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Fremdsein in Deutschland
Auch in der DDR gab es Gastarbeiter: Vietnamesen oder Afrikaner. Landolf Scherzer befragte damals Arbeiter, Parteisekretäre, Nachbarn zu ihren ausländischen Mitbürgern. Seine Aufzeichnungen durften nicht erscheinen. Nach zwanzig Jahren nimmt er ihre Spuren auf. Ein Buch, das in die Debatte über Fremdenhaß und Zivilcourage in Deutschland eingreift.
"Seit der Wiedervereinigung zeigt sich, daß sich einiges an unseligen deutschen Untugenden paart und damit potenziert." Günter Wallraff

Produktbeschreibung
Fremdsein in Deutschland

Auch in der DDR gab es Gastarbeiter: Vietnamesen oder Afrikaner. Landolf Scherzer befragte damals Arbeiter, Parteisekretäre, Nachbarn zu ihren ausländischen Mitbürgern. Seine Aufzeichnungen durften nicht erscheinen. Nach zwanzig Jahren nimmt er ihre Spuren auf. Ein Buch, das in die Debatte über Fremdenhaß und Zivilcourage in Deutschland eingreift.

"Seit der Wiedervereinigung zeigt sich, daß sich einiges an unseligen deutschen Untugenden paart und damit potenziert." Günter Wallraff
Autorenporträt
Landolf Scherzer wurde 1941 in Dresden geboren. Von 1962 - 65 absolvierte er ein Journalistikstudium in Leipzig und wurde wegen kritischer Reportagen, die er mit Klaus Schlesinger und Jean Villain für die NBI geschrieben hatte, exmatrikuliert. Bis 1975 war er als Redakteur beim "Freien Wort" in Suhl tätig. Er lebt als freier Schriftsteller in Thüringen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.01.2003

Schwarz-Rot-Braun
Moçambiquaner als Fremdarbeiter in der ehemaligen DDR
LANDOLF SCHERZER: Die Fremden. Unerwünschte Begegnungen und verbotene Protokolle, Aufbau-Verlag, Berlin 2002. 239 Seiten, 15 Euro.
Anfang der achtziger Jahre, als die DDR mit großem Brimborium 15 000 Moçambiquaner ins Land holte, kamen zweihundert von ihnen in die Bezirksstadt Suhl. Der Reportageschriftsteller Landolf Scherzer macht sich in seinem neuesten Buch „Die Fremden” auf Spurensuche. Was ist aus den Vertragsarbeitern von damals geworden, die heute noch in der Stadt im Thüringer Wald leben?
Vor zwanzig Jahren arbeiteten sie im VEB Fahrzeug- und Jagdwaffenwerk Suhl (Fajas), dem mit 7000 Beschäftigten weit und breit größten Betrieb. Nach außen hin war das ein Akt internationaler Solidarität. Im Kreise der Genossen jedoch wusste jeder: Die meisten Schwarzafrikaner waren nicht da, um – wie sie glaubten – als Fachkräfte für den jungen sozialistischen Staat ausgebildet zu werden, sondern um die Schulden Moçambiques abzuarbeiten. Das sollte bereits 1984 in Scherzers Reportagebuch über seinen Aufenthalt in Moçambique stehen, in „Bom dia, weißer Bruder”. Die Zensur hatte die Passagen gestrichen.
Anfang 2002 nahm der Reporter die Fährte wieder auf. Scherzer erzählt von seinem Gang durch eine Brachlandschaft, in der einst die Wohnheime für die Vertragsarbeiter standen. Vor seinen Augen nichts als Bruchstücke, zwischen denen er Spuren der Erinnerung an das Leben im Heim sucht, das damals Ausgangsort seiner Recherchen war. Scherzer wird trotzdem fündig. Er entdeckt Gesprächspartner von damals, Deutsche und Moçambiquaner. Manche verweigern sich seinen Fragen, andere öffnen sich ihm nach anfänglichem Misstrauen. Der Autor stellt ihre Erfahrungen heute neben die von 1982 und kommt zur Erkenntnis, dass sich an der Substanz der Fremdenfeindlichkeit im Lande zwar nicht viel geändert hat, an der Form ihrer Extreme hingegen schon. Der Moçambiquaner Adelino bringt es beiläufig auf den Punkt: „In der DDR hatte jede Schlägerei ihren logischen Grund: mal zu viel Alkohol, mal Streit wegen eines Mädchens. Doch heute gehst du friedlich durch die Stadt, und plötzlich tauchen ein paar Gestalten auf, die du nicht kennst, die dich nicht kennen, mit denen du weder Bier getrunken, noch um ein Mädchen gestritten hast, sie kommen und schlagen dich einfach grundlos zusammen.”
Die ganz alltägliche, unspektakuläre Fremdenfeindlichkeit findet Scherzer selbst in der aufgeräumtesten Wohnstube; gelegentlich trägt sie realsatirische Züge. Suhl 1982, O-Ton des Direktors für Kader und Ausbildung bei Fajas, einem verdienten Internationalisten: „Wir sehen es als eine unserer Hauptaufgaben an, die moçambiquanische Leitung der Einsatzgruppe zu lehren, wie man arbeiten muss, um Erfolg zu haben.' Und etwas später, als das Tonband aus ist: „Also, wenn meine Tochter mit einem Schwarzen ankäme, ich würde sie rausschmeißen.”
Am Heikelsten ist es, die Freundinnen der Afrikaner zum Erzählen zu bewegen, denn sie leiden immer noch unter den Ressentiments ihrer Umgebung. Manchmal enden die Wege des Reporters nach grotesken Windungen im Nichts. Manchmal aber führen sie zu erstaunlichen Resultaten. Bestes Beispiel dafür sind die Ereignisse in Vachdorf: Im Sommer 1995 kam der kleine Ort Vachdorf nach dem Bericht einer Lokalzeitung für kurze Zeit in die Schlagzeilen: Ein älterer Dorfbewohner hatte sich geweigert, Post aus den Händen eines schwarzen Aushilfsbriefträgers entgegenzunehmen. Ein paar Tage später wurde der Ort von Journalisten belagert, Vachdorf über Nacht zum Exempel für den wieder aufkeimenden Rassismus in Ostdeutschland.
Urteil über ein ganzes Dorf
Sieben Jahre später stößt Scherzer nach Gesprächen mit dem betroffenen Moçambiquaner auf Details, die in keiner Zeitung standen. Er beschreibt aber auch die fatalen Folgen der Ereignisse für die Gemeinde sowie den Automatismus, mit dem sich die öffentliche Meinung verfestigte und zur Verurteilung eines ganzes Dorfes führte.
Scherzers Gesprächsprotokolle ähneln in Inhalt und Form seinem anfänglichen Gang durch die Brachlandschaft. Auf den ersten Blick sieht der Leser nur Bruchstücke aus einem von der Geschichte erschütterten Alltagsleben, hört ein Durcheinander aus direkter und indirekter Rede der Zeitzeugen. Manchmal lässt Scherzer die Menschen weitschweifig von Dingen reden, die niemanden zu interessieren scheinen oder die jeder oft genug gehört zu haben glaubt. Plötzlich aber fallen unerwartete Sätze, wie die des verdienten Internationalisten. Hier findet sich die Banalität des Bösen in trauter Nachbarschaft mit der Banalität des Guten, dem allerdings häufig die richtigen Worte fehlen.
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