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Hauptfigur der Geister von Manila ist die Stadt seilber, eine der gewalttätigsten der Erde. James Hamilton-Paterson entwirrt ein extrem komplexes, materialreiches, bis in Daten und Einzelheiten hinein individualisiertes Porträt dieser postkolonialen Metropole der Dritten Welt.
Wie überleben Menschen die Schrecken Manilas, mit welchen Überlebenstechniken, mit welchen Gefühlen? Wie tauglich sind unsere Begriffe von Menschlichkeit, staatlicher Ordnung, Gerechtigkeit, Korruption, um einen solchen -Kosmos- zu begreifen? Hamilton-Paterson porträtiert eine der gewalttätigsten Städte der Welt - in Form eines vielfigurigen, packenden Romans.…mehr

Produktbeschreibung
Hauptfigur der Geister von Manila ist die Stadt seilber, eine der gewalttätigsten der Erde. James Hamilton-Paterson entwirrt ein extrem komplexes, materialreiches, bis in Daten und Einzelheiten hinein individualisiertes Porträt dieser postkolonialen Metropole der Dritten Welt.
Wie überleben Menschen die Schrecken Manilas, mit welchen Überlebenstechniken, mit welchen Gefühlen? Wie tauglich sind unsere Begriffe von Menschlichkeit, staatlicher Ordnung, Gerechtigkeit, Korruption, um einen solchen -Kosmos- zu begreifen? Hamilton-Paterson porträtiert eine der gewalttätigsten Städte der Welt - in Form eines vielfigurigen, packenden Romans.
Autorenporträt
James Hamilton-Paterson, 1941 in London geboren, Oxfordabsolvent und Mitglied der Royal Geographical Society, renommierter Journalist, Sachbuchautor, Lyriker und Romancier, schreibt u. a. für die "Sunday Times", das "Times Literary Supplement", den "New Statesman" und für die Schweizer "Weltwoche". Er lebt als freier Schriftsteller in Italien und auf den Philippinen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.05.1998

Der Hiob von Manila
James Hamilton-Paterson wünscht sich das Jüngste Gericht

In einem seiner selbstreflexiven Momente bezeichnet James Hamilton-Paterson "Die Geister von Manila" als "Brühwürfel" zu einem "Informationssüppchen", und das ist kein schlechter Vergleich. Der Autor verschmäht den Fluß der Erzählung, der die Datenessenz erst genießbar macht. Als Protagonist seines Dokumentarromans über Gewalt und Korruption in der philippinischen Hauptstadt läßt sich unter vielen Stimmen und Gesichtern der Engländer John Prideaux isolieren. Er ist nach Asien gekommen, um Material für eine Dissertation über Streßfaktoren zu sammeln. Doch was ihm in Manila begegnet, geht weit über den Sinn des westlichen Modewortes hinaus.

Seit seiner Jugend ist Prideaux von Krisenorten magisch angezogen. Sein berufliches Leben kompensiert vor allem, daß er Vietnam verpaßte. Als Fernsehjournalist machte er sich durch schonungslose Reportagen einen Namen. Erst als sein Beitrag über den von Bangkok-Touristen gepflegten sexuellen Kindsmißbrauch mit Todesfolge nicht gesendet wurde, entdeckte er die Grenzen der westlichen Informationsgesellschaft. Das Elend der Slums von Manila und die Brutalität seiner paramilitärischen Polizei können Prideaux kaum überraschen. Allerdings ändert er seinen Berichtsstil. Nun will er der kapitalistischen Welt die bittere Wahrheit über ihre Kolonialisierung der östlichen Hemisphäre im Zuckermantel der Fiktion darreichen: Er war zu dem Ergebnis gekommen, "daß es für eine Niederschrift keine andere Möglichkeit gab. Wenn sie sich als fiktiver Bericht präsentierte, so war sie doch den herkömmlicheren, im Textverarbeitungslatein verfaßten Schwarten, die als Anthropologie durchgingen, in puncto Lesbarkeit klar überlegen."

