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Der Krieg, gesehen aus der Perspektive eines Kindes: Fulvio Tomizza schildert in seinem Roman, wie der Zweite Weltkrieg seine Schatten wirft in einem vergessenen Winkel Istriens, in einer noch ganz archaischen bäuerlichen Welt. Die Authentizität des Erzählten und die spröde Sinnlichkeit der Sprache lassen das Geschehen entrückt und zugleich ganz greifbar erscheinen.

Produktbeschreibung
Der Krieg, gesehen aus der Perspektive eines Kindes: Fulvio Tomizza schildert in seinem Roman, wie der Zweite Weltkrieg seine Schatten wirft in einem vergessenen Winkel Istriens, in einer noch ganz archaischen bäuerlichen Welt. Die Authentizität des Erzählten und die spröde Sinnlichkeit der Sprache lassen das Geschehen entrückt und zugleich ganz greifbar erscheinen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.07.1997

An der Tür zum Bürgerkrieg
Mit Kinderblick: Fulvio Tomizzas kleine istrische Weltchronik

Lokalgeschichte ist in den frühen Romanen des 1935 in dem istrischen Dorf Giurizzani geborenen und seit 1954 meist in Triest lebenden Fulvio Tomizza neben stark autobiographischen Bezügen immer auch zum Gleichnis erhobene Weltgeschichte. Schließlich spielen "Die fünfte Jahreszeit" aus dem Jahre 1965, das uns erst jetzt auf deutsch zugänglich ist, "Materada" und "Eine bessere Welt" als Chroniken ländlich-bäuerlichen Lebens jeweils in politisch prekären Situationen eines ethnisch durchmischten Grenzgebietes, das nach dem Zusammenbruch Österreich-Ungarns innerlich nie zur Ruhe gekommen ist.

Seitdem das karstige Istrien, die größte Halbinsel in der Adria, 1919 an Italien fiel, hatten es die von den Italienern pauschal als "Slawen" bezeichneten Serbo-Kroaten und Slowenen schwer, sich gegen den diskriminierenden Patriotismus des bald dem Duce hörigen italienischen Teils der Bevölkerung zu behaupten. Sie wurden als mindere Spezies schikaniert, durch Strafexpeditionen verfolgt und mit Hilfe barbarischer Italianisierungsdekrete sprachlich zum Schweigen gebracht. Das führte zu einem Gefühl der Entwurzelung, das auch später in dem kommunistischen Bundesstaat Jugoslawien unter Titos grausam restriktiver Innenpolitik nicht weichen sollte.

Bis heute versteht sich der seiner istrischen Heimat verbundene Tomizza als miterlebender und mitleidender Zeuge dieser historischen und geographischen Grenzerfahrungen, denen er in "Die fünfte Jahreszeit" zum ersten Mal literarische Sprache verliehen hat. Zwar folgt diese - der damaligen Zeitmode entsprechend - der programmatisch dürren Diktion des italienischen Neorealismus und wirkt deshalb gelegentlich etwas angestaubt. Doch Tomizza versteht es durchaus, hinter seinen knappen, schmucklosen Sätzen die tragische Auswirkung der Geschichte auf menschliche Schicksale unpathetisch spürbar zu machen. Ohne die folkloristischen Mätzchen mancher Neorealisten stellt er das vom Krieg bedrohte Völkergemisch seines Geburtsdorfes aus der Sicht des Jungen Stefano vor. Das erinnert an Italo Calvinos Roman "Wo Spinnen ihre Nester bauen", in dem der Kampf der italienischen Partisanen gegen die deutsche Besatzung für den kleinen Pin zum entscheidenden, auch ideologisch prägenden Lebensabenteuer wird.

Tomizza erzählt jedoch ohne politische Parteinahme, teilt die Welt nicht manichäisch in Hell und Dunkel, wie es der damals noch kommunistische Calvino tat, der seinen Protagonisten mit der pfiffigen Hellsicht eines frühreifen linken Pikaro ausstattete. Tomizzas istrischer Bauernjunge wirkt authentischer und glaubhafter, weil er im Durcheinander der beginnenden Kriegsereignisse überhaupt nicht begreift, warum einmal Deutsche, dann Partisanen und schließlich wieder faschistische Soldaten seine Dorfgemeinschaft auf unterschiedliche Weise verunsichern. Obwohl "noch keiner von ihnen den Krieg gesehen hatte" und die Kinder nur wissen, daß "man eben schießt", spielt Stefano mit seinen Kameraden Krieg. Dabei werden auf kindhafte Weise die Rollen vertauscht oder vermischt, denn von den Erwachsenen hören sie ja auch gleichzeitig: "Es lebe der Duce! Heil!" und "Hoch unsere Partisanen".

Scheinbar emotionslos berichtet der Junge von zunehmend makabren Ereignissen, die entweder einzelne oder das bäuerliche Kollektiv um die alten Maßstäbe bringen, während der eigentliche Krieg vom großen Bezugspunkt Triest her ständig näher rückt. Immer weniger fühlen sich die Menschen in den Rhythmus der ursprünglichen Jahreszeiten eingebunden, immer verschreckter wird die Stimme des Kindes, deren vermeintliche Einfachheit doch eine doppelbödige ist. Denn es fehlt nicht an bitteren und sarkastischen Untertönen, die auf die allgemeine Hilflosigkeit angesichts der nun heftig angeheizten Chauvinismen der einzelnen Volksgruppen anspielen. Eindringlich, mit der Unmittelbarkeit des Naiven kommentiert Stefano die Episoden eines Dorflebens, in dem die ethnische und auch politische Koexistenz nun oft grotesken Zerreißproben ausgesetzt ist.

Mit dem "Gefühl, an der Tür zu stehen, die direkt in den Krieg führt", hört das Kind vom "Sturz Mussolinis" und dem bald darauf folgenden "Waffenstillstand". Aber gemeinsam mit den Menschen der Triestiner retroterra, des Hinterlands, ahnt er, daß es Bürgerkrieg geben wird", daß "Stern und Nelke den Keim einer neuen Uniform darstellten". Nüchtern, sachlich wird hier die Transparenz einer negativen Zukunftsvision erreicht, deren Gültigkeit uns die jugoslawische Tragödie der letzten Zeit überdeutlich gemacht hat. Als Gleichnis der großen Welt im Kleinen darf dieser frühe Roman Tomizzas die Dauer und Bedeutung einer Chronik beanspruchen, in deren "fünfter Jahreszeit" Vergangenheit, Gegenwart und leider wohl auch Zukunft zusammenfallen. UTE STEMPEL

Fulvio Tomizza: "Die fünfte Jahreszeit". Roman. Aus dem Italienischen übersetzt von Maria Fehringer. Paul Zsolnay Verlag, Wien 1997. 227 S., geb., 36,- DM.

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