Der 1712 in Tiflis geborene Arutin Sajadjan (auch: Sayadan) wurde unter seinem Künstlernamen Sayat Nova bekannt und ist in Armenien bis heute sehr populär. Sein Werk zeugt von enormer Kreativität: Der Sänger, Dichter und Komponist (und spätere Geistliche) soll mehrere tausend Lieder verfasst haben,
von denen jedoch lediglich 220 überliefert sind. Sayat Nova dichtete nicht nur in seiner…mehrDer 1712 in Tiflis geborene Arutin Sajadjan (auch: Sayadan) wurde unter seinem Künstlernamen Sayat Nova bekannt und ist in Armenien bis heute sehr populär. Sein Werk zeugt von enormer Kreativität: Der Sänger, Dichter und Komponist (und spätere Geistliche) soll mehrere tausend Lieder verfasst haben, von denen jedoch lediglich 220 überliefert sind. Sayat Nova dichtete nicht nur in seiner Muttersprache Armenisch, sondern auch auf aserbaidschanisch und georgisch, zudem sprach er persisch und arabisch.
Nun ist mit "Die ganze Welt" ein erstes Liebeslied ins Deutsche übertragen und publiziert worden. Übersetzer ist Ondřej Cikán, der sich mit seinem Verlag Ketos auf deutsch-tschechische Prosa und Poesie spezialisiert hat. Cikán hat für diese Nachdichtung eigens Armenisch gelernt, im Selbststudium und in nur drei Wochen. Kann das für eine gelungene Übersetzung ausreichen?
Ich muss gestehen, meine ersten Gedanken dazu waren: "Wie anmaßend, zu glauben man könne sich eine fremde Sprache in weniger als einem Monat so gut aneignen, dass man ein Lied übersetzen kann! Bei Prosa mag das ja noch angehen, aber vertonte Poesie, bei der Sinn und Klang, Rhythmus und Versmaß eine ästhetische Einheit ergeben und nah am Original bleiben sollen?" Meine Zweifel waren groß, aber unberechtigt: Denn erstens erklärt Cikán bereits im Vorwort, dass mit diesem Buch vor allem ein Anfang gemacht und das Interesse für Sayat Nova im deutschsprachigen Raum geweckt werden soll. Und zweitens hat mich der schmale Band auch inhaltlich positiv überrascht. Gar nicht mal so sehr aufgrund des Liebesliedes, das für meinen Geschmack eine Idee zu schwärmerisch daher kommt und mich in seiner Fremdartigkeit nicht wirklich tief berühren konnte. Aber Dichtung ist eben immer auch Geschmackssache. Das wiegen jedoch die umfangreichen Zusatzinformationen und die liebevolle Gestaltung auf.
Im Anhang finden sich Erläuterungen zu unübersetzbaren Worten, Anmerkungen zu kulturellen Besonderheiten ebenso wie die Noten zur ersten Strophe, so dass der musikalisch geneigte Leser die Melodie intonieren kann. Der Text ist im Original, in der deutschen Übersetzung und in zwei Transkriptionen des Armenischen abgedruckt, einmal in der üblichen englischen, und außerdem noch in einer eigens von Cikán entwickelten. Dies mag für den nicht sprachwissenschaftlich vorgebildeten Leser etwas zu viel des Guten sein - für mich ist es ein Zeichen, dass der Übersetzer seine Profession nicht nur ausübt, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, sondern dass er eine immense Leidenschaft für Sprache hegt.
Ein Lebenslauf Sayat Novas, Hinweise auf verschiedene Versionen des Liedes, von klassischen Interpretationen über Pop-Musik bis hin zum Jazz, und stimmungsvolle Schwarz-Weiß-Illustrationen geben einen überraschend detaillierten und umfangreichen ersten Eindruck in das Schaffen Sayat Novas. Ich schließe mich der Hoffnung Cikáns an, dass sich bald weitere Übersetzer mit dem Werk des "Königs des Gesangs" beschäftigen, mein Interesse ist geweckt.