Die gefühlte Ungerechtigkeit im Land nimmt dramatisch zu. Verstärkt wird der Unmut der breiten Bevölkerung noch durch die aktuelle Finanzkrise. Doch der Wunsch nach Gleichheit im Zeitlater der Individualisierung ist nicht nur illusorisch. Er ist auch gefährlich, denn unsere Demokratie muss Ungleichheit aushalten können. Die Wirtschaftsexperten Michael Hüther und Thomas Straubhaar erklären, warum die Globalisierung Risiken birgt, aber auch Chancen auf mehr Wohlstand für alle. Um diese zu nutzen, brauchen wir einen starken, aber schlanken Staat, der Wettbewerb nicht überreguliert, sondern fördert. Die Politik muss den Bürgern klarmachen, dass ein Abschied von veralteten Strukturen kein Verzicht auf soziale Sicherheit bedeutet. Die Autoren fordern Beteiligungschancen für alle, etwa durch ein konsequent reformiertes Bildungssystem. Aber auch die Übernahme von mehr Verantwortung durch jeden Einzelnen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.04.2009Der entschleunigte Staat
Ein Gesellschaftsvertrag mit Bekenntnis zur Freiheit
Wer Freiheit will, muss Ungleichheit aushalten. Denn Freiheit und Gleichheit stehen in einem Spannungsfeld. Die Umfragen des Instituts Allensbach zeigen: Viele Deutsche fühlen sich mit Gleichheit wohler. Auf ihren Wohlstand (Fernreisen, Mobiltelefon, Fußballübertragungen) wollen sie aber auch nicht verzichten. Das Volk profitiert von seiner wirtschaftlichen Freiheit, aber es mag sie nicht.
"Die Vorstellung des Marktmechanismus widerstrebt den Deutschen zutiefst, sie glauben idealistisch unverzagt daran, dass Gutes nur aus Gutem folgen könne. Noch dazu verwechseln die meisten dann auch das Gute mit der guten Absicht, was dann vollends in die Irre leitet." Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln, und Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts, sind um klare Worte nicht verlegen. Die beiden Ökonomen plädieren für einen neuen Gesellschaftsvertrag. Effektive Wettbewerbspolitik, eine berechenbare Wirtschaftspolitik, Partizipationschancen für alle und langfristige Stabilität mit Blick auf Bevölkerung und natürliche Ressourcen sind dessen Kernpunkte. Das Leben in der globalisierten Welt beschleunigt sich, der Kompetenzvorteil des Staates und der Politik liege dagegen gerade in der Entschleunigung. Die verlangsamten Strukturen des Staates seien von Vorteil - sie setzen Rahmenbedingungen, "die nicht bei jedem heftigeren Windstoß des globalen Wettbewerbs in sich zusammenfallen".
War die Finanzkrise Folge von zu viel Freiheit? Nein. Die Vereinigten Staaten hatten sie beschleunigt. Trotz einer expansiven Geldpolitik blieben die Zinsen niedrig - weil die Chinesen amerikanische Staatsanleihen kauften. Dies war ein Grund für die Immobilienblase. Es befeuerte die Spekulation auf immer weiter steigende Hauspreise mit billigen Hypothekenkrediten. Nun bedarf es besserer Regeln für die Finanzmärkte.
Auch in Deutschland gibt es Reformbedarf. Doch Politik und Volk sind nicht immer bereit dazu, wie die Föderalismusreform II zeigt. Ein Recht und eine Pflicht der Länder, zur Finanzierung von Wahlgeschenken Zuschläge auf die Einkommensteuer zu erheben, ist weiterhin nicht vorgesehen. Hüther und Straubhaar erfinden in ihrer Schrift nichts Neues, legen aber die Finger in viele Wunden, überwinden alte Scheinwidersprüche - wie den zwischen Staat und Markt -, engagieren sich leidenschaftlich für mehr Partizipationsgerechtigkeit und fordern die Deutschen auf, sich zur Freiheit zu bekennen.
