Hätte hätte Fahrradkette – wenn Buch und Beschreibung nichts miteinander zu tun haben
„Die geheimnisvolle Freundin“ von Simona Baldelli, die mit „Die Rebellion der Alfonsina Strada“ ja schon einen starken Frauenroman abgeliefert hat, ist ein Buch, das eventuell schlicht an seiner Übersetzung und
der Marketingstrategie des Eichborn Verlags scheitert. Angekündigt als bewegende Geschichte zweier…mehrHätte hätte Fahrradkette – wenn Buch und Beschreibung nichts miteinander zu tun haben
„Die geheimnisvolle Freundin“ von Simona Baldelli, die mit „Die Rebellion der Alfonsina Strada“ ja schon einen starken Frauenroman abgeliefert hat, ist ein Buch, das eventuell schlicht an seiner Übersetzung und der Marketingstrategie des Eichborn Verlags scheitert. Angekündigt als bewegende Geschichte zweier gleichaltriger Freundinnen, deren Vertrauensverhältnis von einem dramatischen Missverständnis erschüttert wird, gibt dieses Buch jedem Menschen, der eben diese Geschichte in ihm sucht, bis zum Ende Rätsel auf. Und auch wenn der Originaltitel „Il pozzo delle bambole“ den Inhalt auch nicht viel besser greift, so ist er doch zumindest ein wenig näher dran.
Die Aufmachung des Buches gefällt mir richtig gut, das Papier von Schutzumschlag und Innenleben fasst sich gut an, die Schwarzweiß-Fotografie hatte mich eh direkt angesprochen, weil sie so viel Wärme ausstrahlt, ohne sich eines Sepiatons zu bedienen, den stärkeren Beerenton des festen Einbands im Verhältnis zum Altrosa und Grau des Covers find ich auch sehr gelungen.
Der Einstieg ins Buch ist sehr gut geglückt. Die Atmosphäre des Waisenhauses, in dem die kleine Nina, die wir beim Aufwachsen begleiten werden im Verlauf der Geschichte, als Findelkind aufwächst, kommt sehr gut rüber, auch spürt mensch sofort, dass in Nina eine besondere Stärke wohnt, die sie einzigartig macht unter den vielen Kinder. Die Sprache ist stark und sehr atmosphärisch, tolle Sprachbilder, immer wieder, ohne zu übertreiben. Der Fokus liegt in einer guten Art auf der zu erzählenden Geschichte. Und über allem dräut die katholische Moral. Baldelli schafft es grundsätzlich sehr gut, im Schreiben mit einem kindlichen Blick auf die Welt zu schauen und die Wahrnehmung einer Viereinhalbjährigen zu treffen. Wir schauen auf Ninas Existenz, wie Nina selbst schaut. Dabei ging es mir allerdings oft so, dass ich die Gespräche, die mit ihr geführt werden, so nicht glaubhaft finde, gemessen an ihrem Alter. Nina lernt bald ein neues Mädchen im Waisenhaus kennen, Lucia, und diese soll wohl die geheimnisvolle Freundin des Titels sein. Nur, ohne zu viel zu spoilern, ist von Freundschaft hier nichts zu finden, stattdessen beobachten wir eine schwer toxische Beziehung mit hochmanipulativem Charakter.
Formal springt Baldelli immer wieder in die Zukunft, zu einer erwachsenen Nina, ohne diese Wechsel weiter zu kennzeichnen. Je weiter das Buch voranschreitet, desto mehr Anteil übernimmt das erwachsene Leben. In der ersten Hälfte dominiert das Leben im Waisenhaus. In diesem hofft Nina sehr darauf, adoptiert zu werden und so der Einsamkeit zu entkommen, doch sie wird immer wieder enttäuscht. Als sich endlich die Chance für sie auftut, trifft sie eine folgenschwere Entscheidung.
Später, im Erwachsenenleben, arbeitet Nina in einer Tabakfabrik, in der die dort angestellten Frauen zu einem Streik aufrufen, als sich die Arbeitsbedingungen einschneidend verändern und eine Kündigungswelle droht. Die Geschichte des Streiks der Tabacchine hat mich ehrlich gesagt sehr viel mehr interessiert als die Geschichte von Nina und Lucia. Für mich hätte der Roman sich vor allem damit befassen können, im Nachwort wird deutlich, dass die Autorin sich vor allem für dieses Thema und das Waisenhaus interessiert. Wofür es also diese aufgepfropfte Freundinnenhandlung braucht, erschließt sich mir nicht. Denkt die Autorin, so mehr Leser:innen zu erreichen? Von der Idee her möglich, dann muss es aber auch gut gemacht sein. Mit dem Protest um die Tabakfabrik vermischt die Autorin Wahrheit und Fiktion und verbindet reale Zeitgeschichte mit Ninas Leben, ohne dabei allerdings sehr auf die politische und wirtschaftliche Situation in Italien oder die Rolle der Frau einzugehen. Statt hier nun konsequent den Weg der sich selbst ermächtigenden Frauen und Ninas Anteil daran weiter zu verfolgen, lässt die Autorin auf einmal Lucia im letzten Teil des Buches wieder auftauchen, eines Tages steht sie vor der Fabrik. Die dann folgende Annäherung (ohne Missverständnis, dieses konnte ich bis zum Schluss nicht auffinden) ist leider absolut unglaubwürdig und vollkommen übers Knie gebrochen! Ein Pseudo-Happy-End aus dem Nichts, nachdem es zuvor eigentlich keinen stringenten Plot gab und sich fast nichts aus der Beschreibung des Klappentextes wiederfinden lässt im Buch. Einfach schade, es gibt so viel gute Ansätze in dem Roman. Ich habe in letzter Zeit leider oft das Gefühl, dass Autor:innen eigentlich gute Konzepte und Ideen haben, die dann aufgeweicht werden, um mehr Auflage und Reichweite zu erlangen. Das Ergebnis ist dann, so wie hier, ein mittelmäßiges Buch. Wirklich sehr schade. Das hätte so ein spannendes Buch über Solidarität und die Kraft von Frauen werden können, was Simona Baldelli glaube ich auch viel mehr liegt.
Vom Cover lächeln uns zwei junge Frauen entgegen. Diese Frauen habe ich im Innenleben des Covers leider nie kennengelernt.