"Das Leben wird enden,
das Leben bleibt.
Dem gleich spielt das Kind
Unter allzuviel Träumen."
(Die gebogenen Planken)
"Poesie ist die Erfahrung dessen, was die Wörter überschreitet", hat Yves Bonnefoy einmal in einer berühmt gewordenen Wendung gesagt. Damit ist das Flüchtige, schwer Faßbare umrissen, das dieser Lyrik eignet - denn damit wird die Lyrik in ein unauflösliches Spannungsverhältnis zu sich selbst gebracht. Bonnefoys Lyrik wurde eine Schule des Sehens genannt, konzentriert auf die einfachen Dinge, die kostbare Momente reiner Präsenz hervorbringt.
In diesem späten und bisher letzten Gedichtband treten liedhafte Strophen, Meditationen und rhapsodische Erörterungen zu Zyklen zusammen, in denen sich der Dichter erinnert, in denen er wiederaufgreift und so mit der eigenen Dichtung in einen Dialog tritt. Bonnefoy "provoziert zum Überschreiten der Schwelle zwischen den Dingen und den Wörtern und einem möglichen Jenseits der Wirklichkeit" (Christina Weiss in der SZ). Und diese Erfahrung der Diesseitigkeit, bis an ihre Grenze getrieben, bringt Tiefe hervor und Schönheit.
das Leben bleibt.
Dem gleich spielt das Kind
Unter allzuviel Träumen."
(Die gebogenen Planken)
"Poesie ist die Erfahrung dessen, was die Wörter überschreitet", hat Yves Bonnefoy einmal in einer berühmt gewordenen Wendung gesagt. Damit ist das Flüchtige, schwer Faßbare umrissen, das dieser Lyrik eignet - denn damit wird die Lyrik in ein unauflösliches Spannungsverhältnis zu sich selbst gebracht. Bonnefoys Lyrik wurde eine Schule des Sehens genannt, konzentriert auf die einfachen Dinge, die kostbare Momente reiner Präsenz hervorbringt.
In diesem späten und bisher letzten Gedichtband treten liedhafte Strophen, Meditationen und rhapsodische Erörterungen zu Zyklen zusammen, in denen sich der Dichter erinnert, in denen er wiederaufgreift und so mit der eigenen Dichtung in einen Dialog tritt. Bonnefoy "provoziert zum Überschreiten der Schwelle zwischen den Dingen und den Wörtern und einem möglichen Jenseits der Wirklichkeit" (Christina Weiss in der SZ). Und diese Erfahrung der Diesseitigkeit, bis an ihre Grenze getrieben, bringt Tiefe hervor und Schönheit.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.07.2004Die Stimme und der Stein
Ewige Wiederkehr: Frühe und späte Gedichte von Yves Bonnefoy
Der Surrealismus blieb in der deutschen Lyrik ohne produktive Wirkung. In Frankreich dagegen hat er bedeutende Lyriker wie Paul Eluard und Robert Desnos hervorgebracht. Er inspirierte vor allem eine spätere Generation von Dichtern, die in der Auseinandersetzung mit ihm ihren eigenen Weg fanden. Der bedeutendste unter ihnen ist der heute über achtzigjährige Yves Bonnefoy, der gewissermaßen ins surrealistische Klima hineinwuchs: Als 1924 das "Manifest des Surrealismus" erschien, war er gerade ein Jahr alt. Dem Vierzehnjährigen schenkte sein Philosophielehrer eine surrealistische Anthologie - ein folgenreiches Geschenk. Poesie weckt Poesie. Bonnefoy schloß sich 1944 den Surrealisten an, studierte Mathematik, schrieb ein Diplom über Baudelaire und Kierkegaard und trennte sich bereits 1947 wieder vom Surrealismus - ziemlich genau zehn Jahre nach seiner poetischen Erweckung. Er hatte als Dichter seinen eigenen Weg gefunden. Er forschte nicht bloß im Unbewußten, er grub in anderen, in tieferen Schichten. Er wurde ein Archäologe des Wortes.
