Renee Schwarzenbach lebte ein intensives Leben ohne Kompromisse. Die passionierte Reiterin und obsessive Fotografin liebte ihren Mann aufrichtig, unterhielt aber gleichzeitig fast vierzig Jahre lang mit der Wagnersängerin Emmy Krüger ein intimes Verhältnis. Politisch schlug ihr Herz stets für Deutschland, egal ob dort der Kaiser, Hitler oder Adenauer an der Macht war. Und weil sie vor allem deutsche Musik liebte, gingen Künstler wie Richard Strauss oder Wilhelm Furtwängler bei ihr ein und aus. Sowohl als Turnierreiterin im Damensattel als auch als Pferdezüchterin feierte sie Erfolge, im Privatleben aber musste sie immer wieder herbe Enttäuschungen einstecken.
Zwei ihrer fünf Kinder machten ihr große Sorgen: Ihr erster Sohn Robuli, der nie sprechen lernte und den sie über alles liebte - sie widersetzte sich standhaft ärztlichen Bestrebungen, ihn in eine psychiatrische Anstalt einzuweisen - und ihre Tochter Annemarie, Schriftstellerin und Fotografin.
Die Korrespondenz zwischen Mutter und Tochter, die Tagebücher der Großmutter Clara Wille-von Bismarck sowie Annemaries detaillierte Krankengeschichte stellen den jahrelangen Kampf zwischen Annemarie und Renee in ein völlig neues Licht. Vordergründig ging es um Politik und Drogen, tatsächlich aber um einen sich ständig wiederholenden Prozess von Liebe und Hass, Leid und Mitleid.
Zwei ihrer fünf Kinder machten ihr große Sorgen: Ihr erster Sohn Robuli, der nie sprechen lernte und den sie über alles liebte - sie widersetzte sich standhaft ärztlichen Bestrebungen, ihn in eine psychiatrische Anstalt einzuweisen - und ihre Tochter Annemarie, Schriftstellerin und Fotografin.
Die Korrespondenz zwischen Mutter und Tochter, die Tagebücher der Großmutter Clara Wille-von Bismarck sowie Annemaries detaillierte Krankengeschichte stellen den jahrelangen Kampf zwischen Annemarie und Renee in ein völlig neues Licht. Vordergründig ging es um Politik und Drogen, tatsächlich aber um einen sich ständig wiederholenden Prozess von Liebe und Hass, Leid und Mitleid.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.03.2005Auf Großmuttersuche
Das bunte Leben der Renée Schwarzenbach-Wille
Alexis Schwarzenbach: Die Geborene. Renée Schwarzenbach-Wille und ihre Familie. Verlag Scheidegger & Spiess, Zürich 2004. 512 Seiten, 30,- [Euro].
In Renée Schwarzenbach-Wille und ihrer Familie spiegelt sich eine ganze Epoche Schweizer und deutscher Geschichte. Die Willes gehörten zum bildungsbürgerlich-aristokratisch-militärischen Stadtzüricher Milieu und waren stets auf Deutschland hin ausgerichtet. Renées Vater Ulrich Wille war Hauptexponent der "Neuen Richtung" innerhalb der Schweizer Armee, die sich am preußischen Vorbild orientierte, und Oberbefehlshaber der Schweizer Armee im Ersten Weltkrieg. Die Schwarzenbachs, ursprünglich aus einfacheren Verhältnissen aus dem Züricher Umland, waren zu erfolgreichen Seidenindustriellen aufgestiegen und der angelsächsischen Welt zugewandt. Erst die Weltwirtschaftskrise stoppte die fulminante Expansion des unter Leitung von Renées Gatten stehenden Textilimperiums. Renée fühlte sich selbst als eine Wille und legte Wert auf den Namenszusatz, der ihr in der Züricher Gesellschaft den Beinamen "die Geborene" eingebracht hat. Roter Faden des Lebens von 1883 bis 1959 war neben einer konventionellen, keineswegs unglücklichen Ehe ein vierzig Jahre währendes, stark erotisch geprägtes Verhältnis zu der deutschen Bayreuth-Sängerin Emmy Krüger. Beider extrem ablehnende Reaktion gegenüber Renées Tochter, der Literatin Annemarie Schwarzenbach, die sich frei zu ihrer lesbischen Veranlagung bekannt hat, legt jedoch nahe, daß der sexuelle Aspekt der Beziehung weitgehend verdrängt worden ist. Das Mutter-Tochter-Verhältnis gestaltete sich, nicht zuletzt vor dem Hintergrund von Annemaries problematischer Beziehung zu Erika Mann, als quälender "Zyklus von Liebe, Eifersucht, Leid und Mitleid". Wurde Renées Verhalten gegenüber der Tochter von deren Freundinnen und Bewunderern heftigst kritisiert, so ist andererseits die Art, wie sie ihren behinderten Sohn Robuli behandelt hat, als mustergültig zu bezeichnen.
