Lola Shoneyin, eine frische und aufregende neue Stimme in der zeitgenössischen Belletristik, wirft in ihrem märchenhaft unterhaltsamen Debüt-Roman ein faszinierendes Licht auf die wenig bekannte Welt der Polygamie im heutigen Nigeria. Die geheimen Leben der Frauen des Baba Segi ist die bunte und faszinierende Geschichte einer wohlhabenden afrikanischen Familie, die in eine Krise gerät, als der Patriarch Baba Segi eine junge, gut ausgebildete vierte Frau in seine polygame Ehe bringt. Bolanle ist nicht nur Konkurrentin, vielmehr droht sie, die sorgsam gehüteten Geheimnisse der anderen Frauen zu lüften.
Klug und trotz aller dramatischen Geschehnisse sehr humorvoll beschreibt Shoneyin eine Lebensform, die für den deutschen Leser wie aus der Zeit gefallen wirkt und alle Beteiligten korrumpiert und verbiegt. Jede Frau schluckt zwar die ihr von den Mitfrauen zugefügten Demütigungen, aber unter der Oberfläche brodelt es: Argwohn ist das Gericht, das täglich auf den Tisch kommt, Hinterhältigkeit das Gewürz. Die Frauen müssen sich nicht nur den Mann teilen, ihre Position mit Zähnen und Klauen verteidigen, gleichzeitig ihre Kinder schützen, sondern dabei auch so subtil vorgehen, dass es der Ehemann nicht bemerkt. Denn eine streitsüchtige Ehefrau fällt in Ungnade. Der Mann wiederum muss die Augen vor den Zwistigkeiten verschließen und seine Zuneigung sorgsam und gleichmäßig unter den Frauen aufteilen. Die ständigen Spannungen vergiften auch die Kinder, die ihrerseits untereinander rivalisieren und den Vater um der Lage willen verabscheuen, in die er ihre Mütter gebracht hat.
Exemplarisch steht jede der vier sehr unterschiedlichen Frauen für eine andere Motivation, sich in eine polygame Ehe zu begeben. Zugleich gewinnt der Leser einen Einblick in Zwänge der heutigen nigerianischen Gesellschaft, in der einerseits eine unverheiratete Frau eine Randexistenz führt, ein Mann andererseits nur dann hohes Ansehen genießt, wenn er über mehrere Frauen und eine vielköpfige Kinderschar verfügt.
Klug und trotz aller dramatischen Geschehnisse sehr humorvoll beschreibt Shoneyin eine Lebensform, die für den deutschen Leser wie aus der Zeit gefallen wirkt und alle Beteiligten korrumpiert und verbiegt. Jede Frau schluckt zwar die ihr von den Mitfrauen zugefügten Demütigungen, aber unter der Oberfläche brodelt es: Argwohn ist das Gericht, das täglich auf den Tisch kommt, Hinterhältigkeit das Gewürz. Die Frauen müssen sich nicht nur den Mann teilen, ihre Position mit Zähnen und Klauen verteidigen, gleichzeitig ihre Kinder schützen, sondern dabei auch so subtil vorgehen, dass es der Ehemann nicht bemerkt. Denn eine streitsüchtige Ehefrau fällt in Ungnade. Der Mann wiederum muss die Augen vor den Zwistigkeiten verschließen und seine Zuneigung sorgsam und gleichmäßig unter den Frauen aufteilen. Die ständigen Spannungen vergiften auch die Kinder, die ihrerseits untereinander rivalisieren und den Vater um der Lage willen verabscheuen, in die er ihre Mütter gebracht hat.
Exemplarisch steht jede der vier sehr unterschiedlichen Frauen für eine andere Motivation, sich in eine polygame Ehe zu begeben. Zugleich gewinnt der Leser einen Einblick in Zwänge der heutigen nigerianischen Gesellschaft, in der einerseits eine unverheiratete Frau eine Randexistenz führt, ein Mann andererseits nur dann hohes Ansehen genießt, wenn er über mehrere Frauen und eine vielköpfige Kinderschar verfügt.