Es ist kein wissenschaftlicher Band zweier Professoren - denn Ökonomik an sich ist wertfrei -, sondern ein Plädoyer zweier Privatpersonen, auch zur Bildungspolitik: "Es widerspricht ja schon dem gesunden Menschenverstand, dass in Deutschland in jedem Bundesland andere Bildungsstandards gelten sollen." Gleichzeitig fordern Hüther und Straubhaar, dass jede Schule ihre Lehrer selbst einstellen und ihre Lehrpläne selbst erstellen und verantworten sollte. Unterschiedliche Bildungsstandards schon in der gleichen Stadt - widerspricht das nicht auch dem gesunden Menschenverstand? Es gilt auch hier: Wer Freiheit will, muss Ungleichheit aushalten.
JOCHEN ZENTHÖFER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Gesellschaftsvertrag mit Bekenntnis zur Freiheit
Wer Freiheit will, muss Ungleichheit aushalten. Denn Freiheit und Gleichheit stehen in einem Spannungsfeld. Die Umfragen des Instituts Allensbach zeigen: Viele Deutsche fühlen sich mit Gleichheit wohler. Auf ihren Wohlstand (Fernreisen, Mobiltelefon, Fußballübertragungen) wollen sie aber auch nicht verzichten. Das Volk profitiert von seiner wirtschaftlichen Freiheit, aber es mag sie nicht.
"Die Vorstellung des Marktmechanismus widerstrebt den Deutschen zutiefst, sie glauben idealistisch unverzagt daran, dass Gutes nur aus Gutem folgen könne. Noch dazu verwechseln die meisten dann auch das Gute mit der guten Absicht, was dann vollends in die Irre leitet." Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln, und Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts, sind um klare Worte nicht verlegen. Die beiden Ökonomen plädieren für einen neuen Gesellschaftsvertrag. Effektive Wettbewerbspolitik, eine berechenbare Wirtschaftspolitik, Partizipationschancen für alle und langfristige Stabilität mit Blick auf Bevölkerung und natürliche Ressourcen sind dessen Kernpunkte. Das Leben in der globalisierten Welt beschleunigt sich, der Kompetenzvorteil des Staates und der Politik liege dagegen gerade in der Entschleunigung. Die verlangsamten Strukturen des Staates seien von Vorteil - sie setzen Rahmenbedingungen, "die nicht bei jedem heftigeren Windstoß des globalen Wettbewerbs in sich zusammenfallen".
War die Finanzkrise Folge von zu viel Freiheit? Nein. Die Vereinigten Staaten hatten sie beschleunigt. Trotz einer expansiven Geldpolitik blieben die Zinsen niedrig - weil die Chinesen amerikanische Staatsanleihen kauften. Dies war ein Grund für die Immobilienblase. Es befeuerte die Spekulation auf immer weiter steigende Hauspreise mit billigen Hypothekenkrediten. Nun bedarf es besserer Regeln für die Finanzmärkte.
Auch in Deutschland gibt es Reformbedarf. Doch Politik und Volk sind nicht immer bereit dazu, wie die Föderalismusreform II zeigt. Ein Recht und eine Pflicht der Länder, zur Finanzierung von Wahlgeschenken Zuschläge auf die Einkommensteuer zu erheben, ist weiterhin nicht vorgesehen. Hüther und Straubhaar erfinden in ihrer Schrift nichts Neues, legen aber die Finger in viele Wunden, überwinden alte Scheinwidersprüche - wie den zwischen Staat und Markt -, engagieren sich leidenschaftlich für mehr Partizipationsgerechtigkeit und fordern die Deutschen auf, sich zur Freiheit zu bekennen.
Es ist kein wissenschaftlicher Band zweier Professoren - denn Ökonomik an sich ist wertfrei -, sondern ein Plädoyer zweier Privatpersonen, auch zur Bildungspolitik: "Es widerspricht ja schon dem gesunden Menschenverstand, dass in Deutschland in jedem Bundesland andere Bildungsstandards gelten sollen." Gleichzeitig fordern Hüther und Straubhaar, dass jede Schule ihre Lehrer selbst einstellen und ihre Lehrpläne selbst erstellen und verantworten sollte. Unterschiedliche Bildungsstandards schon in der gleichen Stadt - widerspricht das nicht auch dem gesunden Menschenverstand? Es gilt auch hier: Wer Freiheit will, muss Ungleichheit aushalten.
JOCHEN ZENTHÖFER
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