Es waren Steine, die er zutage förderte. Steine, die Inschriften tragen: Grabsteine, Epitaphe. Antike Grabschriften - etwa der "Anthologia graeca" - inspirierten Bonnefoy zu seinen frühen Texten. Und so hat Friedhelm Kemp, der seit den sechziger Jahren den Dichter übersetzend und kommentierend begleitet, mit großem Recht die Zusammenfassung von Bonnefoys früher Lyrik "Beschriebener Stein" betitelt.
Natürlich reden diese Epitaphe vom Tod, seiner lastenden dunklen Endgültigkeit, die auch die Gabe einer "finstren Milch" nicht sänftigt. Doch das vielleicht schönste dieser Stein-Gedichte kennt auch hellere Töne: "Er sagt mir, Du bist ein Wasser, das dunkelste, / Das frischeste, die unteilbare Liebe dort zu kosten. / Ich habe seinen Schritt zurückgehalten, doch zwischen anderen Steinen, / Ewigen Tag zu trinken unter Tag." Wo ein beschriebener Stein ist, eine Grabschrift, ist auch jemand mitgedacht, der liest und spricht, gibt es den Hauch einer Stimme, die das Dunkle benennt, die das Dunkle aufhebt. So antworten den wahrhaft lapidaren Stein-Gedichten jene Texte, die man als den Anhauch einer Stimme empfängt. Der Titel "Une voix" (Eine Stimme) erscheint kaum weniger oft. Eine dieser Stimmen fleht den Stein an: "O grauer Stein, / wenn es wahr ist, daß du des Blutes Farbe hast, / erschaudre doch von diesem Blut, das in dir fließt, / eröffne mir den Hafen deines Schreis."
Hatte Bonnefoy mit "Stein" und "Stimme" sein Thema gefunden? Er desavouiert diese Vorstellung, wenn er sagt: "Ein Dichter hat keine Themen, sondern Wörter." Sie helfen ihm aber, sein Thema zu finden, es zu umkreisen. So ist Bonnefoys Lyrik eine ununterbrochene Poesie, sind seine Gedichte nach eigenem Bekunden keine abgeschlossenen, selbständigen Gebilde: "Was ich schreibe, sind vielmehr Gesamtheiten, Versammlungen, Zusammenhänge, innerhalb deren jeder einzelne Text nur ein Fragment ist."
Dieses Bekenntnis wird völlig plausibel, wenn man Bonnefoys Spätwerk neben die Produktion der fünfziger und sechziger Jahre hält. "Les planches courbes" (2001) ist das Werk eines Mannes von 78 Jahren. Der Titel - "Die gebogenen Planken" - spielt auf ein Charon- und Christophorus-Motiv an. Das Kind, das sich von einem riesenhaften Fährmann übersetzen läßt, gerät mit ihm in Bedrängnis. Die Planken des Bootes verweigern den Halt, und beide schwimmen in einen unendlichen Raum der Strömungen und Sternenabgründe. Dem Kind, das den Fährmann bittet, sein Vater und sein Haus zu sein, antwortet der Riese: "Diese Worte mußt du vergessen. Vergiß die Worte."
Das kann und will der Dichter natürlich nicht tun. Dem Wortevergessen folgt das Wortefinden. Seine späten Gedichte greifen auf das Früheste zurück, auf die Kindheit. Es gab einen Vater, und es gab ein Haus. Der schönste Zyklus des Bandes ist "Wo ich geboren wurde" (La maison natale), und eine besonders anrührende Passage zeigt den Vater, "wie er langsam / daherkommt auf dem Boulevard, schwerfällig / unter der Last der Müdigkeit sich fortbewegend". Ein anderes Gedicht sieht die Eltern miteinander sprechen. Das Kind, das sie aus der Tiefe des Gartens betrachtet, weiß: "Aus diesen Worten kann man geboren werden."
