Me'ir, ein Junggeselle mit Bindungsangst und vielversprechender Jungautor mit gegenwärtiger Schreibblockade, setzt die Bruchstücke seiner Erinnerung beharrlich zusammen - zu einem herzergreifenden Lebensbild, dem er sich nur auf eine Art stellen kann: indem er schreibt.
Me'ir war sieben, als er seinem Vater in Tel Aviv Lebwohl sagte, um nach Manhattan zu fliegen und fortan bei seiner Mutter zu leben. Jahrelang war er sicher, der Vater sei tot. Und er ist dreißig, als die Mutter ihm eröffnet, dass der Vater noch lebt und ihn noch einmal sehen möchte, bevor er stirbt. Vage Kindheitserinnerungen überfluten Me'ir - an das Vagabundenleben mit dem Vater, die nächtlichen Schreie des Onkels, der das Lager überlebt hat, das allabendliche Warten gegenüber dem Café, bis der Vater, ein erfolgloser Dichter, einen Schlafplatz für sie beide aufgetan hatte. Dieser Vater, der trotz aller Armut eines vermochte, Frauen für sich zu gewinnen. - Bis eines Tages eine Katastrophe diesem Lebenein Ende bereitete ...
Me'ir war sieben, als er seinem Vater in Tel Aviv Lebwohl sagte, um nach Manhattan zu fliegen und fortan bei seiner Mutter zu leben. Jahrelang war er sicher, der Vater sei tot. Und er ist dreißig, als die Mutter ihm eröffnet, dass der Vater noch lebt und ihn noch einmal sehen möchte, bevor er stirbt. Vage Kindheitserinnerungen überfluten Me'ir - an das Vagabundenleben mit dem Vater, die nächtlichen Schreie des Onkels, der das Lager überlebt hat, das allabendliche Warten gegenüber dem Café, bis der Vater, ein erfolgloser Dichter, einen Schlafplatz für sie beide aufgetan hatte. Dieser Vater, der trotz aller Armut eines vermochte, Frauen für sich zu gewinnen. - Bis eines Tages eine Katastrophe diesem Lebenein Ende bereitete ...
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.02.2009Die Logik des Tabus
Savyon Liebrechts Roman einer verlorenen Kindheit
Savyon Liebrecht wurde 1948 als Tochter polnisch-jüdischer Schoa-Überlebender in München geboren. Sie wuchs in Israel auf, wo sie heute zu den bekanntesten Schriftstellerinnen gehört. In ihrer Prosa erzählt sie oft vom Holocaust als einem schmerzlichen, aber auch selbstverständlich gewordenen Teil jüdischer Identität. Sie erzählt davon, wie die verschwiegenen Traumata der Eltern das Leben der Kinder prägen.
In ihrem neuen Buch blickt der dreißigjährige Me'ir - Sohn einer jüdischen Amerikanerin und eines in Polen geborenen Juden, welcher der Vernichtung nur knapp entkommen ist - auf eine verlorene Kindheit zurück, als er nach vielen Jahren erfährt, dass sein angeblich toter Vater lebt. Für Me'ir öffnet sich damit die Büchse der Pandora. Mit aller Macht verdrängte Erinnerungen kehren zurück. Als er sieben Jahre alt war, reiste seine Mutter in die Staaten, und der Junge blieb monatelang mit seinem Vater in Israel allein. Der mittellose Schriftsteller erwies sich als unfähig, für seinen Sohn zu sorgen. Bald ging er dazu über, abends in einem Literatencafé Frauen anzusprechen, um wenigstens für ein paar Tage eine Unterkunft zu haben. Sein kleiner Sohn musste vor dem Café auf ihn warten, in fremden Wohnungen das Geraschel und Gestöhne aus dem Nebenzimmer ertragen und sich erotische Tipps zum Umgang mit Frauen anhören. Nach der Verhaftung des Vaters - wegen der Verwicklung in einen Mord - holte die Mutter das Kind nach Amerika und behauptete, der Vater sei tot. Geborgenheit fand Me'ir auch bei der distanzierten Mutter nicht.
Dem nun erwachsenen Me'ir wird bewusst, dass er sich wie einst sein Vater vom Leben der Frauen "verschlingen und absorbieren" ließ, "als hätte er kein eigenes". Erstmals stellt er seinen Eltern Fragen - zuerst der Mutter in Manhattan, dann dem todkranken Vater in Tel Aviv. Doch alle drei entkommen der perfiden Logik des Tabus nicht, verhüllen in ihren Gesprächen mehr voreinander, als sie enthüllen. Nach und nach legt Liebrecht die Psychologie der Figuren frei - ohne dass der Knoten sich löst. Der hilflose Vater, die depressive Mutter, der enttäuschte Sohn - alle sind Akteure und Leidende zugleich.
