In den 60er Jahren kämpfte die feministische Bewegung für Befreiung. Jetzt hat sie sich mit einem Kampf um "Gleichheit" zufrieden gegeben. Dieses Buch, das zu einem Neuanfang und zu einem neuen Bewusstsein einer jüngeren Generation aufruft, wird immer wieder kontoverse Diskussionen entfachen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.12.2000Männer lauern immer und überall
Nichts Halbes und nichts Ganzes: Germaine Greers Kriegshandbuch
Dieses Buch hätte es nie geben sollen. Vor dreißig Jahren schrieb Germaine Greer das Werk, das Generationen von Feministinnen auf dem Weg in die Schlacht an ihrem Herzen trugen: "Der weibliche Eunuch". Damals war sie dreißig und wies jeden Gedanken an eine Fortsetzung von sich. Inzwischen ist Germaine Greer doppelt so alt, und wir leben mit Wonderbra und Internet, HIV und Magersucht, In-vitro-Fertilisation und Gentechnik. Nur der Feminismus ist aus der Debatte verschwunden. Dabei ist das Klima zwischen den Geschlechtern eisiger denn je: "Die alten unbesiegten Feinde haben neue Strategien ersonnen, neue Angreifer liegen im Hinterhalt", so heißt es in ihrem neuen Buch "Die ganze Frau", in jenem Werk, das sie nicht schreiben wollte, und: "Es ist Zeit, wieder zornig zu werden."
Zornig ist sie auf den folgenden vierhundertfünfzig Seiten in der Tat, und diese Dauerwut ist etwas anstrengend. Denn Feministinnen sind Generalistinnen, und Germaine Greer ist ihre "generalissima". In vier Teilen - "Körper", "Geist", "Liebe", "Macht" - demontiert sie das selbstzufriedene Girlie-Glück ("Billig, da stehst du doch drauf!") von allen Seiten. Die Erfolge der letzten dreißig Jahre, so erfährt die zerknirschte Leserin schon im Vorwort, waren nichts als Pyrrhussiege. Frauen verdienen noch immer für jedes englische Pfund der Männer nur neunundsiebzig Cent. Sie müssen inzwischen nicht nur außen, sondern auch innen schön sein, werden von den Medien ignoriert und von Frauenärzten kontrolliert: "Frauen werden durch das Gesundheitswesen getrieben wie Schafe durch ein Parasitenbad." Nie gab es mehr Kaiserschnitte, nie war der Haß der Männer auf die Frauen größer, selten war das Verhältnis von Tierheimen zu Frauenhäusern (in Amerika drei zu eins) so ungünstig. Da ist es nicht erstaunlich, daß sie der Biotechnologie zutiefst skeptisch gegenübersteht. Bräuchte man zum Kinderzeugen keinen Uterus mehr, so ihre Überzeugung, würden Frauen sich selbst abschaffen.
Manches in diesem Buch überrascht, wie etwa die fast unverändert hohe Zahl von Brustkrebserkrankungen trotz Mammographie. Vieles ist übertrieben. Wenn die gebürtige Australierin Greer, die inzwischen in England lebt, für "echte, riechende, blutige, lärmende, behaarte Frauen" plädiert, dann ist dieses aufgeregte Pathos ohne die Berücksichtigung genuin angelsächsischer Körperfeindlichkeit kaum zu begreifen. Und manches ist einfach dumm. Ein Satz wie "Männer sind von Natur aus Spinner" ist auch eine Beleidigung für jede Leserin.
Dabei hat sich Greer durchaus Gedanken gemacht und einige Ladenhüter entrümpelt, sie aber zugleich durch ihr nicht minder dogmatisches Gegenteil ersetzt. Vor dreißig Jahren geißelte sie Mutterschaft als "Ersatzkarriere", jetzt fordert sie die Anerkennung der Mutterschaft als "Vollbeschäftigung" bei vollem Lohnausgleich. Sex, den sie unter "Geist" abhandelt, ist im neuen Jahrtausend keine Waffe mehr, sondern nur noch Pornographie oder Penetration. Eine Frau, die stark ist, widersteht. Wer heute nach den gleichen Rechten wie die Männer strebt, folgt einem riskanten Irrweg und endet als Soldatin oder Polizistin in einem maskulinen Unterdrückungsapparat. "Gleichberechtigung stellt den männlichen Status quo ante als denjenigen Zustand dar, den die Frauen anstreben", schreibt sie. Doch "Männer leben und arbeiten in einer erschreckend unfreien und tyrannischen Gesellschaft".
Die einzige Rettung für Mann und Frau ist eine zweite Feminismus-Welle, aber die ist derzeit nur ein fernes Rauschen. Irgendwann lobt die Sozialistin Greer iranische Frauen, die "den Schador anlegen", um verschleiert gegen Amerika zu protestieren. Und auch die weibliche Beschneidung ist plötzlich keine entsetzliche Verstümmelung mehr, sondern nur eine eigenwillige kosmetische Praxis, ähnlich wie Piercing oder Tätowierungen. Germaine Greer, diese Donna Quichotte, wirkt fast ein wenig rührend in dem Versuch, eine immer kompliziertere Welt in ihr dogmatisches Korsett zu quetschen, das nicht mehr stützt, sondern die Luft zum Denken nimmt. Sie wollte dieses Buch nie schreiben und hatte gute Gründe dafür.