Hier verschmilzt das Kalkül von Figur und Autor. Hamilton-Paterson ist selbst lange Zeit Journalist gewesen und instrumentiert den Roman nicht weniger als Prideaux seine Dissertation. Unter dem Doppelanspruch, Kunstwerke und Pamphlet zugleich zu sein, büßt das Buch an Struktur ein. Personen treten vielversprechend auf und werden dann nicht weiter entwickelt. Auch die sporadisch gewährten Einblicke in ihr Privatleben kommen über ornamentalen Charakter selten hinaus.

Zu sich selbst findet der Text immer erst dann, wenn die Priester, Polizisten und Journalisten Manilas ihr Hintergrundwissen ausschütten. Vermutlich hat Hamilton-Paterson seine Dialoge auf der Basis von Tonbandmitschnitten erstellt. Im Verlauf der aneinandergereihten Gespräche wird der Leser mit einem Panorama grausiger Fakten konfrontiert. Von den klimatischen und hygienischen Bedingungen des philippinischen Alltags über die einstigen Schandtaten Imelda Marcos' bis zu den sadistischen Tötungstechniken von Polizei und Mafia reicht der gebetsmühlenartige Katalog. Der Adressat dieser Tiraden bleibt seltsam unspezifisch. Ist es der weiße Mann, der Asien seine zynische Ökonomie aufzwingt, das gesichtslose Schicksal, dem der Filipino mit Gleichmut begegnet, oder ein personaler Schöpfergott, den der identitätssüchtige Europäer vor den Vorhang der Geschichte kommandiert?

Im hintersten Teil eines Gräberfelds trifft Prideaux auf einen von Krankheit entstellten Armeekapitän, der dort sein Ende erwartet. Stammplatz des leprösen Schattens ist ein Marmorsockel, auf dem das in Stein gehauene Buch Hiob liegt. Von hier aus predigt der Veteran martialischer Bestialitäten das Überdauern der geprüften Seele auf den Schlachtfeldern des Diesseits. Auch wenn sie, wie er einräumt, in extremen Lagen nur der Amoklauf noch rettet.

Hamilton-Paterson ist nicht Aufklärer genug, um das menschliche Leiden allein irdischen Fehlerquellen anzulasten. Wie Hiob rechtet er auch mit Gott. Sein Buch selbst versteht sich als Friedhof, als Ort des Eingedenkens und der Grabinschriften. In den hastig ausgestoßenen Verlusterzählungen Manilas sammelt es die "verstreuten Fragmente einer gewaltigen kollektiven Liebe". Als verwandte Formen solcher Gedächtnisarbeit dürften im Roman die antiken Grabungsfunde zweier Archäologinnen und auch die vielen Geister gelten, die den Filipinos alltäglich erscheinen.

Hamilton-Paterson ist ein mit dem Jenseits operierender Moralist. Doch anders als der Armenpriester Pater Herrera verheißt er das Jüngste Gericht nicht so sehr, als daß er es verlangt. Es wäre die einzige Instanz, die nach der Absage aller Fernsehanstalten Prideaux' Cinéma vérité verkraften könnte, der Ort, wo "jedem Menschen der endgültige, von Gott selbst gedrehte Dokumentarstreifen über sein Leben zwangsvorgeführt werden würde". Bis dahin spielt Hamilton-Paterson selbst den Zeremonienmeister und reproduziert durch das erbarmungslose Einhämmern unerträglicher Fakten stilistisch die Folter, gegen die seine Erzählung anschreibt. Das Buch bedeutet Streß für den Leser. Der Europäer setzt sich ihm aus, der Asiate würde es vielleicht einfach beiseite legen. INGEBORG HARMS

James Hamilton-Paterson: "Die Geister von Manila". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Esther Breger und Udo Breger. Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 1998. 432 S., geb., 44,- DM.

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