Festen Halt und den diesem Leben adäquaten großen Rahmen bot der Herrensitz Bocken am Zürichsee. Illustre Musiker von Richard Strauss über Bruno Walter und Wilhelm Furtwängler bis zu Pablo Casals wurden von der melomanen Gastgeberin empfangen, erfuhren Freundschaft und Unterstützung, dienten aber auch der Profilierung der Hausherrin. Daneben spielte Politik im Hause Schwarzenbach-Wille eine bedeutende Rolle. Besondere Aufregung haben in der Schweiz die Kontakte zum Nationalsozialismus bewirkt, die mit den Zeitläuften und bei den einzelnen Familienmitgliedern unterschiedlich stark ausgeprägt waren, nachdem bereits 1922 der junge Rudolf Hess von Karl Haushofer auf Bocken eingeführt worden war.
Der Autor hat sich auf eine breite Quellenbasis stützen können. Familienarchive und -nachlässe standen zur Verfügung, aber auch die Dossiers der Züricher Polizei und die Krankenakten Robulis und Annemaries boten Substantielles, ebenso wie die Akten des deutschen Auswärtigen Amts. Die Vertreter des Reichs in der Schweiz haben sich stark für die einflußreiche und deutschfreundliche Familie Wille interessiert, die zudem verwandtschaftlich mit dem Staatssekretär des Auswärtigen Amts Ernst von Weizsäcker verbunden war. Hinzu kommt eine Quelle ganz eigener Art. Renée war nicht nur zeitlebens passionierte Reiterin und Pferdenärrin, sondern widmete sich seit ihrer Kindheit mit ausdauernder Leidenschaft der Photographie. 10 000 ihrer Photos sind erhalten, sorgfältig in Alben geordnet und beschriftet. Die Hauptserie stellt, neben diversen Themenalben, ein lebenumfassendes visuelles Tagebuch dar. Der Autor hat geschickten interpretatorischen Gebrauch von diesem erstaunlichen Fundus gemacht.
Anders als frühere Publikationen über die Familie Wille ist Alexis Schwarzenbachs angenehm zu lesendes und höchst lohnendes Buch wohltuend unaufgeregt. Allerdings wäre es wert gewesen zu erörtern, wie stark der Einfluß der dominanten und egozentrischen Emmy Krüger auf die Freundin gewesen ist, wie weit etwa ihre ausgeprägt antisemitischen und deutschvölkischen Einstellungen abgefärbt haben. Abschließend betont der Autor, anders als in den Jahren seiner Kindheit, da seine Großmutter ihm in Schilderungen Dritter als "an Boshaftigkeit nur schwer zu übertreffendes Monster" erschienen wäre, sei er nach Abschluß seiner Recherchen nicht mehr froh, ihr nie begegnet zu sein. Liebgewonnen aber scheint er sie nicht zu haben - ähnlich dürfte es den meisten seiner Leser ergehen.
PETER GRUPP
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das bunte Leben der Renée Schwarzenbach-Wille
Alexis Schwarzenbach: Die Geborene. Renée Schwarzenbach-Wille und ihre Familie. Verlag Scheidegger & Spiess, Zürich 2004. 512 Seiten, 30,- [Euro].