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Erst verärgert, dann begeistert reagiert Rezensentin Shirin Sojitrawalla auf diesen Roman über die Vielehe der nigerianischen Dichterin Lola Shoneyin. Es ist der "jovial aufgekratzte Ton", mit dem Shoneyin über die Vielehe schreibt, der der Rezensentin zuerst mächtig auf die Nerven geht. Das ändert sich jedoch, je tiefer sie einsteigt. Immer wieder wechselt die Erzählperspektive, alle drei Frauen und auch der Mann kommen zu Wort, jeder hat es offenbar faustdick hinter den Ohren. Dazwischen immer wieder Szenen roher Gewalt, die den munteren Ton kontrastieren, erzählt Sojitrawalla. Am Ende, resümiert die Rezensentin, geht es gar nicht um Vielehe, sondern um Frauenverachtung - "der Männer wie der Frauen selbst".
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.07.2015Wie wir wurden, was wir sind
Vom Unglück der Frauen in der Vielehe: die Nigerianerin Lola Shoneyin im Frankfurter Haus des Buches
Von Florian Balke
Der Großvater der Schriftstellerin hatte fünf Frauen. Seine erste, Lola Shoneyins Großmutter, war mit ihrem Mann zunächst sehr zufrieden. Schließlich spielte er nicht nur die Orgel in der Kirche, sondern wusch zu Hause auch die Kleidung seiner Kinder. "Sie werden nicht viele afrikanische Männer finden, die sich um die Wäsche kümmern", sagt die Autorin im Frankfurter Haus des Buches. In den ausverkauften Vortragssaal, in den immer mehr Stühle für immer neue Besucher getragen werden, ist sie gekommen, um ihren Roman "Die geheimen Leben der Frauen des Baba Segi" vorzustellen. Aus Sicht der Ehefrauen schildert er das Leben einer nigerianischen Familie, die aus dem Mann und seinen vier Gattinnen besteht. Vor fünf Jahren ist das Buch im englischsprachigen Original erschienen, bei der Edition Büchergilde ist es seit vorigem Herbst auf Deutsch erhältlich.
Welche Folgen die in Shoneyins Heimat Nigeria noch immer weitverbreitete Polygamie für die Frauen hat, die ihr unterworfen sind, hat die Autorin am Beispiel ihrer Großmutter erfahren. Deren zu Hause so vollkommen unpatriarchalisch auftretender Mann musste in seiner Heimat im Südwesten des Landes plötzlich die Nachfolge als Stammesoberhaupt antreten, woraufhin er sich vier weitere Frauen zulegte und Shoneyins Großmutter zutiefst unglücklich machte. Irgendwann äußerte sie ihrer Familie gegenüber: "Wenn dieser Mann stirbt und in den Himmel kommt, wird Gott ihn noch einmal töten." Nach der letzten Volkszählung vor rund drei Jahren lebe noch immer etwa ein Drittel aller nigerianischen Frauen in polygamen Familien, bemerkt Shoneyin. Und fügt hinzu, sie habe noch keine einzige Frau kennengelernt, die glücklich darüber gewesen sei, dass ihr Mann sich eine weitere Frau genommen habe. "Es geht immer mit einem Gefühl des Scheiterns einher", sagt sie im "Weltempfänger-Salon", den Litprom, die in Frankfurt ansässige Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika, seit Dezember 2012 veranstaltet. "Es verletzt."
Seit seinem Erscheinen hat sich Shoneyins Roman in Nigeria 12 000 Mal verkauft. Für ein Land, in dem ein Verkaufspreis des Buches von umgerechnet sechs Euro dafür sorgt, dass weite Teile der Bevölkerung von seinem Erwerb ausgeschlossen sind, ist das ein großer Erfolg. Zahlreiche Leserinnen finden die Schilderung einer Gesellschaft, die Frauen dazu zwingt, um die Aufmerksamkeit eines Mannes zu konkurrieren, sehr gelungen.
