Horace Benbow ist ein Rechtsanwalt mit einem großen Herzen. Er ist unterwegs nach Jefferson, als er in der Nähe der Old-Frenchman-Farm vom Verbrecher Popeye aufgehalten wird. Dieser befürchtet, dass das Geheimnis der in der Farm versteckten illegalen Schnapsbrennerei auffliegen könnte, und lässt Benbow erst weiterziehen, nachdem er dem Chef der Bande, Lee Goodwin, versprochen hat, dass es keine Anzeige geben wird. Doch Benbow wird noch einmal mit Goodwin zu tun bekommen, denn kurze Zeit später geschieht in der alten Farm ein Mord, der dem Bandenchef angelastet wird. Benbow aber glaubt an dessen Unschuld: Ein Schnapsbrenner sei er vielleicht, aber kein Mörder. Er nimmt sich des Falles an und deckt immer neue Einzelheiten jener tragischen Nacht auf, als der betrunkene Gowan Stevens mit seiner provozierend erotischen Freundin Temple Drake zur Brennerei gefahren war, um Alkohol zu kaufen und damit eine Spirale der Begierde, Furcht und Gewalttätigkeit in Gang gesetzt hatte.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.09.2004 Band 25
Showdown am Mississippi
William Faulkners Roman „Die Freistatt”
Ein wildes, wüstes Buch, anarchisch und anrührend, der Bastard im Werk von William Faulkner. Auch geniale Schreiber haben eine Familie zu versorgen, und irgendwann spürt selbst ein seriöser Autor den Bestsellertrieb in sich, den Wunsch, einmal im Leben Tausende von Lesern zu erreichen und entsprechend abzukassieren. Mit „Schall und Wahn” und „Als ich im Sterben lag” hatte der junge Faulkner sich kühn literarisch profiliert und die Regale der Buchhandlungen mit kaum verkäuflichen Stücken belastet. Nun wollte er, frustriert, das Gegenteil - Sex & Crime, einen veritablen Schund- und Sensationsroman: „Die Freistatt/The Sanctuary”, ein Buch, das man dann, als es 1931 herauskam, nicht überall guten Gewissens verkaufen konnte - vor allem nicht in Oxford, Mississippi, der Heimatstadt des Autors. Natürlich hatte Faulkners Freund Mac Reed ein paar Exemplare auf Lager in seinem Drugstore, aber wenn einer aus der Stadt wirklich mal eines kaufte, ließ er es sich vorsichtshalber eintüten - so wie man es mit dem Fusel machte, den man sich unter der Hand besorgte in der Prohibitionszeit. „Bist du eigentlich betrunken gewesen, als du das geschrieben hast?”, fragte einer von Faulkners Cousins empört. „Nicht immer”, war die Antwort.
In einer Schwarzbrennerei fängt alles an, irgendwo im Hinterland am Mississippi. Ein Ort der Laster und der Lüsternheit, wo alles möglich sein könnte. Und Faulkner bringt alles unter in seiner Geschichte: Morde, Vergewaltigung, eine perverse Liebesbeziehung, zwischen Nymphomanie und Voyeurismus, ein Bordell in Memphis, am Ende ein fackelnder Lynchmob . . . Ein Mädchen verliert seine Unschuld, junge Männer sehen sich mit Impotenz konfrontiert, debile Hinterwäldler tun sich zusammen mit korrupten Honoratioren. Eine Trance hat das Land erfasst, und alle, die Helden und die Opfer, die Retter und Verderber teilen das gleiche Verlangen nach Erlösung.
Es ist ein frühreifes und abgeklärtes Buch zugleich, die Geschichte eines Duells zweier freier Männer - eines jungen Anwalts und eines Zuhälters. Naive Unschuld trifft auf die Lässigkeit des Bösen, und gleich zu Beginn wird ein Showdown ausgesessen, so spannend und endlos wie in den Italowestern von Leone: „Popeye zog aus seiner Hüfttasche ein verschmutztes Taschentuch und breitete es über seine Hacken. Dann hockte er sich hin und sah den Mann über die Quelle weg an. Das war etwa um vier Uhr an einem Nachmittag im Mai. Sie hockten da und sahen einander über die Quelle weg an, zwei Stunden lang. Hin und wieder sang der Vogel hinten im Sumpf, als sei er von einem Uhrwerk getrieben; zweimal noch kam das Geräusch unsichtbarer Autos auf der Landstraße heran und erstarb wieder. Und wieder sang der Vogel. ,Natürlich wissen Sie auch den Namen nicht, sagte der Mann über die Quelle hinüber. ,Ich glaube fast, Sie kennen überhaupt keine Vögel, wenn sie nicht grad in einer Hotelhalle im Käfig singen oder auf dem Teller vier Dollar kosten. Popeye sagte nichts . . .”
