in Heidelberg Chemie zu studieren. In seiner syrischen Heimat war es für den politisch wie literarisch engagierten Studenten aus einer christlich-aramäischen Familie gefährlich geworden, nachdem der Assad-Clan die Macht an sich gerissen hatte. Der Tragödie des Exils verdanken wir Bücher, die immer ein bisschen elegisch, aber nie düster oder bitter sind, und deren Geschichten, wie die in diesem Band, etwas Tröstendes ausstrahlen. Die Ferne zur Heimat, in die Schami nie zurückkehrte, wirkt wie ein Weichzeichner auf das Verlorene, die fremde Sprache, in der er schon bald ausschließlich schreibt, mag wiederum Distanz zum Verlust hergestellt haben. Eine vielversprechende Karriere in einem Pharmakonzern schlug der promovierte Naturwissenschaftler alsbald in den Wind, um sich als Geschichtenerzähler und Schreiber anfangs nur bescheidene Brötchen zu verdienen. Der Erfolg stellte sich langsam, aber stetig ein, und zwar auch mittels der Tortur zahlreicher Lesungen, deren Besucherzahlen anfangs zu wünschen übrigließen. Manchen mag so etwas abschrecken. Schami aber änderte seinen Stil nicht, sondern kämpfte einen in der Literaturszene jener Jahre scheinbar aussichtslosen Kampf: das gesprochene, erzählende Wort gegen den rasant wachsenden medialen Windmühlenwald. Er konnte dabei einiges für sich nutzen: Authentizität, vermutlich auch ein uns Deutschen anhaftendes Faible für Exotik, das schon Karl May bediente, vor allem aber die zunehmende Sehnsucht nach mehr Lesung und weniger Lesen, nach einer literarischen Event-Kultur, die hierzulande nur wenige Autoren so virtuos bedienen können wie Rafik Schami.
Im längsten Text des Buches, Schamis Antrittsvorlesung zur Brüder-Grimm-Professur der Universität Kassel 2010, geht es um die heikle Aufgabe der Formulierung eines schriftlichen Beitrages nach den Regeln der mündlichen Erzählkunst. Darin rechnet der Autor nicht so sehr mit der schriftlichen Form ab, ohne die, das weiß er ja besser als manch anderer, es keine Literatur gäbe, vielmehr macht er den Verlust der Erzählkultur dafür verantwortlich, dass wunderbare Werke beispielsweise der arabischen Literatur grottenschlecht übersetzt auf den Markt kommen und uns damit ein Stück Weltkultur verlorengeht. Befremdlich wirkt Schamis geradezu eurozentristischer Seitenhieb auf jene postkolonialen Autoren, die sich, wie er schreibt, der europäischen Kultur unterwarfen, um zu kleinen Balzacs, Hemingways oder Kafkas zu werden. Warum, so fragt man sich, sollte ihnen verwehrt sein, was für Autoren der westlichen Hemisphäre seit Jahrhunderten gilt. Märchen oder Musil, das ist doch keine Alternative! Ein Grummeln im Bauch stellt sich auch beim Lob des Mündlichen anhand von Politikerreden ein, deren Schwung sich in der Verschriftlichung in Luft auflöst, hat doch die charismatische Politikerrede in der Geschichte vermutlich ebenso viel Schaden wie Gutes angerichtet. Lob der Redekunst hin oder her: Ein stotternder Demokrat ist allemal besser als ein rhetorisch brillanter Diktator.
Rafik Schami: "Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte".
Hanser Verlag, München 2011. 170 S., geb., 17,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Rafik Schami kommt Markus Clauer "angenehm uncool" vor. Eigentlich heißt der Autor Suheil Fadel, weiß der Rezensent, aber den Künstlernamen "Damaszener Freund" findet er sehr passend - schließlich spielen die meisten seiner Geschichten in der syrischen Hauptstadt. In "Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte" erzählt Schami über seine eigene Kindheit und wie er zum Schreiben gekommen ist. Von Clauer erfahren wir, dass der Autor früher pausenlos mit seiner Mutter die Geschichten von Scheherazade beim Friseur oder im Radio gehört hat. Schami sei ein Vortragskünstler, der Wert auf die arabische mündliche Tradition lege, erklärt der Rezensent, aber er schaffe es, deren Faszination ins Schriftliche zu übertragen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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