Savyon Liebrecht schreibt nicht immer stilsicher, doch der Zugriff auf die Story ist ähnlich packend wie der des amerikanischen Therapeuten Irvin D. Yalom in seinem Bestseller "Und Nietzsche weinte", der eine fiktive "Redekur" Nietzsches bei Freuds Mentor Josef Breuer schildert. Die Vergangenheit ist unabschließbar; sie zu analysieren vielleicht die einzige Möglichkeit, ihr Fortwirken zu verstehen.
JUDITH LEISTER
Savyon Liebrecht: "Die Frauen meines Vaters". Roman. Aus dem Hebräischen übersetzt von Vera Loos und Naomi Nir-Bleimling. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2008. 295 S., br. , 15,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Savyon Liebrechts Roman einer verlorenen Kindheit
Savyon Liebrecht wurde 1948 als Tochter polnisch-jüdischer Schoa-Überlebender in München geboren. Sie wuchs in Israel auf, wo sie heute zu den bekanntesten Schriftstellerinnen gehört. In ihrer Prosa erzählt sie oft vom Holocaust als einem schmerzlichen, aber auch selbstverständlich gewordenen Teil jüdischer Identität. Sie erzählt davon, wie die verschwiegenen Traumata der Eltern das Leben der Kinder prägen.
In ihrem neuen Buch blickt der dreißigjährige Me'ir - Sohn einer jüdischen Amerikanerin und eines in Polen geborenen Juden, welcher der Vernichtung nur knapp entkommen ist - auf eine verlorene Kindheit zurück, als er nach vielen Jahren erfährt, dass sein angeblich toter Vater lebt. Für Me'ir öffnet sich damit die Büchse der Pandora. Mit aller Macht verdrängte Erinnerungen kehren zurück. Als er sieben Jahre alt war, reiste seine Mutter in die Staaten, und der Junge blieb monatelang mit seinem Vater in Israel allein. Der mittellose Schriftsteller erwies sich als unfähig, für seinen Sohn zu sorgen. Bald ging er dazu über, abends in einem Literatencafé Frauen anzusprechen, um wenigstens für ein paar Tage eine Unterkunft zu haben. Sein kleiner Sohn musste vor dem Café auf ihn warten, in fremden Wohnungen das Geraschel und Gestöhne aus dem Nebenzimmer ertragen und sich erotische Tipps zum Umgang mit Frauen anhören. Nach der Verhaftung des Vaters - wegen der Verwicklung in einen Mord - holte die Mutter das Kind nach Amerika und behauptete, der Vater sei tot. Geborgenheit fand Me'ir auch bei der distanzierten Mutter nicht.
Dem nun erwachsenen Me'ir wird bewusst, dass er sich wie einst sein Vater vom Leben der Frauen "verschlingen und absorbieren" ließ, "als hätte er kein eigenes". Erstmals stellt er seinen Eltern Fragen - zuerst der Mutter in Manhattan, dann dem todkranken Vater in Tel Aviv. Doch alle drei entkommen der perfiden Logik des Tabus nicht, verhüllen in ihren Gesprächen mehr voreinander, als sie enthüllen. Nach und nach legt Liebrecht die Psychologie der Figuren frei - ohne dass der Knoten sich löst. Der hilflose Vater, die depressive Mutter, der enttäuschte Sohn - alle sind Akteure und Leidende zugleich.
Savyon Liebrecht schreibt nicht immer stilsicher, doch der Zugriff auf die Story ist ähnlich packend wie der des amerikanischen Therapeuten Irvin D. Yalom in seinem Bestseller "Und Nietzsche weinte", der eine fiktive "Redekur" Nietzsches bei Freuds Mentor Josef Breuer schildert. Die Vergangenheit ist unabschließbar; sie zu analysieren vielleicht die einzige Möglichkeit, ihr Fortwirken zu verstehen.
JUDITH LEISTER
Savyon Liebrecht: "Die Frauen meines Vaters". Roman. Aus dem Hebräischen übersetzt von Vera Loos und Naomi Nir-Bleimling. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2008. 295 S., br. , 15,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Judith Leister hat das Buch als Versuch gelesen, das Fortwirken der Vergangenheit zu verstehen. Der Blick zurück auf eine verlorene Kindheit zwischen Manhattan und Tel Aviv holt die verdrängten Erinnerungen des Protagonisten zwar ans Licht, dort werden sie jedoch sogleich neu verhüllt. Leister beobachtet, wie Savyon Liebrecht die Psychologie seiner Figuren zwar freilegt, aber keine Lösung anbietet. Mutter, Vater, Sohn - die Rezensentin erkennt ihre Doppelrolle als Leidende und zugleich Agierende. Die Art und Weise, wie die Autorin dieses Drama angeht, erscheint Leister packend, wenngleich nicht immer stilsicher.
© Perlentaucher Medien GmbH
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