Sommer 1944, irgendwo im Schwäbischen: Den Jungs aus der Freibadclique, alle Jahrgang 1929, steht der Sinn nach allem mehr als nach dem nationalen Gedanken. Sie sehnen sich nach Swing und Bigband-Sound, nach Lore im roten Badeanzug und dem Ende des faulen Zaubers Voller Poesie, rauer Jungs-Atmosphäre und ungemein lebendig erinnert sich Oliver Storz an einen denkwürdigen Sommer am Ende des Kriegs. Drei Passagen dieses Buchs waren als Vorabdrucke in der SZ am Wochenende zu lesen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.10.2008Deutsche Mädchenrücken
Oliver Storz erzählt vom Kriegsende der Jugendlichen
Wir schreiben das Jahr 1944. Die Triumphfanfaren, die in den Radionachrichten die Siege über Polen und Frankreich oder jene in den großen Kesselschlachten im Osten angekündigt haben, schweigen schon lange. Die Rote Armee nähert sich der Weichsel, in Frankreich sind die Westalliierten gelandet. Hermann Göring heißt längst Hermann Meier: Die Schwärme von mehreren hundert amerikanischen und englischen Bombern ziehen bereits tagsüber ihre Spur in den Himmel. Im Schwimmbad einer Kleinstadt nahe Heilbronn trifft sich die Gruppe fünfzehnjähriger Gymnasiasten, die sich die "Clique" nennt. Im roten Badeanzug, verfolgt von den phantasiegequälten Blicken der Pubertierenden, begibt sich Luftwaffenhelferin Lore in die Jasminbüsche, in denen die Testpiloten der neuen Messerschmitt 262 sie erwarten. Görings Luftwaffentruppe nimmt sich Freiheiten heraus, Swingmusik hallt herüber. Aber über den spätsommerlichen Schwimmbadfreuden hängt schon das Damoklesschwert: Die Hitler-Jugend rüstet zum Kriegseinsatz der Jüngsten.
Dann befinden wir uns im Sommer 1945. Die Sechzehnjährigen der Clique haben Schanzarbeiten im Elsass, die Einberufung zur Waffen-SS oder zum Volkssturm und die Erfahrungen des "letzten Aufgebots" hinter sich, aber die Gruppe ist geschmolzen. Im Schwimmbad reiben Soldaten der US-Army "amerikanisches Sonnenöl" auf "deutsche Mädchenrücken" oder amüsieren sich im Jasmingebüsch mit den "Fräuleins". Klänge der Henry-James-Band und Lucky-Strike-Duft wehen herüber. Im Kino war schon "You Were Never Lovlier" mit Fred Astaire und Rita Hayworth zu sehen. Hat man die Lieder von Fahne, Sieg und Tod je gesungen, hat man trotz des Widerwillens gegen das Exerzieren die "Kraftprotzerei" der Hitler-Jugend je mitgemacht?
Im Roman "Die Freibadclique" erzählt Oliver Storz mit viel Detailkenntnis von den Stimmungen und Erfahrungen Jugendlicher im letzten Kriegs- und im ersten Friedensjahr. Autobiographische Vorgaben sind unverkennbar, der Autor gehört selbst zum Jahrgang 1929. Die Freibadclique repräsentiert nicht die Jugend der Zeit allgemein, wohl aber jenen Teil, der allmählich des ständigen Appells an die vaterländischen Pflichten und der Marschmusik überdrüssig wurde und heimlich amerikanische Musiksender zu hören beginnt. Man kennt diese Haltung aus Kempowskis Roman "Tadellöser & Wolff" von den beiden Brüdern Walter und Robert, den "Schwänzern" und "Tangojünglingen". In einer forsch-drastischen Vulgärsprache verständigt sich die Clique. Alles, was geeignet ist, das "provinzielle" Schwäbisch zu leugnen, ist willkommen. So durchsäuert das Berlinerisch eines Luftkriegsflüchtlings jetzt die Dialoge. Und bei solchem Lautgemisch wird der Leser, der sich an diese Zeit erinnern kann, nun doch stutzig. Dieses Vulgärdeutsch war damals den Gymnasiasten, vorwiegend aus bürgerlichen Häusern, fremd, auch wenn die Landsersprache der Kriegszeit den Umgangston schon eingefärbt haben mochte. Hier biedert sich der Erzähler, von dessen hoch gebildetem Vater wenigstens in Andeutungen die Rede ist, heutigen jugendlichen Lesern an.