Wild ist das Buch, aber auch ganz zärtlich. Hollywood hat es gleich gekauft, machte „The Story of Temple Drake” daraus. Das war einer der Filme, die gleich größte Bedenklichkeit erregten, kurz darauf führten die Studios den Hays Code ein, ein frühes System der freiwilligen moralischen Selbstkontrolle. Der junge Autor aber war heiß. Und fand sich bald in Hollywood selbst als Drehbuchschreiber angeheuert.
FRITZ GÖTTLER
William Faulkner
Foto: Diogenes Verlag
Showdown am Mississippi
William Faulkners Roman „Die Freistatt”
Ein wildes, wüstes Buch, anarchisch und anrührend, der Bastard im Werk von William Faulkner. Auch geniale Schreiber haben eine Familie zu versorgen, und irgendwann spürt selbst ein seriöser Autor den Bestsellertrieb in sich, den Wunsch, einmal im Leben Tausende von Lesern zu erreichen und entsprechend abzukassieren. Mit „Schall und Wahn” und „Als ich im Sterben lag” hatte der junge Faulkner sich kühn literarisch profiliert und die Regale der Buchhandlungen mit kaum verkäuflichen Stücken belastet. Nun wollte er, frustriert, das Gegenteil - Sex & Crime, einen veritablen Schund- und Sensationsroman: „Die Freistatt/The Sanctuary”, ein Buch, das man dann, als es 1931 herauskam, nicht überall guten Gewissens verkaufen konnte - vor allem nicht in Oxford, Mississippi, der Heimatstadt des Autors. Natürlich hatte Faulkners Freund Mac Reed ein paar Exemplare auf Lager in seinem Drugstore, aber wenn einer aus der Stadt wirklich mal eines kaufte, ließ er es sich vorsichtshalber eintüten - so wie man es mit dem Fusel machte, den man sich unter der Hand besorgte in der Prohibitionszeit. „Bist du eigentlich betrunken gewesen, als du das geschrieben hast?”, fragte einer von Faulkners Cousins empört. „Nicht immer”, war die Antwort.
In einer Schwarzbrennerei fängt alles an, irgendwo im Hinterland am Mississippi. Ein Ort der Laster und der Lüsternheit, wo alles möglich sein könnte. Und Faulkner bringt alles unter in seiner Geschichte: Morde, Vergewaltigung, eine perverse Liebesbeziehung, zwischen Nymphomanie und Voyeurismus, ein Bordell in Memphis, am Ende ein fackelnder Lynchmob . . . Ein Mädchen verliert seine Unschuld, junge Männer sehen sich mit Impotenz konfrontiert, debile Hinterwäldler tun sich zusammen mit korrupten Honoratioren. Eine Trance hat das Land erfasst, und alle, die Helden und die Opfer, die Retter und Verderber teilen das gleiche Verlangen nach Erlösung.
Es ist ein frühreifes und abgeklärtes Buch zugleich, die Geschichte eines Duells zweier freier Männer - eines jungen Anwalts und eines Zuhälters. Naive Unschuld trifft auf die Lässigkeit des Bösen, und gleich zu Beginn wird ein Showdown ausgesessen, so spannend und endlos wie in den Italowestern von Leone: „Popeye zog aus seiner Hüfttasche ein verschmutztes Taschentuch und breitete es über seine Hacken. Dann hockte er sich hin und sah den Mann über die Quelle weg an. Das war etwa um vier Uhr an einem Nachmittag im Mai. Sie hockten da und sahen einander über die Quelle weg an, zwei Stunden lang. Hin und wieder sang der Vogel hinten im Sumpf, als sei er von einem Uhrwerk getrieben; zweimal noch kam das Geräusch unsichtbarer Autos auf der Landstraße heran und erstarb wieder. Und wieder sang der Vogel. ,Natürlich wissen Sie auch den Namen nicht, sagte der Mann über die Quelle hinüber. ,Ich glaube fast, Sie kennen überhaupt keine Vögel, wenn sie nicht grad in einer Hotelhalle im Käfig singen oder auf dem Teller vier Dollar kosten. Popeye sagte nichts . . .”
Wild ist das Buch, aber auch ganz zärtlich. Hollywood hat es gleich gekauft, machte „The Story of Temple Drake” daraus. Das war einer der Filme, die gleich größte Bedenklichkeit erregten, kurz darauf führten die Studios den Hays Code ein, ein frühes System der freiwilligen moralischen Selbstkontrolle. Der junge Autor aber war heiß. Und fand sich bald in Hollywood selbst als Drehbuchschreiber angeheuert.
FRITZ GÖTTLER
William Faulkner
Foto: Diogenes Verlag