SONJA ZEKRI
Germaine Greer: "Die ganze Frau". Körper. Geist. Liebe. Macht. Aus dem Amerikanischen von Susanne Althoetmar-Smarczyk. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2000. 458 S., br., 38,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Nichts Halbes und nichts Ganzes: Germaine Greers Kriegshandbuch
Dieses Buch hätte es nie geben sollen. Vor dreißig Jahren schrieb Germaine Greer das Werk, das Generationen von Feministinnen auf dem Weg in die Schlacht an ihrem Herzen trugen: "Der weibliche Eunuch". Damals war sie dreißig und wies jeden Gedanken an eine Fortsetzung von sich. Inzwischen ist Germaine Greer doppelt so alt, und wir leben mit Wonderbra und Internet, HIV und Magersucht, In-vitro-Fertilisation und Gentechnik. Nur der Feminismus ist aus der Debatte verschwunden. Dabei ist das Klima zwischen den Geschlechtern eisiger denn je: "Die alten unbesiegten Feinde haben neue Strategien ersonnen, neue Angreifer liegen im Hinterhalt", so heißt es in ihrem neuen Buch "Die ganze Frau", in jenem Werk, das sie nicht schreiben wollte, und: "Es ist Zeit, wieder zornig zu werden."
Zornig ist sie auf den folgenden vierhundertfünfzig Seiten in der Tat, und diese Dauerwut ist etwas anstrengend. Denn Feministinnen sind Generalistinnen, und Germaine Greer ist ihre "generalissima". In vier Teilen - "Körper", "Geist", "Liebe", "Macht" - demontiert sie das selbstzufriedene Girlie-Glück ("Billig, da stehst du doch drauf!") von allen Seiten. Die Erfolge der letzten dreißig Jahre, so erfährt die zerknirschte Leserin schon im Vorwort, waren nichts als Pyrrhussiege. Frauen verdienen noch immer für jedes englische Pfund der Männer nur neunundsiebzig Cent. Sie müssen inzwischen nicht nur außen, sondern auch innen schön sein, werden von den Medien ignoriert und von Frauenärzten kontrolliert: "Frauen werden durch das Gesundheitswesen getrieben wie Schafe durch ein Parasitenbad." Nie gab es mehr Kaiserschnitte, nie war der Haß der Männer auf die Frauen größer, selten war das Verhältnis von Tierheimen zu Frauenhäusern (in Amerika drei zu eins) so ungünstig. Da ist es nicht erstaunlich, daß sie der Biotechnologie zutiefst skeptisch gegenübersteht. Bräuchte man zum Kinderzeugen keinen Uterus mehr, so ihre Überzeugung, würden Frauen sich selbst abschaffen.
Manches in diesem Buch überrascht, wie etwa die fast unverändert hohe Zahl von Brustkrebserkrankungen trotz Mammographie. Vieles ist übertrieben. Wenn die gebürtige Australierin Greer, die inzwischen in England lebt, für "echte, riechende, blutige, lärmende, behaarte Frauen" plädiert, dann ist dieses aufgeregte Pathos ohne die Berücksichtigung genuin angelsächsischer Körperfeindlichkeit kaum zu begreifen. Und manches ist einfach dumm. Ein Satz wie "Männer sind von Natur aus Spinner" ist auch eine Beleidigung für jede Leserin.
Dabei hat sich Greer durchaus Gedanken gemacht und einige Ladenhüter entrümpelt, sie aber zugleich durch ihr nicht minder dogmatisches Gegenteil ersetzt. Vor dreißig Jahren geißelte sie Mutterschaft als "Ersatzkarriere", jetzt fordert sie die Anerkennung der Mutterschaft als "Vollbeschäftigung" bei vollem Lohnausgleich. Sex, den sie unter "Geist" abhandelt, ist im neuen Jahrtausend keine Waffe mehr, sondern nur noch Pornographie oder Penetration. Eine Frau, die stark ist, widersteht. Wer heute nach den gleichen Rechten wie die Männer strebt, folgt einem riskanten Irrweg und endet als Soldatin oder Polizistin in einem maskulinen Unterdrückungsapparat. "Gleichberechtigung stellt den männlichen Status quo ante als denjenigen Zustand dar, den die Frauen anstreben", schreibt sie. Doch "Männer leben und arbeiten in einer erschreckend unfreien und tyrannischen Gesellschaft".