Das ist bei einem Autor wie Storz verwunderlich. Er war von 1957 an Redakteur und Produzent im Bavaria Atelier München, lehrte als Professor für die Theorie des Theaters an der Stuttgarter Hochschule für darstellende Kunst, hat seit 1962 Erzählungen und Romane veröffentlicht und wurde für seine Drehbücher und Fernsehfilme mit hohen Preisen bedacht. Und noch in anderer Weise scheint ihn im neuen Roman der Teufel geritten zu haben. Storz leiht sich Muster vom amerikanischen "Film noir" aus. Die Schokoladenseite der frühen amerikanischen Besatzungszeit für jene, die in amerikanischen Bars und Armeedepots arbeiteten oder in korrupte Beziehungen traten zu den Lagern der Displaced persons und der osteuropäischen Zwangsarbeiter, die nicht in die Länder unter dem Sowjetstern zurückkehren wollten, wird in eine reißerische erotisch-kriminelle Handlung gepackt. So wechselt der Leser zwischen dem Dampfbad der Spannung und der kalten Dusche des Befremdens. Doch dieser Roman ist auch an Szenen der Daseinsangst wie der Schwankfröhlichkeit nicht arm. Der Erzähler kennt den Reiz der Selbstironie.
Die Freibadclique nimmt von der chaotischen Zwischenzeit, die schon Wolfgang Koeppen im Roman "Tauben im Gras" (1951) früh durchleuchtet hat, Abschied, als im Dezember 1945 die Schule wieder ihre Tore öffnet. In welcher Stimmung aber die Schwimmbadclique in die Zukunft blickt, fasst der Erzähler in dem Satz zusammen: "Wir hassten den Krieg, aber kaum weniger den Frieden, der kommen würde mit Schule, Tanzstunde und Hausmusik." Vom Fieber des Wiederaufbaus, den Bequemlichkeiten des beginnenden Wohlstands und vom Lockruf der Berufskarriere berichtet der Erzähler nicht mehr.
WALTER HINCK
Oliver Storz: "Die Freibadclique". Roman. SchirmerGraf Verlag, München 2008. 248 S., geb., 19,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Oliver Storz erzählt vom Kriegsende der Jugendlichen
Wir schreiben das Jahr 1944. Die Triumphfanfaren, die in den Radionachrichten die Siege über Polen und Frankreich oder jene in den großen Kesselschlachten im Osten angekündigt haben, schweigen schon lange. Die Rote Armee nähert sich der Weichsel, in Frankreich sind die Westalliierten gelandet. Hermann Göring heißt längst Hermann Meier: Die Schwärme von mehreren hundert amerikanischen und englischen Bombern ziehen bereits tagsüber ihre Spur in den Himmel. Im Schwimmbad einer Kleinstadt nahe Heilbronn trifft sich die Gruppe fünfzehnjähriger Gymnasiasten, die sich die "Clique" nennt. Im roten Badeanzug, verfolgt von den phantasiegequälten Blicken der Pubertierenden, begibt sich Luftwaffenhelferin Lore in die Jasminbüsche, in denen die Testpiloten der neuen Messerschmitt 262 sie erwarten. Görings Luftwaffentruppe nimmt sich Freiheiten heraus, Swingmusik hallt herüber. Aber über den spätsommerlichen Schwimmbadfreuden hängt schon das Damoklesschwert: Die Hitler-Jugend rüstet zum Kriegseinsatz der Jüngsten.
Dann befinden wir uns im Sommer 1945. Die Sechzehnjährigen der Clique haben Schanzarbeiten im Elsass, die Einberufung zur Waffen-SS oder zum Volkssturm und die Erfahrungen des "letzten Aufgebots" hinter sich, aber die Gruppe ist geschmolzen. Im Schwimmbad reiben Soldaten der US-Army "amerikanisches Sonnenöl" auf "deutsche Mädchenrücken" oder amüsieren sich im Jasmingebüsch mit den "Fräuleins". Klänge der Henry-James-Band und Lucky-Strike-Duft wehen herüber. Im Kino war schon "You Were Never Lovlier" mit Fred Astaire und Rita Hayworth zu sehen. Hat man die Lieder von Fahne, Sieg und Tod je gesungen, hat man trotz des Widerwillens gegen das Exerzieren die "Kraftprotzerei" der Hitler-Jugend je mitgemacht?
