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DIES IST DIE GESCHICHTE VON WALTER, dem Sohn einesArchitekten mit Einfluss. Er will Schauspieler werden - oder willes nur sein Vater? Walter bekommt seine Chance, als ihn Valerie,eine Psychotherapeutin, die bessere Tage gesehen hat, engagiert,um in Gruppensitzungen fiktive Patientenrollen zu spielen. Docher geht zu sehr in seiner Rolle auf. Dies ist die Geschichte von Alexander. Er ist Altenpfleger, ein junger Mann mit ausufernder Phantasie, die sich im Schatten einer einsamen Kindheit entwickelt hat. Alexander kündigt seinen Job, und er will seine Freundin loswerden, um mit Valerie…mehr

Produktbeschreibung
DIES IST DIE GESCHICHTE VON WALTER, dem Sohn einesArchitekten mit Einfluss. Er will Schauspieler werden - oder willes nur sein Vater? Walter bekommt seine Chance, als ihn Valerie,eine Psychotherapeutin, die bessere Tage gesehen hat, engagiert,um in Gruppensitzungen fiktive Patientenrollen zu spielen. Docher geht zu sehr in seiner Rolle auf. Dies ist die Geschichte von Alexander. Er ist Altenpfleger, ein junger Mann mit ausufernder Phantasie, die sich im Schatten einer einsamen Kindheit entwickelt hat. Alexander kündigt seinen Job, und er will seine Freundin loswerden, um mit Valerie zusammenzuleben. Doch die wird eines Tages brutal zusammengeschlagen ... Nach "Söhne und Planeten", seinem Debüt, das ihm einhelliges Lob der Kritik einbrachte, legt Clemens J. Setz ein Werk vor, das alle Erwartungen sprengt: atemberaubend kraftvoll, bunt, sprachgewaltig und zart.
Autorenporträt
Clemens J. Setz wurde 1982 in Graz geboren. Seit 2001 studiert er an der dortigen Universität Mathematik und Germanistik. Er ist Obertonsänger, Übersetzer und Gründungsmitglied der Literaturgruppe Plattform. Zahlreiche seiner Gedichte und Erzählungen wurden in Zeitschriften und Anthologien veröffentlicht. 2008 wurde er beim Bachmann-Wettbewerb mit dem Ernst-Willner-Preis, 2013 mit dem Literaturpreis des Kulturkreises der Deutschen Wirtschaft ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.09.2009

Vor den eigenen Fiktionen gibt es kein Entrinnen

Jede Familie ist auf ihre eigene Art unglücklich: Clemens J. Setz legt mit sechsundzwanzig Jahren einen sprachlich verwegenen und gedanklich kühnen Roman vor, der seine Väter neidisch machen könnte.

Von Richard Kämmerlings

Was denkt ein Kind, wenn sein Vater plötzlich aus seinem Leben verschwindet? Das Auto bleibt im Schnee stecken, die Mutter und der zehnjährige Sohn müssen anschieben, der Vater sitzt am Steuer, fährt einfach davon und kommt nicht wieder. Etwas Unfassbares ist geschehen, ein Vorgang größter Tragweite, für den es keine Erklärung gibt, ein Ereignis außerhalb der Kausalität, ein furchtbares Wunder. Es kann ja, so denkt das Kind, keine Absicht gewesen sein, also müssen ihm unbekannte Gründe dahinterstecken. Vielleicht wurde der Vater entführt? "Ja, der Mann zieht die Pistole und sagt - Also, wenn ich sage losfahren, dann fährst du los, sonst bringe ich die beiden um, kapiert?"

Gegen das Ungeheuerliche, das Unausdenkliche erfindet das Kind sich einen Roman, einen Thriller, den es zunächst im Wachen, dann auch im Schlaf immer weiterspinnt. Hat der Vater nicht irgendwie merkwürdig ausgesehen aus der Ferne? Wollte er ein verstecktes Signal geben? Wird er irgendwo von Lösegelderpressern gefangen gehalten? In "unermüdlichen Variationen" läuft die Autoentführung immer wieder von Neuem ab. Auch als Mutter und Sohn schon längst aus ihrem Haus in eine billigere Wohnung gezogen sind, als der Sohn sich wieder daran gewöhnt hat, die Frage nach dem Familiennamen ohne Zögern zu beantworten, obwohl es die dazugehörige Familie nicht mehr gibt, kommt das Kind aus seiner Fiktion nicht mehr heraus. "In den frühen Morgenstunden wachte ich oft auf und war wieder einmal hinter einem Auto hergerannt, das sich rasch von mir entfernte." Nicht der Vater, sondern der Sohn wird zur Geisel der eigenen Phantasie; aus dem eigenen Familienroman entkommt man sein ganzes Leben lang nicht mehr.