Die einzige Rettung für Mann und Frau ist eine zweite Feminismus-Welle, aber die ist derzeit nur ein fernes Rauschen. Irgendwann lobt die Sozialistin Greer iranische Frauen, die "den Schador anlegen", um verschleiert gegen Amerika zu protestieren. Und auch die weibliche Beschneidung ist plötzlich keine entsetzliche Verstümmelung mehr, sondern nur eine eigenwillige kosmetische Praxis, ähnlich wie Piercing oder Tätowierungen. Germaine Greer, diese Donna Quichotte, wirkt fast ein wenig rührend in dem Versuch, eine immer kompliziertere Welt in ihr dogmatisches Korsett zu quetschen, das nicht mehr stützt, sondern die Luft zum Denken nimmt. Sie wollte dieses Buch nie schreiben und hatte gute Gründe dafür.
SONJA ZEKRI
Germaine Greer: "Die ganze Frau". Körper. Geist. Liebe. Macht. Aus dem Amerikanischen von Susanne Althoetmar-Smarczyk. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2000. 458 S., br., 38,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Die große Qualität des Buches ist, mit feministischen Klischees aufzuräumen und faktisches Material anzuhäufen anstatt ein gesellschaftliches Irgendwie gefühlsmäßig auszudeuten." 'Financial Times Deutschland'
"Germaine Greer kann vielleicht nicht alle Frauen überzeugen, aber sie hat ein Buch geschrieben, das Frauen bewegen wird darüber nachzudenken, ob die Tupper-Party wirklich der Gipfel weiblicher Selbstverwirklichung ist." 'Neue Ruhr Zeitung' "An dem Buch wird niemand vorbeikommen." The Independent
"Germaine Greers Bilanz ist ruhiger geworden, philosophischer auch, aber noch immer scharf und mit beissender (sic) Ironie durchsetzt." 'Neue Zürcher Zeitung'
"Ihr Buch wurde sehnsüchtig erwartet als radikale, provozierende Stimme - eine Erleichterung in einer Bridget-Jones-Welt, in der nichts wichtiger ist als die Männer zu besänftigen." The Guardian
"Greer, klug, schön und lebenserfahren, kann noch immer polarisieren und ihr Buch - da mag man zu ihren Thesen stehen, wie man will - hat nicht nur hohen Unterhaltungswert, sondern auch das Zeug, nachdenklich zu machen." 'Augsburger Allgemeine'
"Germaine Greer kann vielleicht nicht alle Frauen überzeugen, aber sie hat ein Buch geschrieben, das Frauen bewegen wird darüber nachzudenken, ob die Tupper-Party wirklich der Gipfel weiblicher Selbstverwirklichung ist." 'Neue Ruhr Zeitung' "An dem Buch wird niemand vorbeikommen." The Independent
"Germaine Greers Bilanz ist ruhiger geworden, philosophischer auch, aber noch immer scharf und mit beissender (sic) Ironie durchsetzt." 'Neue Zürcher Zeitung'
"Ihr Buch wurde sehnsüchtig erwartet als radikale, provozierende Stimme - eine Erleichterung in einer Bridget-Jones-Welt, in der nichts wichtiger ist als die Männer zu besänftigen." The Guardian
"Greer, klug, schön und lebenserfahren, kann noch immer polarisieren und ihr Buch - da mag man zu ihren Thesen stehen, wie man will - hat nicht nur hohen Unterhaltungswert, sondern auch das Zeug, nachdenklich zu machen." 'Augsburger Allgemeine'
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Norbert Seitz gibt sich alle Mühe, auch diesem Buch den nötigen Respekt entgegen zu bringen - was nicht immer leicht gefallen sein dürfte, wie der Leser schnell ahnt. Denn Greer beklagt in ihrem Buch nicht nur -zu Recht - die in vielen Bereichen nach wie vor bestehende Benachteiligung von Frauen. Sie geht vielmehr so weit, auch die Ultraschalluntersuchungen bei Schwangeren als männlichen Übergriff auf die Frauen zu interpretieren und beklagt sogar die `Kriminalisierung weiblicher Genitalverstümmelung`, beispielsweise in Somalia. Ihre Begründung, dass Frauen das Recht hätten, `Gewalt über den Körper` auszuüben und sich selbst zu `schneiden`, verwundert nicht nur den Rezensenten. Im Vergleich dazu fallen ihre Urteile über Männer (`Spinner, auffällig, überspannt skurril`, `Fachidioten` etc.) kaum noch ins Gewicht. Seitz scheint es bedauerlich zu finden, dass die Autorin ihr eigentliches Anliegen, dem Feminismus erneut auf die Sprünge zu helfen, selbst sabotiert. Zu Recht klage Greer zwar den Schönheitswahn (Stichwort: Silikon) an. Seitz wundert sich aber, dass Greer lediglich eine Schwangerschaft als Grund für Penetration gelten läßt: Die von ihr unterstellte "Penetrationsgier" widerspreche ihrem eigenen "Befund, wonach der Sex der Jahrhundertwende sich vornehmlich auf Pornographie reduziere". Den Leser wundern die Zweifel des Rezensenten kaum, ob sich mit Behauptungen dieser Art "ein zweiter Feminismusschub" auslösen lasse.
© Perlentaucher Medien GmbH
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