Diese frühe ist zugleich die späte Einsicht des Dichters. Sie erleichtert dem Leser den Zugang zu einem Werk, dessen strenge innere Korrespondenz besondere Anforderungen an den Leser stellt. Friedhelm Kemp meint sogar, man müßte sozusagen "dieses Gesamtwerk im Kopf, im Herzen haben, um jede Zeile angemessen zu verstehen". Um so erstaunlicher, daß dieser hermetisch-symbolistische Dichter mit autobiographischen Konfessionen kommt. Sie plaudern nichts aus, sondern sind von großer Diskretion, großer Wahrheit. Bonnefoy zeigt eine wunderbare Spröde, wenn er bekennt, er habe manche seiner Worte hundertmal durchgestrichen in Versen und in Prosa: "Doch unabweisbar / kehren sie wieder, wenn ich spreche."
Vom Stein heißt es einmal, er werde ein "Wort", und die Stimme beschwört "unser Glück: schwerfällig im Gestein / der Aufflug des Wiedehopfes". Glück ist etwas schwer Erreichtes. Der späte Bonnefoy hat zu einer strengen Heiterkeit gefunden. Sie ist nicht ohne dämonischen Hintersinn. Im letzten Gedicht des Bandes geht es ums "Steine werfen". Die Steinewerfer, die lachend in den Mond blicken, haben zerschundene, blutige Hände, doch ihre Augen heben sich andern Augen zu: "und wieder war da dieses Lachen". Friedhelm Kemp, der kongeniale Übersetzer auch dieser späten Poesien, ermahnt uns, dieses Stichwort nicht zu überhören.
So ist es mit der Heiterkeit der Kunst bestellt. Ohne die Steine, ohne die blutigen Hände verstünden wir das Serene der Kunst nicht; verstünden nicht die Preisgedichte, mit denen uns der alte Dichter beschenkt. "Que ce monde demeure" hat er sie genannt: "Sie bleibe, diese Welt!" Der emphatische Ausruf kehrt in dem Zyklus mehrfach wieder. Nur ein so erfahrener, unsentimentaler Poet kann sich den Hymnenton erlauben und das Carpe diem des Horaz noch einmal aufnehmen, nicht als hedonistische Lebensmaxime, sondern als metaphysischen Segensspruch: "Sie bleibe, diese Welt, dem Tod zum Trotz! Grau die Olive hart an ihrem Ast." Pflücken wir die Oliven des Yves Bonnefoy!
HARALD HARTUNG
Yves Bonnefoy: "Beschriebener Stein und andere Gedichte". Zweisprachige Ausgabe. Deutsch von Friedhelm Kemp. Carl Hanser Verlag, München / Wien 2004. 356 S., br., 21,50 [Euro].
Yves Bonnefoy: "Die gebogenen Planken". Zweisprachige Ausgabe. Ins Deutsche übertragen und mit einem Nachwort von Friedhelm Kemp. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2004. 231 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ewige Wiederkehr: Frühe und späte Gedichte von Yves Bonnefoy
Der Surrealismus blieb in der deutschen Lyrik ohne produktive Wirkung. In Frankreich dagegen hat er bedeutende Lyriker wie Paul Eluard und Robert Desnos hervorgebracht. Er inspirierte vor allem eine spätere Generation von Dichtern, die in der Auseinandersetzung mit ihm ihren eigenen Weg fanden. Der bedeutendste unter ihnen ist der heute über achtzigjährige Yves Bonnefoy, der gewissermaßen ins surrealistische Klima hineinwuchs: Als 1924 das "Manifest des Surrealismus" erschien, war er gerade ein Jahr alt. Dem Vierzehnjährigen schenkte sein Philosophielehrer eine surrealistische Anthologie - ein folgenreiches Geschenk. Poesie weckt Poesie. Bonnefoy schloß sich 1944 den Surrealisten an, studierte Mathematik, schrieb ein Diplom über Baudelaire und Kierkegaard und trennte sich bereits 1947 wieder vom Surrealismus - ziemlich genau zehn Jahre nach seiner poetischen Erweckung. Er hatte als Dichter seinen eigenen Weg gefunden. Er forschte nicht bloß im Unbewußten, er grub in anderen, in tieferen Schichten. Er wurde ein Archäologe des Wortes.
