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Produktdetails
  • Heyne Esoterisches Wissen
  • Verlag: Heyne
  • Seitenzahl: 731
  • Gewicht: 650g
  • ISBN-13: 9783453162587
  • Artikelnr.: 24247638
  • Herstellerkennzeichnung
  • Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.04.1998

Muttermilch für Ketzer
Barbara Walker zeigt den Weg zu den Brüsten der Weisheit

Siebenundsiebzig Prozent aller Romanleser sind Frauen - Männer lesen Sachbücher. Barbara G. Walkers Lexika sind Sachbücher, worin es lebendiger wimmelt als in Romanen, von Druidinnen, Tempelhuren, Assyrerinnen, Heidinnen, Psychopompen, Vorvätern und abgedankten Ahnengöttinnen: Sophia, Anima Mundi, Fata Morgana. 1993 machte sie das geheime Wissen der Frauen auf zwölfhundert Seiten offenbar, jetzt legt sie die geheimen Symbole ihres Geschlechts aus. Prähindostanischer Okeanos schwappt quer durch zahllose Brüste der Isis Multimammia; losgetretene Gigant-Zyklen werden entrollt am blutroten Faden des Lebens, die blasse christliche Kruste über dem strudelnden Farbenkosmos germanischer Feenhügel wird durchleuchtet, abgeschält von Panorama, der Göttin des Überblicks. Und wie die Dämoninnen das Milchmeer quirlten, so quirlt Barbara G. Walker, Panoramas jüngste Tochter, Querbezüge: Da kommt der Klapperstorch als Seelenvogel geflogen; Aladins Wunderlampe und Jahwes "Es werde Licht" ("Die Öffnung für den Docht wurde in der Position der Klitoris plaziert") kontaktieren so kurios und - auch für allzu männliche Männer - plausibel miteinander wie Abraham und Brahma.

Bei Archäologinnen taucht oft ein noch älterer Schädel auf, getreu dem Moloch der Vordatierung: Biblische Sintflut kopiert als Nachwehe vormesopotamische Urfluten. Jesus kommt bloß vom Fließband einer Endloskette im Frühling zerfetzter Götter, Attis, Tammuz, Mithra, Melchisedek, Adonis, Osiris, deren nutzlose Profan-Verballhornungen heute noch als Vogelscheuche in Schrebergärten herumstehen. Selbst der strenge nur-männliche Logos, der doch eher in die entmythologisierende Vorsokratik gehört, behauptet nicht das unterkühlte Flair der Abstraktheit, wird zurückdatiert auf Hermes' Logos spermatikos, also in ein Reich fruchtbaren Wimmelns, aus dem noch heute abenteuerliche Wildwuchs-Erklärungen inspirierten Synopsenwahns hervorsprießen.

Walkers programmatische Umdeutung mythischer Überlieferungsströme wühlt ständig in derselben Wunde: der feministisch unerträglichen Ausdünnung des ehedem weiblichen Götterhimmels durch kollektive Transsexualität in Richtung Mann: Mama wurde Ma, Magog und Mammon; die vorislamische Mondgöttin Al-Lat zum überbetont maskulinen Allah; Urmutter Eva, die Gebärerin Jahwes, umgepolt zu Jahwes Geschöpf, Dryaden zu Druiden. Ein alles umfassendes Sonnenemblem wie die sanskritene Swastika (deutsch: So sei es; hebräisch: Amen) wurde depraviert zum Hakenkreuz.