Schon in seinem vertrackten Debüt "Söhne und Planeten" erzählte der Grazer Clemens J. Setz von fernen, übermächtigen Vaterfiguren, vom verzweifelten Ringen der Söhne um Autonomie und Distanz. Alexander Kerfuchs, so heißt der verlassene Sohn in diesem Buch, muss erfahren, dass gerade ein verschwundener Vater allgegenwärtig ist. "Die Frequenzen" ist um zwei Brennpunkte herum konstruiert, um zwei ödipale Konflikte. Alexanders Trauma steht die kontrapunktische Geschichte seines Jugendfreundes Walter Zmal gegenüber, der seinen selbstbezogenen Vater hasst, einen berühmten Architekten, der für jede Laune des vermeintlichen hochbegabten Sohnes schon die passenden Beziehungen, Praktika und Stipendien bereithält. Gegen die Allmacht des Patriarchen hilft Walter nur die Flucht in den ewigen Dilettantismus.

Die gemeinsame Geschichte der beiden liegt lange zurück. Sie nimmt einen neuen Anlauf, als der verkrachte Schauspielschüler Walter in einer Lebenskrise professionelle Hilfe sucht. Seine Therapeutin Valerie - die gerade mit Alexander eine romantische Affäre begonnen hat -, hält Walters Probleme für unerheblich und wirbt ihn statt dessen als Assistenten für eine Therapiegruppe an. Dort soll er, nur vermeintlich gesund und nur vermeintlich Schaupieler, in die Rolle eines Patienten schlüpfen, um irgendwelche gruppendynamischen Prozesse auszulösen, die er selbst nicht versteht. Tatsächlich aber setzt Valeries Fehleinschätzung eine fatale seelische Kettenreaktion in Gang.

Der Roman kommt trotz seines Umfangs mit einem dünnen Skelett aus. Er braucht nur wenige Schauplätze, ein Mietshaus, die Praxis, einen Park, den Bahnhof, und ein schmales Personal - die beiden Söhne und ihre Rumpffamilien, Valerie, deren sterbenden Vater, ein heillos überfordertes Elternpaar, einen geisteskranken Hausmeister, einen verwahrlosten Nachbarsjungen und einen herrenlosen Hund. Eltern und Kinder in verschiedenen Konstellationen bilden einen Reigen der Missverständnisse und der Verzweiflung, in dem alle Figuren miteinander durch das netzartige Gewebe der Handlung, stärker noch durch ihre Obsessionen und Phantasmen verklammert sind.

Jenseits der Wahrnehmung.

Alexander Kerfuchs ist Synästhet, die Grenzen der Wahrnehmung und ihre Überschreitung im Wahnsinn oder im Drogenrausch sind ein Leitmotiv des Buches. Nur ein Teil des akustischen oder optischen Frequenzspektrums ist den menschlichen Sinnen zugänglich, was darüber hinausgeht, verheißt ekstatisches Glück und bedroht zugleich den Seelenhaushalt: "Und ich weiß nicht, ob du das gewusst hast, aber jeder Regenbogen besitzt noch einen ganzen Haufen Nebenbögen im ultravioletten und infraroten Bereich, die unsichtbar den Himmel pflastern. Manche Vögel können diese Frequenzbereiche sehen, und vielleicht verlieren sie deshalb so häufig den Verstand."

Eine Literatur, die sich im Metapherntaumel ins Übersinnliche wagt, balanciert schon allein deshalb stets am Rande des Wahnsinns. Alle Figuren in diesem Roman sind mehr oder weniger verrückt. Valerie, die kiffende Therapeutin, kommt auf die irre Schauspiel-Idee, und Alexander, ihr Liebhaber, der als Pfleger arbeitet, simuliert vor den entsetzten Alten schwere Stürze und schläft daheim auf dem Fußboden, wo er sich mit Klebestreifen den Umriss einer Tatort-Leiche gebastelt hat. Dieses Theatralische und Spielerische prägt den Roman selbst, ob Setz nun die Therapiestunde als Minidrama wiedergibt oder ein ganzes Kapitel als Parodie des Proustschen Fragebogens erzählt. Vorgeführt wird die Geburt der Fiktion aus der kindlichen Einbildungskraft.

Das alles ist im Detail so fein und virtuos gearbeitet, dass der Roman jenen verspielt-ratternden Rube-Goldberg-Maschinen ähnelt, von denen im Gespräch der Eltern einmal die Rede ist. Doch was als Apparatur sinnlose Redundanz bedeutet - eine komplexe Kette von Einzelaktionen, die umständlich und indirekt eine ganz einfache Aufgabe erfüllen, etwa ein Ei zu köpfen - ist als ästhetisches Prinzip grandios. Denn mit jedem Stein in diesem erzählerischen Dominospiel dringt der Leser tiefer in die seelischen Abgründe der Figuren ein. Die Kausalität des menschlichen Handelns ergibt hier eine Mechanik der Gewalt, so dass das zertrümmerte Ei am Ende ganz brutal und unmetaphorisch ein äußerst fragiler Schädelknochen ist.