Es waren Steine, die er zutage förderte. Steine, die Inschriften tragen: Grabsteine, Epitaphe. Antike Grabschriften - etwa der "Anthologia graeca" - inspirierten Bonnefoy zu seinen frühen Texten. Und so hat Friedhelm Kemp, der seit den sechziger Jahren den Dichter übersetzend und kommentierend begleitet, mit großem Recht die Zusammenfassung von Bonnefoys früher Lyrik "Beschriebener Stein" betitelt.
Natürlich reden diese Epitaphe vom Tod, seiner lastenden dunklen Endgültigkeit, die auch die Gabe einer "finstren Milch" nicht sänftigt. Doch das vielleicht schönste dieser Stein-Gedichte kennt auch hellere Töne: "Er sagt mir, Du bist ein Wasser, das dunkelste, / Das frischeste, die unteilbare Liebe dort zu kosten. / Ich habe seinen Schritt zurückgehalten, doch zwischen anderen Steinen, / Ewigen Tag zu trinken unter Tag." Wo ein beschriebener Stein ist, eine Grabschrift, ist auch jemand mitgedacht, der liest und spricht, gibt es den Hauch einer Stimme, die das Dunkle benennt, die das Dunkle aufhebt. So antworten den wahrhaft lapidaren Stein-Gedichten jene Texte, die man als den Anhauch einer Stimme empfängt. Der Titel "Une voix" (Eine Stimme) erscheint kaum weniger oft. Eine dieser Stimmen fleht den Stein an: "O grauer Stein, / wenn es wahr ist, daß du des Blutes Farbe hast, / erschaudre doch von diesem Blut, das in dir fließt, / eröffne mir den Hafen deines Schreis."
Hatte Bonnefoy mit "Stein" und "Stimme" sein Thema gefunden? Er desavouiert diese Vorstellung, wenn er sagt: "Ein Dichter hat keine Themen, sondern Wörter." Sie helfen ihm aber, sein Thema zu finden, es zu umkreisen. So ist Bonnefoys Lyrik eine ununterbrochene Poesie, sind seine Gedichte nach eigenem Bekunden keine abgeschlossenen, selbständigen Gebilde: "Was ich schreibe, sind vielmehr Gesamtheiten, Versammlungen, Zusammenhänge, innerhalb deren jeder einzelne Text nur ein Fragment ist."
Dieses Bekenntnis wird völlig plausibel, wenn man Bonnefoys Spätwerk neben die Produktion der fünfziger und sechziger Jahre hält. "Les planches courbes" (2001) ist das Werk eines Mannes von 78 Jahren. Der Titel - "Die gebogenen Planken" - spielt auf ein Charon- und Christophorus-Motiv an. Das Kind, das sich von einem riesenhaften Fährmann übersetzen läßt, gerät mit ihm in Bedrängnis. Die Planken des Bootes verweigern den Halt, und beide schwimmen in einen unendlichen Raum der Strömungen und Sternenabgründe. Dem Kind, das den Fährmann bittet, sein Vater und sein Haus zu sein, antwortet der Riese: "Diese Worte mußt du vergessen. Vergiß die Worte."
Das kann und will der Dichter natürlich nicht tun. Dem Wortevergessen folgt das Wortefinden. Seine späten Gedichte greifen auf das Früheste zurück, auf die Kindheit. Es gab einen Vater, und es gab ein Haus. Der schönste Zyklus des Bandes ist "Wo ich geboren wurde" (La maison natale), und eine besonders anrührende Passage zeigt den Vater, "wie er langsam / daherkommt auf dem Boulevard, schwerfällig / unter der Last der Müdigkeit sich fortbewegend". Ein anderes Gedicht sieht die Eltern miteinander sprechen. Das Kind, das sie aus der Tiefe des Gartens betrachtet, weiß: "Aus diesen Worten kann man geboren werden."
