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Es ist noch nicht lange her, daß in einer Stadt im Westen unseres Landes, wie keine schönere gleich einer lächelnden Frau ihre Füße in den Wellen eines raschfließenden Stromes badet und ihr Antlitz in seinem Spiegel betrachtet, sich die Geschichte zutrug, die ich hier erzählen will. Obzwar sie sich recht eigentlich im Herzen jener Stadt abgespielt hat und es Blut dabei gab und Tränen, so hat sie davon wohl kaum etwas gespürt; und wenn sie etwas von ihr bemerkte, so hat sie es im Herzen bewahrt, treu und verschwiegen, wie es gut war und notwendig; denn sie ist ¿ auch hierin den Frauen gleichend…mehr

Produktbeschreibung
Es ist noch nicht lange her, daß in einer Stadt im Westen unseres Landes, wie keine schönere gleich einer lächelnden Frau ihre Füße in den Wellen eines raschfließenden Stromes badet und ihr Antlitz in seinem Spiegel betrachtet, sich die Geschichte zutrug, die ich hier erzählen will. Obzwar sie sich recht eigentlich im Herzen jener Stadt abgespielt hat und es Blut dabei gab und Tränen, so hat sie davon wohl kaum etwas gespürt; und wenn sie etwas von ihr bemerkte, so hat sie es im Herzen bewahrt, treu und verschwiegen, wie es gut war und notwendig; denn sie ist ¿ auch hierin den Frauen gleichend ¿ minder schwatzhaft als minder schöne. Jetzt aber, da ¿ nach kaum zwanzig Jahren ¿ niemand mehr übrig ist, dem die Erzählung dieser Begebenheiten einen Schmerz erneuern könnte, und die Geschichte schon dem unermeßlichen Meere der Vergessenheit zurollt, das, gnädig und grausam, die Schicksale der Menschen in sich aufnimmt, scheint es an der Zeit, sie diesem Ende zu entreißen. Denn selbst der letzte und gewichtigste, wenn auch stumme Zeuge, welcher ihren Ausgang gesehen hat, ist gefallen, da ich jüngst eines Abends vor den Trümmern des Hauses stand, in welchem sie zum Austrag kam. Es war das Haus, in dem zu unserer Studentenzeit unser Fechtmeister wohnte und seinen Fechtboden hielt; nicht der von der Universitätsbehörde angestellte, bei dem man die herkömmlichen Gänge unter Geklirr und Getrampel erlernte, sondern einer, der die feine Kunst auf eigene Hand übte und lehrte, und ein sonderlicher vor andern, wie die Bibel sagen würde. Noch waren die Arbeiter, um ihres Tages Mühen zu enden, am Werk, die letzte Mauer niederzureißen; aus dem weißen Schutt ragten einige Dielen des knorrigen, abgetretenen Fußbodens, auf dem wir bei unseren jugendlichen Ausfällen gestanden hatten. Als die Mauer mit den hilflosen, leeren Fensteröffnungen kraftlos fiel und eine Wolke gelblichen feinen Staubes mir die formlosen, in sich zusammengesunkenen Trümmer verhüllte, wurde ich seltsam angerührt; wie von einem leisen Zauber. Ich ging nach Hause, fast wie geleitet; und er bannte mich, die Schattenschleier festzuhalten, die er in der wachsenden Dämmerung um mich heraufzog.
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Autorenporträt
Rudolf Binding wurde als Sohn wohlhabender Eltern geboren. Sein Vater Karl stammte aus einer traditionsreichen Anwaltsfamilie und war ein international anerkannter Strafrechtslehrer, der ein Jahr vor Rudolf Georgs Geburt heiratete und an die Universität Basel berufen wurde. Um 1870 ging die Familie nach Freiburg im Breisgau. Nach dem Krieg zog die Familie weiter nach Straßburg, das nun deutsch war. Der Vater lehrte für kurze Zeit (1872) an der neu gegründeten Universität und siedelte 1873 mit seiner Familie nach Leipzig über, wo er Dekan der juristischen Fakultät war. Der Sohn wuchs wohlbehütet in einem stattlichen Bürgerhaus auf (Ferdinand-Lassalle-Str. 6) und ging in Leipzig zur Schule. Nach dem Ersten Weltkrieg lebte er bis 1935 in Buchschlag bei Frankfurt am Main, danach bis zu seinem Tod in Starnberg.