Schon diese reibungslos schnurrende Motorenkonstruktion nötigt Respekt ab. Je genauer man diesen Roman liest, desto mehr erscheint sein geiles Wuchern und seine überschießende Sprachlust als exaktes Kalkül, als Pendant zu den kühnen Reißbrettentwürfen des Architekten Zmal. Doch was dieses Buch unter seinen Zeitgenossen so außergewöhnlich und diesen Autor zu einer großen Hoffnung der deutschsprachigen Literatur macht, ist seine überscharfe Optik und die verblüffende Phantasie des Ausdrucks. In den Sex-Szenen verbinden sich Komik und Peinlichkeit auf grandiose Weise. Eine herbstliche Bahnfahrt ("Über die trüben Milchglassscheiben wanderten schwarze Attrappen von Regentropfen") wird ebenso zum Wahrnehmungsereignis wie eine Radtour im Sommer: "Das Rad steuerte von selbst durch die Landschaft mit ihren üppigen Wolkengebirgen, in der Ferne Siedlungen, Berghänge, dick bestrichen mit einer Schicht blühender Bäume. In der Ferne rauschte ein flimmernder Streifen Autobahn. Und über der ganzen Szenerie kreiste ein kleines, graues Zeppelinjunges auf der Suche nach seiner Herde."

Das ist alles andere als eitle Sprachverliebtheit, wie man an der letzte Passage gut erkennt, in der Setz in der simplen Beobachtung eines Flugobjekts wie nebenbei sein zentrales Motiv umspielt: das Individuum im ebenso destruktiven wie rettenden Kraftfeld der Familie, den ewigen "Herkunftskomplex", wie Thomas Bernhard das in der "Auslöschung" genannt hat. Über siebenhundert Seiten hinweg ist das Buch durchzogen von solchen emblematischen Bildern und Spiegelungen.

Am plakativsten wirkt der kleine Hund, der einsam durch die Handlung tappst und dem Setz in welpenhaftem Übermut gar eine eigene Stimme verleiht. (Auch die Hundenase arbeitet auf Gebieten jenseits des menschlichen Wahrnehmungsspektrums.) Und so sarkastisch und schonungslos Setz Familien und Beziehungen zergliedert, die universelle Zerrüttung ist nicht das letzte Wort in diesem düsteren, bösblickenden und bitterkomischen Buch. Während Walter das atonale Chaos in seinem Kopf nicht mehr sortiert bekommt, ergibt sich für Alexander eine merkwürdige Wiederbegegnung mit seinem fahnenflüchtigen Vater und eine papierdünne Ahnung von Hoffnung.

Obwohl der Titel auf die Mutter aller neueren Familienromane, auf Jonathan Franzens "Die Korrekturen", anspielt, ist für Setz wohl eher David Foster Wallace eine geistige Vaterfigur. Auch ihm gelingt der Brückenschlag von spielerischer Konstruktion zum sozialkritischem Blick (auf das Altersheim und die Therapiegruppe etwa). Aber auch seine Familien sind in ihrer Mischung aus Genie und Klapsmühle ferne Verwandte der Incandenzas aus "Infinite Jest". Clemens J. Setz ist Jahrgang 1982, als Wallace' Debütroman erschien, war er fünf Jahre alt. Die gute Nachricht in diesem Bücherjahr ist: Wir müssen uns keine Sorgen darum machen, ob die Geschichte des Romans weitergeht.

Clemens Setz: "Die Frequenzen". Roman. Residenz Verlag, St.Pölten/Salzburg 2009. 718 S., geb., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Nachwuchssorgen hat die Literatur laut Richard Kämmerlings keine. Nach der Lektüre von Clemens J. Setz' "bösblickendem, bitterkomischem" Buch weiß der Rezensent nämlich wieder, was ein grandioser Roman so braucht: Nicht unbedingt ein Riesenaufgebot an Personal und Schauplätzen. Aber ein Händchen fürs Spielerische, fürs fein gestaltete Detail. Und "Fantasie des Ausdrucks". All das findet Kämmerlings hier, wo sich der Familienroman als "erzählerisches Dominospiel" präsentiert, das die seelischen Abgründe der Figuren freilegt und dem Rezensenten in Erinnerung ruft, wie sehr einem die eigene Familiengeschichte an Leib und Seele klebt.

© Perlentaucher Medien GmbH