In Renée Schwarzenbach-Wille und ihrer Familie spiegelt sich eine ganze Epoche Schweizer und deutscher Geschichte. Die Willes gehörten zum bildungsbürgerlich-aristokratisch-militärischen Stadtzüricher Milieu und waren stets auf Deutschland hin ausgerichtet. Renées Vater Ulrich Wille war Hauptexponent der "Neuen Richtung" innerhalb der Schweizer Armee, die sich am preußischen Vorbild orientierte, und Oberbefehlshaber der Schweizer Armee im Ersten Weltkrieg. Die Schwarzenbachs, ursprünglich aus einfacheren Verhältnissen aus dem Züricher Umland, waren zu erfolgreichen Seidenindustriellen aufgestiegen und der angelsächsischen Welt zugewandt. Erst die Weltwirtschaftskrise stoppte die fulminante Expansion des unter Leitung von Renées Gatten stehenden Textilimperiums. Renée fühlte sich selbst als eine Wille und legte Wert auf den Namenszusatz, der ihr in der Züricher Gesellschaft den Beinamen "die Geborene" eingebracht hat. Roter Faden des Lebens von 1883 bis 1959 war neben einer konventionellen, keineswegs unglücklichen Ehe ein vierzig Jahre währendes, stark erotisch geprägtes Verhältnis zu der deutschen Bayreuth-Sängerin Emmy Krüger. Beider extrem ablehnende Reaktion gegenüber Renées Tochter, der Literatin Annemarie Schwarzenbach, die sich frei zu ihrer lesbischen Veranlagung bekannt hat, legt jedoch nahe, daß der sexuelle Aspekt der Beziehung weitgehend verdrängt worden ist. Das Mutter-Tochter-Verhältnis gestaltete sich, nicht zuletzt vor dem Hintergrund von Annemaries problematischer Beziehung zu Erika Mann, als quälender "Zyklus von Liebe, Eifersucht, Leid und Mitleid". Wurde Renées Verhalten gegenüber der Tochter von deren Freundinnen und Bewunderern heftigst kritisiert, so ist andererseits die Art, wie sie ihren behinderten Sohn Robuli behandelt hat, als mustergültig zu bezeichnen.
Festen Halt und den diesem Leben adäquaten großen Rahmen bot der Herrensitz Bocken am Zürichsee. Illustre Musiker von Richard Strauss über Bruno Walter und Wilhelm Furtwängler bis zu Pablo Casals wurden von der melomanen Gastgeberin empfangen, erfuhren Freundschaft und Unterstützung, dienten aber auch der Profilierung der Hausherrin. Daneben spielte Politik im Hause Schwarzenbach-Wille eine bedeutende Rolle. Besondere Aufregung haben in der Schweiz die Kontakte zum Nationalsozialismus bewirkt, die mit den Zeitläuften und bei den einzelnen Familienmitgliedern unterschiedlich stark ausgeprägt waren, nachdem bereits 1922 der junge Rudolf Hess von Karl Haushofer auf Bocken eingeführt worden war.
Der Autor hat sich auf eine breite Quellenbasis stützen können. Familienarchive und -nachlässe standen zur Verfügung, aber auch die Dossiers der Züricher Polizei und die Krankenakten Robulis und Annemaries boten Substantielles, ebenso wie die Akten des deutschen Auswärtigen Amts. Die Vertreter des Reichs in der Schweiz haben sich stark für die einflußreiche und deutschfreundliche Familie Wille interessiert, die zudem verwandtschaftlich mit dem Staatssekretär des Auswärtigen Amts Ernst von Weizsäcker verbunden war. Hinzu kommt eine Quelle ganz eigener Art. Renée war nicht nur zeitlebens passionierte Reiterin und Pferdenärrin, sondern widmete sich seit ihrer Kindheit mit ausdauernder Leidenschaft der Photographie. 10 000 ihrer Photos sind erhalten, sorgfältig in Alben geordnet und beschriftet. Die Hauptserie stellt, neben diversen Themenalben, ein lebenumfassendes visuelles Tagebuch dar. Der Autor hat geschickten interpretatorischen Gebrauch von diesem erstaunlichen Fundus gemacht.
Anders als frühere Publikationen über die Familie Wille ist Alexis Schwarzenbachs angenehm zu lesendes und höchst lohnendes Buch wohltuend unaufgeregt. Allerdings wäre es wert gewesen zu erörtern, wie stark der Einfluß der dominanten und egozentrischen Emmy Krüger auf die Freundin gewesen ist, wie weit etwa ihre ausgeprägt antisemitischen und deutschvölkischen Einstellungen abgefärbt haben. Abschließend betont der Autor, anders als in den Jahren seiner Kindheit, da seine Großmutter ihm in Schilderungen Dritter als "an Boshaftigkeit nur schwer zu übertreffendes Monster" erschienen wäre, sei er nach Abschluß seiner Recherchen nicht mehr froh, ihr nie begegnet zu sein. Liebgewonnen aber scheint er sie nicht zu haben - ähnlich dürfte es den meisten seiner Leser ergehen.
