Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.06.1999Sprechende Hunde gibt es doch
Hohe Schule der Kommunikation: Brian Ford glaubt zu verstehen, wie Tierarten und Pflanzenfamilien einander verstehen
Oft kann der Mensch mit seinen fünf Sinnen nicht mithalten: Jeder Hund hat bekanntlich eine bessere Spürnase, ein Schmetterling wie der Schwalbenschwanz sieht ein breiteres Spektrum an Farben, und ein Fisch wie der Dornhai zeigt ein feines Gespür für elektrische Felder. Fremdartige Sinneswelten und Kommunikationsformen versprechen Überraschungen. Doch leider erwartet den hoffnungsfrohen Leser eine herbe Enttäuschung. Brian J. Ford plädiert für eine "ganzheitliche Biologie". Was er darunter versteht, erfährt man aus seinen Geschichten über Affen und Ameisen, Bäume und Bakterien. Solch ein Streifzug durch das Reich des Lebendigen könnte ebenso spannend wie unterhaltsam sein. Was hier geboten wird, mutet jedoch eher verschroben an.
Was soll man etwa davon halten, wenn es von einem Elefanten heißt: "In seiner Kampfbereitschaft fürchtet er noch nicht einmal den Tod"? Selbst pflanzlichen Organismen billigt der Autor tiefere Einsicht zu: Wenn Efeuranken ihre Blätter so anordnen, daß alle einen Platz an der Sonne erhalten, will er "in Betracht ziehen, daß die Pflanzen sehr wohl wissen, was sie tun". Auch wenn man Gedanken und Gefühle durchaus nicht als Privileg des Menschen betrachtet, wird man solche Vorstellungen nicht unbedingt teilen. Zweifellos können sich alle Lebewesen auf ihre Art mit ihrer Umwelt auseinandersetzen. Über die erstaunliche Anpassungsfähigkeit von Tieren und Pflanzen hat der Autor allerdings sehr unorthodoxe Ansichten: "Mir jedenfalls scheint es einleuchtend, daß alle Lebewesen in der Lage sind, aus Erfahrung zu lernen, bis sie die für ihre Situation richtige Lösung gefunden haben. Natürlich verfügt jede Art darüber hinaus über ererbte Verhaltensmuster. Im neuen Jahrtausend sollten wir uns der Herausforderung gewachsen zeigen zu ergründen, wie erlernte Muster in den genetischen Code integriert und an die folgenden Generationen weitervererbt werden."
Wissenschaftliche Lehrbücher zeichnen ein etwas anderes Bild von den Mechanismen der Evolution. Mit der dort vertretenen Theorie, die auf Charles Darwin zurückgeht, mag sich Brian Ford offenbar nicht anfreunden. Die "plausible Erklärung", die er für seine eigenwilligen Ideen anbietet, wirkt freilich wenig überzeugend: "Auch in den Mitochondrien, die ganz ohne genetisches Programm (sic) von den Eltern an die Kinder übergehen, befindet sich nämlich Erbgut. Die Mitochondrien befinden sich im Zellplasma der Eizelle. So wäre es durchaus im Bereich des Möglichen, daß erworbene Eigenschaften an die Nachkommen weitergereicht werden." Wie das wohl funktionieren soll? Mitochondrien stellen die chemische Energie für den Zellstoffwechsel bereit. Sie bergen eine kleine Portion Erbsubstanz und werden mitsamt dieser Ausstattung gewöhnlich nur von der Mutter an den Nachwuchs weitergegeben. Doch warum sollten individuelle Erfahrungen über die wenigen Gene der Mitochondrien vererbt werden, wenn das über den Zellkern der Ei- oder Samenzelle nicht möglich erscheint? Für einen genetischen Transfer erworbener Eigenschaften - auf welchem Weg auch immer - gibt es keinerlei Indizien.
Nicht nur an dieser Stelle wird sich so mancher Leser mehr gedankliche Klarheit wünschen. Während der Autor die gesamte Fauna und Flora durchstreift, bleiben seine Schilderungen meist seltsam oberflächlich. Oft lassen sie wichtige Einzelheiten vermissen, und mitunter wirken sie geradezu irreführend. Zwei Kostproben mögen genügen: Wenn raffinierte Kommunikationssysteme präsentiert werden, darf der sogenannte Schwänzeltanz der Honigbienen nicht fehlen. Mit dieser Folge komplexer Bewegungen erzählt eine Biene den anderen, wie sie eine ergiebige Nektarquelle entdeckt hat. Dabei müssen sich die Empfänger der Nachricht mehr auf ihren empfindlichen Tastsinn verlassen als auf ihre Augen, denn das Innere eines Bienenstocks ist duster. Es kommen dort also gewiß nicht einfach "immer mehr Zuschauer vorbei und sehen aufmerksam zu". Statt dessen zeigen die Bienen ein feines Gespür für die Schwingungen der Waben und suchen hautnahen Kontakt zu ihrer mitteilsamen Artgenossin. Wie es ihnen gelingt, aus den Bewegungen der Tänzerin eine komplette Wegbeschreibung abzulesen, ist noch nicht vollständig geklärt. Der Autor macht freilich gar keinen Versuch, den derzeitigen Wissensstand auszuloten.