Die Handlung des Buches beruht dabei nicht nur auf Erfahrungen aus Shoneyins eigener Familie, sondern auch auf den Erlebnissen von Bekannten. Die Freundin ihres Bruders - "Ich habe sie beinahe mehr geliebt als er, weil sie so eine gute Geschichtenerzählerin war" - berichtete der Autorin einmal, wie ein alter Mann mit einer jungen Frau in das Krankenhaus gekommen sei, in dem sie gearbeitet habe. Dort habe er auf seine Frau gezeigt und geschrien, sie sei unfruchtbar und gebäre ihm keine Kinder. Dass das Krankenhaus daraufhin Fruchtbarkeitstests nicht nur für die Frau, sondern auch für den Greis ansetzte, gefiel ihm gar nicht. Der Roman lebt aber nicht nur von solchen Ereignissen aus dem nigerianischen Alltag, sondern auch von der nigerianischen Literatur. Von Wole Soyinkas Drama "Der Löwe und das Juwel" zum Beispiel, das die 1974 in der Millionenstadt Ibadan geborene Autorin als Elfjährige las. In ihm muss sich eine Frau zwischen einem alten Mann mit vielen Frauen und einem wortgewandten und anziehenden, aber überaus armen jungen Mann entscheiden. Da kann Shoneyins Kollege Ilija Trojanow, der den Frankfurter Abend moderiert, beiläufig einwerfen, die Liebe der Autorin zur Literatur gehe so weit, dass sie sogar Soyinkas Sohn geheiratet habe. Mit dem Spross des Nobelpreisträgers hat Shoneyin, die ein Unterwäsche-Geschäft geführt und lange als Lehrerin gearbeitet hat, vier Kinder in die Welt gesetzt. Dass sie es bis zur stellvertretenden Schulleiterin gebracht hat, hilft ihr bei der Organisation eines Literaturfestivals, das sie regelmäßig veranstaltet.
Im Gespräch mit Trojanow berichtet Shoneyin von Baba Segis Frauen - von der stillen Dulderin, der fanatischen Christin und der Frau, die sich zu Frauen hingezogen fühlt. Und von Bolangle, der vierten Frau, die gegen den Willen ihrer Familie beschließt, sich in die Vielweiberei zu begeben. Einst wurde sie sexuell missbraucht, seitdem leidet sie an einer Depression und verspricht sich von der Ehe mit Baba Segi, sich unter den anderen Frauen verstecken zu können und endlich in Ruhe gelassen zu werden. "Ich glaube", sagt Shoneyin, "dass kein Mensch gänzlich böse ist." Es gebe hinter allen Menschen eine Geschichte, fügt sie hinzu, "eine wichtige Geschichte, die von den Umständen berichtet, die sie zu dem gemacht haben, was sie sind". Was Nigerias Gesellschaft aus Frauen macht, schreibt Shoneyin auf.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Vom Unglück der Frauen in der Vielehe: die Nigerianerin Lola Shoneyin im Frankfurter Haus des Buches
Von Florian Balke
Der Großvater der Schriftstellerin hatte fünf Frauen. Seine erste, Lola Shoneyins Großmutter, war mit ihrem Mann zunächst sehr zufrieden. Schließlich spielte er nicht nur die Orgel in der Kirche, sondern wusch zu Hause auch die Kleidung seiner Kinder. "Sie werden nicht viele afrikanische Männer finden, die sich um die Wäsche kümmern", sagt die Autorin im Frankfurter Haus des Buches. In den ausverkauften Vortragssaal, in den immer mehr Stühle für immer neue Besucher getragen werden, ist sie gekommen, um ihren Roman "Die geheimen Leben der Frauen des Baba Segi" vorzustellen. Aus Sicht der Ehefrauen schildert er das Leben einer nigerianischen Familie, die aus dem Mann und seinen vier Gattinnen besteht. Vor fünf Jahren ist das Buch im englischsprachigen Original erschienen, bei der Edition Büchergilde ist es seit vorigem Herbst auf Deutsch erhältlich.