Und siehe, die patriarchalische Entzauberung durchseelter Blütenparadiese bis hin zur globalen islamischen Waste-Land-Erosion hat auch auf die Autorin abgefärbt, die ihren Text mit Schemazeichnungen begleitet und die die wahnwitzige Milch- und Honigfülle ihrer mütterlich spendabel fließenden Abweichmythen wissenschaftlich absichert, mit Hekatomben akribischer Quellenhinweise, zwecks Einschüchterung immerwacher, arg unweiblich bebrillter Skepsis. Die wird laut, sobald Apostel Paulus ein vollgültiger Eunuch für das Himmelreich gewesen sein soll oder Petrus nur deshalb kopfunter gekreuzigt worden ist, auf daß er eine mythische Parallele zum phallischen Geist Petra bilde, der die befruchtbare Erde pflügt. Heißt der Mann im Mond wirklich Juno? Wurde der Krug der Pandora wirklich nur durch einen Übersetzungsfehler zur Büchse? Hängen Glamour und Morgana etymologisch tatsächlich so zusammen wie Kundalini und Cunnilingus, Elfe und alive, Jesus und Jason, Thomas und Tammuz, Maja, Moira und Maria, Geist und Gast, Astarte und Osten, Kastor und Kastration? Wieso werden hier - derweilen in allen anderen Mythologiebüchern Behemot nie als Elefant, stets als Nilpferd rangiert - Behemot und Ganesha, der Vater Buddhas, verschwägert? Ist an Barbara G. Walkers geheimem Wissen viel Hokuspokus? Kommt Hokuspokus wirklich von hoc est corpus meum?

Solche Fragen bleiben eng, kleinlich, männlich. Sie vertrocknen neben dem Urstrom weiterfabulierender mythenbildender weiblicher Urkraft. Unerotisch infogeizig verschließt sich Kröners "Lexikon der Götter und Dämonen", worin nicht nur Zebaoth, Justizia, Tohu, Bohu, Vitzliputzli und Sanctus spiritus fehlen, sondern vor allem Panorama.

In Panoramas Sammelbecken, melting pot, Kläranlage und Kompaktlandschaft aber entsteht Raumgefühl, Bedeutungsvolumen, neben dem Normalemanzen und Standardmännchen in ihren untranszendierbaren Zwangsjacken verblassen. Allenfalls kann hier Disneys "Herkules" mithalten, dessen aktualisierte Witz- und Kitschfiguren immerhin eingebettet wurden in psychedelisch aufschließende Großraum-Freskomalerei, plus nicht zu verachtende Leuchtkraft, durchaus Metaphysik des Schwebens, Fittichrührens und Herumswitchens. Maja, die Weltenweberin, heißt außerhalb ihres Sanskrits zum Glück nicht nur Mogelpackung, Pseudomorphose, also in Panoramas Fall byzantinisch fabelnder Eklektizismus in Lexikongestalt, sondern Maja heißt vor allem Pegasusreiten. Barbara G. Walkers Kunst besteht darin, manch reguläres Kunstwerk mit ihrer ich-losen Tendenzkunst sowie angenehm kunstlosen Darstellung überbunter, kunstsinnigster Zusammenhänge hinter sich zu lassen.

Andererseits hat unweibliche Aufklärung auf die präzis überbordende Verfasserin abgefärbt: Ihr Herleiten skandinavischer Trolle aus der Tendenz, in Felsen Gesichter zu projizieren, stellt sie in die Tradition nüchtern bleibender Mythos-Sympathisanten wie C. G. Jung, für die Gott immer nur "psychische Realität" bleibt. Hierdurch wird der Verfasserin die Prophetin fast wieder ausgetrieben, getreu ihrem eigenen Satz beim Stichwort "Buch": Lesen erzeugt eine magische Wirklichkeit, die zwar "nur in der Phantasie" existiert, dennoch lebendig genug ist, "um die reale Welt auszusperren, solange der Vorgang des Lesens andauert". Ausgesperrt werden hier weder Frau noch Mann, noch Hermaphrodit, endlich alle drei überwölbt und hinterfangen von einer anatomisch sinnvollen Hybridform aus Sachbuchautorin und großer Göttin. ULRICH HOLBEIN

Barbara G. Walker: "Die geheimen Symbole der Frauen". Lexikon der weiblichen Spiritualität. Aus dem Amerikanischen von Eluan Ghazal. Verlag Hugendubel, München 1997. 474 S., geb., 39,80 DM.

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