Wenn er sich auf botanisches Terrain begibt, wird seine Berichterstattung durchaus nicht zuverlässiger. Über die Zellulose heißt es beispielsweise: "Im Gegensatz zu Zucker ist sie nicht wasserlöslich. Sie bildet sich um die Zellwände der Pflanze herum, so daß jede Zelle gleichsam wasserdicht isoliert wird." Das wird sie keineswegs. Zellulosefasern sind zwar tatsächlich nicht wasserlöslich. Doch obwohl die Außenwand einer Pflanzenzelle zum großen Teil aus diesem Material besteht, ist sie für Wasser kein Hindernis. Daß zuviel Wasser in eine Zelle hineinströmt und sie wie einen überdehnten Luftballon zum Platzen bringt, verhindert die Zellwand allerdings durch mechanische Festigkeit.
Allzu häufig erweist sich der Autor als zweifelhafte Informationsquelle. Daß die Übersetzung zuweilen nicht sonderlich fachkundig erscheint, fällt da kaum noch ins Gewicht. Der Sauerklee zum Beispiel wird als Sauerampfer vorgestellt, der Aronstab als Wiesenschaumkraut und der Acker-Gauchheil, ein kleines Kraut mit ziegelroten Blüten, als roter Pimpernell. Wer sich lieber an die wissenschaftlichen Namen hält, ist nicht viel besser dran. Oft sind sie fehlerhaft buchstabiert, mitunter gar bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Kurzum: Wenn Brian Ford seinen Lesern nahebringen wollte, daß die Wissenschaft vom Leben weit über die Details der Molekularbiologie hinausreicht, hat er der guten Sache einen schlechten Dienst erwiesen.
DIEMUT KLÄRNER
Brian J. Ford: "Die geheime Sprache der Natur". Wie Tiere und Pflanzen sich verständigen. Aus dem Englischen von Andrea Voss. Franz Deuticke Verlagsgesellschaft, Wien 1998. 296 S., geb., 48,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Hohe Schule der Kommunikation: Brian Ford glaubt zu verstehen, wie Tierarten und Pflanzenfamilien einander verstehen
Oft kann der Mensch mit seinen fünf Sinnen nicht mithalten: Jeder Hund hat bekanntlich eine bessere Spürnase, ein Schmetterling wie der Schwalbenschwanz sieht ein breiteres Spektrum an Farben, und ein Fisch wie der Dornhai zeigt ein feines Gespür für elektrische Felder. Fremdartige Sinneswelten und Kommunikationsformen versprechen Überraschungen. Doch leider erwartet den hoffnungsfrohen Leser eine herbe Enttäuschung. Brian J. Ford plädiert für eine "ganzheitliche Biologie". Was er darunter versteht, erfährt man aus seinen Geschichten über Affen und Ameisen, Bäume und Bakterien. Solch ein Streifzug durch das Reich des Lebendigen könnte ebenso spannend wie unterhaltsam sein. Was hier geboten wird, mutet jedoch eher verschroben an.
Was soll man etwa davon halten, wenn es von einem Elefanten heißt: "In seiner Kampfbereitschaft fürchtet er noch nicht einmal den Tod"? Selbst pflanzlichen Organismen billigt der Autor tiefere Einsicht zu: Wenn Efeuranken ihre Blätter so anordnen, daß alle einen Platz an der Sonne erhalten, will er "in Betracht ziehen, daß die Pflanzen sehr wohl wissen, was sie tun". Auch wenn man Gedanken und Gefühle durchaus nicht als Privileg des Menschen betrachtet, wird man solche Vorstellungen nicht unbedingt teilen. Zweifellos können sich alle Lebewesen auf ihre Art mit ihrer Umwelt auseinandersetzen. Über die erstaunliche Anpassungsfähigkeit von Tieren und Pflanzen hat der Autor allerdings sehr unorthodoxe Ansichten: "Mir jedenfalls scheint es einleuchtend, daß alle Lebewesen in der Lage sind, aus Erfahrung zu lernen, bis sie die für ihre Situation richtige Lösung gefunden haben. Natürlich verfügt jede Art darüber hinaus über ererbte Verhaltensmuster. Im neuen Jahrtausend sollten wir uns der Herausforderung gewachsen zeigen zu ergründen, wie erlernte Muster in den genetischen Code integriert und an die folgenden Generationen weitervererbt werden."
