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Die Geschichte der italienischen Arbeitsmigranten in der Bundesrepublik wurde bisher vielfach als die Geschichte von Opfern erzählt. Dabei spielten die Wünsche und Lebenskonzepte der Italienerinnen und Italiener selbst oft keine Rolle. Dieses Buch erzählt anhand der italienischen Migranten in Wolfsburg - der einstmals größten italienischen Community nördlich der Alpen - die Geschichte der "Gastarbeiter" neu. So wird deutlich, wie sehr das Leben vieler Italiener auf die Rückkehr konzentriert war, wie vielmals die süditalienische Herkunft das Leben und die Arbeit in Deutschland prägte und wie…mehr

Produktbeschreibung
Die Geschichte der italienischen Arbeitsmigranten in der Bundesrepublik wurde bisher vielfach als die Geschichte von Opfern erzählt. Dabei spielten die Wünsche und Lebenskonzepte der Italienerinnen und Italiener selbst oft keine Rolle. Dieses Buch erzählt anhand der italienischen Migranten in Wolfsburg - der einstmals größten italienischen Community nördlich der Alpen - die Geschichte der "Gastarbeiter" neu. So wird deutlich, wie sehr das Leben vieler Italiener auf die Rückkehr konzentriert war, wie vielmals die süditalienische Herkunft das Leben und die Arbeit in Deutschland prägte und wie relativ einflusslos die Politik gegenüber den Migrationsprozessen war. Das Buch stellt dabei ein brisantes Thema ins Zentrum: Die Migration nach Deutschland und die Möglichkeiten von Integration.
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Autorenporträt
Hedwig Richter, Dr., ist Assistentin am Arbeitsbereich für Allgemeine Geschichte der Neuesten Zeit an der Universität Greifswald; von 2009-2011 arbeitete sie an der Universität Bielefeld als Postdoc der Bielefelder Graduate School in History and Sociology.Ralf Richter ist Referent der Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf; von 2002-2006 arbeitete er als wissenschaftlicher Angestellter am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Göttingen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.09.2013

Weder Gast noch Opfer
Arbeitsmigranten bei VW

"Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kamen Menschen." Dieser Satz des Schweizer Schriftstellers Max Frisch spiegelte lange Zeit auch in der Bundesrepublik das schlechte Gewissen der Migrationspolitik und -forschung wider. Der irrtümliche Glaube, dass die als "Gastarbeiter" ins Land geholten Einwanderer in ihre Herkunftsländer in nicht allzu ferner Zukunft wieder zurückgehen würden, habe dazu geführt, dass Integrationsbemühungen unterlassen oder verschleppt worden seien, so lautet die gängige Selbstbezichtigung. Während Migranten von der einheimischen Bevölkerung diskriminiert und zu einem Leben am Rande der Gesellschaft verurteilt worden seien, hätten Politik und Öffentlichkeit sich gleichzeitig gebetsmühlenhaft geweigert, die Realität der Einwanderung anzuerkennen und daraus Folgen zu ziehen.

Dass die als "Opfer-Plot" erzählte Geschichte den Tatsachen nicht standhält, beweist ein nüchterner Blick auf die Zahlen. Von den 14 Millionen ausländischen Arbeitnehmern, die seit Mitte der fünfziger Jahre bis zum Anwerbestopp 1973 in die Bundesrepublik gekommen waren, kehrten 12 Millionen in ihre Heimat zurück. Deutschland war für sie keineswegs das gelobte Land, in dem sie sich dauerhaft einrichten wollten. Konsum und Freizeit maßen die Ankömmlinge wenig Bedeutung bei. Stattdessen konzentrierten sie sich ganz auf das Geldverdienen. Dass sie dabei in den wenig qualifizierten Berufen des primären und sekundären Sektors gefangen blieben, war auch eine Konsequenz ihres festen Rückkehrwillens, der ihnen den Anreiz nahm, durch Bildung aufzusteigen und damit zugleich Anschluss an den gesellschaftlichen Wertewandel zu finden.

Am Beispiel der italienischen Arbeitsmigranten im Wolfsburger Volkswagenwerk - der einstmals größten italienischen Gemeinschaft nördlich der Alpen - zeigen die Autoren, dass es an Anstrengungen der Aufnahmegesellschaft, die "Gastarbeiter" zu integrieren, in den sechziger Jahren keineswegs fehlte. VW und auch die Stadt investierten viel Geld, um mit Bildungsmaßnahmen und einer gezielten Wohnungspolitik die Abschottung der italienischen Familien zu verhindern. Dass dies weitgehend wirkungslos blieb, lag vor allem an der mangelnden Initiative der Migranten und ihrem Eigensinn.

