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Produktdetails
  • Verlag: Schwarzkopf & Schwarzkopf
  • Seitenzahl: 271
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 423g
  • ISBN-13: 9783896021847
  • ISBN-10: 3896021842
  • Artikelnr.: 08029334
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.03.1999

Besser es platzt die Rakete als die Karriere
Wir Kosmonauten sind alte Wandervögel: Gerhard Kowalski folgt Juri Gagarin / Von Günter Paul

Ich sah zum Raumschiff, mit dem ich nun in wenigen Minuten diese bisher einmalige Reise antreten sollte", heißt es in Juri Gagarins Buch "Mein Flug ins All" über den ersten Raumflug eines Menschen. "Es war schön, schöner als alle Lokomotiven, Dampfer, Flugzeuge, Schlösser und Brücken zusammengenommen . . . Ich hatte nicht nur eine großartige Schöpfung der Technik, sondern zugleich auch ein imponierendes Kunstwerk vor mir." Dieses Pathos war Gagarin - wie man nach seiner Erdumkreisung vom 12. April 1961 vermuten konnte - vom Kreml auferlegt worden. Genauer gesagt seinen Ghostwritern, die den "Helden der Sowjetunion" als kommunistische Lichtgestalt darstellen mußten. Dieses Bild wird jetzt von Gerhard Kowalski in seinem Buch "Die Gagarin-Story" korrigiert.

Der Autor hat die Originalquellen, die in Rußland seit den achtziger Jahren freigegeben wurden, gründlich studiert. Aber auch seine persönlichen Erfahrungen als ADN-Korrespondent in Moskau fließen in das Buch ein. Er schildert, wie die Reporter früher geknebelt wurden, wenn sie über das sowjetische Raumfahrtprogramm berichten wollten. Pressefotografen, die die Starts auf dem Weltraumbahnhof Baikonur in Kasachstan miterlebten, mußten ihr gesamtes Fotomaterial unbelichtet abgeben und bekamen manchmal nur einen einzigen Abzug zurück.

Der erste Raumflug eines Menschen wurde von Moskau noch "sensibler" behandelt. Kein einziger Reporter oder gar Fotograf war beim Start dabei, nur zwei staatliche Filmteams durften das Geschehen aufnehmen. Die wenigen Bilder, die damals veröffentlicht wurden, stammten hauptsächlich vom Training Gagarins. Sie zeigten den Raumfahrer - angeblich kurz vor dem Abheben der Wostok-Rakete - mit verschiedenen Schutzhelmen. So ist es kein Wunder, daß Gerüchte entstanden, es sei gar nicht Gagarin gewesen, der die Erde umflogen habe.

Mittlerweile läßt sich die Geschichte seines Flugs, wenn auch immer noch nicht vollständig, rekonstruieren. Gagarin war einer von zwanzig Kosmonauten-Anwärtern, die für den ersten Raumflug trainiert haben. Sechs von ihnen wurden dann für die Wostok-Flüge ausgewählt, die zunächst unbemannt und mit Tieren erprobt wurden. Einige dieser Testflüge mißglückten und wurden verschwiegen. Am 24. Oktober 1960 etwa explodierte auf der Startrampe des Kosmodroms Baikonur eine Interkontinentalrakete neuen Typs. Bei dem Unglück sind ungefähr 150 Menschen ums Leben gekommen, darunter Marschall Mitrofan Nedelin, der Oberkommandierende der Strategischen Raketentruppen der Sowjetunion. Der Chefkonstrukteur der Rakete, Michail Jangel, überlebte nur durch Zufall: Er hatte sich kurz vor der Explosion eine Zigarette anzünden wollen und war in den Schutzbunker gegangen.

Am 12. April 1961 war es dann soweit. Gagarin verabschiedete sich, kurz bevor er die Wostok-Kapsel bestieg, in einer kleinen Zeremonie von seinen Mitarbeitern. Angeblich gab er damals auch eine Erklärung an die Presse ab, in der er unter anderem gesagt haben soll: "In wenigen Minuten wird mich ein mächtiges Raumschiff in die fernen Weiten des Weltalls tragen . . . Der erste Mensch im Weltraum zu sein, ganz allein einen beispiellosen Zweikampf mit der Natur zu bestehen - läßt sich Größeres erträumen?" Kowalski stellt nun klar, daß Gagarin diesen Text erst einige Tage nach seinem Flug auf Band gesprochen hat. Der Wortlaut wurde am 18. April 1961 in der "Prawda" veröffentlicht.