Wissenschaftliche Lehrbücher zeichnen ein etwas anderes Bild von den Mechanismen der Evolution. Mit der dort vertretenen Theorie, die auf Charles Darwin zurückgeht, mag sich Brian Ford offenbar nicht anfreunden. Die "plausible Erklärung", die er für seine eigenwilligen Ideen anbietet, wirkt freilich wenig überzeugend: "Auch in den Mitochondrien, die ganz ohne genetisches Programm (sic) von den Eltern an die Kinder übergehen, befindet sich nämlich Erbgut. Die Mitochondrien befinden sich im Zellplasma der Eizelle. So wäre es durchaus im Bereich des Möglichen, daß erworbene Eigenschaften an die Nachkommen weitergereicht werden." Wie das wohl funktionieren soll? Mitochondrien stellen die chemische Energie für den Zellstoffwechsel bereit. Sie bergen eine kleine Portion Erbsubstanz und werden mitsamt dieser Ausstattung gewöhnlich nur von der Mutter an den Nachwuchs weitergegeben. Doch warum sollten individuelle Erfahrungen über die wenigen Gene der Mitochondrien vererbt werden, wenn das über den Zellkern der Ei- oder Samenzelle nicht möglich erscheint? Für einen genetischen Transfer erworbener Eigenschaften - auf welchem Weg auch immer - gibt es keinerlei Indizien.
Nicht nur an dieser Stelle wird sich so mancher Leser mehr gedankliche Klarheit wünschen. Während der Autor die gesamte Fauna und Flora durchstreift, bleiben seine Schilderungen meist seltsam oberflächlich. Oft lassen sie wichtige Einzelheiten vermissen, und mitunter wirken sie geradezu irreführend. Zwei Kostproben mögen genügen: Wenn raffinierte Kommunikationssysteme präsentiert werden, darf der sogenannte Schwänzeltanz der Honigbienen nicht fehlen. Mit dieser Folge komplexer Bewegungen erzählt eine Biene den anderen, wie sie eine ergiebige Nektarquelle entdeckt hat. Dabei müssen sich die Empfänger der Nachricht mehr auf ihren empfindlichen Tastsinn verlassen als auf ihre Augen, denn das Innere eines Bienenstocks ist duster. Es kommen dort also gewiß nicht einfach "immer mehr Zuschauer vorbei und sehen aufmerksam zu". Statt dessen zeigen die Bienen ein feines Gespür für die Schwingungen der Waben und suchen hautnahen Kontakt zu ihrer mitteilsamen Artgenossin. Wie es ihnen gelingt, aus den Bewegungen der Tänzerin eine komplette Wegbeschreibung abzulesen, ist noch nicht vollständig geklärt. Der Autor macht freilich gar keinen Versuch, den derzeitigen Wissensstand auszuloten.
Wenn er sich auf botanisches Terrain begibt, wird seine Berichterstattung durchaus nicht zuverlässiger. Über die Zellulose heißt es beispielsweise: "Im Gegensatz zu Zucker ist sie nicht wasserlöslich. Sie bildet sich um die Zellwände der Pflanze herum, so daß jede Zelle gleichsam wasserdicht isoliert wird." Das wird sie keineswegs. Zellulosefasern sind zwar tatsächlich nicht wasserlöslich. Doch obwohl die Außenwand einer Pflanzenzelle zum großen Teil aus diesem Material besteht, ist sie für Wasser kein Hindernis. Daß zuviel Wasser in eine Zelle hineinströmt und sie wie einen überdehnten Luftballon zum Platzen bringt, verhindert die Zellwand allerdings durch mechanische Festigkeit.
Allzu häufig erweist sich der Autor als zweifelhafte Informationsquelle. Daß die Übersetzung zuweilen nicht sonderlich fachkundig erscheint, fällt da kaum noch ins Gewicht. Der Sauerklee zum Beispiel wird als Sauerampfer vorgestellt, der Aronstab als Wiesenschaumkraut und der Acker-Gauchheil, ein kleines Kraut mit ziegelroten Blüten, als roter Pimpernell. Wer sich lieber an die wissenschaftlichen Namen hält, ist nicht viel besser dran. Oft sind sie fehlerhaft buchstabiert, mitunter gar bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Kurzum: Wenn Brian Ford seinen Lesern nahebringen wollte, daß die Wissenschaft vom Leben weit über die Details der Molekularbiologie hinausreicht, hat er der guten Sache einen schlechten Dienst erwiesen.
DIEMUT KLÄRNER
Brian J. Ford: "Die geheime Sprache der Natur". Wie Tiere und Pflanzen sich verständigen. Aus dem Englischen von Andrea Voss. Franz Deuticke Verlagsgesellschaft, Wien 1998. 296 S., geb., 48,- DM.
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