Eine unselige Rolle spielte dabei die katholische Kirche, deren - von dem Geistlichen Don Parenti errichtete - Parallelstrukturen in Wolfsburg die meisten Italiener in ihrer Orientierung auf die alte Heimat bestärkten. Dem stand eine kleine Minderheit von Migranten gegenüber, die sich im Rahmen der Gewerkschaften betrieblich engagierten. Auf diese Weise fanden sie Anschluss zu deutschen Kollegen, konnten die Sprache besser lernen und sich so in die Mehrheitsgesellschaft integrieren.

Zur Tragik der Migrationsgeschichte gehört, dass viele der überwiegend aus Süditalien stammenden Migranten nach ihrer Rückkehr nicht glücklicher waren. Manche wurden wieder arbeitslos, andere mussten erkennen, dass die Daheimgebliebenen manchmal genauso viel oder mehr erreicht hatten wie sie selbst. Die Rückkehrer erlitten das Schicksal, dass sie nach 10, 15 oder 20 Jahren in der Fremde in der italienischen Heimat selbst Fremde geworden waren. Auf der anderen Seite blieb diese Heimat für die in Deutschland Verbliebenen ein Sehnsuchtsort. Da schlecht Integrierte es versäumten, sich für eine gute Ausbildung ihrer Kinder einzusetzen, blieb die Entwicklungsblockade auch in der zweiten Einwanderergeneration bestehen.

So richtig es ist, das Augenmerk auf die vergessenen Rückkehrer zu lenken, wirkt die Kritik des "Opfer-Plots" deutscher Migrationspolitik in dem Buch bisweilen etwas penetrant. Wenn die Autoren die verschiedenen Bundesregierungen seit 1956 gegen den Vorwurf in Schutz nehmen, "sie hätten sich auf die Realität der Masseneinwanderung nicht eingelassen", haben sie für die Anwerbephase sicher recht. Denn das verlorene Jahrzehnt der Integration waren erst die achtziger Jahre, als die großen Rückwandererwellen bereits hinter der Bundesrepublik lagen. Darüber hinaus wird der Unterschied zwischen den Herkunftsländern der Migranten nicht genügend beachtet. Während der 1973 verhängte Anwerbestopp den Anteil der Italiener, Spanier, Griechen, Portugiesen und Jugoslawen an der ausländischen Erwerbsbevölkerung rückkehrbedingt sinken ließ, verstärkte er bei den türkischen Arbeitnehmern eher den Anreiz dazubleiben. Im Zuge des Familiennachzugs avancierten die Türken rasch zur größten Zuwanderergruppe, deren Rückkehrbereitschaft die Kohl-Regierung noch 1983 durch Prämien und eine Erstattung der eingezahlten Rentenbeiträge "nachhelfen" wollte. Obwohl dieser Politik der Erfolg versagt blieb, sollte es weitere eineinhalb Jahrzehnte dauern, bis sich ein realistischer Blick auf das Einwanderungsland Bundesrepublik auch unter den Konservativen durchsetzte.

FRANK DECKER

Hedwig Richter/Ralf Richter: Die Gastarbeiter-Welt. Leben zwischen Palermo und Wolfsburg. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2012. 284 S., 34,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Nun ist es raus: Schuld am Mangel an Integration sind die Migranten selbst. Zumindest was die italienischen Gastarbeiter im Wolfsburger VW-Werk in den 60er Jahren anbetrifft, wie Frank Decker diesem Band von Hedwig und Ralf Richter entnimmt. Deren Kritik am "Opfer-Plot" und das Inschutznehmen der Bundesregierungen seit 1956, gestützt auf Zahlen und Untersuchungen beispielsweise zu den Integrations-Bemühungen von VW und der Stadt Wolfsburg, findet Decker allerdings bisweilen ein bisschen penetrant. Außerdem sieht er die Unterschiede zwischen den verschiedenen Herkunftsländern der Migranten im Band zu wenig berücksichtigt und die eigentlich problematische Zeit der Achtziger völlig außer Acht gelassen.

© Perlentaucher Medien GmbH