Welche Folgen die in Shoneyins Heimat Nigeria noch immer weitverbreitete Polygamie für die Frauen hat, die ihr unterworfen sind, hat die Autorin am Beispiel ihrer Großmutter erfahren. Deren zu Hause so vollkommen unpatriarchalisch auftretender Mann musste in seiner Heimat im Südwesten des Landes plötzlich die Nachfolge als Stammesoberhaupt antreten, woraufhin er sich vier weitere Frauen zulegte und Shoneyins Großmutter zutiefst unglücklich machte. Irgendwann äußerte sie ihrer Familie gegenüber: "Wenn dieser Mann stirbt und in den Himmel kommt, wird Gott ihn noch einmal töten." Nach der letzten Volkszählung vor rund drei Jahren lebe noch immer etwa ein Drittel aller nigerianischen Frauen in polygamen Familien, bemerkt Shoneyin. Und fügt hinzu, sie habe noch keine einzige Frau kennengelernt, die glücklich darüber gewesen sei, dass ihr Mann sich eine weitere Frau genommen habe. "Es geht immer mit einem Gefühl des Scheiterns einher", sagt sie im "Weltempfänger-Salon", den Litprom, die in Frankfurt ansässige Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika, seit Dezember 2012 veranstaltet. "Es verletzt."
Seit seinem Erscheinen hat sich Shoneyins Roman in Nigeria 12 000 Mal verkauft. Für ein Land, in dem ein Verkaufspreis des Buches von umgerechnet sechs Euro dafür sorgt, dass weite Teile der Bevölkerung von seinem Erwerb ausgeschlossen sind, ist das ein großer Erfolg. Zahlreiche Leserinnen finden die Schilderung einer Gesellschaft, die Frauen dazu zwingt, um die Aufmerksamkeit eines Mannes zu konkurrieren, sehr gelungen.
Die Handlung des Buches beruht dabei nicht nur auf Erfahrungen aus Shoneyins eigener Familie, sondern auch auf den Erlebnissen von Bekannten. Die Freundin ihres Bruders - "Ich habe sie beinahe mehr geliebt als er, weil sie so eine gute Geschichtenerzählerin war" - berichtete der Autorin einmal, wie ein alter Mann mit einer jungen Frau in das Krankenhaus gekommen sei, in dem sie gearbeitet habe. Dort habe er auf seine Frau gezeigt und geschrien, sie sei unfruchtbar und gebäre ihm keine Kinder. Dass das Krankenhaus daraufhin Fruchtbarkeitstests nicht nur für die Frau, sondern auch für den Greis ansetzte, gefiel ihm gar nicht. Der Roman lebt aber nicht nur von solchen Ereignissen aus dem nigerianischen Alltag, sondern auch von der nigerianischen Literatur. Von Wole Soyinkas Drama "Der Löwe und das Juwel" zum Beispiel, das die 1974 in der Millionenstadt Ibadan geborene Autorin als Elfjährige las. In ihm muss sich eine Frau zwischen einem alten Mann mit vielen Frauen und einem wortgewandten und anziehenden, aber überaus armen jungen Mann entscheiden. Da kann Shoneyins Kollege Ilija Trojanow, der den Frankfurter Abend moderiert, beiläufig einwerfen, die Liebe der Autorin zur Literatur gehe so weit, dass sie sogar Soyinkas Sohn geheiratet habe. Mit dem Spross des Nobelpreisträgers hat Shoneyin, die ein Unterwäsche-Geschäft geführt und lange als Lehrerin gearbeitet hat, vier Kinder in die Welt gesetzt. Dass sie es bis zur stellvertretenden Schulleiterin gebracht hat, hilft ihr bei der Organisation eines Literaturfestivals, das sie regelmäßig veranstaltet.
Im Gespräch mit Trojanow berichtet Shoneyin von Baba Segis Frauen - von der stillen Dulderin, der fanatischen Christin und der Frau, die sich zu Frauen hingezogen fühlt. Und von Bolangle, der vierten Frau, die gegen den Willen ihrer Familie beschließt, sich in die Vielweiberei zu begeben. Einst wurde sie sexuell missbraucht, seitdem leidet sie an einer Depression und verspricht sich von der Ehe mit Baba Segi, sich unter den anderen Frauen verstecken zu können und endlich in Ruhe gelassen zu werden. "Ich glaube", sagt Shoneyin, "dass kein Mensch gänzlich böse ist." Es gebe hinter allen Menschen eine Geschichte, fügt sie hinzu, "eine wichtige Geschichte, die von den Umständen berichtet, die sie zu dem gemacht haben, was sie sind". Was Nigerias Gesellschaft aus Frauen macht, schreibt Shoneyin auf.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main