PETER GRUPP
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.07.2005Ein Leben im Herrensattel
Die Geschichte der Renée Schwarzenbach-Wille
„Annemarie, der Hals zum köpfen!” Die Bildunterschrift, die Renée Schwarzenbach-Wille unter ein Foto Ihrer elfjährigen Tochter Annemarie gesetzt hat, spricht Bände. Der Verletzlichkeit des mit entblößtem Rücken abgelichteten, auf einer Treppe kauernden Kindes, steht die rücksichtslose Herrschsucht einer Mutter gegenüber, die ihre Kinder nach den Prinzipien der Pferdezüchtung erzog und in den Augen eines Bekannten einen „prachtvollen Reitoberst” im Dreißigjährigen Krieg abgegeben hätte. „Mama war schon eine miserable Mutter, als Großmutter ist sie noch verreckter”, schrieb ihr Sohn Hasi Jahrzehnte später, und mit wenigen Abstrichen bestätigt sich sein Urteil auf jeder Seite der Familiengeschichte, die der Zürcher Historiker Alexis Schwarzenbach über seine Urgroßmutter geschrieben hat.
Die 1883 als Tochter des Schweizer Armeegenerals Ulrich Wille und der Deutschen Clara von Bismarck geborene Renée bestand auch nach ihrer Heirat mit dem sagenhaft reichen Seidenproduzenten Alfred Schwarzenbach auf ihrem Geburtsnamen, was ihr den Spitznamen „die Geborene” eintrug. Bald nach der Heirat kauften sich die Schwarzenbach-Willes das alte Gutshaus Bocken, und Renée machte das Gut zum feudalen Anziehungspunkt für die Reichen und Schönen, die dort „Schlagsahne mit großen Löffeln essen” und die Bockener Landwirtschaft bewundern durften. Neben dem deutschen Hochadel verkehrten Musiker wie Bruno Walter, Toscanini und Richard Strauss in Renées Salon, auf einem Foto sind „Herr und Frau Furtwängler beim Anblick der fröhlichen Schweinchen!” zu sehen.
Bösartige Bürgerei
Ferkel aber gab es auch in der guten Stube, denn die deutschnational eingestellte Hausherrin hegte schon in den zwanziger Jahren Sympathien für Hitlers Partei. Die Gästebücher, die Schwarzenbach ausgewertet hat, führen schon 1922 einen gewissen Rudolf Heß unter den Besuchern, der die Hausherrin neben seinen politischen Ansichten auch durch seitenlange Zitate aus Conrad Ferdinand Meyers Huttens letzte Tage beeindruckte, einem Renées Großvater François Wille gewidmeten Buch.
Tatsächlich hat Schwarzenbach in den Familienarchiven Anhaltspunkte dafür gefunden, dass sein Urgroßvater Alfred dem Spendensammler Hitler 1922 eine anonyme Barspende zukommen ließ. Dass Hitler in bürgerlich-industriellen Kreisen Unterstützer fand, ist nichts Außergewöhnliches, in der neutralen Schweiz jedoch musste es besonderen Anstoß erregen.
Renées Familie steckte möglicherweise auch hinter den Angriffen auf Erika Manns „Pfeffermühle” in Zürich. Ihr schlechtes Verhältnis zu deutschen Emigranten beruhte auf Gegenseitigkeit, wobei im Fall Erika und Klaus Manns, die eng mit Renées Tochter Annemarie befreundet waren, persönliche Eifersucht hinzukam. Im Hause Mann spielte, im Gegensatz zu Bocken, Literatur eine große und Reiten keine Rolle. Hier fühlte sich die Schriftstellerin Annemarie wohl, unterstützte die von Klaus Mann herausgegebene „Sammlung” finanziell und umschwärmte Erika als „meinen großen Bruder Eri, den ich sehr liebe”. Renée intrigierte daraufhin derart brutal gegen das „kommunistische Flüchtlingsgesindel”, dass selbst der großbürgerlichen Attitüden nicht abgeneigte Thomas Mann der Meinung war, diese „entartete und bösartige Bürgerei” könne einen von der Zukunft des Kommunismus überzeugen.
