Mehr Krimi-Drama als Thriller mit Längen über die Abgründe in der Vorstadt-Idylle
Psychotherapeutin Dr. Lily Bradley ist gerade mitten Sitzung, als ihr Mann Tom von seiner trotz des wütenden Sturms absolvierten Joggingrunde nach Hause kommt. Kurz darauf trifft die von ihrem Mann gerufene Polizei
ein, weil Tom beim Joggen am Grotto Beach die Leiche einer Frau gefunden hat. Doch indem die von Tom…mehrMehr Krimi-Drama als Thriller mit Längen über die Abgründe in der Vorstadt-Idylle
Psychotherapeutin Dr. Lily Bradley ist gerade mitten Sitzung, als ihr Mann Tom von seiner trotz des wütenden Sturms absolvierten Joggingrunde nach Hause kommt. Kurz darauf trifft die von ihrem Mann gerufene Polizei ein, weil Tom beim Joggen am Grotto Beach die Leiche einer Frau gefunden hat. Doch indem die von Tom gemachten Aussagen nicht gänzlich stimmig sind, wirkt er auf Detective Rulandi Duval und ihren Partner Toshi Hara verdächtig, die in einer brutalen Mordserie ermitteln.
In "den Geheimnissen der anderen" treibt Loreth Anne White die Spannung erst durch den geschickten Schachzug hoch, dass sie an den Anfang ihres Krimi-Dramas stellt, wie dieses endet. Nach diesem starken Einstieg wird der Krimi aus unterschiedlichen Perspektiven auf mehr als einer Zeitebene erzählt. Zu den verschiedenen Sichtweisen zählen die Gedankengänge von Detective Rulandi Duval, von Familie Bradley, die aus Mutter Lily, Vater Tom und deren Kindern Matthew und Phoebe besteht, von Lilys Freundin Hannah und von Phoebes Freund Joe.
Dass Loreth Anne White als Ausgangspunkt für ihren Krimi deutliche Parallelen zu einem tatsächlich geschehen brutalen Mehrfachmord, der die kanadische Provinz erschüttert hat, zieht, finde ich vom Ansatz her spannend. Dieses faktisch belegte Verbrechen wird dann von der Autorin in einer rein fiktiven Handlung, die Jahrzehnte später angesiedelt ist, fortgesetzt. Weil ich die ursprüngliche Tat nicht kannte, sind für mich auch die Informationen, die nach und nach deren Hergang enthüllt haben, interessant gewesen.
Obwohl die Autorin zur Integration dieses Mehrfachmordes in ihre Geschichte im Verlauf der "Geheimnisse der anderen" eine dritte Zeitebene, die weit früher spielt, und zusätzliche Figuren einführt, haben sich nach dem starken ersten Drittel dieses Krimis Längen bei mir eingeschlichen. Teilweise liegt das wohl darin begründet, dass ich den entscheidenden Twist, der den Zusammenhang zwischen dem ursprünglichen Verbrechen und der daraus gesponnenen Fiktion herstellt, aus Mangel an Alternativen früh vermutet habe. Denn obgleich Loreth Anne White im aktuellen Mordfall eine Vielzahl falscher Fährten legt, können sich diese Finten doch aufgrund von deren zeitlich bedingten Diskrepanzen nicht auf die Verbindung zwischen True Crime und in der Gegenwart angesiedelter Handlung beziehen.
Stärker wären "Die Geheimnisse der anderen" ausgefallen, wenn Loreth Anne White ihre an sich gut konstruierte Geschichte nicht auf drei, sondern lediglich zwei Zeitebenen gleichzeitig erzählt hätte. Dazu hätte nach der Schilderung von "Wie es endet" für "Wie es beginnt" zunächst auf die Darstellung der Gegenwart verzichten werden sollen, um fokussierter die vergangenen Ereignisse wiedergeben zu können, die letztlich zum eingangs beschriebenen Mord an der Joggerin geführt haben.
Bei den prinzipiell für einen spannenden Thriller vorhandenen Zutaten, die aus einem schockierenden, tatsächlich geschehenen Verbrechen, einem unheimlichen Stalker im sonst so sicheren Story Cove und einer brutalen Mordserie an Joggerinnen bestehen, hat Loreth Anne White Potenzial verschenkt. Diese hätten besser genutzt werden können, indem etwa detaillierter über die Ermittlungen von Detective Rulandi Duval im Joggerinnen-Fall berichtet worden wäre und es mehr abgründige Stalker-Szenen gegeben hätte, in denen Lily und ihre Familie aus den Schatten heraus beobachtet worden wären, da diese einen interessanten Kontrast zur perfekten Fassade des malerischen Story Cove gebildet hätten. Stattdessen hat die Autorin den Schwerpunkt ihres Krimis auf die emotionalen Dramen in vier verschiedenen Familien gelegt, die recht monoton darin geraten sind, dass die größte Sorge von jeder der Ehefrauen darin besteht, dass ihr Mann eine Affäre hat. So haben mich die "Geheimnisse der anderen" über weite Strecken kaum an einen Thriller erinnert.
Dabei hätten sich die Diagnose des Täters vom ursprünglichen Verbrechen sowie der fiktive Hintergrund von der als Therapeutin tätigen Lily und ihrem Mann Tom, der als Professor abnorme Psychen studiert, für einen psychologisch angehauchten Thriller angeboten. Die wenigen Kapitel, die Sitzungen von Lily mit ihren Patienten beschreiben, sind allesamt stark ausgefallen und abwechslungsreich in den darin geschilderten Problemen gehalten. Davon hätte es mehr gebraucht. Ebenso hätte es dem Roman gut getan, wenn die Autorin nicht nur den historisch belegten Mehrfachmord genau recherchiert hätte, sondern genau so viel Zeit auf eine psychologische Analyse von Soziopathen verwandt hätte. Denn dann hätte dieser Krimi ähnlich dem Thriller "Gnadenloses Spiel" von Angela Marsons als präzise Charakterstudie eines Soziopathen überzeugen können. Bei Loreth Anne White pilchert es aber im Schlussteil eher als dass sich da die Abgründe etwa in der Psyche eines Soziopathen auftun würden.