Im Roman "Die Freibadclique" erzählt Oliver Storz mit viel Detailkenntnis von den Stimmungen und Erfahrungen Jugendlicher im letzten Kriegs- und im ersten Friedensjahr. Autobiographische Vorgaben sind unverkennbar, der Autor gehört selbst zum Jahrgang 1929. Die Freibadclique repräsentiert nicht die Jugend der Zeit allgemein, wohl aber jenen Teil, der allmählich des ständigen Appells an die vaterländischen Pflichten und der Marschmusik überdrüssig wurde und heimlich amerikanische Musiksender zu hören beginnt. Man kennt diese Haltung aus Kempowskis Roman "Tadellöser & Wolff" von den beiden Brüdern Walter und Robert, den "Schwänzern" und "Tangojünglingen". In einer forsch-drastischen Vulgärsprache verständigt sich die Clique. Alles, was geeignet ist, das "provinzielle" Schwäbisch zu leugnen, ist willkommen. So durchsäuert das Berlinerisch eines Luftkriegsflüchtlings jetzt die Dialoge. Und bei solchem Lautgemisch wird der Leser, der sich an diese Zeit erinnern kann, nun doch stutzig. Dieses Vulgärdeutsch war damals den Gymnasiasten, vorwiegend aus bürgerlichen Häusern, fremd, auch wenn die Landsersprache der Kriegszeit den Umgangston schon eingefärbt haben mochte. Hier biedert sich der Erzähler, von dessen hoch gebildetem Vater wenigstens in Andeutungen die Rede ist, heutigen jugendlichen Lesern an.
Das ist bei einem Autor wie Storz verwunderlich. Er war von 1957 an Redakteur und Produzent im Bavaria Atelier München, lehrte als Professor für die Theorie des Theaters an der Stuttgarter Hochschule für darstellende Kunst, hat seit 1962 Erzählungen und Romane veröffentlicht und wurde für seine Drehbücher und Fernsehfilme mit hohen Preisen bedacht. Und noch in anderer Weise scheint ihn im neuen Roman der Teufel geritten zu haben. Storz leiht sich Muster vom amerikanischen "Film noir" aus. Die Schokoladenseite der frühen amerikanischen Besatzungszeit für jene, die in amerikanischen Bars und Armeedepots arbeiteten oder in korrupte Beziehungen traten zu den Lagern der Displaced persons und der osteuropäischen Zwangsarbeiter, die nicht in die Länder unter dem Sowjetstern zurückkehren wollten, wird in eine reißerische erotisch-kriminelle Handlung gepackt. So wechselt der Leser zwischen dem Dampfbad der Spannung und der kalten Dusche des Befremdens. Doch dieser Roman ist auch an Szenen der Daseinsangst wie der Schwankfröhlichkeit nicht arm. Der Erzähler kennt den Reiz der Selbstironie.
Die Freibadclique nimmt von der chaotischen Zwischenzeit, die schon Wolfgang Koeppen im Roman "Tauben im Gras" (1951) früh durchleuchtet hat, Abschied, als im Dezember 1945 die Schule wieder ihre Tore öffnet. In welcher Stimmung aber die Schwimmbadclique in die Zukunft blickt, fasst der Erzähler in dem Satz zusammen: "Wir hassten den Krieg, aber kaum weniger den Frieden, der kommen würde mit Schule, Tanzstunde und Hausmusik." Vom Fieber des Wiederaufbaus, den Bequemlichkeiten des beginnenden Wohlstands und vom Lockruf der Berufskarriere berichtet der Erzähler nicht mehr.
WALTER HINCK
Oliver Storz: "Die Freibadclique". Roman. SchirmerGraf Verlag, München 2008. 248 S., geb., 19,80 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Diese Knuffkes, wie eine der Hauptfiguren in Oliver Storzs Roman heißt, gehören unbedingt zur bundesrepublikanischen Nachkriegswirklichkeit, findet Ijoma Mangold. Daran dass Storz mit diesem Buch eine Generation dem Vergessen entreißt, die dem Heroismus der letzten Kriegstage Freidenkertum und jazzig-lässigen Ungehorsam entgegensetzten, hat Mangold keinen Zweifel. Der Schwung dieser Skeptiker in Badehose teilt sich dem Rezensenten ganz unmittelbar mit, weil der Autor den Sound der Epoche in allen Facetten und leichtfüßig zudem wiedererstehen zu lassen vermag. Für Mangold wird das Buch zur Fundgrube an Redewendungen und Sprüchen, zur Erinnerung auch an Kempowskis "Deutsche Chronik". Gleichfalls ins Schwarze trifft die Wahl des Zentralmotivs "Freibad". Für Mangold ein metaphorischer Ort, der die Unschuld der späteren Bundesrepublik in sich trägt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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