Verdeckte Narben
Die prodeutsche Haltung der Willes war manchen Eidgenossen schon im Ersten Weltkrieg verdächtig, als General Ulrich Wille, von 1914 bis 1918 Oberbefehlshaber der Schweizer Armee, eine am preußischen Militär orientierte Armeereform propagierte. Das ambivalente Verhältnis der Familie zum Drittem Reich machte Niklaus Meienbergs aufsehenerregende Biographie „Die Welt als Wille und Wahn” 1987 in der Schweiz zum skandalträchtigen Bestseller. Während Meienberg damals „wie ein Guerillakrieger gegen die verdeckten Narben der Schweiz” (Sonntagszeitung) vorging und sich vor Gericht mit dem Wille-Clan herumschlagen musste, wurde dem Urenkel das Familienarchiv kampflos überlassen.
Doch Schwarzenbachs Buch ist kein Lob der Urgroßmutter, dieser widersprüchlichen und durch eine öffentliche Beziehung zur Wagner-Sängerin Emmy Krüger provozierenden Frau. Trotz seiner familiären Bande wahrt er kritische Distanz, beschönigt nichts, läßt nichts aus. Was diese betont nüchtern daherkommende Biografie einer lebenstrunkenen Frau reizvoll macht, ist das psychologische Porträt der Renée Schwarzenbach-Wille, das der Historiker aufgrund von Tagebuchaufzeichnungen, Briefen, Interviews und einer außergewöhnlichen Fülle von Bildmaterial zeichnet. Der Clou sind die zahlreichen Fotoalben der passionierten Fotografin, in denen sie die öffentlichsten wie intimsten Momente festgehalten hat. Renées enthüllende Fotografien, von denen der Autor zahlreiche abgedruckt und einfühlsam interpretiert hat, leiten als roter Faden durchs Labyrinth dieser provozierenden Lebensgeschichte.
MALTE HERWIG
ALEXIS SCHWARZENBACH: Die Geborene. Renée Schwarzenbach-Wille und ihre Familie. Verlag Scheidegger & Spiess, Zürich 2004. 512 Seiten, 30 Euro.
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Die Geschichte der Renée Schwarzenbach-Wille
„Annemarie, der Hals zum köpfen!” Die Bildunterschrift, die Renée Schwarzenbach-Wille unter ein Foto Ihrer elfjährigen Tochter Annemarie gesetzt hat, spricht Bände. Der Verletzlichkeit des mit entblößtem Rücken abgelichteten, auf einer Treppe kauernden Kindes, steht die rücksichtslose Herrschsucht einer Mutter gegenüber, die ihre Kinder nach den Prinzipien der Pferdezüchtung erzog und in den Augen eines Bekannten einen „prachtvollen Reitoberst” im Dreißigjährigen Krieg abgegeben hätte. „Mama war schon eine miserable Mutter, als Großmutter ist sie noch verreckter”, schrieb ihr Sohn Hasi Jahrzehnte später, und mit wenigen Abstrichen bestätigt sich sein Urteil auf jeder Seite der Familiengeschichte, die der Zürcher Historiker Alexis Schwarzenbach über seine Urgroßmutter geschrieben hat.
Die 1883 als Tochter des Schweizer Armeegenerals Ulrich Wille und der Deutschen Clara von Bismarck geborene Renée bestand auch nach ihrer Heirat mit dem sagenhaft reichen Seidenproduzenten Alfred Schwarzenbach auf ihrem Geburtsnamen, was ihr den Spitznamen „die Geborene” eintrug. Bald nach der Heirat kauften sich die Schwarzenbach-Willes das alte Gutshaus Bocken, und Renée machte das Gut zum feudalen Anziehungspunkt für die Reichen und Schönen, die dort „Schlagsahne mit großen Löffeln essen” und die Bockener Landwirtschaft bewundern durften. Neben dem deutschen Hochadel verkehrten Musiker wie Bruno Walter, Toscanini und Richard Strauss in Renées Salon, auf einem Foto sind „Herr und Frau Furtwängler beim Anblick der fröhlichen Schweinchen!” zu sehen.
Bösartige Bürgerei
Ferkel aber gab es auch in der guten Stube, denn die deutschnational eingestellte Hausherrin hegte schon in den zwanziger Jahren Sympathien für Hitlers Partei. Die Gästebücher, die Schwarzenbach ausgewertet hat, führen schon 1922 einen gewissen Rudolf Heß unter den Besuchern, der die Hausherrin neben seinen politischen Ansichten auch durch seitenlange Zitate aus Conrad Ferdinand Meyers Huttens letzte Tage beeindruckte, einem Renées Großvater François Wille gewidmeten Buch.