Diese frühe ist zugleich die späte Einsicht des Dichters. Sie erleichtert dem Leser den Zugang zu einem Werk, dessen strenge innere Korrespondenz besondere Anforderungen an den Leser stellt. Friedhelm Kemp meint sogar, man müßte sozusagen "dieses Gesamtwerk im Kopf, im Herzen haben, um jede Zeile angemessen zu verstehen". Um so erstaunlicher, daß dieser hermetisch-symbolistische Dichter mit autobiographischen Konfessionen kommt. Sie plaudern nichts aus, sondern sind von großer Diskretion, großer Wahrheit. Bonnefoy zeigt eine wunderbare Spröde, wenn er bekennt, er habe manche seiner Worte hundertmal durchgestrichen in Versen und in Prosa: "Doch unabweisbar / kehren sie wieder, wenn ich spreche."
Vom Stein heißt es einmal, er werde ein "Wort", und die Stimme beschwört "unser Glück: schwerfällig im Gestein / der Aufflug des Wiedehopfes". Glück ist etwas schwer Erreichtes. Der späte Bonnefoy hat zu einer strengen Heiterkeit gefunden. Sie ist nicht ohne dämonischen Hintersinn. Im letzten Gedicht des Bandes geht es ums "Steine werfen". Die Steinewerfer, die lachend in den Mond blicken, haben zerschundene, blutige Hände, doch ihre Augen heben sich andern Augen zu: "und wieder war da dieses Lachen". Friedhelm Kemp, der kongeniale Übersetzer auch dieser späten Poesien, ermahnt uns, dieses Stichwort nicht zu überhören.
So ist es mit der Heiterkeit der Kunst bestellt. Ohne die Steine, ohne die blutigen Hände verstünden wir das Serene der Kunst nicht; verstünden nicht die Preisgedichte, mit denen uns der alte Dichter beschenkt. "Que ce monde demeure" hat er sie genannt: "Sie bleibe, diese Welt!" Der emphatische Ausruf kehrt in dem Zyklus mehrfach wieder. Nur ein so erfahrener, unsentimentaler Poet kann sich den Hymnenton erlauben und das Carpe diem des Horaz noch einmal aufnehmen, nicht als hedonistische Lebensmaxime, sondern als metaphysischen Segensspruch: "Sie bleibe, diese Welt, dem Tod zum Trotz! Grau die Olive hart an ihrem Ast." Pflücken wir die Oliven des Yves Bonnefoy!
HARALD HARTUNG
Yves Bonnefoy: "Beschriebener Stein und andere Gedichte". Zweisprachige Ausgabe. Deutsch von Friedhelm Kemp. Carl Hanser Verlag, München / Wien 2004. 356 S., br., 21,50 [Euro].
Yves Bonnefoy: "Die gebogenen Planken". Zweisprachige Ausgabe. Ins Deutsche übertragen und mit einem Nachwort von Friedhelm Kemp. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2004. 231 S., geb., 22,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Yves Bonnefoys wunderbare Dichtungen bilden eine Welt, die jedes einzelne Gedicht zum Teil eines größeren Ganzen macht - deshalb, erläutert Harald Hartung, sind sie nicht leicht zugänglich. Das werde besonders deutlich, wenn man die hier versammelten Gedichte des fast 80-Jährigen mit seinem Frühwerk vergleicht, entstanden, als er gerade dem Nest der Surrealisten entflogen war. Damals entnahm er den Grabsteinen Worte vom Tod und umspielte sie mit Stimmen, die vom Leben sprachen. Die jüngeren Gedichte nun greifen auf die Kindheit zurück, nicht bekenntnishaft, sondern mit "großer Diskretion, großer Wahrheit". Und wieder und wieder stehen dem Dunkel der Lichtschein gegenüber, dem Ende ein Dennoch. "Der späte Bonnefoy hat zu einer strengen Heiterkeit gefunden", schreibt der Rezensent - der "erfahrene, unsentimentale Poet" preist das Leben: "Sie bleibe, diese Welt, dem Tod zum Trotz! Grau die Olive hart an ihrem Ast." Harald Hartung lädt - im Bund mit dem "kongenialen Übersetzer" Friedhelm Kemp - zum Pflücken ein.
© Perlentaucher Medien GmbH
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