Die Dokumentation des Funkverkehrs zwischen Gagarin und den Bodenstationen läßt erkennen, wie kritisch die Situation für Gagarin am Ende des Fluges wurde. Beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre begann das Raumschiff zu rotieren, und die Landekapsel trennte sich nicht wie vorgesehen von der Gerätesektion, weil die Kabelverbindungen sich nicht lösten. Fast wäre es zur Katastrophe gekommen. Doch zehn Minuten später schmorten die Kabel durch, wodurch das Unheil abgewendet wurde.

Kurz darauf ging die Landekapsel von Wostok 1 der offiziellen Version zufolge mit Gagarin an Bord bei Saratow an der Wolga nieder. Dorfbewohner eilten auf den Kosmonauten zu und begrüßten ihn, schließlich trafen auch die Bergungsmannschaften ein. Gagarin berichtete später, er habe die Wostok nach der Landung sorgfältig gemustert, das Raumschiff und seine Innenausrüstung seien vollkommen intakt gewesen. Diesen Kommentar, so der Autor, habe man seinerzeit nicht richtig deuten können. Wenn Gagarin bei der Landung in der Kapsel gesessen hätte, dann hätte er sie nicht im nachhinein inspizieren müssen.

Tatsächlich wurde der Raumfahrer vor der Landung mit einem Schleudersitz aus der Wostok-Kapsel katapultiert. Er ging am eigenen Fallschirm nieder, etwa vier Kilometer von dem Raumschiff entfernt. Diese Strecke hat er querfeldein zurücklegen müssen, was nach Meinung Kowalskis erklärt, warum die offiziellen Zeitangaben damals so lückenhaft erschienen. Jedenfalls zogen nach der Landung mehrere hundert Schaulustige an den Ort des Geschehens. Soldaten hatten alle Hände voll zu tun, sie von der Kapsel fernzuhalten. Auch der Hubschrauber, der Gagarin fortbringen sollte, konnte nicht nahe genug landen. So stieg der Kosmonaut in ein Auto, das dem Hubschrauber ein Stück folgen mußte. Wie ein Augenzeuge genau fünfundzwanzig Jahre später in der "Prawda" berichtet haben soll, verfolgte die Menge das Fahrzeug mehr als anderthalb Kilometer weit und walzte dabei alles nieder, was ihr in den Weg kam: Gartenbeete, Zäune und Begrenzungspfosten.

Der Ablauf der folgenden Tage zeigt, wie sehr auch Gagarin sich an die "allgemein geltenden Spielregeln" halten mußte. Sein Rapport an Chruschtschow beim Empfang auf dem Moskauer Regierungsflughafen Wnukowo und seine Rede auf dem Roten Platz hat der Kosmonaut gründlich einstudiert: "Gleich nach dem Mittagessen beginnen beide (Gagarin und der Chef des Kosmonautenkorps, Nikolai Kamanin) mit den Exerzitien. Wie Kamanin anerkennend bemerkt, beherrschte Gagarin den Text, den er vor dem Partei- und Regierungschef aufsagen sollte, binnen einer halben Stunde . . . Kamanin spielte dabei die Rolle Chruschtschows, und Gagarin mußte ein ums andere Mal im Paradeschritt auf ihn zumarschieren und dann seine Meldung herbeten."

Der Autor berichtet auch, wie sich der "Held der Sowjetunion" nach einem mißglückten Seitensprung einer plastischen Operation unterziehen mußte, wie er Zeit seines Lebens von einem zweiten Raumflug träumte, der ihm aber verwehrt blieb, und wie er am 27. März 1968 unter immer noch nicht vollständig geklärten Umständen bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam. In dem lesenswerten Buch zeichnet Kowalski das Bild eines sympathischen Menschen, der sich in der Öffentlichkeit nur bedingt selbst darstellen durfte. Weil Moskau ihn als kommunistischen Helden benötigte, ist seine Biographie vielfach verfälscht worden. Erst jetzt fügen sich die Mosaiksteinchen zu einem realistischen Ganzen zusammen.

Gerhard Kowalski: "Die Gagarin-Story". Die Wahrheit über den Flug von Juri Gagarin. Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, Berlin 1999. 320 S., zahlr. Abb., br., 29,80 DM.

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