Tatsächlich hat Schwarzenbach in den Familienarchiven Anhaltspunkte dafür gefunden, dass sein Urgroßvater Alfred dem Spendensammler Hitler 1922 eine anonyme Barspende zukommen ließ. Dass Hitler in bürgerlich-industriellen Kreisen Unterstützer fand, ist nichts Außergewöhnliches, in der neutralen Schweiz jedoch musste es besonderen Anstoß erregen.
Renées Familie steckte möglicherweise auch hinter den Angriffen auf Erika Manns „Pfeffermühle” in Zürich. Ihr schlechtes Verhältnis zu deutschen Emigranten beruhte auf Gegenseitigkeit, wobei im Fall Erika und Klaus Manns, die eng mit Renées Tochter Annemarie befreundet waren, persönliche Eifersucht hinzukam. Im Hause Mann spielte, im Gegensatz zu Bocken, Literatur eine große und Reiten keine Rolle. Hier fühlte sich die Schriftstellerin Annemarie wohl, unterstützte die von Klaus Mann herausgegebene „Sammlung” finanziell und umschwärmte Erika als „meinen großen Bruder Eri, den ich sehr liebe”. Renée intrigierte daraufhin derart brutal gegen das „kommunistische Flüchtlingsgesindel”, dass selbst der großbürgerlichen Attitüden nicht abgeneigte Thomas Mann der Meinung war, diese „entartete und bösartige Bürgerei” könne einen von der Zukunft des Kommunismus überzeugen.
Verdeckte Narben
Die prodeutsche Haltung der Willes war manchen Eidgenossen schon im Ersten Weltkrieg verdächtig, als General Ulrich Wille, von 1914 bis 1918 Oberbefehlshaber der Schweizer Armee, eine am preußischen Militär orientierte Armeereform propagierte. Das ambivalente Verhältnis der Familie zum Drittem Reich machte Niklaus Meienbergs aufsehenerregende Biographie „Die Welt als Wille und Wahn” 1987 in der Schweiz zum skandalträchtigen Bestseller. Während Meienberg damals „wie ein Guerillakrieger gegen die verdeckten Narben der Schweiz” (Sonntagszeitung) vorging und sich vor Gericht mit dem Wille-Clan herumschlagen musste, wurde dem Urenkel das Familienarchiv kampflos überlassen.
Doch Schwarzenbachs Buch ist kein Lob der Urgroßmutter, dieser widersprüchlichen und durch eine öffentliche Beziehung zur Wagner-Sängerin Emmy Krüger provozierenden Frau. Trotz seiner familiären Bande wahrt er kritische Distanz, beschönigt nichts, läßt nichts aus. Was diese betont nüchtern daherkommende Biografie einer lebenstrunkenen Frau reizvoll macht, ist das psychologische Porträt der Renée Schwarzenbach-Wille, das der Historiker aufgrund von Tagebuchaufzeichnungen, Briefen, Interviews und einer außergewöhnlichen Fülle von Bildmaterial zeichnet. Der Clou sind die zahlreichen Fotoalben der passionierten Fotografin, in denen sie die öffentlichsten wie intimsten Momente festgehalten hat. Renées enthüllende Fotografien, von denen der Autor zahlreiche abgedruckt und einfühlsam interpretiert hat, leiten als roter Faden durchs Labyrinth dieser provozierenden Lebensgeschichte.
MALTE HERWIG
ALEXIS SCHWARZENBACH: Die Geborene. Renée Schwarzenbach-Wille und ihre Familie. Verlag Scheidegger & Spiess, Zürich 2004. 512 Seiten, 30 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Ein "angenehm zu lesendes und höchst lohnendes Buch" erblickt Rezensent Peter Grupp in Alexis Schwarzenbachs Biografie seiner Urgroßmutter Renee Schwarzenbach-Willes und ihrer Familie. Eine ganze Epoche Schweizer und deutscher Geschichte spiegle sich in diesem Leben wieder . Grupp hebt hervor, dass sich der Autor auf eine breite Quellenbasis stützen kopnte. Neben Familienarchiven und -nachlässen habe er Dossiers der Züricher Polizei, Krankenakten sowie Akten des deutschen Auswärtigen Amts ausgewertet. Zudem mache er "geschickten interpretatorischen Gebrauch" von Renees Fotoalben, die rund 10.000 Fotos enthalten. Anders als frühere Publikationen über die Familie Wille empfindet er Schwarzenbachs Buch als "wohltuend unaufgeregt".
© Perlentaucher Medien GmbH
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